Friedrich Glasl: Selbsthilfe in Konflikten
Rezensiert von Prof. Dr. Peter Kaiser, 06.03.2012
Friedrich Glasl: Selbsthilfe in Konflikten. Konzepte - Übungen. Verlag Freies Geistesleben (Stuttgart) 2010. 5. überarbeitete und erweiterte Auflage. 214 Seiten. ISBN 978-3-7725-1590-3.
Thema und Entstehungshintergrund
Konflikte stellen den Normalfall im Leben dar, weil Menschen verschieden sind und unterschiedliche Bedürfnisse, Ziele und Interessen haben. Da der Umgang mit Konflikten viele Menschen überfordert, weil sie entsprechende Kompetenzen nicht vermittelt bekommen haben, sind der Bedarf für Rat und Unterstützung und zugleich der Markt für Ratgeberliteratur groß. Dass Glasls Ratgeber viele Leser anspricht, ist unschwer daran zu erkennen, dass das Buch bereits in der 5. Auflage erscheint. Die 1. Auflage ist bereits 1998 erschienen. Der Autor, Politologe, Organisationswissenschaftler und Unternehmensberater, ist bereits 1980 mit seinem Band "Konfliktmanagement – ein Handbuch für Führungskräfte, Beraterinnen und Berater" bekannt geworden und hat sich seither als Konfliktberater und Autor einen Namen gemacht. Auch der vorliegende Band ist aus der Beratungserfahrung des Autors entstanden, der den Band als "eine Art "Hausapotheke für Konflikte" (9) versteht.
Aufbau und Inhalt
Der vorliegende Band gliedert sich in neun Kapitel:
Im 1. Kapitel "Hilfe – Konflikte!" Geht es um das Verständnis des Autors von Konflikten, das er an zahlreichen Beispielen und mithilfe von Übersichten charakterisiert. Leider erfährt der Leser über die neueren Ansätze und Befunde der Konfliktforschung wenig (s. z.B. Regnet, 2007; Simon, 2011). Die Aussagen des Autors beruhen weitgehend auf pragmatisch aufbereitetem Erfahrungswissen, dessen Evidenzbasierung zweifelhaft bleibt. Diese Einschränkung wird jedoch nicht thematisiert.
Im 2. Kapitel "Meine Person als Quelle sozialer Konflikte" entfaltet der Autor seine anthroposophisch inspirierte Psychologie der Person, in der u.a. von „Lichtpersönlichkeit" und "Engelwesen" die Rede ist. Ansätze und Befunde der internationalen psychologischen Forschung zur Thematik werden dem Leser weitestgehend vorenthalten (s. z.B. Dreu & van Knippenberg, 2005; Asendorpf, 2007; Regnet, 2007).
Gleichwohl gibt der Autor eine Reihe von Anleitungen zur praktischen Selbsterfahrung, die durchaus einleuchtend und nützlich sind. Diese werden im 3. Kapitel "Wie kann ich in Konflikten an mir selbst arbeiten?" weiter vertieft.
Im 5. Kapitel "Wie es in Konflikten bergab gehen kann" erläutert der Autor die von ihm postulierten bereits aus früheren Werken bekannten neun Eskalationsstufen von Konflikten. Auf das empirisch fundierte Kaskadenmodell der Konflikteskalation von Gottman geht er nicht ein (Gottman & Silver, 2002). Auch hier schildert er viele Fallbeispiele und schlägt zahlreiche Übungen vor.
Im 6. und 7. Kapitel geht es darum, was individuell zu tun sei, wenn einem Konflikte auffallen bzw. die einzelnen Eskalationsstufen bewusst werden.
Im 8. Kapitel behandelt der Autor Möglichkeiten professioneller Unterstützung von der Nachbarschafts- und Kollegen-Hilfe bis zur professionellen Mediation. Hier gibt er eine Fülle von nützlichen Hinweisen für Auswahl und Nutzung von professionellen Helfern.
Diskussion
Glasl spricht in seinem Ratgeber aus reichhaltiger jahrzehntelanger Erfahrung als Praktiker, der sich seine eigene – anthroposophisch orientierte – Psychologie pragmatisch zurecht legt. Dabei drehte er sich vielfach um sich selbst und setzt sich zu wenig mit den vielfältigen Befunden der psychologischen Forschung zu Grundlagen, Verständnis und Bewältigung von Konflikten in unterschiedlichen Lebensbereichen auseinander. Dies ist für einen Nichtpsychologen heute auch kaum noch zu leisten. Die vielen Fallbeispiele sind für sich genommen durchaus einleuchtend, die damit verknüpften Charakterisierungen und Kategorien z.T. schwer nachvollziehbar. Bei den vorgeschlagenen Übungen ist nicht immer klar, welchem Ziel sie dienen sollen und nach welchen Kriterien sie ausgewählt wurden. Sie sind zum größten Teil nicht wissenschaftlich fundiert, noch auf ihre Wirksamkeit überprüft. Auch für ihre Hausapotheke können Verbraucher heute Präparate erwarten, die auf Wirksamkeit, Effizienz und Nebenwirkungen geprüft sind. So scheinen mir Ratsuchende bei Autoren wie z.B. Regnet (2007) oder Berkel (2008), die sich um wissenschaftliche Fundierung und Evidenzbasierung bemühen, fundierter, gewissenhafter und übersichtlicher bedient zu werden.
Fazit
Trotz dieser Einwände können Berater, die sich in der wissenschaftlichen Literatur auskennen und das von Glasl Gebotene kritisch einzuschätzen wissen, von der Fülle praktischer Erfahrungen und Einsichten, Beispiele und Übungen durchaus profitieren.
Literatur
- Asendorpf, Jens (2007). Psychologie der Persönlichkeit, Heidelberg [u.a.]: Springer
- Berkel, Karl (2008). Konflikttraining. Konflikte verstehen, analysieren, bewältigen. Frankfurt Verlag Recht und Wirtschaft
- Dreu, Carsten K. W. de; van Knippenberg, Daan (2005): The possessive self as a barrier to conflict resolution: Effects of mere ownership, process accountability, and self-concept clarity on competitive cognitions and behavior. In: Journal of Personality and Social Psychology 89 (3), S. 345-357
- Konradt, Udo (2006): Organisationspsychologie II – Gruppe und Organisation. Enzyklopädie der Psychologie D/III/4. Göttingen: Hogrefe
- Regnet, Erika (2007). Konflikt und Kooperation. Konflikthandhabung in Führungs- und Teamsituationen. Göttingen: Hogrefe
- Simon, Fritz (2011). Einführung in die Systemtheorie des Konflikts. Heidelberg: Auer
Rezension von
Prof. Dr. Peter Kaiser
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Zitiervorschlag
Peter Kaiser. Rezension vom 06.03.2012 zu:
Friedrich Glasl: Selbsthilfe in Konflikten. Konzepte - Übungen. Verlag Freies Geistesleben
(Stuttgart) 2010. 5. überarbeitete und erweiterte Auflage.
ISBN 978-3-7725-1590-3.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/10972.php, Datum des Zugriffs 07.12.2024.
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