Marina Rupp (Hrsg.): Partnerschaft und Elternschaft bei gleichgeschlechtlichen Paaren
Rezensiert von Dipl. Sozialpädagogin Christina K. Göttgens, 11.07.2011
Marina Rupp (Hrsg.): Partnerschaft und Elternschaft bei gleichgeschlechtlichen Paaren. Verbreitung, Institutionalisierung und Alltagsgestaltung.
Verlag Barbara Budrich GmbH
(Opladen, Berlin, Toronto) 2011.
260 Seiten.
ISBN 978-3-86649-379-7.
D: 39,90 EUR,
A: 41,10 EUR,
CH: 56,90 sFr.
Reihe: Zeitschrift für Familienforschung - 7.
Thema
Der familiale Wandel in unserer Gesellschaft geht einher mit dem „Auftauchen“ vielfältiger Lebensmodelle. Die Vorstellungen beispielsweise von Familie sind mittlerweile mannigfaltig und haben neben dem traditionellen Familienmodell einen festen Platz in westlichen Gesellschaften eingenommen. So gehören Patchworkfamilien und Ein-Elternfamilien heute zweifelsohne zum Spektrum gesellschaftlich anerkannter Familienformen. Auch eine Vielzahl unterschiedlicher Paarkonstellationen hat sich mittlerweile in unserer Gesellschaft etabliert. Das Leben beispielsweise „ohne Trauschein“ und die homosexuelle Lebensweise werden in großen Teilen der westlichen Bevölkerung als Lebensmodelle akzeptiert. Kritisch zu hinterfragen ist jedoch, ob diese Akzeptanz auch bei gleichgeschlechtlichen Partnerschaften mit Kindern bzw. mit Kinderwunsch beobachtbar ist. Ebenso interessant ist die Entwicklung der rechtlichen Situation in Deutschland und vergleichend hierzu in Europa für gleichgeschlechtliche Paare, die Elternschaft ausüben (wollen). Zum Thema homosexuelle Elternschaft und Familiengründung findet sich bisher kaum deutschsprachige Fachliteratur. Am ehesten findet man wissenschaftliche Veröffentlichungen in internationalen Fachzeitschriften. Darin geht es meist um die Erziehungsfähigkeit (parental fitness) von homosexuellen Paaren und um mögliche Risiken für die kindliche Entwicklung. Aussagekräftige Studien, die sich mit dem Familienwunsch und der Familienentwicklung sowie der Lebenswirklichkeit von homosexuellen Menschen beschäftigen, wurden bisher von wissenschaftlicher Seite m. E. kaum geliefert.
Herausgeberin
Dr. rer. pol. Marina Rupp ist seit 2000 Mitarbeiterin und seit 2003 stellvertretende Leiterin des Staatsinstituts für Familienforschung an der Universität Bamberg (ifb). Sie untersuchte u.a. in einem von 2006 bis 2009 laufenden und vom Bundesministerium der Justiz in Auftrag gegebenen Projekt die „Lebenssituation in gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften mit Kindern“ und lieferte damit die erste repräsentative Studie zur Lebenssituation von Regenbogenfamilien in Deutschland.
Entstehungshintergrund
Die repräsentative Studie zur „Lebenssituation von Eingetragenen Lebensgemeinschaften mit Kindern“ aus dem Jahr 2009 (Studie, Projektleitung M. Rupp) und die wachsende Zahl von (sichtbar werdenden) gleichgeschlechtlichen Partnerschaften mit Kindern (Regenbogenfamilien) in unserer Gesellschaft begründet die Entstehung der hier vorgestellten Publikation, die in Form eines Sonderhefts der „Zeitschrift für Familienforschung“ Anfang 2011 herausgegeben wurde.
Aufbau
Als Sonderheft der „Zeitschrift für Familienforschung“ beinhaltet die Veröffentlichung eine Zusammenstellung einzelner Fachbeiträge verschiedener nationaler und internationaler Autorinnen und Autoren. Alle Artikel werden mit einer Zusammenfassung eingeleitet; dabei sind diese Abstracts sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch verfasst. Einige wenige Beiträge sind ausschließlich englischsprachig abgedruckt; die Mehrzahl ist deutschsprachig und einige Aufsätze sind sowohl auf Englisch als auch auf Deutsch veröffentlicht. Das Buch ist, nach einem kurzen Vorwort der Herausgeberin, in drei Kapitel gegliedert. Als Gliederung wurden drei grobe Kategorien gewählt:
- Einführungen
- Gesellschaftliche Rahmenbedingungen und gleichgeschlechtliche Lebensweisen im internationalen Vergleich
- Beziehungsgestaltung und Elternrollen
Der vorliegende Band stellt Konzeptionen homosexueller Elternschaft vor und bietet einen Einblick in die Lebenswirklichkeit von gleichgeschlechtlich lebenden Paaren und deren Kinder. So werden verschiedene Aspekte, die sowohl die gleichgeschlechtliche Lebensweise als auch die Elternschaft homosexueller Paare betreffen, thematisiert:
- Entwicklung und Stand der rechtlichen Situation in Deutschland und in Europa;
- Stand der Forschung zum Themenkreis gleichgeschlechtliche Elternschaft in Europa;
- Empirische Befunde zur Verbreitung der Familienform;
- Hintergründe, Varianten und Themen gleichgeschlechtlichen Lebens;
- Konzeption einer Familie von gleichgeschlechtlichen Eltern und deren Alltag.
S. 7-8: Im Vorwort erörtert die Herausgeberin M. Rupp die Zielsetzung des von ihr zusammengestellten Sonderbands und gibt einen kurzen Ausblick auf die versammelten Texte.
I. Einführungen
S.11-22: Intimate relationships and parenthood in same-sex couples: An introduction. Partnerschaft und Elternschaft bei gleichgeschlechtlichen Paaren: eine Einführung. (Gregory M. Herek). Dieser Beitrag ist sowohl auf Englisch als auch Deutsch abgedruckt. Der Autor nimmt Bezug auf die sexuelle Orientierung und damit einhergehenden Diskriminierungspotentialen. Gleichzeitig benennt er die in westlichen Gesellschaften beobachtbare Öffnung der Familiendefinitionen und erörtert den Informationsbedarf über gleichgeschlechtliche Lebensweisen und Familien. Informationslücken gilt es zu beseitigen, um so einer etwaigen Stigmatisierung gleichgeschlechtlich lebender Menschen und ihrer Familien vorzubeugen.
S.23-37: Gleichgeschlechtliche Paare und ihre Kinder: Hintergrundinformationen zur Entwicklung gleichgeschlechtlicher Lebensformen in Deutschland. Same-sex couples and their children - Background information on the development of same-sex unions in Germany. (Bernd Eggen & Marina Rupp). Die einleitende Zusammenfassung ist ins Englische übersetzt, der Artikel ausschließlich deutschsprachig verfasst. Eggen und Rupp liefern mit diesem Artikel Grundinformationen über die Häufigkeit und die zentralen Merkmale gleichgeschlechtlicher Partnerschaften und Familien in Deutschland. So werden u.a. soziodemographische Auswertungen über die in Deutschland gleichgeschlechtlich lebenden Paare und die zurzeit überwiegenden Konstellationen in Regenbogenfamilien, basierend auf empirischen Datenerhebungen, präsentiert. Anhand des vorliegenden empirischen Datenmaterials wird u.a. die These des Wandels homosexueller Biographie vertreten. Gemeint sind hiermit gleichgeschlechtliche Paare, die selbstbewusst den eigenen Lebensentwurf und ihren Kinderwunsch als homosexuelles Paar (queer family) realisieren. Zugleich werden kritisch die künftigen Entwicklungen prognostisiert und die ideologisch begründete Diskussion um homosexuelle Paare mit Kindern reflektiert.
II. Gesellschaftliche Rahmenbedingungen und gleichgeschlechtliche Lebensweisen im internationalen Vergleich
S. 41-51: Rechtliche Rahmenbedingungen für Regenbogenfamilien in Europa. Legal frameworks for same-sex families in Europe. (Nina Dethoff). Die kurze Zusammenfassung des Aufsatzes ist sowohl auf Englisch als auch auf Deutsch abgedruckt; der Artikel selbst ausschließlich deutschsprachig verfasst. Die Autorin gibt mit ihrem Beitrag einen Überblick über die Entwicklung der rechtlichen Situation innerhalb Europas und den Bedingungen, die sich hieraus für Regenbogenfamilien ergeben. Dabei geht es u.a. um die rechtlichen Möglichkeiten der Familiengründung (Stiefkindadoption, Adoption, assistierte Reproduktion …) und den sich daraus ergebenen Rechtsfolgen (Sorgerecht, Unterhaltsrecht, etc.) sowie der damit in Kausalität stehenden Absicherung der Eltern-Kind-Beziehung.
S. 53-69: Same-sex families in Italy, compared to Spain. Gleichgeschlechtliche Familien in Italien, im Vergleich zu Spanien. (Alessandra De Rose & Catherine Marquette). Dieser Fachartikel ist ausschließlich auf Englisch (die Zusammenfassung ist auf Deutsch eingangs des Artikels abgedruckt) verfasst und präsentiert die Ergebnisse einer Studie, die eine Abbildung der Situation für gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften in Italien präsentiert. Maßgeblich werden die sozialen und demographischen Merkmale anhand empirischen Datenmaterials und daran schließend die institutionellen und rechtlichen Rahmenbedingungen in Italien zusammenfassend beschrieben. Darüber hinaus beschäftigen sich die Autorinnen mit den in Italien stattfindenden juristischen und politischen Debatten, die durch die vom Europäischen Parlament geforderte Gleichbehandlung homosexueller Lebensgemeinschaften entbrannt sind. Dabei ziehen De Rose und Marquette einen direkten Vergleich zu den in Spanien gültigen Rechtsgrundlagen.
S. 71-86: Beziehungsvielfalt, Nichtmonogamie und der Civil Partnership Act im Vereinigten Königreich. Paradoxien in den lesbischwulen Politiken der Anerkennung und der gleichen Rechte. Diversity in relationships, nonmonogamy and the Civil Partnership Act in the United Kingdom. Paradoxes of lesbigay policies of recognition and civil rights. (Christian Klesse). Ein auf Deutsch verfasster Artikel mit einleitendem deutsch- und englischsprachigem Abstract. Basis ist die Untersuchung des im Jahr 2005 in Großbritannien in Kraft getretene Civil Partnership Act (C.P.A.), der seither für lesbische und schwule Paare im britischen Königreich die Möglichkeit bereithält, eine Eingetragene Partnerschaft einzugehen, „die der Ehe in Rechten und Pflichten sehr nahe kommt“. Der Autor verweist in seinem Beitrag auf dennoch grundlegende Unterschiede zur Ehe. Des Weiteren untersucht er die persönlichen Interpretationsmuster lesbischwuler Individuen in Bezug auf den C.P.A., um anhand dieser Analyse die „Paradoxien in der lesbischwulen Rechtspolitik“ aufzuzeigen. Klesse beschreibt u.a. individuelle Ambivalenzen und Entscheidungen gleichgeschlechtlich lebender Menschen, die einerseits beispielsweise die Ehe an sich als „rückständige, heteronormative Institution“ fernab von lesbischwuler Lebensrealität werten und andererseits durch einen „mehr oder weniger reflektierten Pragmatismus“ dennoch den C.P.A. als Instrument zur Legalisierung der eigenen Partnerschaft nutzen. Des Weiteren skizziert Klesse die Problematik der Nichtberücksichtigung nichtmonogamer oder polyamoröser Lebensgemeinschaften, die sich durch die Anlehnung des C.P.A. an die Ehe ergibt.
S. 87-101: Legal advances and demographic developments of same-sex unions in Scandinavia. Rechtliche Fortschritte und demographische Entwicklungen bei den gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften in Skandinavien. (Gunnar Andersson & Turid Noack). Dieser englischsprachig verfasste Beitrag (mit einleitender deutschsprachiger Zusammenfassung) reflektiert die rechtliche Situation und die demographische Entwicklung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften in Skandinavien. Konkret basiert der Beitrag auf einer Analyse des im Jahr 2009 abgeschlossenen Gesetzgebungsverfahrens in Norwegen und Schweden, welches seitdem in beiden Ländern homosexuellen Paare die gleichen Rechte auf Heirat wie heterosexuellen Paare zusichert (geschlechtsneutrale Ehegesetzgebung). So wird z.B. der Weg von der Einführung der registrierten Partnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare in den 1990er Jahren hin zu der seit 2009 bestehenden Möglichkeit der geschlechtsneutralen Eheschließung skizziert. Die beiden AutorInnen beleuchten darüber hinaus die mutmaßlich mit diesen neuen rechtlichen Bedingungen in Zusammenhang stehenden demographischen Veränderungen: So beschreiben sie beispielsweise eine deutliche Zunahme an gleichgeschlechtlich begründeten Partnerschaften zwischen weiblichen Partnerinnen. Auch wird ein Blick auf die in Norwegen in gleichgeschlechtliche Beziehungen hineingeboren Kinder geworfen und ein demographischer Trend hierzu beschrieben.
S. 103-116: Gay fathers´ pathways to parenthood: International perspectives. Die Pfade schwuler Väter zur Elternschaft: Internationale Perspektiven. (Charlotte J. Patterson & Samantha L. Tornello). Hierbei handelt es sich ebenfalls um einen ausschließlich englischsprachig verfassten Fachartikel mit eingangs abgedruckter Zusammenfassung auf Deutsch. Die beiden Autorinnen haben in ihrem Beitrag auf Basis einer englischsprachigen Internetbefragung analysiert, wie schwule Väter zur Elternschaft gelangen. Insgesamt wurde die Befragung von 102 Vätern aus Australien, Neuseeland, Kanada und dem Vereinigten Königreich dahingehend ausgewertet, wie viele der Vater-Kind-Verhältnisse auf Adoption, Pflegschaft oder leiblicher Elternschaft (aus vorausgegangener heterosexueller Beziehung) basieren. Darüber hinaus beschreibt der Artikel beobachtbaren Veränderungen in der Nutzung von Möglichkeiten, die schwule Männer auf dem Weg zur Elternschaft wählen.
III. Beziehungsgestaltung und Elternrollen
S. 119-146: Konzepte der Elternschaft in gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften. Concepts of parenthood in same-sex unions. (Pia Bergold & Marina Rupp). Dieser Beitrag ist, einleitend mit einer englisch- und deutschsprachigen Zusammenfassung versehen, auf Deutsch verfasst. Auf Grundlage quantitativer (n=1059) und qualitativer (n=24) Interviews hat das Autorinnenduo Konzepte gleichgeschlechtlicher Elternschaft analysiert. Hierbei unterscheiden sie zwei Grundformen von Regenbogenfamilien: gleichgeschlechtliche Stieffamilien und gleichgeschlechtliche Familien mit gemeinsamen Kind(ern). Darüber hinaus werden neben dieser groben Kategorisierung vor allem die große Bandbreite an Familienkonzepten und die damit einhergehenden differenten Problematiken vorgestellt. So werden etwa die Wege zur Elternschaft per Insemination und die damit verbunden Fragestellungen zur Ausgestaltung der Elternrollen reflektiert. Analog hierzu werden Gestaltungsaufgaben in Regenbogen-Stieffamilien beschrieben, die sich beispielsweise durch das Zusammenleben in einem sich neu finden müssenden Familienverbund (Patchworkfamilie) oder durch den rechtlichen Status der Co-Mutter bzw. des Co-Vaters ergeben, beleuchtet. Herausgearbeitet wurden so Gemeinsamkeiten und auch Unterschiede in den verschiedenen Formen von Regenbogenfamilien.
S. 147-166: Die Verteilung elterlicher Aufgaben in lesbischen Partnerschaften. The division of parental tasks in lesbian relationships. (Andrea Dürnberger). Dieser Aufsatz ist auf Deutsch verfasst und mit englischsprachigem Abstract versehen. Die Verfasserin reflektiert die Arbeitsteilung sowie die Verteilung kindbezogener Tätigkeiten in lesbischen Paarbeziehungen mit Kindern. Dabei wird untersucht, ob verschiedene Theorien innerfamiliäre Arbeitsteilung eben auch auf Regenbogenfamilien anwendbar sind. So werden
- die Theorie zur Familienökonomie,
- die ökonomische Verhandlungstheorie,
- die Theorie des sozialen Tausches sowie
- der Identitätsformationsansatz
hinsichtlich etwaiger Gültigkeit für gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern geprüft. Für diese Analyse wurden aus dem Projekt „Lebenssituation von Kindern in gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften“ (n=636) die individuellen Begründungen der in homosexuellen Familien vorhandenen Arbeitsteilungen extrahiert.
S. 167-184: Gleich und/oder doch verschieden? Narrative Paaridentität als Fokus einer vergleichenden Studie zu homo- und heterosexuellen Paarbeziehungen. Equal, or different at last? Narrative identity in the couple as focal point of a comparative study on homosexual and heterosexual relationships. (Maja S. Maier). Der Fachbeitrag ist, eingangs mit bilingualem Abstract versehen, ausschließlich auf Deutsch verfasst. Die Autorin beschäftigt sich mit den Potentialen und Problemen einer vergleichenden Forschung homo- und heterosexueller Beziehungen und stellt dabei das subjektive Selbstverständnis der Paare in den Mittelpunkt. Die durch die Analyse qualitativer Interviews herausgearbeiteter rekonstruktiver Merkmale des Paarseins anhand von Beziehungserzählungen bildet die Basis für die Bildung einer Typologie fünf unterschiedlicher idealtypischer Konstruktionen von Paaridentität. So wird das Paarsein in
- biographische Selbstverständlichkeit (ausschl. heterosexuelle Paare)
- Vertrauensbeziehung (hetero- und homosexuelle Paare)
- pragmatische Festlegung (hetero- und homosexuelle Paare)
- interaktive Exklusivitätserzeugung (hetero- und homosexuelle Paare)
- Ambivalenz (hetero- und homosexuelle Paare)
kategorisiert. Darüber hinaus wird reflektiert, inwieweit institutionelle, rechtliche und familiäre (Nicht-)Anerkennung und der Vergleich homo- und heterosexuellen Paarbeziehungen die Selbstdefinition der Paare tangiert.
S. 185-204: Der Institutionalisierungsprozess gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften. The process of institutionalization of same-sex unions. (Rüdiger Lautmann). Dieser Aufsatz ist, neben deutsch- und englischsprachiger Zusammenfassung, ausschließlich auf Deutsch verfasst. Der Autor bildet Retroperspektiven ab, die den Weg zur Institutionalisierung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften innerhalb Europas beschreiben. Dabei werden die damals als unwahrscheinlich erachteten Entwicklungen, aber auch die heutigen Widerstände und bisherigen Fortschritte hinsichtlich rechtlicher Gleichstellung und gesellschaftlicher Anerkennung sozialtheoretisch erklärt. Hierzu analysiert Lautmann religiös begründete Widerstände, das allmähliche Anerkennen gesellschaftlicher Realität durch die Familiengesetzgebung und den damit verbundenen gegenwärtigen Institutionalisierungsprozess. Auch die Ablösung vom eng gefassten (auf Zweigenerationalität begründeten) Familienbegriff in der aktuellen Familiensoziologie thematisiert er.
S. 205-219: Attitudes towards adoptive parents, child age and child gender: The role of applicants sexual orientation. Einstellungen zu Adoptiveltern, Alter und Geschlecht des Kindes: Die Rolle der sexuellen Orientierung der Antragstellenden. (Melanie Caroline Steffens & Kai J. Jonas). Dieser Fachbeitrag ist ausschließlich englischsprachig, eine Zusammenfassung ist eingangs sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch abgedruckt. Die beiden AutorInnen befassen sich mit der etwaigen Kausalität von sexueller Orientierung Adoptionswilliger und den beobachtbaren Adoptionsentscheidungen. Dazu wurde anhand eines Experiments (n=175) empirisch untersucht, unter welchen Bedingungen Paare, die schriftlich eine Adoption beantragen, als geeignete Adoptiveltern eingeschätzt werden. Die AutorInnen stellten die Hypothese auf, dass Adoptionsentscheidungen aufgrund individueller und nicht auf gruppenbasierter Eignungsprüfung getroffen werden. Die Ergebnisse dieser nicht-repräsentativen Stichprobe werden in diesem Beitrag vorgestellt.
Diskussion
Die Herausgeberin Dr. rer. pol. Marina Rupp bietet mit dieser Publikation einen Einblick in die aktuellen wissenschaftlichen Untersuchungen zum Thema „Partnerschaft und Elternschaft bei gleichgeschlechtlichen Paaren“. Dabei hat sie neben der Darstellung von Teilaspekten aus ihrer eigenen repräsentativen Studie zur Lebenssituation von Regenbogenfamilien in Deutschland Fachbeiträge aus verschiedenen europäischen Ländern versammelt. Das Spektrum der hier zusammengetragenen Aufsätze umfasst unterschiedlichste Aspekte rund um den Themenkreis „Gleichgeschlechtliche Lebensweisen und Elternschaft“.
Durch die grobe Gliederung (s. Aufbau) lässt sich die Bandbreite der in diesem Sammelband zusammengetragenen Texte in Fachbeiträge einteilen, die einen Überblick geben über:
-
die generelle Öffnung westlicher Gesellschaften hin zur Familienvielfalt, die auch Regenbogenfamilien einschließt und den noch bestehenden Informationsbedarf über diese mehr und mehr sichtbar werdende Familienform und die Verbreitung selbiger ;
-
die rechtlichen Fortschritte und die demographischen Entwicklungen sowie über den aktuellen Stand der rechtlichen Situation innerhalb Europas insgesamt bzw. einzelner europäischer Länder und den Bedingungen, die sich hieraus für die Betroffenen ergeben und die den Institutionalisierungsprozess insgesamt beschreiben;
-
Paaridentität in homosexuellen Beziehungen sowie über die vielfältigen Konzepte von Elternschaft in gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften und den damit verbundenen Gestaltungsaufgaben, Fragestellungen und Problematiken, die sich im Alltag aufgrund der sexuellen Orientierung der Eltern ergeben (können).
Insgesamt ergibt sich hieraus ein breit gefächerter Einblick in die Lebensweise von gleichgeschlechtlich orientierten Paarbeziehungen und Regenbogenfamilien. Dabei wurde ein Schwerpunkt auf die Darstellung der zurzeit vorhandenen juristischen Rahmenbedingungen und den daraus resultierenden Problematiken für Regenbogenfamilien gelegt. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Darstellung europäischer Wege hin zur Legalisierung und Institutionalisierung dieser Familienform.
Fazit
Diese Publikation als Sonderheft der Zeitschrift für Familienforschung ist meines Wissens die erste große deutschsprachige Publikation zu Aspekten gleichgeschlechtlicher Lebensweisen und Familienformen. Es wird ein spannender Einblick in die neueren Forschungsbemühungen gegeben. Durch das Zusammentragen dieser aktuellen Forschungsarbeiten lässt sich erhoffen, dass neue Impulse für weitere Forschungstätigkeiten rund ums Thema „gleichgeschlechtliche Paare und Elternschaft“ initiiert werden. Die von der Herausgeberin konsequent umgesetzte Vorgehensweise, jedem Beitrag eine bilinguale Zusammenfassung auf Deutsch und Englisch vorauszuschicken, unterstreicht den internationalen Charakter dieser Veröffentlichung. Ein kleiner Hinweis: Aus dem Titel des Buches lässt sich m.E. die internationale Sammlung nicht vermuten. Nimmt die Leserschaft sich jedoch das Inhaltsverzeichnis und die AutorInnenliste nebst Kurzvorstellung der VerfasserInnen vor, so wird klar, dass ein Querschnitt europäischer Forschung in diesem Sammelband vereint wurde. Darüber hinaus sind die kurzen Abstracts eingangs jeden Fachbeitrags sehr leserfreundlich, da der/die Leser/-in so, unabhängig davon, ob der Artikel selbst auf Deutsch oder Englisch verfasst wurde, hierdurch schnell einen Überblick über den Gegenstand der Studie bzw. das Thema des Aufsatzes erhält.
Besonders erwähnenswert erscheint mir der Beitrag von Rupp & Bergold (S.119-146). Die Autorinnen lassen durch einige kurze Textpassagen aus den Interviews Paare „zu Wort kommen“. Dadurch wird m.E. ein hoher Lebensrealitätsbezug beim Leser bzw. der Leserin erzeugt. Auch Lautmanns (S.185-204) „verwegene“ oder gar „abwegige“ „futuristische Spekulation“ kann ich als Leserin inhaltlich als auch aufgrund seines Schreibstils sehr viel abgewinnen!
Dieses Buch ist eine insgesamt sehr gut lesbare und lesenswerte Zusammenführung aktueller Forschungsergebnisse. Das „multiperspektivische“ Gesamtbild dieser Publikation wird einerseits durch die Themenvielfalt und die sehr unterschiedlichen Fragestellungen der einzelnen Fachbeiträge unterstrichen. Darüber hinaus ergibt sich durch die Darstellung der Entwicklung der rechtlichen Situation innerhalb Europas und den Bedingungen, die sich hieraus für Regenbogenfamilien ergeben ein „Blick über den Tellerrand“ Deutschlands hinaus. Bestenfalls kann hieraus Vorbildhaftes für Regenbogenfamilien in Deutschland gesellschaftlich integriert und etabliert, zumindest jedoch weitergedacht und diskutiert werden.
Alle Einzelbeiträge machen aus dem Buch ein Werk, welches sich durch ein bemerkenswert breit angelegtes inhaltliches Repertoire auszeichnet. Es ermöglicht dem/der Leser/-in einen heterogenen Einblick in die Alltagsgestaltung von gleichgeschlechtlichen Paaren und ihren Kindern und gibt Informationen zur aktuellen Rechtslage, der demographischen Entwicklung und dem Institutionalisierungsprozess.
Rezension von
Dipl. Sozialpädagogin Christina K. Göttgens
Promoviert zurzeit zum Thema „Evaluation von präventiven Hilfen für Kinder psychisch kranker Eltern: Grundpositionen, Diskurse und Konzepte. Eine sozialpädagogische Analyse.“ Diese Dissertation wird an der Fakultät für Bildungswissenschaften der Universität Duisburg-Essen bearbeitet und betreut.
Website
Es gibt 13 Rezensionen von Christina K. Göttgens.
Zitiervorschlag
Christina K. Göttgens. Rezension vom 11.07.2011 zu:
Marina Rupp (Hrsg.): Partnerschaft und Elternschaft bei gleichgeschlechtlichen Paaren. Verbreitung, Institutionalisierung und Alltagsgestaltung. Verlag Barbara Budrich GmbH
(Opladen, Berlin, Toronto) 2011.
ISBN 978-3-86649-379-7.
Reihe: Zeitschrift für Familienforschung - 7.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/10898.php, Datum des Zugriffs 09.10.2024.
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