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Ursula Birsl (Hrsg.): Rechtsextremismus und Gender

Rezensiert von Prof. (i.R.) Dr. Gudrun Ehlert, 19.12.2011

Cover Ursula Birsl (Hrsg.): Rechtsextremismus und Gender ISBN 978-3-86649-388-9

Ursula Birsl (Hrsg.): Rechtsextremismus und Gender. Verlag Barbara Budrich GmbH (Opladen, Berlin, Toronto) 2011. 337 Seiten. ISBN 978-3-86649-388-9. D: 33,00 EUR, A: 25,60 EUR, CH: 37,90 sFr.

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Heraugeberin

Ursula Birsl ist Professorin für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Demokratieforschung am Institut für Politikwissenschaft der Philipps-Universität Marburg.

Entstehungshintergrund

Die ersten Beiträge zu Rechtsextremismus und Geschlecht wurden vor gut zwanzig Jahren publiziert, schreibt Ursula Birsl in ihrem Vorwort. Sie entwickelte im Frühjahr 2010 den Plan, mit einem Sammelband „ein Resümee zu ziehen“ und zentrale Befunde und Erkenntnisse zu präsentieren, neue Befunde zu generieren und den weiteren Forschungsbedarf abzustecken.

Aufbau und Inhalt

Die Publikation versammelt 16 Beiträge in fünf thematischen Blöcken:

  1. Einleitung
  2. Einordnungen
  3. Konstruktionen
  4. Einstellungen, Zugänge, Gelegenheitsstrukturen
  5. Erkenntnisse aus der Praxis.

In ihrem einleitenden Beitrag „Rechtsextremismus und Gender“ fasst Ursula Birsl Debatten und Paradigmenwechsel in der Rechtsextremismus- und der Geschlechterforschung zusammen und sie gibt einen Überblick der vorliegenden Publikation.

Die „Einordnungen“ beginnen mit einem Beitrag von Christoph Butterwegge über die Konsequenzen der falschen Gleichsetzung von Links- und Rechtsextremismus in der Politik als auch in politikwissenschaftlichen Extremismus- und Totalitarismustheorien. Seit der Zäsur 1989/90 und in Folge der Anschläge vom 11. September 2001 fungieren Fundamentalismus-, Populismus- und Terrorismustheorien als Neuauflage von politischen Gleichsetzungen, die inhaltlich nicht gefüllt seien. Eine Geschlechterperspektive wird in der Analyse von Butterwege allerdings nicht eingenommen. Birgit Rommelspacher kommt in ihrem Beitrag „Frauen und Männer im Rechtsextremismus – Motive, Konzepte und Rollenverständnisse“ zu dem Schluss, das Rechtsextremismus kein männliches oder weibliches Phänomen sei, sondern das die jeweilige soziale Position in einem spezifischen Kontext rechte Tendenzen nahe legen können, besonders „wenn entsprechende Organisationen die spezifischen Motivlagen aufgreifen und propagandistisch umzusetzen wissen“ (S.66). Samuel Salzborn weist in seinem Beitrag „Antisemitismustheorien und Gender“ auf Desiderate der sozialwissenschaftlichen Forschung hin und plädiert für die Durchführung qualitativ-biografische Studien zum Antisemitismus von Frauen und Männern. Außerdem fasst er Ergebnisse quantitativer Untersuchungen von der Nachkriegszeit bis in die Gegenwart zusammen.

Im dritten Teil der Veröffentlichung „Konstruktionen“ ist zuerst eine übersetzte und überarbeitete Fassung eines Aufsatzes von Nora Räthzel aus dem Jahr 1997 zu lesen: „Geschlecht und Rassismus im Diskurs“. Die Auseinandersetzung mit Grundlagen der Diskursanalyse und die Analyse eines empirischen Beispiels münden in einer Einschätzung der Reichweite und Grenzen der politischen Perspektiven von Diskursanalysen. Renate Bitzan untersucht Weiblichkeitskonstruktionen in Publikationen extrem rechter Frauen und zeigt einen Zusammenhang zwischen Geschlechterdiskursen im Mainstream und Konjunkturen in der extremen Rechten auf. Kurt Möller geht unterschiedlichen Männlichkeitsentwürfen und -performanzen in rechtsextremen Zusammenhängen nach, Jörn Hüttmann forscht zu „Männlichkeitsdiskursen in der Deutschen Stimme“. Beide Autoren beziehen sich auf die Forschungen zu Männlichkeiten nach Connell und die Bedeutung der hegemonialen Männlichkeit für die Konstruktion von Männlichkeit.

Im vierten Teil der Publikation „Einstellungen, Zugänge, Gelegenheitsstrukturen“ wird auf verschiedene Einstellungsuntersuchungen und bereits veröffentlichte Studien zurückgegriffen: Ursula Birsl fasst in ihrem Beitrag Ergebnisse aus der 2006 erschienen Studie „Vom Rand zur Mitte“ von Oliver Decker und Elmar Brähler zusammen. Beate Küpper und Andreas Zick präsentieren Ergebnisse aus der Langzeitstudie „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“, die seit dem Jahr 2002 an der Universität Bielefeld durchgeführt wird. Bettina Westle wertet Repräsentativerhebungen der bundesdeutschen Wahlbevölkerung aus, um rechtsextreme Orientierungen und demokratische Haltungen einem Geschlechtergruppenvergleich zu unterziehen. Ursula Birsl greift in einem weiteren Beitrag zur rechtsextremen Gewalt von Mädchen auf unterschiedliche Daten (Polizeiliche Kriminalstatistik, Verfassungsschutzberichte) und Einstellungsuntersuchungen zurück und zeigt den bestehenden Forschungsbedarf zu Mädchen und jungen Frauen als Täterinnen auf. Nils Schuhmacher stellt Ergebnisse zum Einstieg in rechte Cliquen aus einer 2007 abgeschlossenen qualitativen Längsschnittuntersuchung zu rechen Skinheads anhand verschiedener Muster von Einstiegsprozessen vor. Im letzten Beitrag des vierten Teils untersucht Alexandra Kurth unter der Überschrift „Männer – Bünde – Rituale: Studentenverbindungen“ politisches Denken und rechtsextreme Einstellungen in Burschenschaften und studentischen Verbindungen in Deutschland. Kurths Artikel beruht auf ihrer gleichnamigen, im Jahr 2004 erschienen Dissertation, deren Komplexität jedoch auf zehn Seiten nicht eingeholt wird.

Dem fünften und letzten Teil der Publikation zu Erkenntnissen aus der Praxis liegen zwei Beiträge zugrunde. Dierk Borstel beschreibt Ein- und Ausstiege von Frauen und Männern aus der rechten Szene auf der Grundlage der Erfahrungen des Aussteigerprojekts EXIT Deutschland. Am Beispiel des Projekts „Lola für Lula“ stellen Michaela Köttig, Gabi Elverich, Heike Radvan und Johanna Sigl ein Konzept gendersensibler Rechtsextremismusprävention vor. Das Projekt ist im Landkreis Ludwigslust im ländlichen Raum Mecklenburg-Vorpommerns angesiedelt und soll bis 2017 mit verschiedenen Teilprojekten (Peer Leader Training, Fortbildungen von PädagogInnen, Empowerment von Migrantinnen, Öffentlichkeitsarbeit) realisiert werden, die wiederum wissenschaftlich begleitet bzw. evaluiert werden.

Diskussion und Fazit

Die Veröffentlichung gibt einen guten Überblick über verschiedene Studien zum Rechtsextremismus. In einem großen Teil der Beiträge versammeln sich dabei bereits bekannte und schon veröffentlichte Ergebnisse der Rechtsextremismusforschung. Zudem werden in der gesamten Publikation unterschiedliche, in einzelnen Beiträge keine oder nur sehr oberflächliche Bezüge zur Kategorie Geschlecht hergestellt. So zeigt sich, dass eine inflationäre Verwendung des Begriffs Gender den differenzierten Stand der Frauen-, Männer und Geschlechterforschung nicht abbilden kann und ein möglicher Erkenntnisgewinn für die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus an manchen Stellen verschenkt wird. Eine Anmerkung für eine mögliche weitere Auflage: In den abschließenden Angaben „Zu den Autorinnen und Autoren“ fehlen ein Autor und eine Autorin.

Rezension von
Prof. (i.R.) Dr. Gudrun Ehlert
Hochschule Mittweida, Fakultät Soziale Arbeit
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Es gibt 33 Rezensionen von Gudrun Ehlert.

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ISSN 2190-9245