Siegfried Fritzsche: [...] Ist unstillbares Verlangen überwindbar?
Rezensiert von Prof. Dr. Gundula Barsch, 23.12.2010
Siegfried Fritzsche: Kein Zug nach Nirgendwo. Ist unstillbares Verlangen überwindbar? Centaurus Verlag & Media KG (Freiburg) 2010. 6. überarbeitete Auflage. 244 Seiten. ISBN 978-3-8255-0606-3. 15,90 EUR.
Thema und Entstehungshintergrund
Sucht ist noch immer ein rätselhaftes Phänomen und die Frage, warum sich einige Menschen unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen, kulturellen Milieus oder intellektuellen Möglichkeiten beim Konsum psycho-aktiver Substanzen oder bei bestimmten exzessiv betriebenen Handlungen in selbstzerstörerischen Bezügen verstricken, wird bis heute kaum verstanden. Die Suche nach den Ursachen wendet sich sehr verschiedenen Ansätzen zu, die immer auch durch den jeweiligen Zeitgeist geprägt sind. Deshalb lockt der Titel „Ist unstillbares Verlangen überwindbar?“ Interessierte, die nach einer Antwort suchen und von dem Buch erwarten, einen Pfad durch den Dschungel ihrer Vermutungen, Laientheorien und (Vor-)Urteile hin zu wissenschaftlicher Erkenntnis und praktischer Anleitung zu erhalten. Diesen Erwartungen wird jedoch nur bedingt entsprochen.
Aufbau und Inhalt
Das zentrale Ziel des Buches ist, überblicksartig sowohl Störungen, die sich auf den Umgang mit Substanzen beziehen:
- Alkohol,
- Medikamenten,
- Tabak,
- Opiate,
- Heroin,
- Cannabis,
- Kokain,
- Ecstasy,
- Liquid Ecstasy,
- Spice,
- Narkose- und Lösungsmittel
als auch ausgewählte Verhaltensstörungen:
- Essstörungen,
- Internetsucht,
- Arbeitssucht,
- Sportsucht,
- Spielsucht,
- Kaufsucht,
- Sexsucht
darzustellen, zumindest ausgewählte Therapiemöglichkeiten anklingen zu lassen und auf Erziehungsstile hinzuweisen, die derartige problematische Verstrickungen begünstigen könnten.
Schon die aufgeführte Vielzahl der Einzelthemen, denen man jeweils dicke Bände widmen könnte, verweist darauf, dass sich dieses Buch an den interessierten Laien wendet, der sich erstmals mit einem der angesprochenen Themen vertraut machen möchte. Für diesen Leser ist auch die Gestaltung des Textes bereichernd, der in seiner unaufgeregten und sachlichen Darlegung immer wieder durch ausgewählte Selbsterfahrungsberichte unterbrochen wird und auf diese Weise versucht, dem Leser sowohl das logische als auch das emotionale Verstehen zu ermöglichen.
Dieses Konzept erweist sich auch deshalb als hilfreich, weil sowohl die Seite der betroffenen Konsumenten, als auch die der mitbetroffenenen Menschen des sozialen Nahfeldes angesprochen werden. Das Aufblenden der inneren Zerrissenheit der „Süchtigen“ lässt deren ambivalente Persönlichkeitsstruktur sichtbar werden und auf deren Bewältigungsmöglichkeiten vertrauen. Auf diese Weise wird „den Süchtigen“ das Monsterhafte genommen, das im öffentlichen Bild in der Regel so stark angelegt ist; sie erhalten ihr menschliches Antlitz wieder zurück, so dass dem Leser auch ein Perspektivenwechsel ermöglicht wird.
Das Buch schließt mit einer Zusammenstellung bundesweit ausgewählter Adressen ab, bei denen Menschen mit entsprechenden Problemen Rat und Hilfe suchen können. Bei all diesen Streifzügen verbleiben die Autoren in althergebrachten Mustern, nach denen allein Abstinenz als Allheilmittel bei Substanzproblemen gilt, weshalb auch neue und ebenfalls sehr erfolgreiche Therapieansätze wie die rund um den selbstkontrollierten Substanzkonsum oder Substitution gar nicht erst angesprochen werden und der Leser auch durch eine kritische Revue des Jellinek’schen Alkoholismusmodells nicht verunsichert wird.
Fazit
Das vorliegende Buch gibt einen skizzenhaften Überblick über problematische Handlungsstile, durch die sich Menschen beim Konsum psycho-aktiver Substanzen, aber auch in Zusammenhang mit anderen Lebensbereichen in leidvolle Bezüge verstricken. Für Laien, die sich einen ersten Einblick in die Grundmuster und Symptome einer „Suchtkrankheit“ sowie in Ideen, Konzepte und Hilfesysteme zu deren Behandlung erarbeiten wollen, bietet dieses Buch interessante Informationen an und kann damit zu einem Einstieg in einen Auseinandersetzungsprozess mit diesem Thema werden. Dieser sollte jedoch durch Literatur ergänzt werden, in der die Grenzen und Schwierigkeiten abstinenzorientierter Hilfeansätze thematisiert und auch die moderneren Hilfe- und Unterstützungsangebote mit ihren Herangehensweisen und Ansprüchen darstellt werden.
Rezension von
Prof. Dr. Gundula Barsch
Hochschule Merseburg
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Es gibt 23 Rezensionen von Gundula Barsch.
Zitiervorschlag
Gundula Barsch. Rezension vom 23.12.2010 zu:
Siegfried Fritzsche: Kein Zug nach Nirgendwo. Ist unstillbares Verlangen überwindbar? Centaurus Verlag & Media KG
(Freiburg) 2010. 6. überarbeitete Auflage.
ISBN 978-3-8255-0606-3.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/10562.php, Datum des Zugriffs 10.10.2024.
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