Frank Adloff (Hrsg.): Prosoziales Verhalten
Rezensiert von Prof. em. Dr. Helmut E. Lück, 28.03.2011

Frank Adloff (Hrsg.): Prosoziales Verhalten. Spenden in interdisziplinärer Perspektive.
Lucius & Lucius
(Stuttgart) 2010.
249 Seiten.
ISBN 978-3-8282-0507-9.
44,00 EUR.
Reihe: Maecenata-Schriften - Band 8.
Thema
Anders als der Haupttitel des Buches vermuten lässt, behandelt das Buch nicht den weiten Bereich prosozialen Verhaltens – also der Hilfeleistung im Alltag, sondern ausschließlich das Spendenverhalten. Hierbei werden zudem Themen wie Blut- und Organspende sowie das Spenden von Zeit (beispielsweise für ehrenamtliche Arbeit) nur am Rand behandelt. Hauptgegenstand des Buches bleibt daher das Spenden von Geld. Dies ist allerdings ein bedeutendes Gebiet moderner Gesellschaften, insbesondere angesichts der großen Katastrophen der letzten Jahre. Wenn es auch im ersten Beitrag heißt, der Diskurs über Spenden werde bislang auf niedrigem Niveau geführt, weil der empirische Erkenntnisstand zum Spendenwesen gering sei (Graf Strachwitz, S. 8), so sind die Befunde, die in insgesamt 16 Beiträgen von Wissenschaftlern verschiedenster Fachdisziplinen in diesem Band zusammengetragen wurden, doch beachtlich.
Entstehungshintergrund
Der Band geht zurück auf eine Tagung „Warum spenden wir?“, ergänzt um weitere Beiträge.
Aufbau
Das Buch ist in vier Kapitel gegliedert:
- Historisch-politische Kontexte,
- Empirische Sondierung,
- die Praxis der Organisation,
- Theoretische Perspektiven.
Neben Themen wie der Geschichte des Spendens, der Kollekte in der Kirche, der empirischen Spendenforschung, dem Fundraising, der steuerlichen Behandlung usw. werden selbst so spezifische Themen behandelt wie das Spendenverhalten von Migranten, Prosoziales Verhalten beim Lebensmitteleinkauf durch den Kauf fair gehandelter Lebensmittel, die Rechnungslegung von spendensammelnden Organisationen und die Frage, ob auch Menschenaffen Spendenverhalten zeigen.
Im Folgenden werden einige ausgewählte Beiträge etwas näher betrachtet.
Ausgewählte Beiträge
Spenden und bürgerschaftliches Engagement: Aspekte einer politischen Kontextualisierung (Rupert Graf Strachwitz). Zwischen dem 4. und 6. Jahrhundert von Christus scheint eine grundlegende Veränderung stattgefunden zu haben. Alle bekannten Religionsstifter dieser Zeit haben von Ihren Anhängern das Spenden gefordert. Warum dieses Umdenken erfolgt ist, ist so wenig klar wie die individuellen Gründe für das Spenden der Klärung bedürfen, denn das Weggeben scheint auf den ersten Blick dem Kampf ums Überleben zu widersprechen. Warm glow, das angenehm-wohlige Gefühl, etwas Gutes getan zu haben, ist wohl einer der Hauptgründe für das Spendenverhalten. Aber riesig sind die Spendensummen manchmal nicht. Gerade einmal 2,40 Euro wurden in Deutschland pro Kopf für die Opfer des Erdbebens in Haiti im Jahr 2010 gespendet. (In den USA waren es 2,10, in England, 1,60, in den Niederlanden 4,10 und in der Schweiz 7,10). Graf Strachwitz weist auf sinkende Hilfsbereitschaft in Deutschland trotz steuerlicher Erleichterungen hin, die es in manchen anderen Ländern nicht gibt. (Andere Autoren in diesem Band werten die Entwicklung allerdings anders.)
Zum sozio-kulturellen und theologischen Hintergrund der paulinischen Kollekte (Christoph J. Karlson). Den Begriff der Spende sucht man in der Bibel vergeblich. Dort wird von Opfergabe gesprochen. Und von Geld ist in der Bibel viel die Rede. Spenden im neueren Sinn – z.B. für eine bedrohte Gemeinde als Wohltätigkeit und nicht nur für einen kultischen Zweck – kennt das Neue Testament bei Paulus. Das Almosengeben der jüdischen Tradition wir hier erstmals um solidarisierende Wirkungen, sogar über Kultur- und Sprachgrenzen hinweg, ausgedehnt.
Spenden als prosoziales Verhalten aus geschichtswissenschaftlicher Sicht (Gabriele Lingelbach). In einem anschaulichen Beitrag wird die Nachkriegsgeschichte des Spendens in Deutschland erzählt. Beispielhaft werden die Jahre 1955 und 1980 verglichen. So wird der Einfluss nationalsozialistischer Gesetzgebung auf die in den fünfziger Jahren üblichen Straßensammlungen deutlich. Schließlich wird der inzwischen mächtige Einfluss des Fernsehens sichtbar. Weit über 20.000 Hilfsorganisationen konkurrieren heute in Deutschland um Spenden, dabei teilen sich (nach Daten aus den neunziger Jahren) 200-250 Organisationen etwa 85 Prozent des Spendenaufkommens.
Zur Empirie des Spendens (Eckhard Priller / Jürgen Schupp). Die Verfasser sondieren die umfangreichen Daten, die inzwischen von verschiedenen Organisationen und Umfrageinstituten durch Befragungen zum Spendeverhalten gewonnen wurden, insbesondere interessiert sie der sozioökonomische Status der Spender. Danach ist der großzügigere Spender eher älter, eher weiblich, hat eher besseres Einkommen. (Zur Blutspende dagegen melden sich mehr Männer.) Situative, normative und sicher auch persönlichkeitspsychologische Faktoren kommen hinzu, werden aber bislang kaum erfragt. - Hier setzt der nächste Beitrag ein.
Zur Erklärbarkeit und Erklärungskraft von Spendenmotiven (Clara West). Die Verfasserin versucht aufgrund qualitativer Befragungen von 30 Spenderinnen und Spendern eine Typologie der Spendenmotivation herauszuarbeiten. Sie unterscheidet den Saturierten, den pragmatischen Aktivisten, den Kompensierenden, den Emotionalen und den Enttäuschten. Zum Beispiel spende der „Emotionale“ aus dem Bauch heraus ohne ein bestimmtes Konzept oder einen besonderen Plan.
Fundraising Web 2.0 (Joana Breidenbach). Die Betreuungskosten für Spender sind in Deutschland etwa bei einem Drittel der Spenden anzusetzen, d.h. von 100 gespendeten Euro werden 33 Euro für Verwaltung, Fundraising und Marketing verwendet. Das Fundraising mit Werbebriefen, von denen der größte Teil ungeöffnet im Abfall landet, Eventmarketing mit Veranstaltern und Beteiligen, die bezahlt werden müssen usw. machen das Akquirieren von Spenden zu einem großen Geschäft. Genaue Angaben fehlen, aber die Gesamtsumme der Spendeneinnahmen, die nicht den Bedürftigen zukommt, dürfte in Deutschland bei 1,3 Milliarden Euro pro Jahr liegen (S. 152). Breidenbach stellt das Gebiet des Fundraising unter Bezug auf neuere Literatur kritisch dar und behandelt insbesondere die gewachsene und zukünftig immer wichtigere Rolle des Spendens über Internet.
Do the great apes make donations? (Josep Call) Die Antwort auf die Frage, ob Menschenaffen Spendenverhalten zeigen hängt wesentlich davon ab, was man unter Spenden versteht. Meint man mit Spenden das selbstlose Weggeben von wertvollen Dingen, dann ist die Frage zu verneinen. Ist damit Fürsorge und Hilfeleistung gemeint, dann ist die Frage eindeutig zu bejahen. Der Verfasser verweist auf eine ganze Reihe von Untersuchungen vielfältiger Hilfeleistungen gerade unter Menschenaffen.
Psychologische Determinanten des Spendenverhaltens (Kai J. Jonas). Die Frage, ob die Spendenbereitschaft mit bestimmten, empirisch messbaren Persönlichkeitszügen einhergeht, ist nach Auffassung von Jonas zu verneinen. Spendeverhalten von Menschen ist daher eher von situativen Faktoren abhängig. Wenig beachtet ist die psychologische Seite des Empfangs von Hilfeleistung: Spenden können vom Empfänger auch negativ aufgenommen werden und zu Abhängigkeitsbeziehungen führen.
Fazit
Als Fazit kann man festhalten, dass der Band den bislang nicht allzu gut untersuchten Themenbereich der Geldspende mit den Theorien und Methoden sehr verschiedener Fachwissenschaften angeht. Die Befunde sind aktuell und interessant. Für Praktiker dürften vor allem Ausführungen zum Spendenmanagement lohnend sein.
Rezension von
Prof. em. Dr. Helmut E. Lück
FernUniversität in Hagen, Fakultät für Psychologie
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