Ilhami Atabay: "Ich bin Sohn meiner Mutter"
Rezensiert von Prof. Dr. Gazi Caglar, 10.11.2011

Ilhami Atabay: "Ich bin Sohn meiner Mutter". Elterliches Bindungsverhalten und männliche Identitätsentwicklung in türkeistämmigen Familien.
Centaurus Verlag & Media KG
(Freiburg) 2010.
192 Seiten.
ISBN 978-3-86226-014-0.
D: 18,90 EUR,
A: 18,90 EUR,
CH: 33,00 sFr.
Reihe: Münchner Studien zur Kultur- und Sozialpsychologie - Band 19.
Thema
Türkeistämmige Familien und ihre Erziehungsvorstellungen und -muster sind immer wieder in der medialen Diskussion. Allerdings fehlen zumeist differenzierende Untersuchungen, die jenseits von diskurstypischen Klischeereproduktionen in die Tiefe gehen. Der Psycho- und Familientherapeut Ilhami Atabay hat mit seinem Werk zum elterlichen Bindungsverhalten und männlicher Identitätsbildung eine Untersuchung vorgelegt, die uns türkeistämmige Familien und ihre Söhne besser verstehen lässt. Er zeigt, dass in traditionell geprägten Familien der nach Deutschland geholten Arbeitskräfte, die unter verschärften sozialen Bedingungen leben, das alleinige Objekt in der primären Sozialisation des Kindes die Mutter ist. Eine Art psychologischer Vaterlosigkeit prägt die Erziehung der Söhne in diesen Familien, in denen eher die Abwesenheit der direkten Kommunikation zwischen Vätern und Söhnen kennzeichnend ist. Die psychischen Folgen nicht nur für die Söhne, sondern auch für die übrigen Mitglieder der Familie werden erhellend aufgearbeitet.
Autor
Ilhami Atabay studierte Pädagogik, Psychologie und Soziologie. Er promovierte in Psychologie mit einer Arbeit zu Familienstrukturen der zweiten Generation in türkeistämmigen Familien. Er ist Supervisor und Verhaltenstherapeut. Seine Jahrzehnte alten Erfahrungen als Familien- und Psychotherapeut fließen und bereichern die vorliegende Untersuchung. Darüber hinaus lehrt er an der Fachhochschule München und der Ludwig-Maximilian-Universität München.
Aufbau und Inhalte
Den inhaltlichen Ausführungen geht ein Vorwort von Heiner Keupp voraus. Es folgt eine Vorbemerkung des Autors, die in Abgrenzung zum strukturellen Rassismus das Scheitern der Integrationspolitik Deutschlands betont und gegen die Diskriminierung migrantischer Jugendlicher betont, dass alle Kinder unsere Kinder und die Zukunft dieses Landes sind.
Die Einleitung führt in das Thema ein, fasst den Stand der Diskussionen in den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen zum Thema zusammen und erläutert die Untersuchungsmethode. Schon hier nimmt der Autor auf die eigene Lebensgeschichte und seine Erfahrungen Bezug, was die Authentizität erhöht und zum Weiterlesen einlädt.
Die Arbeit ist unterteilt in acht Kapitel, in welchen das Bindungsverhalten in türkeistämmigen Familien auf einer jeweils tieferen Stufe erarbeitet wird.
Das zweite Kapitel gibt eine Übersicht über die türkeistämmigen Männer in der Literatur.
Im dritten Kapitel wird die Entwicklung der Bindungstheorie aufgearbeitet und eine theoretische Grundlage erarbeitet.
Im vierten Kapitel werden die InterviewpartnerInnen ausführlich vorgestellt.
Das fünfte Kapitel erarbeitet auf der Grundlage qualitativer Befragungen theoretisch versiert die Erziehungsvorstellungen in türkeistämmigen Familien. Unterschiedliche Dimensionen, die jeweils ihre Wirkung für die männliche Sozialisation haben, werden hier ausführlich und erhellend analysiert.
Das sechste Kapitel klärt die Familienstrukturen und Familientypen.
Das siebte Kapitel verortet die Bindungstypen der InterviewpartnerInnen, und das achte fasst die Ergebnisse zusammen und zeigt die Konsequenzen auf.
Fazit
Aufgrund klischeeferner, erfahrungsbasierter und theoretisch hergeleiteter Argumentation und der relativ leicht leserlichen Darstellung wird die vorliegende Untersuchung mit Sicherheit zur Basisliteratur für weitere Forschungen avancieren. Das Buch ist allen Interessierten mit Nachdruck empfohlen.
Rezension von
Prof. Dr. Gazi Caglar
Professor an der Fakultät für Soziale Arbeit und Gesundheit der HAWK Hildesheim / Holzminden / Göttingen
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