Oliver Hechler: Pädagogische Beratung
Rezensiert von Dipl. Soz.-Päd. Gerd Schweers, 04.10.2011

Oliver Hechler: Pädagogische Beratung. Theorie und Praxis eines Erziehungsmittels.
Kohlhammer Verlag
(Stuttgart) 2010.
171 Seiten.
ISBN 978-3-17-021099-8.
15,80 EUR.
Reihe: Fördern lernen - Band 10 - Beratung.
Thema
„Der Autor unternimmt den Versuch, Beratung als Form pädagogischen Handelns erziehungstheoretisch zu begründen und erziehungspraktisch auszuformulieren. Der Band liefert … einen Orientierungsrahmen und Leitfaden. Fallbeispiele … geben einen Einblick, wie … beraten werden kann.“ (Klappentext)
Autor
Dr. Oliver Hechler, Dipl.-Päd., Kinder- und Jugendlichen Psychotherapeut, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich Erziehungswissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt und Leiter einer psychologischen Beratungsstelle.
Entstehungshintergrund
Im Vorwort des Reihenherausgebers wird hinsichtlich der Konzeption der Reihe ein klarer Bezug zu schulischen Förderkonzepten hergestellt. Pädagogisch ausgebildete Fachkräfte in Institutionen des Lernens müssen sich dieser Herausforderung zunehmend stellen.
Aufbau und Inhalt
Das Buch ist in sechs Kapitel (ca. 150 Seiten) gegliedert.
Die Einleitung stellt nach einer kurzen Darstellung der historischen Entwicklung von Beratung diese in pädagogischen Handlungsfeldern vor und skizziert das Verhältnis von Pädagogik und Beratung.
Im nächsten Kapitel wird der pädagogische Begründungszusammenhang von Beratung unter anderem mit Analysen des medizinischen und pädagogischen Paradigmas entwickelt. Danach wird die Beratung im Feld der Pädagogik anhand zentraler Begriffe (Ziele, Bedeutung, Nutzen) definiert.
Im folgenden Kapitel wird disziplinäres Deutungswissen ebenfalls anhand zentraler Begriffe vorgestellt (Lebenslauf, lernen, Lernhemmungen, „bedeutungsvolle andere“ u.a.). Das Kapitel wird ergänzt durch einen Exkurs zum Verhältnis von Psychoanalyse und Pädagogik, sowohl in ihrer historischen Entwicklung, wie auch ihren inhaltlichen Bezügen.
Das folgende Kapitel über professionelles Wissen entwickelt sich nach einer Differenzierung von pädagogischer Theorie (Disziplin) und erzieherischer Praxis (Profession) ebenfalls anhand zentraler Begriffe (Takt, Bezug, Ethik, Eigenschaften, Kompetenz). Genutzt werden dabei auch Begriffe von Klassikern der Pädagogik wie Herbarth (1802). Eine Auseinandersetzung beziehungsweise ein Vergleich mit sinnverwandten Begriffen psychologisch fundierter Beratungsansätze findet nicht statt.
Im folgenden Kapitel über methodisch-didaktisches Handlungswissen werden allgemeine Merkmale von Beratung in pädagogischer Sicht vorgestellt. Danach werden anhand von Fallschilderungen und den dazugehörigen Kommentaren methodische Aspekte der Beratung konkretisiert. Unter anderem geht es um Fragen, die Zeigestruktur der Beratung und Überlegungen zur Didaktik der Beratung.
Das Buch schließt mit Rückblick und Ausblick und der Frage, ob es gelungen sei , eine kohärente pädagogische Theorie von Beratung hervorzubringen.
Diskussion
Angesichts weit entwickelter Ansätze zur Beratung, die auf psychologischen Theorien basieren, stellt sich natürlich die Frage nach dem Sinn dieses Buches. Beratung in pädagogischen Arbeitsfeldern ist sicher, wie der Autor auch überzeugend ausführt, ein traditionsreiches Anliegen der Pädagogik. Hinzu kommt, dass im Rahmen erweiterter Aufgabenstellungen in Institutionen des Lernens die Förderung von Lernen und damit Beratung an Bedeutung gewonnen hat.
Dennoch hinterließ die Lektüre bei mir einen zwiespältigen Eindruck. Einerseits bewirkte die Nutzung pädagogischer Begriffe bei mir zum Teil einen recht fruchtbaren Perspektivenwechsel. Beratung als Anregung zu lernen im Lebenslauf (Kapitel 3), die Zeigestruktur der Beratung (Kapitel 5) eröffnen die Chance ungewohnter Sichtweisen auf ein völlig vertraut geglaubtes Arbeitsgebiet. Die Stärke dieses Perspektivenwechsels wird vor allem in der Analyse der Konstruktionsmerkmale und des Rahmens von Beratung deutlich.
Auf der Ebene des konkreten Handelns, der Interventionen dagegen, wird deutlich, dass die Auseinandersetzung mit Beratung als Arbeitsfeld der Pädagogik gerade erst wieder an Fahrt gewinnt. Die konkreten Interventionen nutzen im Wesentlichen bekannte, psychologisch fundierte, Ansätze der Beratung wie den Personenzentrierten Ansatz, die Psychoanalyse und die systemische Beratung. Dabei kann es aber durchaus passieren, dass zum Beispiel mit dem „szenisch-situativen Verstehen“ (S.148) ein Instrument analytisch-therapeutischen Vorgehens vorgestellt wird, dass ohne umfangreiche Vorbildung des Beraters in Form von Selbsterfahrung oder Eigentherapie kaum sinnvoll einzusetzen ist. Da die Zahl sinnvoller Interventionen in der Beratung nicht unbegrenzt erhöht werden kann, kann sicher auf das Interventionsrepertoire bekannter Verfahren zugegriffen werden. Diese müssten aber unter Rückgriff auf pädagogische Begriffe überprüft werden.
Fazit
Das Buch stellt m.E. keine kohärente pädagogische Theorie von Beratung vor. Es nutzt, zum Teil wirklich traditionsreiche, pädagogische Begriffe zur Analyse des Beratungsprozesses in Rahmen und Struktur. Auf der Ebene des methodisch fundierten Handelns werden dagegen häufig aus psychologisch fundierten Beratungsansätzen übernommene Interventionen genutzt.
Zu empfehlen ist es vor allem primär pädagogisch ausgebildeten Fachleuten, die in ihrem Arbeitsgebiet mit Beratung als Arbeitsaufgabe konfrontiert sind. Diese erhalten dadurch die Möglichkeit, sich ein unvertrautes Gebiet mit Hilfe vertrauter Begriffe zu erschließen.
Rezension von
Dipl. Soz.-Päd. Gerd Schweers
Systemischer Familientherapeut, Ausbilder der GwG (GF, SV), Supervisor DGSv
Lehrer für besondere Aufgaben (Theorien und Methoden der Sozialarbeit) i.R.
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