Alban Knecht (Hrsg.): Gesichter der Armut
Rezensiert von Dipl. Politologe Christian Schröder, 03.02.2011

Alban Knecht (Hrsg.): Gesichter der Armut. Vierzehn Miniaturen.
AG SPAK Bücher
(Neu Ulm) 2010.
127 Seiten.
ISBN 978-3-940865-12-0.
16,00 EUR.
CH: 22,00 sFr.
Reihe: Münchener Hochschulschriften für angewandte Sozialwissenschaften.
Herausgeber, Autorinnen und Autoren
Alban Knecht ist Lehrbeauftragter an der Fakultät für Sozialwissenschaften an der Hochschule München für angewandte Wissenschaften. Das Buch ist im Rahmen eines Schreibprojekts im dortigen Studiengang Sozialwesen entstanden. Bei den AutorInnen handelt es sich um Studierende kurz vor ihrem Abschluss.
Thema
München ist zwar eine reiche Stadt in einer wirtschaftlich prosperierenden Region, doch auch in Bayern gibt es zahlreiche Menschen, die von Arbeitslosigkeit und Armut betroffen sind. Die Lebenshaltungskosten, insbesondere für Miete, sind in der Stadt hoch. Die Studierenden haben sich daher im Rahmen des Seminars auf den Weg gemacht, Menschen mit Armutserfahrungen zu interviewen und ihre Geschichten zu Papier zu bringen. Viele Studierende mussten feststellen, dass Armut auch für sie ein „unbekanntes Terrain“ (11) darstellt. Armutserfahrungen hatte niemand von ihnen, und nur die wenigsten hatten überhaupt Kontakt zu Menschen, die in Armut leben.
14 Miniaturen
Entstanden sind aus dem Schreibprojekt 14 Geschichten („Miniaturen“), die vom Lebensalltag von Armutsbetroffenen und ihren Nöten erzählen. Die Facetten der Armutserfahrungen reichen von Menschen, die auf der Straße und in extremer Armut leben, bis hin zu relativen Armutserfahrungen von Studierenden, die in Studium und Ausbildung für eine gewisse Zeit mit wenig Geld auskommen müssen.
Die Miniaturen zeichnen die individuellen Wege in Armut nach. Sie zeugen von persönlichen Problemen und Schicksalsschlägen, die Menschen aus der Bahn geworfen haben. Sie zeigen, wie schnell sich durch einen Auslöser Abwärtsspiralen entwickeln und Menschen in Teufelskreise geraten können: Wer keine Arbeit hat, hat kaum Chancen auf einen Mietvertrag; wer keine Wohnung hat, findet schwerlich einen neuen Job. Diese Erfahrung machte auch der Mittzwanziger Gregor S. Erst verlor er seinen Arbeitsplatz als Goldschmied, dann zog er sich frustriert zurück und kiffte viel. Daraufhin zog seine Freundin aus, und auch er musste mehrfach Wohnungen aufgeben, weil die Miete zu hoch war. Der 52-jährige Herr K. war einmal stellvertretender Geschäftsführer eines kleinen Elektrounternehmens. Zunächst war „nur“ seine Ehe zerstört und er verlies die gemeinsame Wohnung. Dann musste seine finanziell strauchelnde Firma Konkurs anmelden. Herr K. hatte keine Arbeit mehr, dafür aber Schulden. Jetzt lebt er seit sieben Jahren auf der Straße.
In vielen Geschichten spielen zerrüttete Beziehungen, Arbeitslosigkeit, Schulden, Wohnungslosigkeit und Suchtprobleme eine Rolle – und die zahlreichen Nöte, die sich daraus im Alltag ergeben. Die einzelnen Geschichten zeigen aber auch die strukturelle Benachteiligung von Menschen in unserer Gesellschaft auf: ungleiche Ausgangs- und erschwerte Zugangsbedingungen oder die Hürden, die für Menschen in bestimmten Situation aufgebaut werden und ihnen das Leben erschweren. So wurde etwa Lew V. nach der Teilnahme an einer Menschenrechtsdemonstration in Russland 1990 ausgebürgert und aufgefordert, das Land zu verlassen. Seitdem sind er und seines Ehefrau „staatenlos“. Alle europäischen Länder, in denen sie seither waren, lehnten ihre Asylanträge ab. 18 Jahre haben sie bereits in bayerischen Flüchtlingslagern verbracht.
Fazit
Die Studierenden habe ein interessantes, kurzweiliges Buch geschrieben. Man spürt, wie sich auf die Suche gemacht haben – und an verschiedenen Orten fündig geworden sind. Sie haben unterschiedliche Wege und Orte gewählt, um mit Menschen in Armut in Kontakt zu treten: über Sozialprojekte oder die direkte Ansprache. Diese Zugangswege spiegeln sich in den einzelnen Geschichten wider.
Den Studierenden gelingt es, durch die Unmittelbarkeit ihrer Erzählungen ein glaubhaftes Bild zu zeichnen, ohne zu skandalisieren oder Klischees wiederzugeben. Sie zeichnen ein emphatisches und mitfühlendes Bild von der Lebenssituation der Menschen in Armut, ohne auf deren Schwächen herumzureiten. Die zahlreichen Diskussionen, die die AutorInnen im Seminar über Armut, deren gesellschaftliche Umstände und ihre Darstellung geführt haben, sind den Texten anzumerken. Das Buch ist ein rundherum gelungenes Ergebnis eines Uni-Seminars.
Rezension von
Dipl. Politologe Christian Schröder
Evangelische Sozialberatung Bottrop (ESB)
Website
Es gibt 17 Rezensionen von Christian Schröder.