Jochen Fahrenberg: Annahmen über den Menschen
Rezensiert von Prof. Dr. Anton Schlittmaier, 20.04.2011
Jochen Fahrenberg: Annahmen über den Menschen. Menschenbilder aus psychologischer, biologischer, religiöser und interkultureller Sicht ; Texte und Kommentare zur Psychologischen Anthropologie. Asanger Verlag (Kröning) 2011. 3. Auflage. 414 Seiten. ISBN 978-3-89334-416-1. 34,50 EUR.
Thema
Das Buch von Fahrenberg behandelt die Anthropologie in großer Breite. Eine Einengung auf die Philosophie oder eine wissenschaftliche Disziplin wird vermieden. Der Titel „Annahmen über den Menschen. Menschenbilder aus psychologischer, biologischer, religiöser und interkultureller Sicht“ unterstreicht diesen Zugang eines gleichberechtigten Nebeneinader der Philosophie und der wissenschaftlichen Disziplinen.
Autor
Der Autor Jochen Fahrenberg ist em. Professor für Psychologie am Psychologischen Institut der Universität Freiburg. Fahrenberg ist durch zahlreiche Veröffentlichungen zu psychologischen Spezialthemen ausgewiesen.
Entstehungshintergrund
Das Buch soll eine Lücke schließen. Traditionell werden unter dem Thema der Anthropologie vorwiegend philosophische Menschenbilder behandelt. Im deutschen Sprachraum sind in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts besonders Max Scheler, Helmuth Plessner und Arnold Gehlen durch die Begründung einer Philosophischen Anthropologie hervorgetreten. Dabei ging es um die Reflexion grundlegender Fragen in Bezug auf den Menschen insbesondre im Kontext der zeitgenössischen Biologie.
Fahrenbergs Buch überschreitet diese Einengung, indem es ein breites Spektrum an Menschenbildern aus zahlreichen Disziplinen aufgreift, darstellt und diskutiert.
Aufbau
Einleitend werden Grundbegriffe wie Selbstbild, Menschenbild und Weltanschauung dargelegt. Es folgt eine erste Annäherung an das Thema Menschenbilder durch die Darstellung der Anthropologie einiger bedeutender Psychotherapeuten.
Im 3. Kapitel legt Fahrenberg religiöse Menschenbilder dar (Christentum, Buddhismus, Chinesische Religion).
Es folgt im 4. Kapitel eine Darlegung unterschiedlicher Perspektiven wie Menschenbild in der Genetik, der Neurobiologie, der Computerwissenschaft, der Gesellschaftspolitik, Interkultur und Aspekte einer Weltbürgerschaft.
Das 5. Kapitel greift insbesondere die Themen Leib-Seele und freier Wille auf.
Im 6. Kapitel werden die Psychologische Anthropologie und die Philosophische Anthropologie dargelegt.
Das 7. Und 8. Kapitel erörtern psychologische Fragen zu Menschenbildern wie Determinanten von Menschenbildern oder Menschenbilder in persönlichkeitspsychologischen Theorien.
Inhalte
Fahrenberg lässt die Vertreter der einzelnen Richtungen häufig selbst in Form von Zitaten zu Wort kommen. Das Buch bildet somit in gewisser Weise eine Textsammlung, die jeweils durch Reflexionen zu einzelnen Kernthemen ergänzt wird. Dabei werden Stärken und Schwächen verschiedener Menschenbilder diskutiert.
Bilder der Autoren wie die Angabe von Lebensläufen erleichtern dem Leser die biographische Einordnung einzelner Persönlichkeiten, die Fahrenberg behandelt.
Fragen, die in den einzelnen Kapiteln aufgeworfen werden, können zum Weiterdenken anregen oder helfen, Seminare zu gestalten.
Als Psychologe stellt der Autor Menschenbilder von Psychotherapeuten und Psychologen in das Zentrum der Betrachtung. Im Fokus steht die Explikation anthropologischer Hintergrundannahmen einzelner Auffassungen.
Implizite psychologische und psychotherapeutische Menschenbilder werden ergänzt durch religiöse Menschenbilder sowie Menschenbilder, die eng an den Naturwissenschaften orientiert sind.
Quer zu diesen Themen stehen Diskussionen der impliziten Menschenbilder der Philosophie des Geistes (Leib-Seele, freier Wille).
Eine weitere Ergänzung bilden psychologische Reflexionen zu Menschenbildern, die das Menschenbild als abhängig von biographischen und sozialen Faktoren aufweisen.
In einem Kapitel „Rückblick und Ausblick“ werden zentrale Ergebnisse zusammengefasst. Eine Synopsis wird angesichts der Pluralität vom Autor nicht angestrebt (vgl. 330).
Diskussion
Das Buch zeichnet sich durch Pluralität aus. Eine Vielzahl von Menschenbildern wird nebeneinandergestellt und gibt dem Leser einen Einblick in die Vielfalt der Problematik. Dabei ist die Psychologie und Psychotherapie bei der Auswahl der besprochenen Ansätze leitend. Sie bilden allerdings nicht der Fokus der Auswahl und Analysen. Gleichberechtigt werden religiöse und naturwissenschaftliche Menschenbilder behandelt. Die Philosophie erscheint nur am Rande und erfährt durch den Autor keine positive Bewertung. Vorrangig werden Mängel philosophischer Ansätze der Anthropologie dargelegt. Dabei diskutiert der Autor nicht den genuinen Charakter eines philosophischen Zugangs, der insbesondere die 1. Person-Perspektive des Menschenbildes – also des Umstandes, dass jeweils ich es bin, der ein Bild von sich hat und dass das Sein des Menschen sich wesentlich über diese Reflexion konstituiert - berücksichtigt. Der Anspruch der Philosophie in Bezug auf den Menschen die umfassendste Reflexion darzustellen, wird nicht ernsthaft angenommen und kann dadurch auch nicht kritisch hinterfragt werden.
Die Frage der Auswahl der Autoren und Themen zu denen die Menschenbilder in Fahrenbergs Buch behandelt werden, erscheint insgesamt willkürlich, allenfalls motiviert durch die disziplinäre Zugehörigkeit des Autors zur Psychologie. Aber auch hier bleibt die Auswahl unbegründet. So vermisst man Darlegungen z.B. zur Gestalttherapie (Perls), zur kognitiven Therapie (Beck und Ellis), zum Neurolinguistischen Programmieren und insbesondere zur systemischen Therapie. Auch alle Weiterentwicklungen der Psychoanalyse (Ich-Psychologie, Melanie Klein, Heinz Kohut oder Kernberg) bleiben außen vor.
Ebenso finden die Pädagogik (Pädagogische Anthropologie) oder die Soziologie und deren Menschenbilder (Weber, Durkheim, Parsons, Luhmann, Beck, Giddens usw.) keine Erwähnung.
Auch bei Religionen vermisst man z.B. Stammesreligionen, Schamanismus – der heutzutage gerade im Kontext der Familienaufstellung nach Hellinger große Bedeutung hat -, aber dann auch Phänomene wie Okkultismus, Esoterik, New-Age usw.
Insgesamt ist Fahrenbergs Ansatz ambitioniert. Er sammelt zahlreiche Menschenbilder (Pluralismus), was fehlt sind Kriterien der Selektion bzw. vorgelagerte Fragestellungen. In der vorliegenden Form wirkt die Zusammenstellung beliebig. Obwohl viele Ansätze behandelt werden, bleibt auch vieles außen vor, ohne das hierfür Gründe genannt werden.
Da Vollständigkeit in der Anthropologie nicht erreichbar ist, sind Auswahlkriterien unerlässlich. Ansonsten verbleibt es bei einer eher beliebigen Sammlung, die durchaus ihren Wert hat, einen philosophisch ambitionierten Anspruch jedoch unbefriedigt lässt.
Fazit
Ein insgesamt durchaus guter Überblick über einzelne Ansätze, die in einer eher lexikalischen Reihung aufeinander folgen, ohne dass Vollständigkeit erreicht wird. Das Buch ist für den Unterricht und das Seminar geeignet, wenn man Material für Überblicke zur Thematik sucht. Übergreifende Analysen und Systematiken liegen nicht vor und sind vom Verfasser auch nicht intendiert.
Rezension von
Prof. Dr. Anton Schlittmaier
Professur für Philosophie und Grundlagen der Sozialen Arbeit an der Berufsakademie Sachsen
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Zitiervorschlag
Anton Schlittmaier. Rezension vom 20.04.2011 zu:
Jochen Fahrenberg: Annahmen über den Menschen. Menschenbilder aus psychologischer, biologischer, religiöser und interkultureller Sicht ; Texte und Kommentare zur Psychologischen Anthropologie. Asanger Verlag
(Kröning) 2011. 3. Auflage.
ISBN 978-3-89334-416-1.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/10966.php, Datum des Zugriffs 13.12.2024.
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