Bernd Jäger: Die sozialpädagogische Betreuung [...] in der Bewährungshilfe
Rezensiert von Prof. Dr. Wolfgang Klug, 18.03.2011
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Bernd Jäger: Die sozialpädagogische Betreuung von straffälligen Menschen in der Bewährungshilfe. Ein Ländervergleich.
Universitätsverlag Brockmeyer
(Bochum) 2010.
317 Seiten.
ISBN 978-3-8196-0756-1.
39,90 EUR.
Reihe: Crime and crime policy - Vol. 6.
Thema
Die Bewährungshilfe hat sich seit ihrer Einführung neben dem Straf- und Maßregelvollzug mittlerweile zu einer dritten Säule der Strafvollstreckung entwickelt. Sie stellt damit eine wesentliche Alternative zur Freiheitsstrafe dar. In einem bis heute andauernden Prozess ist die Bewährungshilfe verschiedensten Veränderungen unterworfen. Die kontroverse Diskussion um die Privatisierung von öffentlichen Leistungen hat mittlerweile auch den Sektor des Strafvollzuges und damit die Bewährungshilfe erfasst. Als erstes Bundesland hat Baden-Württemberg im Jahre 2007 die Bewährungshilfe einer privaten Organisation übertragen. Die Arbeit vergleicht die privaten Bewährungshilfeorganisationen Österreichs und der Niederlande mit dem öffentlichen System der BRD. Neben einer umfassenden Beschreibung der Organisationsstrukturen werden Handlungsabläufe in der Bewährungshilfearbeit dargelegt, wobei qualitative Aspekte der sozialpädagogischen Tätigkeit fokussiert werden. Eine abschließende Diskussion stellt aus dem Vergleich der Systeme Anregungen für eine Weiterentwicklung der deutschen Bewährungshilfe, im Sinne einer Verbesserung der Dienstleistungsqualität, vor. Das vorliegende Buch dient aufgrund der umfassenden Beschreibung und weitreichenden Gliederung auch als Arbeits- und Diskussionsgrundlage für die Bewährungshilfe in den beschriebenen Ländern. (Klappentext)
Autor
Jahrgang 1970. Ausbildung zum chemisch-technischen Assistenten in Köln, Studium der Sozialarbeit an der KFH Aachen. Ableistung des Anerkennungsjahres im sozialpsychiatrischen Dienst des Gesundheitsamtes Kreis Aachen. Seit 01. 01. 2001 im Sozialdienst der JVA Mannheim. Abschluss des Masterstudienganges Führung und Leitung von Gesundheits- und Sozialdiensten an der KFH Aachen Anfang 2004. Promotion im Fachbereich Erziehungswissenschaften an der Johann Wolfgang Goethe-Universität zu Frankfurt am Main. (Verlagsangaben)
Aufbau
Nach einer Einführung stellt der Autor die Bewährungshilfe dreier Länder vor: Niederlande, Österreich und Deutschland. Es sind jeweils sieben Fragestellungen, die in den Niederlanden und Österreich untersucht werden:
- Die Geschichte
- Der gesetzliche Auftrag
- Angebote zur Bekämpfung der Rückfälligkeit
- Projekte und Programme
- Qualitätselemente
- Qualitätssicherung
- Perspektive der Bewährungshelfer
Für die deutsche Bewährungshilfe weicht der Autor ab. Hier legt er folgende Gliederung zugrunde:
- Die Geschichte
- Der gesetzliche Auftrag
- Die Bewährungshilfe in Speyer
- Projekte und Programme
- Perspektive der Bewährungshelfer
In einem abschließenden Kapitel diskutiert der Autor vergleichend die Ergebnisse
Inhalte
Die niederländische Bewährungshilfe wird vom Autor sehr differenziert beschrieben. Interessant dabei ist, dass dort aus Gründen der Effizienz ein striktes Produktsteuerungssystem eingeführt wurde, dass sich die Bewährungshilfe heute hauptsächlich auf Prognostik und Überwachung sowie gezielte Programme spezialisiert und sehr einschneidende Maßnahmen der Qualitätssicherung eingeführt hat. So überwacht eine Kommission (ähnlich wie in England) die Programme und akkreditiert diese (oder auch nicht). Ausführlich wird das Instrument zur Risikoeinschätzung (RISc) dargestellt, die verwendeten Interventionsprogramme hingegen werden nur angerissen. Detailreich sind die gesetzlichen Grundlagen beschrieben, die auf eine große Diversion im Strafrecht hindeuten. Interessantes Fazit: „Der Bewährungshelfer vermittelt nach einer Diagnose und entsprechendem Interventionsvorschlag (im Rahmen von RISc) an die entsprechenden Stellen. (…) Pädagogische Elemente im Sinne einer persönlichen Arbeit mit dem Klienten und dem Ziel der Verhaltensbeeinflussung und Hilfestellung haben demgegenüber abgenommen.“ (S. 84)
Auch die Geschichte der österreichischen Bewährungshilfe
wird ausführlich thematisiert. Letztlich mündet sie in
einer Monopolstellung der privaten Organisation Neustart, die als
Monopolist im Auftrag des Staates die Bewährungshilfe
durchführt. Infolgedessen sind alle weiteren Angaben Aussagen
von und über Neustart (Finanzierung, Organisationsstruktur und
-handbuch, Arbeitsabläufe, Angebote). Die Zahlen, die Jäger
vorlegt, sind größtenteils aus den Jahren 2006 oder 2007.
Die gesetzlichen Grundlagen in Österreich sind fundamental
anders als in Deutschland und der Niederlande. Der Hilfeaspekt steht
eindeutig im Vordergrund, ja, es wird gesetzlich gefordert, dass sich
der Bewährungshelfer „mit Rat und Tat darum zu bemühen
(hat), dem Rechtsbrecher zu einer Lebensführung und Einstellung
zu verhelfen, die diesen in Zukunft von der Begehung mit Strafe
bedrohter Handlungen abzuhalten vermag.“ (S. 106) Man könnte
hier fast von einer Umkehr der Beweislast sprechen: Nicht der
Delinquent muss nachweisen, wie er seine Einstellung verändert,
sondern sein Bewährungshelfer muss beweisen, dass er alles in
seiner Macht Stehende getan hat.
Unter den
Qualitätsgesichtspunkten interessant ist, dass einerseits sehr
detailreiche Regelungen getroffen werden, andererseits der Autor
feststellt: „Die Möglichkeit der Weisungserteilung durch
den Vorgesetzten ist grundsätzlich vorhanden, wird aber nicht
praktiziert.“ (S. 164) Stark ausgeprägt ist bei Neustart
die Einbettung Ehrenamtlicher, sodass auch diese breiten Raum
einnehmen. Als angewandte Methoden der Sozialen Arbeit bezeichnet der
Autor die „Beziehungsarbeit“, Casework und
psychoanalytische Orientierungen.
Schließlich charakterisiert der Autor die deutsche Bewährungshilfe. Diese unterscheidet sich grundlegend von der niederländischen und der österreichischen durch die föderalistische Organisation. Dies macht die Darstellung schwierig. Zunächst versucht es der Autor mit einer „Tour d‘Horizon“ durch alle Bundesländer, indem er die Aufbauorganisationen kurz beschreibt. Das geht in Hamburg in drei Zeilen, in Berlin auch (da fehlt allerdings die Jugendbewährungshilfe), Sachsen-Anhalt wird per Organigramm dargestellt, Niedersachsen mit einer Struktur, die schon Vergangenheit ist, Mecklenburg-Vorpommern nicht sehr genau mit einem veralteten Organigramm – kurz: Es ist schwierig, aber differenziert. Der nächste Punkt, die gesetzlichen Bedingungen, wird beispielhaft anhand einiger weniger Bundesländer dargestellt. Dabei werden die Grenzen der Bewährungshilfe etwas ausgedehnt, denn nun wird die Gerichtshilfe unter einem „ambulanten sozialen Dienst der Justiz“ subsumiert, den es so nur nicht in allen Bundesländern gibt. Schließlich wird der Fokus noch weiter verengt: „Aufgrund der föderalen Struktur der Bundesrepublik (…) wird an dieser Stelle die Bewährungshilfe in Speyer exemplarisch in ihrer Organisations- und Arbeitsstruktur beschrieben.“ (S. 240 f). Nun erfährt man allerlei über die Bewährungshilfe in Speyer: über die Fortbildung (mehrfach), über den Eigenanteil der Mitarbeiter bei Supervision (5 €, zweimal ausgeführt), über „Projektgeschichten“ (ohne die Projekte zu nennen) und über die Festlegung der Kontaktfrequenzen mit den Probanden, die in Absprache mit diesen getroffen wird (was unter Sicherheitsaspekten insbesondere bei gefährlichen Straftätern sehr interessant ist). Kurz: Am Ende kennt man die Bewährungshilfe in Speyer ziemlich genau (es sind allerdings nur drei Bewährungshelfer), insbesondere aber weiß man, dass man nichts vergleichen kann, weil „jeder und jede Bewährungshelferin ihre spezielle Vorgehensweise hat“ (S. 265), und dass es Standards für gefährliche Straftäter nicht gibt (aber immerhin diskutiert werden) (S. 258).
In dem letzten Kapitel „Auswertung und Diskussion“ wird Bewährungshilfe als „Dienstleistung“ konstruiert, um daraus Aspekte der „Dienstleistungsqualität“ zu diskutieren. Unter „Strukturqualität“ werden die Ergebnisse der drei Länder noch einmal in Tabellenform zusammengefasst, so z. B. „Ehrenamtliche Bewährungshilfe spielt in den NL so gut wie keine Rolle“. „Frühere Pilotprojekte wurden nicht ausgebaut“ (S. 276) wird unter „Personelle Ressourcen“ und „Strukturqualität“ in den Niederlanden aufgeführt, in Deutschland steht unter „Strukturqualität“ die „öffentliche Verwaltungsstruktur“ (S. 281). Genau dasselbe Muster wird zum Thema „Prozessqualität“ angewandt: Die vorher beschriebenen Verfahrensweisen der drei Länder bzw. der Bewährungshilfeeinrichtung in Speyer werden zur „Prozessqualität“. Es finden sich z. B. unter dieser Kategorie in Österreich: „Einige Mitarbeiter verfügen über Weiterbildungen“ oder unter „Prozessqualität“ in Speyer: „Supervision für ehrenamtliche Kräfte ist nicht vorgesehen“. Schließlich wird in gleicher Weise über „Ergebnisqualität“ referiert.
Diskussion
Man könnte durchaus Gefallen an einem Ländervergleich finden, wenn man davon ausgeht, dass trotz der Verschiedenheit der Länder das eine System dem anderen Anregungen geben kann. Allein, ein Vergleich findet nur statt, wenn man tatsächlich vergleicht oder mehr noch: einzelne Elemente der Länder methodisch sauber bewertet. Das wäre eigentlich die Aufgabe eines Fachbuches, das „ein Ländervergleich“ im Titel führt. Aber Bewertungen im Sinne von (aus wissenschaftlicher Sicht ausgesprochenen) Empfehlungen oder Diskussionsanregungen finden in diesem Buch erst auf den allerletzten acht Seiten statt, und dann in einer Weise, die die aktuelle Fachdiskussion bestenfalls streift (wie sich z. B. am Beispiel der Thematik „Fallbelastung“ gut zeigen ließe). Wissenschaftliche Erkenntnisse einfließen zu lassen, sind jedenfalls dieses Autors Sache nicht, vielmehr verzichtet er weitgehend darauf, die beispielsweise in den letzten Jahren in der Zeitschrift „Bewährungshilfe“ oder „Forum Strafvollzug“ erschienene Fachliteratur zu verarbeiten, wie er überhaupt auf aktuelle Fachliteratur verzichtet (z. B. völlig auf englischsprachige). Die überwiegenden Informationen neben seinen Interviews sind Selbstbeschreibungen, Broschüren, Flyer, Newsletter der einzelnen Einrichtungen aus dem Internet. So ist die Ausarbeitung eine durchaus fleißige Sammlung von Informationen, ohne dass man allerdings deren eigentlichen Sinn oder die wissenschaftliche Methodik dahinter erkennt. Dieser Eindruck gipfelt in der Vorgehensweise des Autors bei seiner Beschreibung der deutschen Bewährungshilfe: Warum er ausgerechnet Speyer als „exemplarische“ Dienststelle für die deutsche Bewährungshilfe auswählt, bleibt offen. Ob es die zweifellos imposante Geschichte der Stadt ist oder die Tatsache, dass Speyer in einem Bundesland liegt, das – man nehme nur das Thema gefährliche Straftäter – mittlerweile meilenweit vom Standard anderer Bundesländer entfernt ist, man erfährt es nicht.
Ein Letztes sei angemerkt: Das Buch hätte dringend ein Fachlektorat gebraucht. Die Begriffe gehen so durcheinander, dass es dem Leser schier schwindlig wird: Wo „Effektivität“ gesagt wird, ist „Effizienz“ gemeint (und umgekehrt), wo von „Casework“ gesprochen wird, ist „Case Management“ gemeint (und umgekehrt), statt „anthropologisch“ wird „anthroposophisch“ geschrieben, statt „betriebswirtschaftlich“ „volkswirtschaftlich“ usf. Und dass das Buch „sozialpädagogische Betreuung von straffälligen Menschen“ im Titel trägt, ist wahrscheinlich auch ein begrifflicher Irrtum, denn es geht darin weder um „Sozialpädagogik“ (ein Begriff von allenfalls historischer Qualität, weil wir heute von „Sozialer Arbeit“ sprechen), noch um Betreuung, denn die methodischen Fragen der Arbeit mit Straffälligen (z. B. mit dem Ziel der Veränderung straffälligen Verhaltens) sind nur ein Randthema.
Fazit
Das Buch ist im Teil über die Niederlande immerhin noch interessant, im Teil über Österreich annähernd informativ, im Teil über Deutschland nur ärgerlich. Was immer es ist, ein „Fachbuch“ ist es (trotz prominentem und lobendem Vorwort) nicht, wer eine solches über die Bewährungshilfe sucht, sollte muss leider weiter suchen.
Rezension von
Prof. Dr. Wolfgang Klug
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
Fakultät Soziale Arbeit
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