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Georg Fülberth: Kapitalismus

Rezensiert von Dr. phil. Hubert Kolling, 11.01.2011

Cover Georg Fülberth: Kapitalismus ISBN 978-3-89438-429-6

Georg Fülberth: Kapitalismus. PapyRossa Verlag (Köln) 2010. 118 Seiten. ISBN 978-3-89438-429-6. D: 9,90 EUR, A: 10,20 EUR, CH: 18,90 sFr.
Reihe: Basiswissen Politik, Geschichte, Ökonomie.

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Thema

Unter „Kapitalismus“ versteht man bekanntlich eine Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, in der dem Kapital (etwa in Form von Maschinen, Fabriken und Geld) – im Vergleich zu anderen Wirtschaftsfaktoren (wie Arbeit oder Grund und Boden) – eine dominante Bedeutung zukommt. Eine wesentliche Grundlage des Kapitalismus ist eine Eigentumsordnung, in der die freie Verfügung über das Privateigentum (zum Beispiel an den Produktionsmitteln) geschützt ist, ebenso wie ein von staatlichen Eingriffen weitgehend freies Wirtschaftssystem auf der Basis des Marktmechanismus und der Selbststeuerung durch Angebot und Nachfrage.

Der Begriff – der vielfach auf Karl Marx´ (1818-1883) Hauptwerk „Das Kapital“ (Bd. 1 1867, MEW 23; Bd. 2 1885, MEW 24; Bd. 3 1894, MEW 25) zurückgeht, obwohl dieser den Begriff „Kapitalismus“ kaum verwendet – bezeichnet zugleich auch eine Epoche der Wirtschaftsgeschichte, die auf die Epochen des „Feudalismus“ und des „Merkantilismus“ folgte. In historischer Betrachtung lässt sich der „Kapitalismus“ in unterschiedliche Phasen oder Entwicklungsstadien einteilen, darunter vor allem der ab dem 15. Jahrhundert aufkommende „Frühkapitalismus“, der liberale „Hoch- oder Industriekapitalismus“ des 18. / 19. Jahrhunderts und der „Spätkapitalismus“ seit Ende des 19. Jahrhunderts.

Hohen Bekanntheitsgrad erlangte der Begriff zu Beginn des 20. Jahrhunderts, insbesondere durch die Werke des Soziologen und Volkswirts Werner Sombart (1863-1941) „Der moderne Kapitalismus“ (1902) und des Soziologen, Juristen und Nationalökonomen Max Weber (1864-1920) „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ (1904).

Mit seinem vorliegenden Buch wendet sich Georg Fülberth laut Angabe des Klappentextes an alle, „die eine kritische, flüssig geschriebene und kompakte Einführung zum Thema Kapitalismus suchen.“

Autor

Georg Fülberth (Jg. 1939) lehrte von 1972 bis zu seiner Emeritierung 2004 Politikwissenschaft an der Philipps-Universität Marburg. Zunächst hatte er nach dem Studium der Germanistik und Geschichte an der Universität Frankfurt am Main das Erste Staatsexamen für das Lehramt abgelegt, bevor er Politische Wissenschaften und Soziologie in Berlin und Marburg studierte. 1970 promovierte er in Marburg bei Wolfgang Abendroth (1906-1985) und wurde noch im selben Jahr sein wissenschaftlicher Assistent.

Von 1962 bis 1966 gehörte Georg Fülberth der SPD an, seit 1964 bis zu dessen Selbstauflösung dem SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund); seit 1974 ist er Mitglied der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), für die er besonders auf lokaler Ebene (in Marburg) aktiv ist. Seine Forschungsschwerpunkte liegen hauptsächlich in der Theorie und Geschichte des Kapitalismus, in der Geschichte der Arbeiterbewegung und in der lokalen Zeitgeschichte. Er publiziert unter anderem regelmäßig in „Freitag“, „Konkret“, „junge Welt“, „Marxistische-Blätter“, „Neues Deutschland“ sowie in einer Vielzahl wissenschaftlicher und anderer Zeitungen und Zeitschriften. In seinen zahlreichen Büchern und Publikationen beschäftigt er sich unter anderem mit der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik, der Geschichte des Kapitalismus und des Sozialismus sowie der Lokal- und Regionalgeschichte.

Entstehungshintergrund

Aufbauend auf seinen jahrzehntenlangen Interessens- und Forschungsschwerpunkten, ebenso wie seinem politischen Engagement, hat der Autor gleichzeitig mit dem schmalen Band „Kapitalismus“ auch einen Band zum Thema „Sozialismus“ vorgelegt (vgl. die Rezension). Beide Bücher erscheinen in der Reihe „Basiswissen Politik, Geschichte, Ökonomie“ des Kölner PapyRossa Verlags, dessen Themen vor allem Wirtschaftsgeschichte und -politik, Politikgeschichte und Geschichte des 20. Jahrhunderts im Allgemeinen umfassen, ebenso wie Werke zum Nationalsozialismus und Faschismus, zur Sozialgeschichte und zur Geschichte der Geschlechterbeziehungen.

Aufbau

Das übersichtlich gegliederte Buch umfasst drei Abschnitte, die ihrerseits die folgenden vier, neun und ein Kapitel umfassen:

I. Theorie

  1. Was ist Kapitalismus?
  2. Wirtschaftsweise oder Gesellschaft?
  3. Die Ursachen des Gewinns
  4. Akkumulation

II. Geschichte

  1. Eine Vorgängergesellschaft: Der Feudalismus
  2. Elemente des Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus (1200 – ca. 1780)
  3. Vorindustrieller Kapitalismus (1500 – ca. 1780)
  4. Industrielle Revolutionen
  5. Organisierter Kapitalismus und Imperialismus (1873-1914)
  6. Kriege und Krisen (1914 – 1945)
  7. Wohlfahrtsstaat und Systemkonflikt (1945 – 1973)
  8. Dritte Industrielle Revolution und Finanzmarktgetriebener Kapitalismus (1974 – 2007)
  9. Die Weltwirtschaftskrise 2008 ff.

III. Was soll man lesen?

Ergänzt wir die Darstellung durch Hinweise auf einschlägige „Literatur“

Inhalt

Um zu erklären, was diesen ausmacht, arbeitet der Autor in einem ersten, theoretischen Teil („Theorie“, S. 6-23) zunächst die begrifflichen Grundlagen beziehungsweise Charakteristika des Kapitalismus heraus. Unter Kapitalismus versteht er „die Funktionsweise von Gesellschaften, die auf der Erzielung von Gewinn und der Vermehrung der hierfür eingesetzten Mittel (die als Kapital zu bezeichnen sind) durch den Kauf und Verkauf von Waren oder die Erbringung und den Verkauf von Dienstleistungen beruhen“ (S. 6). Zentral sind dabei die Begriffe „Akkumulation“ (die ständige Ausdehnung der Kapitalmasse) und „Überakkumulation“, die nach Ansicht von Georg Fülberth auch den Rhythmus der Geschichte dieser Produktions- und Wirtschaftsweise bestimmen. „Da Akkumulation darin besteht, dass ein Teil des Gewinns dem bis dahin schon bestehenden Kapital zugeschlagen wird, nimmt im Laufe der Geschichte des Kapitalismus die Masse des Kapitals ständig zu. Die kapitalistische Produktions- und Zirkulationsweise dringt damit in immer neue Bereiche ein“ (S. 21).

Ihnen gilt der zweite, zugleich umfangreichste Teil des Buches („Geschichte“, S. 24-109), der vom Handelskapitalismus des ausgehenden Mittelalters und der Frühen Neuzeit bis zum Neoliberalismus von heute reicht. In der aktuellen Phase („Dritte Industrielle Revolution und Finanzmarktgetriebener Kapitalismus“, 1974-2007) wurden die kapitalistischen Zentren, so die Einschätzung und Formulierung des Autors, zu „Problematischen Überschussgesellschaften“. Überschuss bestand demnach 1. Kapital und 2. an Zeit. Hierzu heißt es wörtlich: „Die wissenschaftlich-technische Entwicklung hätte es längst ermöglicht, die lebensnotwendigen Güter in einem Bruchteil der früher benötigten Produktionszeit herzustellen. Die Senkung der Erwerbsarbeitszeit trug dem nicht ausreichend Rechnung. Zusammen mit dem Nachfrageausfall war dies die Ursache für die seit Mitte der siebziger Jahre anhaltende Massenarbeitslosigkeit und für die Lohndämpfung dort, wo ein höherer Beschäftigungsgrad gehalten oder wiederhergestellt werden konnte. Deshalb werden diese Überschussgesellschaften hier als problematisch bezeichnet“ (S. 96).

Der Begriff dient Georg Fülberth zugleich auch zur Erklärung der Weltwirtschaftskrise von 2008 und den darauf folgenden Jahren, die sich seines Erachtens als die Konsequenz der merkwürdigerweise lange verdrängten, womöglich wichtigen Vorgängerkrise von 1975 und des darauf folgenden „Spekulations- und Überakkumulations-Zyklus“ erweist.

Nach Überzeugung des Autors kann die „Problematische Überschussgesellschaft“ allenfalls durch den Übergang in einen „Reproduktiven Kapitalismus“ behoben werden, in dem die vorhandenen Ressourcen nicht zur Vermehrung von Kapital, sondern in die qualitative Verbesserung der Lebensbedingungen aller Menschen unter der Norm ihrer freien und gleichen Entwicklung, eingesetzt werden. Eine weitere Aufgabe könnte demnach auch die Beseitigung der materiellen Belastung der Lebensgrundlagen nach einer mittlerweile schon Jahrtausende alten Überforderung (ständiger Eintrag von Artefakten und Abstoffen in die Biosphäre) bestehen. „Die Herstellung eines solchen Reproduktiven Kapitalismus“, so die abschließende Einschätzung von Georg Fülberth, „dürfte allerdings eine ebenso schwere Aufgabe sein wie eine etwaige Beseitigung der kapitalistischen Produktions- und Zirkulationsweise selbst“ (S. 109).

Zur weiteren Beschäftigung mit dem Thema bieten sich nach Ansicht des Autors aufgrund verschiedener Veranlagung und Neigung zwei verschiedene Zugänge an: ein theoretisch-systematischer und / oder ein historischer. Hierzu gibt er im dritten Teil („Was soll man lesen?“, S. 110-112), untergliedert nach Theorie und Geschichte, kommentierte Hinweise auf einige Werke, denen ein schmales, in Theorie, Geschichte und Einzelaspekte untergliedertes Literaturverzeichnis (S. 113-118) folgt.

Diskussion

Die Deutschen zweifeln am Kapitalismus, ergab eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Emnid im Auftrag der Bertelsmannstiftung, wie die Wochenzeitung „Die Zeit“ im August 2010 (also nicht als Aprilscherz!) vorab berichtete. Demnach habe die jüngste Wirtschaftskrise die Deutschen nachdenklicher und wachstumskritischer gemacht. Nur noch jeder Dritte glaubt demnach an die „Selbstheilungskräfte des Marktes“. Unter den jungen Leuten sei der Anteil der Skeptiker sogar noch größer als bei den älteren, die bereits in den 1970er Jahren die Debatten über „die Grenzen des Wachstums“ geführt haben. Während die Distanz wächst, sinken gleichzeitig die Erwartungen an das bestehende Wirtschaftssystem. Selbst bei einer weiter anziehenden Konjunktur verbänden nur ein Drittel der Befragten noch die Hoffnung auf eine Verbesserung ihrer privaten Lebensqualität. Laut der Umfrage beeinflussen heute mehr denn je immaterielle Werte wie soziale Gerechtigkeit und die Umwelt die Haltung der Deutschen zum Wirtschaftssystem. So gaben 88 Prozent der Befragten an, das derzeitige Wirtschaftssystem berücksichtige weder den Schutz der Umwelt, noch den sorgsamen Umgang mit den Ressourcen oder den sozialen Ausgleich in der Gesellschaft. Der Umfrage zufolge kann sich mittlerweile sogar eine große Mehrheit der Deutschen vorstellen, in einem sozialistischen Staat zu leben, solange für Arbeitsplätze, Solidarität und Sicherheit gesorgt wäre. Zumindest äußerten sich dahingehend in Ostdeutschland 80 Prozent und in Westdeutschland 72 Prozent der Befragten (vgl. www.welt.de/politik/deutschland/article9074415/Deutsche-misstrauen-dem-Kapitalismus.html).

Diese gesellschaftliche Entwicklung steht unterdessen in diametralem Gegensatz zu den politischen und ökonomischen Leitlinien der vergangenen zehn Jahre, die von einer Liberalisierung der Märkte und einem bisher nie da gewesenen Abbau von Sozialleistungen geprägt war. In diesen Jahren öffneten sich sogar die ursprünglich ökologischen und wachstumskritischen, sprich postmaterialistischen GRÜNEN dem neoliberalen Marktverständnis, das sich in den Wirtschaftsprogrammen der ersten Jahre des neuen Jahrhunderts niederschlug. Einzig die Gewerkschaften sperrten sich dagegen, aus ihren Reihen heraus entstand dann auch als politische Gegenbewegung die „Wahlalternative und soziale Gerechtigkeit“, die später mit der PDS in der Linkspartei aufging.

Wenngleich die jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes ein deutliches Wachstum der deutschen Wirtschaft belegen, haben viele Bürger den Glauben in die Widerstandsfähigkeit und Krisenfestigkeit rein marktwirtschaftlicher Systeme und den damit verbundenen Arbeits- und Lebensbedingungen verloren. Von daher wird es weiterhin Diskussionen um die geeignete Wirtschaftsordnung geben. Georg Fülberth hat hierzu in dem vorliegenden schmalen Band wichtige Daten und Fakten zusammengetragen und aus marxistischer sehr übersichtlich aufbereitet. Um sich darüber hinaus mit einzelnen Aspekten vertiefend zu beschäftigen, werden einige Literaturhinweise angegeben.

Fazit

Wer sich mit dem Thema „Kapitalismus“ über „Stammtischniveau“ hinaus auseinandersetzen möchte und hierfür eine „kritische, flüssig geschriebene und kompakte Einführung“ – kurz eine aktuelle Orientierungsmöglichkeit – sucht, dem kann das vorliegende Buch von Georg Fülberth empfohlen werden.

Rezension von
Dr. phil. Hubert Kolling
Krankenpfleger, Diplom-Pädagoge und Diplom-Politologe
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Es gibt 189 Rezensionen von Hubert Kolling.

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Zitiervorschlag
Hubert Kolling. Rezension vom 11.01.2011 zu: Georg Fülberth: Kapitalismus. PapyRossa Verlag (Köln) 2010. ISBN 978-3-89438-429-6. Reihe: Basiswissen Politik, Geschichte, Ökonomie. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/10656.php, Datum des Zugriffs 02.12.2023.


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