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Gaby Flösser, Melanie Oechler: Einführung in die Theorie der Sozialpädagogischen Dienste

Rezensiert von Prof. Dr. rer. hort. habil. Herbert Schubert, 18.01.2011

Cover Gaby Flösser, Melanie Oechler: Einführung in die Theorie der Sozialpädagogischen Dienste ISBN 978-3-534-17526-0

Gaby Flösser, Melanie Oechler: Einführung in die Theorie der Sozialpädagogischen Dienste. wbg Wissenschaftliche Buchgesellschaft (Darmstadt) 2010. 160 Seiten. ISBN 978-3-534-17526-0. 14,90 EUR.
Reihe: Einführung.

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Thema

Die Entwicklung von Theorien Sozialer Arbeit ist en vogue. Die Publikation von Gaby Flösser und Melanie Oechler leistet einen Beitrag zu dieser Theoriedebatte und zu einer Wissenschaft der Sozialen Arbeit, indem die konstitutiven Strukturelemente sozialpädagogischer Dienste für Kinder, Jugendliche und Familien grundlagentheoretisch aufgearbeitet und die Darstellung mit empirisch gesicherten Erkenntnissen angereichert wird.

Autorinnen

Gaby Flösser ist Professorin für Sozialpädagogik an der Technischen Universität Dortmund und arbeitet schwerpunktmäßig zu Themen der Professions- und Organisationstheorie der Sozialen Arbeit. Melanie Oechler ist dort wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialpädagogik, Pädagogik der frühen Kindheit und Erwachsenenbildung.

Entstehungshintergrund

Vor dem Hintergrund einer fortgesetzten Ausdifferenzierung der Sozialen Arbeit richtet sich die Publikation insbesondere an Studierende der Erziehungswissenschaft und soll einerseits einen Überblick über das Profil der Sozialen Arbeit geben, andererseits darunter aber schwerpunktmäßig die sozialpädagogischen Leistungen darstellen, die für Kinder, Jugendliche und Familien entwickelt worden sind. Mit der Publikation soll „das wissenschaftliche Basiswissen der sozialpädagogischen Disziplin in dem Schwerpunkt der Kinder- und Jugendhilfe“ gebündelt werden (S.7).

Aufbau

Das Buch ist in vier Abschnitte und insgesamt elf Kapitel gegliedert.

  1. Im ersten Abschnitt werden die aktuellen Herausforderungen resümiert;
  2. im zweiten wird definiert, was unter einer Theorie zu verstehen ist.
  3. Der dritte Abschnitt bildet mit acht Kapiteln (zwei Drittel des Gesamtumfangs) den Hauptteil der Publikation: Darin werden die Strukturelemente einer Theorie sozialpädagogischer Dienste umrissen.
  4. Im abschließenden Abschnitt wird die Kopplung mit Wissenschaft und Forschung thematisiert.

Inhalt

Die Publikation nimmt ihren Ausgangspunkt bei den „aktuellen Herausforderungen“: Die Autorinnen skizzieren die Situation der Sozialen Arbeit im Kontext von Organisationsentwicklung, Professionalisierung und Adressatenorientierung, indem exemplarisch an Veränderungen im Feld der Erziehung, am demografischen Wandel, an der Krise der Erwerbsarbeitsgesellschaft und an Tendenzen zum Umbau des Sozialstaats angeknüpft wird. Daraus wird ein wachsender Bedarf sozialpädagogischer Dienste abgeleitet, die über das traditionelle Modell der wohlfahrtsstaatlichen Intervention hinausweisen und vermehrt am Modell der sozialen Teilhabegerechtigkeit orientiert sind. Der wohlfahrtsstaatliche Ausbau von Institutionen Sozialer Arbeit wird als eng verbunden mit dem Prozess der Modernisierung wahrgenommen und profitiert danach von den sozialpolitischen Anstrengungen, die individuelle Daseinsvorsorge zu regulieren und soziale Probleme zu bearbeiten.
In einem weiteren Baustein wird das Verständnis dargelegt, wie der Theoriebegriff im Titel des Buches aufzufassen ist. Mit der Theorieeinführung soll der Gegenstandsbereich der sozialpädagogischen Dienste systematisiert werden, und es sollen Erklärungen und Deutungen der beobachtbaren Prozesse und Entwicklungen gegeben werden, damit daraus eine Orientierung für das fachliche Handeln gewonnen werden kann. Die Theorie wird dabei als interdisziplinäres Konstrukt entwickelt, in dem philosophische, soziologische, psychologische und wirtschaftswissenschaftliche Theoreme miteinander verbunden werden. Vor diesem Hintergrund schätzen die Autorinnen die Verwendung des Theoriebegriffs als riskant ein, wenn sie konstatieren, dass sich gegenwärtig ebenso wenig eine Theorie der Sozialen Arbeit wie eine Theorie sozialpädagogischer Dienste formulieren lassen. Dennoch behalten sie den Theoriebegriff bei, obwohl nur unterschiedliche Kristallisationspunkte wie die Funktion der Sozialen Arbeit, die Lebensführungsweisen der Adressaten, Institutionalisierungsprozesse und Organisationsformen, methodische Konzepte und Arbeitsansätze professionellen Handelns sowie Fragen der wissenschaftlichen Verortung referiert werden. Die Autorinnen streben nicht an, ein konsistentes Theoriegebäude Sozialer Arbeit zu entwerfen, sondern verstehen ihren Theorieansatz als Versuch, wissenschaftstheoretische Systematisierungen vorzunehmen. Als theoretische Referenzpunkte für eine Theorie sozialpädagogischer Dienste werden die Lebensweltorientierung, die Dienstleistungsorientierung, subjekttheoretische Ansätze und systemtheoretische Ansätze gewählt.
Wie die Referenzpunkte zu einer Synthese gebracht werden können, bleibt dabei offen. Denn es werden nur Strukturelemente einer Theorie sozialer Dienste additiv aneinander gereiht. Begonnen wird mit „sozialpolitischen Entwicklungslinien“ (inkl. historischer Retrospektiven); weiter geht es mit „Konstruktionsmerkmalen deutscher Sozialpolitik“, wobei das Augenmerk auf „Wohlfahrtspluralismus und Korporatismus“, „Solidarität und Subsidiarität“ sowie Wettbewerb jenseits des Sozialstaats gerichtet wird. Als weiteres Strukturelement wird die „Organisation sozialpädagogischer Dienste“ zwischen staatlicher Bürokratie, Markt und gemeinschaftlicher Selbsthilfe behandelt. Es folgt ein Blick auf den Wandel sozialpädagogischer Dienste in der Abfolge organisationstheoretischer Ansätze; dabei wird die Rolle des New Public Management genauso angesprochen wie das Aufkommen der Qualitäts- und der Wirkungsorientierung. Ein weiteres Strukturelement greift die Professionalisierung sozialpädagogischer Dienste auf und rekonstruiert die Entwicklung über die angeleitete Tätigkeit und über die Verberuflichung bis hin zur Akademisierung und Verwissenschaftlichung der Sozialen Arbeit. Das professionelle Handeln in den sozialpädagogischen Diensten wird dabei einerseits differenziert nach den Handlungsebenen der kommunalen Sozialplanung, des organisationsbezogenen Management und des Primärprozesses der pädagogischen Arbeit mit Adressatinnen und Adressaten; andererseits werde das berufliche Handeln von sozialpolitisch und technologisch gesetzten Konstruktionen strukturiert, wie es die Spannungsfelder von Hilfe (Helferamt) und Kontrolle (Wächteramt) sowie von Organisations- und Interaktionssystem in der sozialpädagogischen Handlungssituation widerspiegeln.
Am Ende der Aufzählung von Strukturelementen einer Theorie sozialer Dienste wird ein Überblick über die sozialpädagogischen Arbeitsfelder gegeben. Das Spektrum reicht von der Kindertagesbetreuung und Hilfen zur Erziehung über die Kinder- und Jugendarbeit und die Jugendsozialarbeit bis hin zu allgemeinen Beratungs- und Unterstützungsangeboten. Außerdem wird die Konstruktion von Adressatentypen über sozialpädagogische Strategien behandelt: Die Autorinnen heben hervor, dass die früher verbreitete Strategie der Repression und Disziplinierung gegenüber Armen und Abweichenden durch eine zunehmende Normalisierung der Adressaten abgelöst wird. Mit dem Einzug der Dienstleistungsorientierung werden Adressatinnen und Adressaten zu souveränen „Kunden“, die zu mehr Selbstverantwortung aktiviert werden sollen. Im Zusammenhang mit der geforderten Selbstverantwortung werfen die Autorinnen die Frage nach der Verteilungsgerechtigkeit von Sozialinvestitionen auf.
Im Schlussteil der Publikation wird eine große Unübersichtlichkeit singulärer Forschungstätigkeiten innerhalb der Sozialen Arbeit konstatiert, was dazu beitrage, eine Theoriebildung zu erschweren. Vor diesem Hintergrund wird die empirische Beschäftigung mit den sozialpädagogischen Diensten in drei Forschungslinien gegliedert:

  1. grundlagentheoretische Studien zum Ausbau der Sozialen Arbeit als wissenschaftliche Disziplin,
  2. auf konkrete Probleme fokussierte Praxisforschung und
  3. Forschungen zum Zwecke der Politikberatung. Das zukünftige Forschungsprogramm soll die Theorieentwicklung in der Sozialen Arbeit voranbringen, indem (a) die gesellschaftlichen und sozialpolitischen Kontextbedingungen von sozialpädagogischen Diensten, (b) ihre Organisationsformen, (c) die Kompetenzen der Professionellen in der methodischen Arbeit mit der Klientel (d) die subjektiven Voraussetzungen auf der Adressatenseite aufgeklärt und theoretisch integriert werden.

Diskussion

Die Leistung der Publikation besteht darin, dass die Bausteine für eine Theoriekonstruktion gut sortiert dokumentiert und Perspektiven der weiteren theoretischen Entwicklungsarbeit in der Sozialen Arbeit anschaulich dargelegt werden. Die Autorinnen belassen es bei diesem frühen Entwicklungsstadium und wagen noch nicht den größeren theoretischen Entwurf. Insofern muss der/die Leser/in die theoretische Synthese in der Verknüpfung der Strukturelemente selbst herstellen.
Am Ende von jedem Kapital werden Fragen aufgeworfen, mit denen nach der Rezeption der Wissensstand und das Verständnis überprüft werden können. Das Buch ist besonders für Studierende und Lehrende geeignet, die ein kompaktes Kompendium mit sozialpädagogischem Basiswissen im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe suchen. Seine Stärke liegt darin, dass es Anreize bietet, die begonnene Arbeit am ‚Theorie-Steinbruch‘ der Sozialen Arbeit fortzusetzen. Auf die Rezeptionswirkungen darf man daher gespannt sein.

Fazit

Die Publikation vermittelt einen guten Überblick über den Forschungsstand in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit den sozialpädagogischen Diensten für Kinder, Jugendliche und Familien. Das Feld wird mehrdimensional abgesteckt und versucht alle Aspekte der Fachdiskurse zu integrieren. Die Autorinnen machen deutlich, dass damit noch nicht eine konsistente Theoriebildung vorliegt, aber sie sammeln akribisch alle Strukturelemente ein, die für die weitere Theorieentwicklung gebraucht werden. Dadurch eröffnet die Publikation Perspektiven, die gesellschaftliche Funktion der Sozialen Arbeit, ihre fachlichen sowie methodischen Ansätze und die Orientierung an den Adressaten/innen theoretisch besser zu fassen.

Rezension von
Prof. Dr. rer. hort. habil. Herbert Schubert
Ehem. Direktor des Instituts für angewandtes Management und Organisation in der Sozialen Arbeit (IMOS) an der Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften der Technischen Hochschule Köln
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Es gibt 8 Rezensionen von Herbert Schubert.

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ISSN 2190-9245