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Jan Wulf-Schnabel: Reorganisation und Subjektivierungen von sozialer Arbeit

Rezensiert von Prof. Dr. Armin Schneider, 04.01.2011

Cover Jan Wulf-Schnabel: Reorganisation und Subjektivierungen von sozialer Arbeit ISBN 978-3-531-17775-5

Jan Wulf-Schnabel: Reorganisation und Subjektivierungen von sozialer Arbeit. VS Verlag für Sozialwissenschaften (Wiesbaden) 2011. 329 Seiten. ISBN 978-3-531-17775-5. 34,95 EUR.
Reihe: Perspektiven kritischer sozialer Arbeit - Band 10.

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Thema

Was geht eigentlich in den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor, wenn Sie im Bereich der Sozialen Arbeit von Reorganisationsprozessen weg von gemeinnützigen Vereinen hin zu wirtschaftlichen Unternehmen betroffen sind? So könnte die vereinfachte Fragestellung des Buches von Jan Wulf-Schnabel lauten, auf die der Autor eine Antwort gibt, die auf einer empirischen Untersuchung im Landesverband Schleswig-Holstein der Arbeiterwohlfahrt beruht.

Autor

Jan Wulf-Schnabel ist Master of Arts und Diplom Sozialwirt, er wurde mit der vorliegenden Arbeit zum Dr. phil. an der Leuphana Universität Lüneburg promoviert. Er ist Berater für Unternehmen und Organisationen aus dem Non-Profit-Bereich.

Entstehungshintergrund

Das vorliegende Buch ist die veröffentlichte Dissertation an der Leuphana Universität Lüneburg.

Aufbau

Der Autor geht in seiner Analyse von einer so genannten gefangenen Subjektivierung aus, demnach ist Soziale Arbeit untrennbar mit der Einbringung der eigenen Persönlichkeit verbunden, die im Gegensatz zu einer wettbewerblichen Subjektivierung stehe, die von den Arbeitenden erwartet werde. Nach der Erläuterung der theoretischen Grundlagen zur Subjektierung auch in ihrer geschlechtlichen Dimension werden das Forschungsdesign und die Forschungsergebnisse vorgestellt. Der 300 Seiten-Band endet mit einem Abschluss und Ausblick.

1. Theoretischer Hintergrund

Wulf-Schnabel erläutert seinen theoretischen Hintergrund (vgl. 21f.) in sieben Gedankenschritten:

  1. Gefangene Subjektivierung als originäres Charakteristikum Sozialer Arbeit.
  2. Die Ökonomisierung Sozialer Arbeit verlangt eine Ausrichtung der dort Arbeitenden auf den Markt, was bedeutet die Erfolge selbst zu realisieren und zu verantworten (wettbewerbliche Subjektivierung)
  3. Beide Subjektivierungsarbeiten führen zu Antagonismen.
  4. Die Konfliktlinien sind Ursache für sich widersprechende Arbeitsanforderungen.
  5. Die Widersprüche kommen in der Reorganisation von Trägern auf der Ebene der Subjekte zum Ausdruck.
  6. Diese Konkretionen haben Auswirkungen auf die Geschlechterverhältnisse.
  7. Ein für die Soziale Arbeit ungeeignetes hegemoniales Marktprinzip setzt die Wohlfahrtspflege unter Druck.

Wesentliche Antagonismen sind Selbst-Kontrolle vs. Kontext-Kontrolle, Selbst-Ökonomisierung vs. Lebensweltökonomie, und Selbst-Rationalisierung vs. Fürsorgerationalisierung. Allen voran wurde die marktförmige Ökonomie vor allem durch die so genannte neue Steuerung vorangetrieben, deren Begrenztheiten der Autor deutlich hervorhebt.

2. Forschungsdesign

In einem offenen Forschungsdesign, basierend auf dem vorgenannten theoretischen Hintergrund, aus einer quantitativen Erhebung und leitfadengestützten Experteninterviews wurden die Organisationen der Arbeiterwohlfahrt Schleswig-Holstein und gleichsam als Vergleichsgruppe die der Arbeiterwohlfahrt Stormarn in die Studie einbezogen. Die einzelnen Erhebungen fanden in 2007 statt, Vergleiche bezogen sich auf die Jahre 1999 und 2007. Eine Beschränkung der Erhebung erfolgte auf Diplom-Sozialarbeiter/innen und Diplom-Sozialpädagog/innen.

3. Forschungsergebnisse

Wulf-Schnabel beschreibt im ersten Teil der Ergebnisse die Analyse der Reorganisation von einem vereinsmäßig organisierten Landesverband mit Kreisverbänden (1999) über einen Landesverband der Arbeiterwohlfahrt als Holding mehrerer gemeinnütziger Gesellschaften mit beschränkter Haftung (2005) bis hin zu einer Struktur auf gemeinnützigen und nicht gemeinnützigen GmbHs (2007). Im Referenzverband Arbeiterwohlfahrt Kreisverband Stormarn hat es eine solche Reorganisation nicht gegeben. Nach vielschichtigen Untersuchungen stellt sich heraus, dass sich die „Arbeitskraftfigur“ auf Leitungsebene für Männer und Frauen immer noch sehr unterschiedlich darstellt: Frauen nehmen eher stellvertretende Funktionen auf der ersten Führungsebene an und leiten eher Kindereinrichtungen, Männer eher Pflegeeinrichtungen, die höchste Vergütung erreichen weibliche Führungskräfte ab 52 Jahren, die männlichen schon ab 42 Jahren. Als existenzsicher lassen sich ¾ der weiblichen Beschäftigten bezeichnen, mit 4/5 bei den Männern etwas mehr.

Die Subjektivierungsanalyse zeigt den Zugang zur Organisation, der sich in zwei Gruppen identifizieren lässt, diejenigen, die über soziales Kapital („Beziehungen“) und diejenigen, die über Bildungskapital („Fachlichkeit“) in die Organisation kommen. Die Trennung und/oder die Vereinbarkeit von Arbeit und Leben werden unterschiedlich von den Experten geschildert. Von den meisten werden über die Geschlechter hinweg Auslastung, Berichte und Arbeitszeiten als Druck erlebt, während die Wünsche nach mehr Verdienst, Qualifizierung und Anerkennung oft auf der Strecke blieben. Während das ökonomische Kapital in der Reorganisation im Sinne der Höhe des Gehaltes in vielen Fällen wettbewerbsbegründet geringer wurde, boten das symbolische Kapital (u.a. Anerkennung, Nützlichkeit der eigenen Arbeit) und das emotionale Kapital (z.B. Beziehungen zu den Adressaten) wichtige Rückhalte zur Motivation der Personen. Die Hegemonie der wettbewerblichen Subjektivierung zeigt sich in der Normativität des Wettbewerbs, der sich auf die Ebene der Arbeitenden verlagert hat: „Betriebswirtschaftliche Zwänge werden in der Einrichtung über Unsicherheiten und Diskontinuitäten konkret vermittelt und treffen die Arbeitenden inmitten ihrer Beziehungen zu den Adressat_innen“ (267).

4. Abschluss und Ausblick

Der Autor unterteilt sein inhaltliches Schlusskapitel in Ein- und Aussichten. Zu ersteren gehören u.a. die Bedeutung der Organisation vor Ort als wichtiges Feld von Macht- und Selbstpraktiken in der Reorganisation, die nach wie vor erkennbaren und sich anders als früher abzeichnenden vergeschlechtlichten Konfliktlinien, aber auch die Notwendigkeit weiterer Forschungen in diesem Feld.

Bei den Aussichten spricht sich Wulf-Schnabel für ein partizipatives Sozialmanagement aus, das auf den „eigenen“ Interessen Sozialer Arbeit, deren Akteure und richtige Instrumente der Auseinandersetzung beruht. Ein Management brauche eine praktische Gestaltungsmacht, ein Bildung im Sinne einer Entfaltung sowie ein politisches Sozialmanagementverständnis. Der Autor schließt mit dem Satz: „Das Sozialmanagement ist zwingend auf eine politische Dimension angewiesen, solange Soziale Arbeit die Gesellschaft bewegen und gestalten soll“ (300).

Diskussion

So selten die Wirkungen von Methoden und Ansätzen des Managements im Allgemeinen und des Management in der Sozialen Arbeit im Besonderen erforscht werden, so hilfreich und notwendig ist ein Angang wie ihn Wulf-Schnabel unternommen hat, der mit einem dem Forschungsgegenstand angemessenen Design sorgfältig und genau anhand eines Landesverbandes der Arbeiterwohlfahrt Entwicklungen in einer Nahaufnahme darstellt, die in den letzten beiden Jahrzehnten in allen Wohlfahrtsverbänden in ähnlicher Deutlichkeit die handelnden Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter betroffen haben. Sicher, Soziale Arbeit bedarf des Managements und ist steuerbar, aber nun eben nicht nach den in ihren Ergebnissen (siehe Wirtschafts- und Finanzkrise) recht zweifelhaften und kaum empirisch erforschten, Maximen eines freien Marktes.

Im Feld der Sozialen Arbeit arbeiten hauptsächlich Frauen, daher ist es angebracht, wenn der Autor die geschlechtliche Dimension durchgehend analysiert, ohne einseitige gebetsmühlenhafte Pauschalitäten darzustellen. Dennoch muss die dauernde und konsequente Schreibweise der beiden Geschlechter mit einem Unterstrich zumindest als gewöhnungsbedürftig bezeichnet werden (z.B. Sozialarbeiter_innen).

Besonders hilfreich war es, dass die Arbeiterwohlfahrt mit dieser Arbeit dem Autor einen Blick ins Innere ihrer Arbeit verschafft hat. Wenn auch einige vermeintliche Schwächen in der Reorganisation (das Ehrenamt schien lange Zeit vergessen) zum Vorschein kommen, so ist die Offenheit eines solchen Verbandes für die Erforschung des Managements eigens zu würdigen und zur Nachahmung empfohlen.

Fazit

Der Band zeigt die subjektiven Dimensionen eines Managements in der Sozialen Arbeit, das bisher eher „fachfremde“ Maximen eines Wettbewerbskontextes berücksichtigt hat, klar und deutlich an Beispielen von Arbeitenden in der Sozialen Arbeit auf. Wulf-Schnabel setzt sich für ein partizipatorisches Sozialmanagement mit einer eigenen politischen Dimension ein. Das sehr differenzierte Beispiel aus Schleswig-Holstein lässt sich ohne viele Verrenkungen auf die zahlreichen Reorganisationen, die aus einer vermeintlichem ständigen Wandlungsdruck entspringen in ganz Deutschland (und darüber hinaus) generalisieren und stellt eine wohltuende und konstruktive Auseinandersetzung mit neoliberalen Tendenzen dar.

Rezension von
Prof. Dr. Armin Schneider
Hochschule Koblenz Dekan des Fachbereichs Sozialwissenschaften Direktor des Institutes für Bildung, Erziehung und Betreuung in der Kindheit|Rheinland-Pfalz (IBEB)
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Es gibt 6 Rezensionen von Armin Schneider.

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Zitiervorschlag
Armin Schneider. Rezension vom 04.01.2011 zu: Jan Wulf-Schnabel: Reorganisation und Subjektivierungen von sozialer Arbeit. VS Verlag für Sozialwissenschaften (Wiesbaden) 2011. ISBN 978-3-531-17775-5. Reihe: Perspektiven kritischer sozialer Arbeit - Band 10. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/10640.php, Datum des Zugriffs 03.10.2024.


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