Fredrik Vahle: Sprache mit Herz, Hand und Fuß
Rezensiert von Dipl. Soz. päd. Claudia Nicolaus, 25.03.2011

Fredrik Vahle: Sprache mit Herz, Hand und Fuß. Wege zur Motorik der Verbundenheit.
Beltz Verlag
(Weinheim, Basel) 2010.
267 Seiten.
ISBN 978-3-407-62725-4.
D: 19,95 EUR,
A: 20,60 EUR,
CH: 34,50 sFr.
Reihe: Frühpädagogik.
Autor
Fredrik Vahle wurde 1942 in Stendal (Sachsen-Anhalt) geboren und lebt seit 1971 in Hessen. Er ist seit den 70er Jahren als Liedermacher und Schriftsteller bekannt und arbeitet seit 1994 als Professor für Linguistik an der Universität in Gießen.
Thema/Zielgruppe
Anliegen des Buches ist es, den Zusammenhang zwischen kindlicher Sprachentwicklung und Bewegung aufzuzeigen. Stephan Kuntz schreibt in seinem Vorwort, dass „die besondere Leistung des vorliegenden Werkes, in der Integration und Verbindung von unterschiedlichsten Blickwinkeln aus verschiedenen Fachdisziplinen“, liegt. (S. 8) Es richtet sich vor allem an PädagogInnen, die in der frühkindlichen Bildung und Erziehung tätig sind und an Eltern, welche die kindliche Sprachentwicklung verstehen und aktiv unterstützen wollen.
Entstehungshintergrund
Dem Autor ist es ein Anliegen Sprache und Bewegung im Zusammenhang zu betrachten, wie er es benennt: in der Verbundenheit. Damit beschäftigte sich Vahle die letzten 25 Jahre theoretisch und praktisch. Vor allem die Erkenntnisse von Dore Jacobs, Moshé Feldenkrais, „Jonny“ Kiphard, aber auch Renate Zimmer, Stephan Kuntz, Michael Passolt, Karl Gebauer und Gerald Hüther gaben dem Autor wichtige Anregungen. Vahle schreibt: „Hier kommen Erkenntnisse aus der Dozententätigkeit an der Uni Gießen und bei Fortbildungsveranstaltungen mit denen des Liedermachers zusammen. […] Eine besondere Verbindung von Theorie und Praxis, von wissenschaftlicher Einsicht und eigener Lebensweise also.“ (S. 11)
Aufbau und Inhalt
Das Buch gliedert sich in sieben Kapitel.
1.Kapitel - Sprache ist Bewegung. Dieses Kapitel führt in das Thema Sprache ist Bewegung ein. Es werden die sogenannten vier Grundbeweglichkeiten dargestellt, die des Herzens, des Atems, der Hand- und Fingerbeweglichkeit und der aufrechte Gang. Diese werden in den nachfolgenden Kapiteln noch ausführlicher erklärt. Dem Autor geht es im Besonderem um die Bewegung im Einklang. Es gilt eine innere Haltung zu entwickeln für einen bewussten Umgang mit seinem Körper, wie er sagt: „ fließende, natürliche, lebendige Bewegungen.“ (S. 17) Es wird eindrucksvoll und verständlich formuliert auf den Zusammenhang von Wahrnehmung, Bewegung und Kommunikation aufmerksam gemacht. Seine zentrale Aussage ist: „Sprache ist grundsätzlich nichts anderes als Bewegung.“ (S.18) Untermauert wird dies mit Erkenntnissen aus der Neurobiologie und der Hirnforschung (G. Hüther, W. Condon). Eine Übung zur Selbsterfahrung schließt das Kapitel ab. Gedacht ist diese für Erwachsene, die sich mit den Zusammenhängen aktiv auseinander setzen wollen.
2. Kapitel - Herz und Herzmusik. Das Kapitel ist der Grundbeweglichkeit des Herzens gewidmet. Vahle legt dar, welche Bedeutung der Herzschlag der Mutter für die kindliche Sprachentwicklung hat und somit die Basis für die Sprache legt. Es werden die Besonderheiten des Herzens geklärt, der Zusammenhang der Herztätigkeit und der sprachlichen Artikulation, Herzpulsation u.a..
3. Kapitel - Schreien – Brabbeln – erste Wörter. In dem Kapitel beschäftigt sich der Autor mit der Bedeutung des Schreiens, Brabbelns und der Bildung der ersten Worte. Er wendet sich zunächst den verschiedenen Formen des Schreiens zu und deren Notwendigkeit als eine „ur-menschliche Not-wendigkeit“ (S. 59) und sagt, dass „das Schreien für das Kind am Anfang seines lautlich-sprachlichen Individualisierungsprozesses steht.“ (S. 63) Vahle untermauert dies mit zahlreichen Zitaten und einem Beispiel aus der eigenen Erfahrung. Abgerundet wird diese Beschreibung mit Ausführungen zum Erwerb der ersten Wörter. Insbesondere werden hier unterschiedliche Phänomene herausgearbeitet wie die Bedeutung von:
- Reime und reimen
- Analphase und die Bedeutung für die Sprachentwicklung
- der eigene Wille sowie Trotz
- Erziehung - Hierachie der familialen Stimmen
Mit einer Übung zum eigenen Ausprobieren schließt das Kapitel (Gebärden für die einzelnen Vokale und der Klatschtonleiter).
4. Kapitel -Tasten und Greifen. Der erste Abschnitt beschäftigt sich mit der Verknüpfung von Hand, Gehirn und Sprache – vom Greifen zum Be-greifen. Vahle bezieht die Theorien von R. Steiner und H. Kükelhaus ein und stellt fest, dass Kinder eine umfangreiche Erfahrung „von >>Handgreiflichkeiten<< brauchen um zu Begriffen zu kommen.“ (S.110) Weiterhin wird die Hand und Händigkeit neurobiologisch (A. Tomatis) und historisch betrachtet. Der Zusammenhang der Hand-Laut-Bewegung wird deutlich herausgearbeitet, ebenso der Einfluss von Fingerspielen auf die Entwicklung der Sprache. Neben den neurobiologischen Fundierungen fließen auch aus alten Weisheiten, anderen Kulturen und Ländern Erfahrungen ein. Es geht dabei immer, um ein ganzheitliches Erklärungskonzept und der Versuch einer allumfassenden Sichtweise. Das Kapitel ist angefüllt mit vielfältigen (Finger-)Übungen zum eigenen Be-greifen.
5. Kapitel - Gehen und Sprache. Hier wird das Augenmerk auf das Wechselspiel von Gehen und Sprachentwicklung gerichtet. Zunächst werden Erklärungen aus der Evolutionstheorie und der Primatenforschung gegeben z.B. wie ist der Mensch zum aufrechten Gang gekommen (C. Niemitz). Eine Vertiefung gibt es in dem Zusammenhang zwischen dem Singen, der Aufrichtung und der aufrechten Körperhaltung. Basierend auf den Erkenntnissen von A. Tomatis werden die Wechselwirkung von Atem und Körperhaltung beschrieben. „Im Singen verändern sich Körpergefühl und Weltsicht.“ (S. 167) Vahle sagt: „Singen – Sprechen – Sichbewegen – Gehen und Tanzen bilden eine große Einheit, einen großen Zusammenhang.“ (S. 168) Beleuchtet werden u.a. die Theorien von M. Feldenkrais, D. Jacobs und P. Greb, die sich intensiv mit der menschlichen Bewegung auseinandergesetzt haben und eine Bewegungslehre entwickelten. Deren Einflüsse und Erkenntnisse fließen in diesem Kapitel im besondern Maße ein. Eigene Erfahrungen und Experimente des Autors schließen die Ausführungen ab. (Geh-Experimente: La Gomera, Uni Gießen, Oldenburg und quer durch Deutschland)
6. Kapitel - Immer da und unauffindbar – das „Ich“. Zunächst wird die entwicklungspsychologische Seite des Ichs betrachtet. Folgend darauf werden philosophische Sichtweisen im Zusammenhang mit der Entwicklung des Selbst dargestellt. Es geht um die Entwicklung des Bewusstseins für die eigene Person, dem Körper, der Atmung, der Sprache und des Denkens. Vahle greift wiederum die vier Grundbeweglichkeiten auf und macht die Bedeutung für die Entwicklung des Ich‘s deutlich:
- Die Tätigkeit des Herzens und die organismische Vielfalt seiner Funktionen bilden eine leiblich-energetische Grundlage für die Ich-Identität.
- Die Hand und ihre feinmotorischen Entwicklung, insbesondere die Zeigefunktion, bringen den Ich-Finger hervor, der aber polar auch auf das Du bezogen werden kann.
- Aufrichtung und aufrechter Gang sind eine basale Vorraussetzung für Sprache und Ich-Sagen bzw. für das menschliche Bewegungs-Ich.
- Auch der Atem als erste Grundbeweglichkeit wurde verschiedentlich angesprochen. (S. 222)
Ein kleiner Exkurs zum Summen und Singen unterstreichen die Notwendigkeit über das Thema neu und intensiver nachzudenken, gerade im Zusammenhang mit der Entwicklung der Sprache. Vahle schreibt: „Die Bewegungslehrerin Dore Jacobs meint, Singen sollte als Naturvorgang gelehrt werden.“ (S. 222)
7. Kapitel - Ausblick und Ausklang. In diesem Kapitel schließen die Gedanken und Ausführungen ab, die Vahle zu den Zusammenhängen von Sprache mit Herz, Hand und Fuß aufgezeigt hat. Deutlich werden die integralen Zusammenhänge von Sichbewegen, Singen und Sprechen zusammengefasst. Es werden Ableitungen für den pädagogischen Alltag herausgearbeitet wie Stilleübungen, Achtsamkeitsübungen, Meditationsübungen sowie das Entwickeln von Begeisterungsfähigkeit und Wertschätzung. Das Kapitel endet mit einer Fingerübung, „was ein kleines gutes Beispiel für die Motorik der Verbundenheit darstellt.“ (S. 262)
Fazit
Dieses Buch sensibilisiert den Leser für dieses Thema und zeigt fundierte ursprungsgeschichtliche, neurobiologische, kommunikative und interaktive Zusammenhänge von Sprache, Denken und Bewegung auf. Durch vielfältige Zitate, Gedichte, Reime, Fingerspiele und Lieder sowie Anleitung zur Selbsterfahrung wird es für den Leser lebendig und spannend erfahrbar. Für PädagogInnen im frühkindlichen Arbeitsfeld eine Basislektüre, um die Zusammenhänge in der Entwicklung und Unterstützung von Bewegung und Sprache besser zu verstehen und den pädagogischen Alltag dementsprechend zu gestalten. Es ist ein Buch, auf das es sich Einzulassen lohnt.
Rezension von
Dipl. Soz. päd. Claudia Nicolaus
Lehrkraft für besondere Aufgaben Hochschule Magdeburg-Stendal
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