Erich Grond: Pflege Demenzkranker
Rezensiert von Dr. phil. Dipl.-Psychol. Sven Lind, 30.09.2003

Erich Grond: Pflege Demenzkranker. Brigitte Kunz Verlag (Hagen) 2003. 2. Auflage. 206 Seiten. ISBN 978-3-87706-892-2. 16,00 EUR.
Seit Erstellung der Rezension ist eine neuere Auflage mit der ISBN 978-3-89993-466-3 erschienen, auf die sich unsere Bestellmöglichkeiten beziehen.
Zur Thematik und Vorgeschichte des Buches
Die Demenzpflege wird immer stärker eine zentrale Thematik der Altenhilfe, wie nicht nur die zahlreichen Publikationen demonstrieren. Zusätzlich sind in letzter Zeit Bemühungen zu registrieren, auch konkrete Pflegestandards und Instrumente zur Erfassung und Bewertung demenzspezifischer Verhaltensweisen zu entwickeln. Auch die Diskussion über alternative Wohn- und Betreuungskonzepte wie Demenzwohngemeinschaften u. ä. verdeutlicht den Trend, dass gegenwärtig viele Modelle, Ansätze und Strategien geradezu mit einer dynamischen Wucht in die Altenhilfe eingedrungen sind und sich zu etablieren versuchen.
Das vorliegende Buch spiegelt diese Entwicklung recht deutlich wieder.
Der Autor ist emeritierter Professor für Sozialmedizin und Psychopathologie der Katholischen Fachhochschule Köln und gegenwärtig als Internist und Psychotherapeut in Hagen tätig.
Inhalt
Die 26 Kapitel des Buches sind in vier Abschnitten unterteilt.
Abschnitt I Informationen als Grundlagen der Pflege enthält in zehn Kapiteln die Darstellung folgender Themen: u. a. Definition der Demenz, Prävalenz, Risikofaktoren, Diagnoseformen, Differentialdiagnosen unterschiedlicher Demenzarten und nichtmedikamentöse Therapieformen wie z. B. Verhaltenstherapie, Realitäts-Orientierungs-Training (ROT) und Ergotherapie.
In Abschnitt II Pflege-Qualitätssicherung werden in drei Kapiteln die gängigen Vorgehensweisen Struktur-Optimierung, Prozessoptimierung und Ergebnisqualität erläutert.
Im Kapitel Prozessoptimierung werden u. a. auch Vorgehensweisen wie Validation, basale Stimulation und die so genannte 3-Z-Pflege (Zuwendung, Zeit und Zärtlichkeit) beschrieben.
Abschnitt III Wie können Personen mit Demenz ganzheitlich gepflegt werden? enthält in vier Kapiteln die Aspekte Pflege durch Angehörige, ganzheitliche Pflege in Anlehnung an das AEDL-Pflegemodell von Krowinkel, die Pflege in den unterschiedlichen Stadien der Erkrankung und die Selbstpflege der Pflegenden einschließlich Hilfen gegen das Burn-out.
Abschnitt IV Rechtliche Probleme beschreibt in knapper Form in zehn Kapiteln die folgenden Gegenstandsbereiche: Vollmacht und Betreuung, zivilrechtliche Aspekte, Haftungsrecht, Aufsichtspflicht, Fixierung und Unterbringung, Einwilligungsfähigkeit, strafrechtliche Aspekte, finanzielle Ansprüche und den Schwerbehinderten-Ausweis.
Kritische Würdigung
Das vorliegende Buch berstet fast vor lauter Daten, Fakten, Erhebungsinstrumenten etc.. Erläuterungen werden oft nur in knappen Stichpunkten wie im Stakkato angeführt. Ein Vertiefen, in Beziehung setzen und Nachvollziehen einzelner Sachverhalte kann angesichts der Fülle an Inhalten nach Einschätzung des Rezensenten hierbei nicht gelingen.
Das entscheidende Manko des Buches besteht jedoch in der unreflektierten Rezeption der diversen spekulativen Demenzansätze wie Validation, Mäeutik, Kitwood'scher Ansatz (Dementia Care Mapping u. a.).
In diesem Zusammenhang hat der Rezensent den Eindruck, dass der Autor die Krankheit in ihrer Tragweite für den Erkrankten und den damit verbundenen Leiden nicht verstanden hat, wie folgende Ausführungen belegen: "Wer seine Vergesslichkeit nicht mehr leugnen kann, zieht sich in die Verwirrtheit zurück." (Seite 22) Und: "Demenz wird nicht nur als Defekt, sondern als Kompensations- und Selbstheilungsversuch verstanden und Rückzug in die Vergangenheit als Regression." (Seite 55).
Wer Demenz als bloße Bewältigungsstrategie verharmlost und sie so wie im Sinne von Kitwood und Feil regelrecht entpathologisiert, weiß nicht um die Angst, Verzweifelung und Hilflosigkeit der Betroffenen, einem Organ (dem Gehirn) ausgesetzt zu sein, das oft völlig dysfunktional agiert (Wahn, Halluzination, Fehlwahrnehmung u. a.).
Auch versteht der Autor nicht die Hauptsymptomatik der Alzheimer-Demenz, die gravierende Kurzzeitgedächtnisstörung, wenn er hinsichtlich der Ablenkungs- und Beruhigungsstrategien des "Mitmachens" und "Mitspielens" folgende Feststellung trifft: "Pflegende verstärken die Halluzinationen der dementen Person, wenn sie die Schlange beseitigen wollen, statt auf ihre Angst einzugehen." (Seite 78).
Fazit
Der Autor erhebt den Anspruch, durch sein Buch die "Pflege von Personen mit Demenz zu verbessern, zu professionalisieren ..." und "zur Reflexion an(zu)regen". Diesem Ansinnen ist er jedoch nicht gerecht geworden. Hier werden überwiegend nur demenzferne Einschätzungen und Inhalte präsentiert, die weder mit der Wissenschaft (Psychogeriatrie, Neurophysiologie u. a.) noch der Praxis in den Heimen in Einklang zu bringen sind.
Rezension von
Dr. phil. Dipl.-Psychol. Sven Lind
Gerontologische Beratung Haan
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Zitiervorschlag
Sven Lind. Rezension vom 30.09.2003 zu:
Erich Grond: Pflege Demenzkranker. Brigitte Kunz Verlag
(Hagen) 2003. 2. Auflage.
ISBN 978-3-87706-892-2.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/1093.php, Datum des Zugriffs 24.09.2023.
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