Kornelia Rappe-Giesecke: Supervision für Gruppen und Teams
Rezensiert von Peter Schröder, 07.10.2003

Kornelia Rappe-Giesecke: Supervision für Gruppen und Teams. Springer (Berlin) 2003. 3., vollständig überarbeitete und aktualisierte Auflage. 234 Seiten. ISBN 978-3-540-44298-1. 44,95 EUR.
Einführung
Rappe-Giesecke hat umfangreiche empirische Forschungen betrieben in den verschiedensten "settings" von Team- und Gruppensupervisionen. In ihrem Werk stellt sie die besonderen Bedingungen und Gesetzmäßigkeiten dieser Art von Supervision dar. Dabei liegt ein starker Akzent auf der Arbeitsweise von Balintgruppen, da dieser Reflexionsweg ihrem eigenen Supervisionsansatz sehr nah kommt.
Hintergründe und Autorin
K. Rappe-Giesecke ist seit 1993 Professorin für das Fach Supervision an der Evangelischen Fachhochschule Hannover. Sie ist Diplomsupervisorin, die an der Gesamthochschule Kassel promoviert hat. Seit 1983 ist sie als Supervisorin und Organisationsberaterin tätig, sie ist Mitglied der DGSv. Bei ihren Forschungen und Publikationen arbeitet sie intensiv mit ihrem Mann Michael Giesecke, Professor für vergleichende Literaturwissenschaft mit den Schwerpunkten Kultur- und Medientheorie und -geschichte an der Universität Erfurt, zusammen. (Das sei deshalb erwähnt, weil es auch in dem zu besprechenden Buch eine nicht unerhebliche Rolle spielt). Von 1993 bis 2001 war sie Herausgeberin, Redakteurin und Redaktionsleitung der Zeitschrift "Supervision". Rappe-Giesecke ist also ohne Zweifel eine erfahrene Supervisorin und hochkompetente Autorin für das Fach Supervision. Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um die nunmehr dritte Auflage ihrer 1988 in Kassel angenommenen Dissertation.
Aufbau, Inhalte und Gliederung
Ein Blick in das Inhaltsverzeichnis verheißt eine lehrreiche, interessante und gut gegliederte Arbeit. Ich nenne nur die Kapitelüberschriften:
1. Was ist gute Supervision?
2. Das Modell und seine Wurzeln.
3. Die Rollen und ihre Aufgaben.
4. Die Umwelt des Systems und sein Aufbau.
5. Der Ablauf des Supervisionsprozesses
6. Die Selbstregulation des Systems
7. Das ideale Setting von Gruppen- und Teamsupervision
8. Worauf gründet sich dieses Buch?
Das ist eine m.E. sehr umfassende Darstellung des Themas. Ich treffe eine kleine, aber keineswegs zufällige Auswahl aus den Inhalten der Kapitel: Noch einmal (wie schon in so vielen Büchern) werden die Geschichte der Supervision und die unterschiedlichen in ihr aufgehobenen Traditionen dargestellt - aber kurz und sehr prägnant. Deshalb: empfehlenswertes Kapitel! Dann legt Rappe-Giesecke Rechenschaft über die theoretischen Wurzeln ihres Modells ab - täten das nur alle so redlich! Und sie macht sich auch noch Gedanken über die Kompatibilität ihrer Theoriebausteine - das hat mich besonders gefreut. In der Supervisionsliteratur wird viel über Rollen geredet, aber selten wird ein Rollenkonzept systematisch dargestellt - die Autorin tut's! es folgt eines der Kernstücke ihres Entwurfes: die Systemtheorie, die in deutlicher Aufnahme der Luhmann'schen Arbeiten zum Systembegriff entwickelt wird. Sehr präzise! (Mir manchmal zu präzise, aber wohltuend unterschieden von der Begriffsverwirrung, die gelegentlich anderswo herrscht!) Rappe-Giesecke referiert dann den Ablauf des Supervisionsprozesses und legt dabei auch offen, woher sie diesen Ablauf hat: sie hat ihn nämlich aus vielen beobachteten und protokollierten Prozessen "destilliert". Auch hier tut (mir) die Empirie gut! Luhmann-Fans kommen im 6. Kapitel dann voll auf ihre Kosten: die Steuerungsmechanismen in Systemen werden ausführlich dargestellt - und zumindest Organisationsberater kommen wohl kaum darum herum, sich damit vertraut zu machen. Das ideale Supervisionssetting wird im Folgenden dargestellt - auch das wohltuend konkret. Und schließlich, und das finde ich wissenschaftliche besonders redlich, zeigt die Autorin noch einmal die wissenschaftliche Basis ihres Modells auf und verbindet die vorliegende theoretische Arbeit mit ihrer Erfahrung und ihrer zukünftigen Arbeit als Supervisorin.
Zielgruppen
Ich stelle mir als Zielgruppe vor allem Studierende des Faches Supervision vor - also Menschen, die Supervision in einem akademischen Zusammenhang erlernen. Praktiker, die nicht theoriescheu sind, werden das Buch ebenfalls mit Gewinn lesen - sich aber hier und da ein Stirnrunzeln nicht verkneifen können. Auf keinen Fall ist es ein Buch, aus dem sich Laien über Team- und Gruppensupervision informieren können.
Einschätzung der Tauglichkeit, Lesbarkeit und Nützlichkeit
Meine kleine inhaltliche Zusammenfassung hat gewiss die Vermutung nahegelegt, dass ich das Buch für sehr gelungen halte. Einerseits ist das auch so - aus den oben genannten Gründen. Andererseits muss ich Einschränkungen machen: Rappe-Giesecke bietet sehr (zu) detaillierte Begründungen für jeden noch so kleinen Theoriebaustein. Das ist in einer Dissertation unerlässlich - ein Fachbuch braucht das nicht. Das ist das Problem, wenn Dissertationen später als Fachbücher erscheinen. Die Kombination von wissenschaftlicher Arbeit und supervisorischem Praxisbericht erweist sich als sperrig. Die Autorin schreibt im Vorwort: "Aus der dritten Auflage habe ich diejenigen Teile herausgenommen, die der Legitimation meines wissenschaftlichen Vorgehens Rechnung tragen sollten." Es sind, meiner Meinung nach, noch zu viele Teile geblieben! Oder, systemtheoretisch gesagt: es ist gar nicht so einfach, diese Komplexität zu reduzieren!
Ich finde gerade die Passagen, in denen Rappe-Giesecke eng an der Systemtheorie entlang arbeitet, sehr komplex. Und ich frage mich, ob diese Komplexität wirklich nötig ist, um das Problem "gutes Fachbuch" zu bewältigen. Ich glaube, weniger wäre mehr. Andererseits fand ich sehr hilfreich, wie ausführlich die relevanten Umwelten des Supervisionssystems analysiert worden - das hat es meines Wissens bisher noch nicht gegeben, und ich halte das für eine sehr wichtige Perspektive. Aber wieder: Ich finde die penible Verknüpfung jedes (Sub-)Systems mit jedem (Sub-)System unverhältnismäßig anstrengend zu lesen - gemessen am Erkenntnisgewinn. Zudem wird das Ganze mit der Zeit allzu redundant. Andererseits sehe ich echte "highlights": endlich legt mal jemand Wert darauf, dass es einen Zusammenhang zwischen der Qualität von Supervision und der Theoriekenntnis des Supervisors/der Supervisorin gibt. (vgl. S. 12) Schön auch der Satz, der die Methode deutlich dem Supervisionsziel folgen lässt: "Wer nur einen Hammer hat, für den sind alle Probleme Nägel". (S. 28) Viele trennscharfe Unterscheidungen sind in dem Band zu finden, z.B. zwischen Teamsupervision und Organisationsberatung (S. 47ff) Die Arbeit mit dem Spiegelphänomen ist gut und übersichtlich dargestellt - wobei mir allgemein die dem Text angefügten tabellarischen Zusammenfassungen das Ganze wieder eher unklarer gemacht haben - ich kann mit durchgehender Prosa besser umgehen.
Fazit
Alles in allem: Wer das Buch lesen will und zwar als ein Fachbuch, aus dem er etwas lernen will, muss eine erhöhte Toleranz gegenüber wissenschaftlicher Sprache (und "Denke") mitbringen. Das Buch enthält viele Perlen, aber um sie zu finden, muss man manche harte Muschel knacken.
Rezension von
Peter Schröder
Pfarrer i.R.
(Lehr-)Supervisor, Coach (DGSv)
Seniorcoach (DGfC) Systemischer Berater (SySt®)
Heilpraktiker für Psychotherapie (VFP)
Website
Mailformular
Es gibt 136 Rezensionen von Peter Schröder.