Gabriele Schrüfer, Ingrid Schwarz (Hrsg.): Globales Lernen
Rezensiert von Mag.a Sabrina Schrammel, 14.01.2011

Gabriele Schrüfer, Ingrid Schwarz (Hrsg.): Globales Lernen. Ein geographischer Diskursbeitrag.
Waxmann Verlag
(Münster/New York/München/Berlin) 2010.
183 Seiten.
ISBN 978-3-8309-2352-7.
24,90 EUR.
Reihe: Erziehungswissenschaft und Weltgesellschaft - Band 4.
Thema und Entstehungshintergrund
Der Sammelband „Globales Lernen“ versteht sich als geographischer Diskursbeitrag zur Theorie und Praxis Globalen Lernens. Das Buch versucht dem Anspruch Globalen Lernens, pädagogische Antworten auf die Herausforderungen und Probleme der Globalisierung zu geben, gerecht zu werden (vgl. 5).
Auf 184 Druckseiten sind neun Beiträge versammelt, welche, wie die Herausgeberinnen Gabriele Schrüfer und Ingrid Schwarz im Vorwort erläutern, aus dem Deutschen Geographietag 2009 in Wien hervorgegangen sind. Diese Tagung bot im Rahmen von zwei Sitzungen die Gelegenheit, Globales Lernen aus unterschiedlichen Perspektiven zu thematisieren. Ein erster Blick in das Inhaltsverzeichnis des Sammelbandes lässt differente wissenschaftliche sowie praktische Zugänge zur Thematik vermuten, was sich bei der Lektüre des Buches bestätigt. Auf Grund der Heterogenität der publizierten Beiträge werden diese im Anschluss an die Vorstellung der Herausgeberinnen der Reihe nach einzeln vorgestellt.
Herausgeberinnen
Prof. Dr. Schrüfer ist Professorin für Didaktik der Geographie an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Ihre Forschungsschwerpunkte sind u.a. Bildung für nachhaltige Entwicklung/Globales Lernen und Interkulturelles Lernen. Ihr regionaler Schwerpunkt liegt in Ost- und Nordarfrika.
Mag.a Dr. Ingrid Schwarz ist Lehrbeauftragte an der Universität Wien und der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/Krems, Geschäftsführerin von Südwind Entwicklungspolitik NÖ Süd und verantwortlich für die Konzeption, Durchführung und Evaluierung von Projekten zu Globalem Lernen.
Aufbau und Inhalt
Ingrid Schwarz legt ihren Überlegungen zum Globalen Lernen einen zentralen geographischen Begriff zu Grunde, nämlich Örtlichkeit. Das Konzept der Orte und Nicht-Orte von Augé (1994) aufgreifend, wirft Schwarz die Frage nach der Gestaltung von Orten Globalen Lernens auf, „wo positive soziale Verankerung möglich ist“ und „Macht im Sinne von Empowerment“ (12) definiert wird. Ausgehend von explizierten Zielsetzungen des Globalen Lernens, gibt Schwarz anhand von unterschiedlichen Beispielen zahlreiche Anregungen zur Gestaltung von Orten sowie zu inhaltlichen und methodischen Aspekten Globalen Lernens, fokussiert auf das pädagogische Feld Schule.
Ihren Beitrag „Zur Konzeption des Subjekts im Globalen Lernen“ versteht Ulli Vilsmair als „Anstoß für konzeptionelle Arbeit“ (40) an anthropologischen und subjekttheoretischen Grundlagen. Da Globales Lernen als pädagogisches Konzept auf räumliche Ordnungsverschiebungen reagiere und diese gleichzeitig neu konstituiere (vgl. 28), bedürfe es auch einer Klärung des Subjekts und dessen (Selbst-)Verortung. Aus einer phänomenologischen Perspektive skizziert die Autorin die anthropologischen Grundlagen räumlicher Ordnungsvollzüge und zeigt auf, welche Perspektiven sich daraus für das Konzept des Globalen Lernens ableiten lassen.
Jürgen Hasse problematisiert in seinem Beitrag die „Teilhabe an der Umsetzung der bildungspolitischen Programmatik globalen Lernens“ (45) von PädagogInnen. Er argumentiert, dass die weitgehend unreflektierte Übernahme bildungspolitischer Begriffe, wie z.B. „Weltgesellschaft“, „Völkergemeinschaft“ und „Eine Welt“, mitsamt ihrer theoretischen Setzungen in pädagogische Kontexte zur ideologischen Disposition Globalen Lernens beitrage und im Grunde der Idee humanistischer Bildung entgegenstehe. Um den Anforderungen der Globalisierung in einem bildenden Sinn gerecht werden zu können, brauche es bildungstheoretisch fundierte Ansätze, auf Grundlage derer der „Zwiespältigkeit des Globalisierungsprozesses nicht mit dem didaktisch verbrämten Wunsch ‚auf der richtigen Seite stehen zu wollen‘, sondern mit einer kritischen Reflexion globalisierter System- und Lebenszusammenhänge“ (59) begegnet werde.
Im Zentrum des verhältnismäßig umfangreichen Beitrags von Annette Scheunpflug und Rainer Uphues steht die Frage nach der empirischen Überprüfung der durch Globales Lernen erreichten Kompetenzen (vgl. 63). Im Sinne einer Bestandsaufnahme referieren die AutorInnen entlang eines vorab explizierten „Modells der Wirkfaktoren auf Effekte Globalen Lernens“ (65f.) zahlreiche empirische Untersuchungen und deren Forschungsergebnisse. Auf Grundlage dieser Zusammenschau arbeiten die AutorInnen in einer abschließenden Diskussion sechs Forschungsdesiderate heraus, aus denen sie wiederum Perspektiven für weitere Untersuchungen ableiten.
Gabriele Schrüferthematisiert interkulturelle Kompetenz als Schlüsselqualifikation in einer globalisierten und kulturell diversen Gesellschaft (vgl. 102), die nicht nur, aber vor allem auch im Geographieunterricht gefördert werden sollte. Auf Bennett (1993) rekurrierend beschreibt Schrüfer sechs Stufen der interkulturellen Entwicklung, wobei sie problematisiert, dass Geographieunterricht oft in einem Ethnozentrismus verhaftet bleibt. Ziel sei die Erlangung einer ethnorelativistischen Perspektive, die es SchülerInnen erlaubt, die Kulturgebundenheit ihres Wahrnehmens, Urteilens und Handelns (106) zu erkennen. Schrüfer schließt ihren Beitrag mit der Forderung, interkulturellem Lernen in der Aus- und Weiterbildung von LehrerInnen eine höhere Bedeutung zuzumessen und einem Appell an die Forschung, Messinstrumente zu entwickeln, um die interkulturelle Kompetenz von Schülerinnen einstufen zu können.
Helmuth Hartmeyer eröffnet seinen Beitrag mit der Frage, inwiefern der deutsche Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung eine Orientierung für österreichische Strategieüberlegungen zum Globalen Lernen bieten könne. Im Anschluss an die Beschreibung des deutschen Orientierungsrahmens arbeitet Hartmeyer dessen Stärken heraus und benennt im Rahmen einer kritischen Analyse fünf Problembereiche. In einem weiteren Schritt erörtert Hartmeyer die Gemeinsamkeiten und Unterschiede des österreichischen und deutschen Zugangs, bevor er abschließend auf den „Wert des deutschen Orientierungsrahmens für den österreichischen Strategieprozess“ eingeht.
In ihrem Beitrag versuchen Heidi Grobbauer und Karin Thaler die „Erkenntnisse aus der Forschung und Theorieentwicklung zum Globalen Lernen in die Praxis zu übertragen“ (127). Zu diesem Zweck benennen und erläutern die Autorinnen neun Merkmale, die Bildungsangebote zum Globalen Lernen auszeichnen. Illustriert werden die einzelnen Charakteristika mit konkreten Bespielen aus der Bildungspraxis, Unterrichtsmaterialien und zahlreichen methodisch-didaktischen Hinweisen.
Im Anschluss an die Problematisierung der zentralen Begriffe und des Konzepts des Globalen Lernens stellt Johann-Bernhard Haversath das Konzept Lernen an der Welt vor, das auf einem, wie er schreibt, „vernetzenden Ansatz“ (149) basiert. Über Entwicklungspfade wird mit diesem Ansatz versucht, die Komplexität aktueller Probleme sozialer Gruppen zu erfassen. Veranschaulicht wird dieser Ansatz anhand konkreter Fallbeispiele.
Ausgehend von der Erörterung, was unter Biodiversität zu verstehen ist, welches ökonomische Nutzpotenzial die Ressource Biodiversität bietet, wie der Zugang zur biologischen Ressource geregelt ist (Biodiversitätskonvention von Rio de Janeiro) und welche Probleme es dabei gibt (Biopiraterie), geht Marten Lößner der Frage nach, welche Bedeutung „das Thema für den Geographieunterricht in Hinblick auf die Erreichung der Ziele der Bildung für nachhaltige Entwicklung und des Konzepts des Lernens an der Welt hat“ (165).
Diskussion
Der Sammelband „Globales Lernen. Ein geographischer Diskursbeitrag“ versammelt zum einen Beiträge, die Forschungsdesiderate herausarbeiten. Vilsmair und Hasse, die beide zentrale Konstitutionsfragen der Pädagogik ansprechen, veranschaulichen mit ihren Beiträgen, dass sowohl in Hinblick auf die subjekttheoretische als auch in Hinblick auf die bildungstheoretische Fundierung des pädagogischen Konzepts Globalen Lernens Forschungslücken bestehen. Auch Scheunpflug und Uphues arbeiten Fragestellungen für weitere empirisch orientierte Forschungsarbeiten heraus – speziell bezüglich der Überprüfung erreichter Kompetenzen durch Globales Lernen. Insofern liefert das Buch nicht nur Antworten, sondern eröffnet auch eine Reihe von Forschungsfragen, die es zu bearbeiten gilt.
Zum anderen finden sich in dem Sammelband Beiträge, die, unterschiedlich stark theoretisch fundiert, inhaltliche, methodische und didaktische Aspekte Globalen Lernens diskutieren (vgl. die Beiträge von Schwarz, Schrüfer, Grobbauer/Thaler, Haversath, Lößner). Diese Artikel geben zahlreiche Impulse und Anregungen für Globales Lernen im schulischen Kontext, speziell für den Geographieunterricht, aber auch darüber hinaus.
Der Beitrag von Helmuth Hartmeyer kann in der bildungspolitischen Strategieentwicklung verortet werden und gibt Einblick in den politischen Diskurs, auf den sowohl die fachwissenschaftliche als auch die pädagogische Arbeit bezogen ist.
Fazit
Der Sammelband gibt einen Einblick in den aktuellen Diskussionsstand zum Globalen Lernen im deutschsprachigen Raum und markiert gleichzeitig eine Reihe von Forschungs- und Entwicklungsaufgaben. Da das Buch vermag, einen Bogen zwischen Theorie und Praxis zu spannen, kann es sowohl einschlägig interessierten WissenschafterInnen als auch jenen, die in der Bildungspraxis stehen, empfohlen werden.
Rezension von
Mag.a Sabrina Schrammel
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Pädagogische Hochschule Burgenland
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