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Nicholas Carah: Pop brands

Rezensiert von Prof. Dr. Christian Beck, 10.03.2011

Cover Nicholas Carah: Pop brands ISBN 978-1-4331-0565-4

Nicholas Carah: Pop brands. Branding, popular music, and young people. Peter Lang Verlag (Bern · Bruxelles · Frankfurt am Main · New York · Oxford) 2010. 199 Seiten. ISBN 978-1-4331-0565-4. CH: 62,00 sFr.
Reihe: Mediated youth - Vol. 11.

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Thema

Dieses Buch zeigt, wie Großunternehmen junge KonsumentInnen in die Markenpolitik einbinden, und zwar über Live-Musikevents, die bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf hohes Interesse stoßen. Typischerweise liegt das Hauptgeschäft dieser Konzerne außerhalb der Musikbranche – in der Getränkeindustrie, in Telefon- und Telekommunikationsdiensten oder in der Autoindustrie, um nur einige Beispiele zu nennen. Auffallend ist, dass sich die Unternehmen eine durch neue Medien geprägte Jugendkultur zunutze machen: gerade dort, wo Persönliches über Communitys, Blogs oder Instant Messenger ausgetauscht wird. Die Darstellung im Buch beruht auf ethnographischer Forschung des Autors, gestützt auf teilnehmende Beobachtung, Textanalyse und Interviews mit Jugendlichen, MusikerInnen, Fachleuten für Marketing und Verantwortlichen in den Unternehmen. Der Autor zielt darauf, Widersprüche herauszuarbeiten zwischen dem Branding, als der Entwicklung von Markennamen, und dem Sozialleben der Jugendlichen.

Autor

Dr. Carah ist Dozent am Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft der University of Queensland, Australien. Seit 2003 forscht er ethnografisch über Branding in Australien.

Entstehungshintergrund

Branding verspricht Erfolg, wo sich heute eine hohe Mediendichte entfaltet. Bei Jugendlichen dreht sich viel um soziale Netzwerke, um die von den NutzerInnen erzeugten Inhalte des Web 2.0. Und bei Livemusik-Veranstaltungen werden Digitalkameras und Handys intensiv genutzt, um Bilder und Musik über das Netz weiterzuverbreiten.

Aufbau

Auf eine Einleitung folgen acht Kapitel (diese umfassen im Durchschnitt gut zwanzig Seiten). Im ersten Kapitel beleuchtet Carah Ansätze, mit denen man Branding begrifflich fassen und erforschen kann. Die folgenden vier Kapitel untersuchen die Aktivitäten, durch die Jugendliche, aber auch MusikerInnen, zur Markenbildung beitragen – das macht den umfangreichsten Teil des Buches aus. In den drei weiteren Kapiteln erkundet Carah die Marketingperspektiven der Unternehmen, und er zeigt und diskutiert, wie Jugendliche damit umgehen.

Inhalt

Carah untersucht Musikevents in Australien, die von weltbekannten Unternehmen veranstaltet wurden: wie Coca-Colas „Coke Live“ und Virgins „V Festival“ (beide Festivals gibt es auch in Europa). Als theoretischen Rahmen zieht Carah strategische Darstellungen aus Marketing und Branding heran, aber ebenso Positionen, die der Einwirkung des Branding auf die Lebenswelt der Jugendlichen kritisch gegenüberstehen.

Ein Schlüsselbegriff ist das „experiential branding“. Gemeint sind Maßnahmen des Managements, welche die KonsumentInnen zu einer „erfahrungsbasierten“ Beschäftigung mit der Marke veranlassen. Den KonsumentInnen soll umfangreich Anlass und Gelegenheit gegeben werden, mit der Marke gleichsam zu experimentieren, sich mit ihr auseinanderzusetzen, mit ihr zu spielen – mit den Produkten, dem Image und dem Umfeld der Marke.

Bei den Musikevents soll auf diese Weise eine Art „markenbezogener Raum“ entstehen (teils offen, teils kaschiert), den Carah als „brandscape“ bezeichnet. Durch die Beteiligung der Jugendlichen soll hier die globale Marke an lokale Kulturräume, Werte und Praktiken anschließen. Die KonsumentInnen sollen so für die Mitbegründung der Marken in Anspruch genommen werden.

Wesentlich ist die Medien-Arbeit, welche die Jugendlichen für die Marke verrichten:

  • Im Vorfeld des Musikevents sind die eigens geschalteten interaktiven Websites der Unternehmen zu nennen, auf denen die (potentiellen) KonzertbesucherInnen – teils gegen Vergünstigungen – umfangreiches Datenmaterial über sich preisgeben.
  • Sehr wichtig sind die sozialen Netzwerke der Jugendlichen, in denen diese in Text- und Bildbeiträgen für „Freunde“ auf das Musikevent und damit auf die Marke hinweisen.
  • Auf den Konzerten selbst nutzen die BesucherInnen ihre Handys und Digitalkameras, um später Bild- und Tondateien auf Plattformen wie YouTube, Flickr oder MySpace hochzuladen. Name oder Logo der Marke werden dabei erwähnt oder kommen ins Bild.

Durch solches Handeln prägen die Jugendlichen laut Carah die Geschmäcker und tragen zur Markenbildung bei, und die Unternehmen gewinnen daraus Impulse für die weitere Markenentwicklung.

Die Musikevents werden gestützt durch den Mythos der Authentizität, von dem Populärmusik zehrt und der bestimmte MusikerInnen umgibt. Carah durchleuchtet, wie die Unternehmen selbst an diesem Mythos weiterspinnen, und wie Konzertfans sich hierauf beziehen. Auch untersucht Carah, wie die MusikerInnen ihre Verpflichtungen gegenüber den Unternehmen beurteilen, sowie den Part, den sie in der Markenbildung übernehmen. Darüber hinaus hat Carah eine besondere Gruppe von Jugendlichen befragt: diejenigen, die im Namen der Veranstalter von den Konzerten berichten – häufig werden sie in einem Casting ausgewählt, und typischerweise verstehen sie ihre unentgeltliche Arbeit als Investition in die eigene Zukunft.

In seiner Kritik deutet Carah das Branding als eine ganzheitliche („holistic“, S. xviii) Logik, die sich in der Gesellschaft verbreite. Er stützt sich dazu auch auf seine Analyse der Rolle, welche die Fachleute für Marketing in den Unternehmen spielen und mit welcher Rhetorik sowie mit welchen Praktiken sie arbeiten. Anhand von Interviews mit jugendlichen Musikfans und MusikerInnen kann Carah zeigen, dass diese das Gebaren und die Aktivitäten der Unternehmen zwar durchschauen, sich aber dennoch bereitwillig darauf einlassen. Er wertet dies als eine ironische und zynische Teilhabe. In solchem Handeln sieht Carah eine Ohnmacht, Selbstreflexivität in einer Sozialwelt durchzuhalten, die durch Marken geprägt ist.

Um dies zu veranschaulichen, sei hier die Äußerung eines Festivalbesuchers (oder einer Besucherin) zitiert: „Ich weiß, Virgin betreibt das V Festival, um mehr Geld zu machen, und dass die Musikkultur, die ich authentisch finde, kommerzialisiert ist, aber ich verhalte mich weiterhin, als ob das nicht der Fall ist. […] Ich versuche halt ein Selbstbild zu erzeugen, mit dem ich mich gut fühle, ich versuche halt Spaß zu haben (to enjoy myself), es bringt nichts, nach den moralischen Konsequenzen dieses Selbstbilds zu fragen und nach dem, was man damit verleugnet.“ (S. 126; Übersetzung C.B., Hervorhebung im Original)

Diskussion

Man wird Carahs Ergebnisse nicht einfach auf andere Länder übertragen können; sollen die Veranstaltungen doch auf regionale Kulturräume zugeschnitten sein. Das Branding und das Handeln der Fans dürften sich jedoch in Grundzügen gleichen. Auch in Deutschland gibt es eine Reihe von Events, die den hier untersuchten ähnlich sind.

Carah kann an vielen Beispielen zeigen, wie die Unternehmen mit ihren Programmen Jugendliche für die Markenbildung beanspruchen, obwohl Jugendliche vermeiden wollen, hilflose Opfer zu sein. Die Unternehmen sprechen Erlebnisweisen und Praktiken an, die für Jugendliche eine hohe emotionale Bedeutung haben. Und die Aufmachung der Veranstaltungen eignet sich hervorragend, um über die mobilen Medien und sozialen Netzwerke, die Jugendliche bevorzugen, beworben und weiterverbreitet zu werden.

Das Urteil Carahs ist dem gegenüber kritisch. Ihm zufolge ist der Part, den Jugendliche bei der Markenbildung übernehmen, gesellschaftliche Arbeit, für die sie nicht bezahlt und bei der sie als Objekte behandelt werden. Dabei werde das Gemeinschaftserleben der Jugendlichen zu einer Handelsware gemacht. Carah behauptet sogar, die Identität der Jugendlichen hänge von dem System ab, das sie zu durchschauen vermeinen. In dieser These zeigt sich aber auch die Grenze seiner Analyse: Carahs punktueller Kontakt mit den Jugendlichen lässt seine Deutung noch nicht hinreichend begründet erscheinen.

Fazit

Das Buch ist ein Lehrstück in Sachen Populärkultur: Das, was von den Jugendlichen und jungen Erwachsenen an Livekonzerten als aufbauend (empowering) erlebt und genossen wird, dient den Konzernen zugleich dazu, die Jugendlichen für ihre Gewinninteressen zu instrumentalisieren.

Rezension von
Prof. Dr. Christian Beck
Pädagogische Forschung und Lehre
Website

Es gibt 53 Rezensionen von Christian Beck.

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Zitiervorschlag
Christian Beck. Rezension vom 10.03.2011 zu: Nicholas Carah: Pop brands. Branding, popular music, and young people. Peter Lang Verlag (Bern · Bruxelles · Frankfurt am Main · New York · Oxford) 2010. ISBN 978-1-4331-0565-4. Reihe: Mediated youth - Vol. 11. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/10578.php, Datum des Zugriffs 26.01.2025.


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