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Axel Rulf, Reinhard Zahn (Hrsg.): TAMphilo. Sternstunden aus 10 Jahren philosophischer Erwachsenenbildung

Rezensiert von Mag. Harald G. Kratochvila, 22.06.2011

Cover Axel Rulf, Reinhard Zahn (Hrsg.): TAMphilo. Sternstunden aus 10 Jahren philosophischer Erwachsenenbildung ISBN 978-3-86226-015-7

Axel Rulf, Reinhard Zahn (Hrsg.): TAMphilo. Sternstunden aus 10 Jahren philosophischer Erwachsenenbildung. Centaurus Verlag & Media KG (Freiburg) 2011. ISBN 978-3-86226-015-7. D: 18,00 EUR, A: 18,00 EUR, CH: 31,60 sFr.
Reihe: Philosophie - 36.

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Philosophische Erwachsenenbildung zum Nachlesen

In seinem neuen, lang erwarteten Buch über Moralität und Ethik bestimmt Derek Parfit den Menschen als ein Wesen, das Gründe kennt und ihnen auch folgen kann - „We are the animals that can both understand and respond to reasons. These abilities have given us great knowledge, and the power to control the future of life on Earth. … We can have reasons to believe something, to do something, to have some desire or aim, and to have many other attitudes and emotions, such as fear, regret and hope.” (Parfit 2011, 31)

Unser Leben wird von den Entscheidungen geprägt, die wir mehr oder minder auf Grundlage bestimmter Gründe getroffen haben – die Reichweite unseres Handelns ist daher auch die Reichweite unserer Gründe. Eine Annäherung an Philosophie kann darin bestehen, sie als die Wissenschaft von den Gründen zu bezeichnen, nach denen die Menschen ihr Leben ausrichten. Darin liegt ihre Attraktivität, die sie auch außerhalb der Fachkreise findet.

Ein Blick in die philosophische Fachliteratur zeigt aber, dass die Auseinandersetzung mit philosophischer Arbeit gewisse Hürden mit sich bringt. Philosophie als akademische Disziplin, Philosophie als Denktechnik, als Denkmethode ist immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt, dass damit keine lebenspraktischen Probleme lösbar wären. Dieser Hauch von Esoterik (womit bereits Platon gemeint hat, dass Philosophie nicht für alle geeignet wäre) macht Philosophie aber auch wieder interessant.

Populäre Darstellungen philosophischer Ideen und philosophischer Zugänge finden immer wieder ihren Platz in den Bestseller-Listen. Philosophie ist attraktiv, wenn es den Autoren gelingt, Abstraktionsniveau und Systematik handhabbar zu machen. Doch das ist nicht so einfach – zwar ist es eine reizvolle Vorstellung, dass alle Menschen Philosophen sein können, doch damit wird man weder den Menschen noch der Philosophie gerecht.

Klar – was Martha C. Nussbaum über Philosophie schreibt, liest sich spannend und vielversprechend: „Jedes Problem, über das sich Menschen den Kopf zerbrechen, ist ein philosophisches Problem. In einem gewissen Sinne umfaßt die Philosophie das Ganze des menschlichen Lebens. Die Philosophie beginnt, wie es bei Aristoteles heißt, mit dem Gefühl des Staunens. Daher kann die Philosophie überall dort zum Zuge kommen, wo wir uns fragen, warum wir existieren, warum wir sterben müssen, warum wir Bewußtsein haben und was Bewußtsein bedeutet oder warum es uns so schwerfällt, gute Menschen zu sein, beziehungsweise überall dort, wo wir uns irgendeine Frage stellen, die die Welt und unser Handeln in der Welt betrifft.“ (Nussbaum 2001, 145) – doch auf welche inhaltliche Aussage legt sich die Autorin damit fest? Das angesprochene Gefühl des Staunens mag auch am Beginn philosophischen Nachdenkens stehen, doch damit ist die Analogie ehrlicherweise bereits erschöpft – Philosophie ist eine Wissenschaft, eine Wissenschaft, die sich über ihren methodischer Zugang, ihr Vokabular und ihr Problemverständnis definiert und von anderen Wissenschaften abhebt (Martha Nussbaum hat diese Passage in einem populärphilosophischen Buch veröffentlicht!).

Wie auch immer – Philosophie kann auch für ein breites Publikum geeignet sein – wenn es den Autoren und Autorinnen gelingt, an lebensweltlichen Problemen anzuknüpfen und auf den Fachjargon soweit es geht zu verzichten. Philosophie entwickelt darüber hinaus im mündlichen Vortrag einen ganz besonderen Reiz, weil das „Ansprechen“ unmittelbar spürbar wird.

Entstehungshintergrund und Herausgeber

Axel Rulf ist Leiter der Volkshochschule Lörrach, in Baden-Württemberg und gestaltet dort seit vielen Jahren das Programm – das Programm selbst ist getragen von der Idee, dass es sich bei der Volkshochschule um eine „von der Stadt getragene überparteiliche und überkonfessionelle Weiterbildungseinrichtung“ handelt. „Der Besuch steht allen Erwachsenen und Jugendlichen offen, die ihr Allgemeinwissen mehren, ihre beruflichen Kenntnisse erweitern oder ihren musischen Interessen nachgehen wollen.“ (https://vhs.loerrach.de).

Reinhard Zahn ist an der Volkshochschule Weil am Rhein - ebenfalls in Baden-Württemberg – tätig. Diese Volkshochschule hat sich zum Ziel gesetzt, „Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln, die erforderlich sind, um sich unter den gegenwärtigen und für die Zukunft zu erwartenden Lebensbedingungen in allen Bereichen einer freiheitlich-rechtsstaatlich geordneten Gesellschaft zurechtfinden zu können. Dazu bietet die VHS Hilfen für das Lernen, für die Orientierung und Urteilsbildung und für Eigenaktivitäten.“ (aus der Satzung der VHS, www.vhs-weil-am-rhein.de)

In diesem Jahr feiert die TAM-philo Reihe ihr 10 jähriges Jubiläum – als Namensgeber fungiert dabei das Theater am Mühlenrain (www.tam-weil.de), das für viele der Vorträge aus dieser Zeit als Bühne gedient hat. (das Alte Rathaus in Lörrach ist der zweite Schauplatz der Vorträge gewesen).

Die einzelnen Beiträge und ihre Autoren

Christoph Horn hat den Lehrstuhl für Praktische Philosophie und Philosophie der Antike der Universität Bonn inne und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Fragen zur Antiken Philosophie und zur Antiken Ethik. In seinem Beitrag (S.11-24)beleuchtet er Platons Stellung in der antiken Moralphilosophie, vor allem als Gegenüberstellung zur Aristotelischen Konzeption der Tugendethik. Die Ideenlehre des Platons hat für seine Überlegungen zur gesellschaftlichen Struktur und der Ermöglichung einer gerechten Gesellschaft eine wesentliche Rolle gespielt – die von ihm postulierte Vorrangstellung der Ideen vor der Wirklichkeit führt dazu, dass die menschliche Einübung der Gerechtigkeit und die Tugend selbst, ein Ähnlichwerden mit Gott bedeuten (vgl. Rulf/Zahn 2011, 23). Gott steht für das Reich der Ideen – und die menschliche Lebensweise partizipiert an dieser Göttlichkeit in der lebensweltlichen Orientierung an diesen Ideen. Christoph Horn benennt in seinem Beitrag die relevanten Literaturstellen im Werk Platons, die diese Konzeption von Gerechtigkeit und dem guten Leben plausibel und nachvollziehbar machen.

Hans-Helmuth Gander ist Professor für Philosophie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und Direktor des Husserl-Archivs Freiburg. Seine jahrelange Beschäftigung mit Phänomenologie und Hermeneutik ist der fachliche der Hintergrund seines Vortrages zu Martin Heideggers Entwurf einer hermeneutischen Phänomenologie des Lebens (S.25-41). In seinem Beitrag versucht er nicht nur die Überlegungen aus Heideggers Frühwerk nachzuzeichnen, sondern darüber hinaus „Anschlussmöglichkeiten [zu] finden zu jenem gegenwärtig nicht nur in Deutschland geführten philosophischen Diskurs, der von dem wiedererstarkten philosophischen Interesse an anthropologischen Fragestellungen geleitet wird.“ (vgl. Rulf/Zahn 2011, 25).

Nicolas Füzesi befasst sich seit vielen Jahren ausführlich mit den philosophischen Arbeiten von G.W.F. Hegel und Friedrich Nietzsche. In seinem transkribierten Vortrag (S.43-49) geht er der Frage nach, welche Vorstellungen die Menschen mit dem Paradies verbinden und welche Bedeutung diese Gedankenbilder für die individuelle Lebensführung und Lebensgestaltung haben können.

Annemarie Pieper war bis 2001 ordentliche Professorin für Philosophie an der Universität Basel. Sie ist eine der prominentesten deutschsprachigen Philosophinnen und prägte mit ihren Veröffentlichungen die gegenwärtige Auseinandersetzung mit ethischen Fragen und der Interpretation der Moralphilosophie von Immanuel Kant. In ihrem Beitrag für TAMphilo setzt sie sich daher auch mit der Aktualität der Kantischen Thesen zu Erfahrung, Freiheit und Zweckmäßigkeit auseinander. (S.51-64).

Ludger Lütkehaus ist Professor für Literaturwissenschaften an der Universität Freiburg und widmet sich in seinen Arbeiten der neueren deutschen Literatur und der Philosophie und Psychologie des 18. – 20. Jahrhunderts. 2009 erhielt der den Friedrich-Nietzsche Preis des Landes Sachsen-Anhalt. In seinen letzten Publikationen setzte er sich vor allem mit der Philosophie Arthur Schopenhauers auseinander. Sein Beitrag für den nun vorliegenden Sammelband greift die Nihilismus-Konzeption von Friedrich Nietzsche auf und kontrastiert diese Position mit den Überlegungen von Arthur Schopenhauer. (S.65-81)

Peter Vollbrecht ist Philosophischer Praktiker und widmet sich in seiner Tätigkeit dem Thema Philosophie als Lebensreise. In seinem Beitrag für dieses Buch setzt er sich mit der dem Konzept des Willens bei Arthur Schopenhauer auseinander. (S. 83-97)

Klaus Scherzinger veranstaltet Philosophie-Touren, in denen er versucht, den Menschen das Denken bestimmter Philosophen durch die räumliche Beziehung zu bestimmten Orten, die im Leben dieser Philosophen eine wichtige Rolle gespielt haben, näher zu bringen. In seinem Beitrag (s. 99-118) ist es der Mystiker Meister Eckhart, dessen Denken er vorstellt.

Herbert Schnädelbach war Professor für Philosophie in Berlin an der Humboldt-Universität und Präsident der Allgemeinen Gesellschaft für Philosophie. Er

In seinem Beitrag greift er dieses Thema auf und widmet sich der Frage, welche Rolle Religion in der modernen Kultur spielen kann. (S.119-138) Für den Autor ist Religion eine Privatsache – damit ist aber nicht gemeint, dass es sich dabei um eine individualisierte Religion handle. Religion als Privatangelegenheit bezieht sich auf deren Stellung in der Gesellschaft und der politischen Ordnung dieser Gesellschaft. Herbert Schnädelbach zeigt auf, welche Stellung Religion seinem Verständnis nach in der modernen Kultur einnehmen kann.

Lore Hühn, Professorin für Philosophie an der Universität Freiburg, widmet sich in ihrem Beitrag der Bestimmung des Bösen in der bekannten Abhandlung „Über das Wesen der menschlichen Freiheit“ von Friedrich W. J. Schelling (S. 139-149). Das menschlich Böse und die menschliche Freiheit sind unzertrennbar miteinander verbunden, denn der moralische Raum, der durch die menschliche Freiheit aufgespannt wird, hat viele dunkle Ecken. Lore Hühn stellt in ihrem Aufsatz nicht nur die Hauptpunkte der Schelling‘schen Argumentation heraus, sondern zeichnet auch die philosophische Kritik nach, die diese Gedanken hervorgerufen haben – unter anderem auch die Kritik Martin Heideggers an Schelling.

Im nächsten Beitrag des Bandes setzt sich Markus Enders, Professor für Christliche Religionsphilosophie an der Universität Freiburg, mit einem religionsphilosophischen Problem auseinander, das weithin bekannt ist: der Theodizee: also der Rechtfertigung Gottes (S. 151-179). Die Darstellung orientiert sich an den Überlegungen von Immanuel Kant und Gottfried Wilhelm Leibniz. Markus Endres zeichnet anschaulich die beiden Positionen dieser Philosophen nach und stellt die Überlegungen zur Theodizee in einen aktuellen Zusammenhang mit der individuellen Lebensführung moderner Menschen. Umweltkatastrophen, menschliches Elend und kirchliche Verfehlungen (AIDS-Politik, Vertuschung von Kindesmissbrauch, usw.) sind brisante gesellschaftliche Reibungspunkte, die die Frage aufwerfen, was das für eine göttliche Weltordnung sein soll. Die Theodizee stellt den systematischen Versuch dar, auf solche Fragen (die in der Menschheitsgeschichte immer wieder aktuell geworden sind), eine plausible, und lebbare (lebenspraktische) Antwort bereit zu stellen – Markus Endres stellt sich in seinem Beitrag dieser schwierigen Aufgabe.

Fazit

Philosophische Erwachsenenbildung ist der Versuch Philosophie als wissenschaftliche Disziplin stärker an die menschliche Lebenswirklichkeit heranzuführen. Josef Früchtl hat einmal gesagt, dass man in der Philosophie lernen könne eine Sache klar zu durchdenken. (zitiert nach Parthe 2011, 7) Sein Leben klar zu durchdenken ist mehr, als bloße Reflexion auf Dinge und Widerfahrnisse im Leben jedes einzelnen von uns – Sein Leben klar zu durchdenken zielt darauf ab, sich darüber klar zu werden, welchen Gründen man in seinen Entscheidungen folgt, und wie es um die Normativität dieser Gründe bestellt ist (vgl. dazu die Überlegungen von Matthias Kettner: Kettner 2008). Schließlich gilt es eine Antwort auf die Frage zu finden – „Warum sollen wir überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?“ (vgl. dazu Gethmann 2008).

Die philosophischen Antworten und Konzepte, die sich auf diese Frage geben lassen, müssen sich auch im Leben der Menschen umsetzen lassen, müssen lebbar sein – eine Forderung, die sich schon bei Aristoteles findet, der seine philosophischen Überlegungen an der Lebenswirklichkeit eines jeden Individuums geprüft sehen wollte – („muss an der Wirklichkeit des Lebens überprüft werden“ - Aristoteles 2003, 1179a 4-26)

Nun, die vorliegende Sammlung philosophischer Vorträge sollte ebenfalls an dieser Vorstellung gemessen werden: Wie lebensnahe sind die Vorträge gestaltet? Da muss festgehalten werden, dass es nicht allen Autoren gelungen ist, Nicht-Philosophen für ihr Thema zu begeistern indem Bezüge zur Lebenspraxis der Menschen geschaffen wurden.

Dennoch: Das Buch ist eine gute Gelegenheit sich mit philosophischem Denken auseinander zu setzen, und eine gelungene Nachlese zu den Veranstaltungen der TAM-philo Reihe.

Literatur

  • Aristoteles (2003 [330 B.C.]). Nikomachische Ethik. Stuttgart (GER), Philipp Reclam jun.
  • Gethmann, C. F. (2008). Warum sollen wir überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts? Zum Problem einer lebensweltlichen Fundierung von Normativität. Naturalismus und Menschenbild. P. Janich. Hamburg (GER), Felix Meiner Verlag: 138-156
  • Kettner, M. (2008). Was macht Gründe zu guten Gründen? Naturalismus und Menschenbild. P. Janich. Hamburg (GER), Felix Meiner Verlag: 257-275
  • Nussbaum, M. C. (2001). Arbeit an der Kultur der Vernunft. Was ist ein >philosophisches< Problem? J. Schulte und U. J. Wenzel. Frankfurt/Main (GER), Fischer Taschenbuch Verlag: 145-147
  • Parfit, D. (2011). On What Matters - Volume One. Oxford (UK), Oxford University Press
  • Parthe, E.-M. (2011). Authentisch leben? Erfahrung und soziale Pathologien in der Gegenwart. Frankfurt/Main (GER) & New York, NY (USA), Campus Verlag

Rezension von
Mag. Harald G. Kratochvila
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Zitiervorschlag
Harald G. Kratochvila. Rezension vom 22.06.2011 zu: Axel Rulf, Reinhard Zahn (Hrsg.): TAMphilo. Sternstunden aus 10 Jahren philosophischer Erwachsenenbildung. Centaurus Verlag & Media KG (Freiburg) 2011. ISBN 978-3-86226-015-7. Reihe: Philosophie - 36. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/11011.php, Datum des Zugriffs 07.10.2024.


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