William J. Worden: Beratung und Therapie in Trauerfällen
Rezensiert von Dr. Mechthild Herberhold, 20.06.2011

William J. Worden: Beratung und Therapie in Trauerfällen. Ein Handbuch.
Verlag Hans Huber
(Bern, Göttingen, Toronto, Seattle) 2011.
4., überarbeitete und erweiterte Auflage.
291 Seiten.
ISBN 978-3-456-84885-3.
24,95 EUR.
Reihe: Klinische Praxis.
Thema und Entstehungshintergrund
Ein Verlust stellt die Trauernden vor verschiedene Aufgaben, die es zu bewältigen gilt. Dieser Ansatz des amerikanischen Trauerforschers William J. Worden bildet seit über 25 Jahren ein zentrales Modell in der Begleitung von Trauernden, das bis heute an Relevanz nicht verloren hat. Die amerikanische Originalausgabe des Buches erschien bereits 1982, 1986 kam die erste deutsche Übersetzung auf den Markt. Von Anfang an setzt Worden bei der Eigenverantwortung und Aktivität der Trauernden an. Nun liegt eine überarbeitete und erweiterte Auflage seines Standardwerkes „Beratung und Therapie in Trauerfällen“ vor. Der Autor hat das Aufgabenmodell modifiziert und seine Ausführungen um ein Kapitel über »Mediatoren im Trauerprozess« erweitert, einige Inhalte wurden neu gegliedert und aktualisiert.
Aufbau und Inhalt
Nach Vorwort und Einführung umfasst das Buch zehn thematische Kapitel. Im Anhang finden sich „Hilfreiche Adressen“ aus dem deutschsprachigen Raum und ein Register. Die Bibliographie enthält vorwiegend englischsprachige Werke. Weiterführende deutschsprachige Literatur und das auf der Titelseite weiterhin angekündigte Nachwort von Meinrad Perrez fehlen in der Neuauflage.
Ausgehend von John Bowlbys Bindungstheorie befasst sich Worden unter der Überschrift „Bindung, Verlust und Trauererfahrung“ (1. Kapitel, 21-42) mit „normaler Trauer“. „Wer Trauernde berät, sollte […] das große Spektrum des normalen Trauerverhaltens kennen, um nicht ein als normal einzustufendes Verhalten möglicherweise zu pathologisieren.“ (39) Der Autor geht auf die mit Trauer verbundenen Gefühle wie Wut, Angst, Einsamkeit oder Erleichterung ein, nennt körperliche Reaktionen und beschreibt kognitive Veränderungen sowie trauerspezifische Verhaltensänderungen. Wichtig und hilfreich ist seine kompakte Abgrenzung von Trauer und Depression (39-42).
Im 2. Kapitel „Der Trauerprozess“ (43-60) findet sich das bekannte Aufgaben-Modell. Trauer ist demzufolge (wie andere Entwicklungsprozesse auch) mit bestimmten Herausforderungen verbunden, denen es sich zu stellen gilt. Die Aufgaben-Perspektive macht deutlich, dass Trauernde Handlungsspielraum haben und – ggf. mit externer Unterstützung – selbst aktiv werden können, um mit der neuen Situation zurecht zu kommen. Die erste Aufgabe besteht darin, „den Verlust als Realität [zu] akzeptieren“ – und zwar auf intellektueller und emotionaler Ebene, was seine Zeit braucht. Rituale können dabei unterstützen, den Verlust (be-)greifbar zu machen und den Tod als Tatsache zu realisieren. Die zweite Aufgabe „Den Schmerz verarbeiten“ betrifft die körperliche und die emotionale Ebene sowie das Verhalten. Sicherlich ist es nicht einfach, sich dem Schmerz zu stellen und ihn zuzulassen. Wichtig ist die Bewältigung dieser Aufgabe dennoch, denn verdrängter Schmerz bleibt möglicherweise lebenslang in unterschiedlichen Symptomen spürbar. „Sich an eine Welt ohne die verstorbene Person anpassen“, so lautet die dritte Aufgabe. Hier geht es darum, den Alltag mit seinen ganz praktischen Anforderungen zu meistern, ein verändertes Selbstbild zu entwickeln sowie eigene Wertvorstellungen und Grundannahmen über die Welt auf dem Hintergrund des Erlebten neu zu formulieren. Für die vierte Aufgabe greift Worden neuere Ansätze in der Trauerforschung auf und nennt sie nun: „Eine dauerhafte Verbindung zu der verstorbenen Person inmitten des Aufbruchs in ein neues Leben finden“. In der ersten Auflage hatte er hier noch den emotionalen Rückzug betont. In der zweiten und dritten Auflage stehen bereits die Verbindung zu der verstorbenen Person und das eigene Leben im Fokus; in der vorliegenden Ausgabe wird nun die Gleichzeitigkeit und Verwobenheit beider Aspekte deutlich.
Neu in das Werk aufgenommen wurden „Die Mediatoren der Trauer“ (3. Kapitel, 61-82). Hier finden sich eine Vielzahl von Faktoren, die das individuelle Erleben der Trauer und auch die Art und Weise, wie Menschen die Traueraufgaben angehen, beeinflussen. „Für manche Menschen ist die Trauer eine sehr intensive Erfahrung, bei anderen geht sie nicht so tief.“ (61) Es spielt eine Rolle, wer gestorben ist, in welchem (Verwandtschafts-)Verhältnis die beiden Personen lebten und wie die Beziehung zwischen ihnen aussah. Auch die näheren Umstände und der Ort des Todes sind relevant. Zudem beeinflussen Persönlichkeitsvariablen wie Alter, Geschlecht und Denkstil oder auch frühere Erfahrungen mit Trauer und Verlust den Trauerprozess.
Als Ziel von Trauerberatung (4. Kapitel, 83-123) sieht Worden, „Trauernden dabei zu helfen, den Verlust einer nahestehenden Person zu verarbeiten und sich an eine neue Realität ohne diese Person anzupassen“ (84). Er führt „Grundsätze und Verfahren der Trauerberatung“ aus, etwa über das „normale“ Trauerverhalten zu informieren, individuelle Unterschiede zu berücksichtigen oder (schädliche) Bewältigungsstile zu hinterfragen. Er schlägt vor, in der Trauerberatung mit Rollenspielen, Erinnerungsbüchern oder Visualisierungen zu arbeiten. Für die Trauerberatung in Gruppen gibt er konkrete Empfehlungen hinsichtlich der Rahmenbedingungen, Zusammensetzung, Grundregeln und der Rolle der Leitung.
Bis hierhin hat sich Worden mit „normaler“ Trauer und deren Begleitung befasst. Es wird deutlich, dass Trauer zum Leben gehört und keine Krankheit darstellt. Nun können allerdings bestimmte Umstände und Dispositionen den Trauerprozess erschweren. Im 5. Kapitel geht es entsprechend um Komplizierte Trauer (125-148). Der Autor beschreibt, unter welchen Bedingungen es zu komplizierter Trauer kommen kann, und unterscheidet chronische, verzögerte, übertriebene und larvierte Trauerreaktionen. Er betont den Stellenwert einer Eigendiagnose und gibt für eine Fremddiagnose vielfältige Anhaltspunkte.
Während die Trauerberatung Menschen bei den Traueraufgaben unterstützt, wendet sich Trauertherapie (6. Kapitel, 149-171) an Menschen mit komplizierter Trauer, um „dabei zu helfen, die ihrer Bewältigung der Traueraufgaben im Wege stehenden Trennungskonflikte zu erkennen und zu lösen.“ (149) Worden gibt Anregungen für die therapeutische Arbeit mit Trauernden, die vom Ausschluss körperlicher Erkrankungen bis zur Unterstützung bei der Auseinandersetzung mit den vier Aufgaben reichen, und berichtet von seinen Erfahrungen, bei Trauernden mit dem „Leeren Stuhl“ zu arbeiten. Eine Evaluation der Trauertherapie solle das subjektives Erleben, Verhaltensänderungen und die Linderung von Symptomen berücksichtigen, so der Trauerforscher.
Zu den besonders schwer zu verarbeitenden Todesfällen (7. Kapitel, 173-206) zählen für Worden Suizid, plötzlicher Tod und plötzlicher Kindstod, Fehl- und Totgeburten, Schwangerschaftsabbrüche, Antizipatorische Trauer und Aids. Er spricht hier Situationen an, in denen auch gesellschaftliche Normen eine große Rolle spielen.
Mit Trauer im Familiensystem befasst sich das 8. Kapitel (207-235). Der Tod eines Familienmitglieds stört das Rollengleichgewicht. Besonders deutlich wird das beim Tod eines Kindes, vor allem, wenn Geschwisterkinder da sind. Der Autor geht auch auf die Situation ein, wenn ein Elternteil stirbt, und beschreibt Bedürfnisse trauernder Kinder. Zudem beeinflusst hohes Alter von Trauernden das System Familie, etwa wenn ein verwitwetes Elternteil sich stark an die erwachsenen Kinder anschließt. Der Autor empfiehlt TherapeutInnen, nach einem Todesfall die Trauernden sowohl einzeln als auch in der Familie zu begleiten, um in dieser zweiten Konstellation v.a. die ersten beiden Traueraufgaben zu bearbeiten.
Ein zwar kurzer, jedoch deshalb nicht weniger wichtiger Abschnitt geht auf Die Trauer der Beratenden ein (9. Kapitel, 237-244). Wer andere Menschen in ihrer Trauer begleiten will, muss eigene Trauererfahrungen durcharbeiten, um eigene Grenzen und Verletzlichkeiten wissen und zudem bei Bedarf selbst Hilfe in Anspruch nehmen. „Die Beschäftigung mit der eigenen Trauer hilft […] zu erkennen, mit welchen Trauernden und Trauersituationen man wirklich umzugehen vermag“ (239).
Im 10. Kapitel Ausbildung zur Trauerberatung (245-259) beschreibt Worden einen eigenen zweitägigen Workshop, der bereits 1976 konzipiert wurde, und stellt 18 Fallvignetten mit Rollenvorgaben zur Verfügung.
Diskussion
„Was wir brauchen, ist eine Theorie, die für Flexibilität Raum lässt. Nicht alle Menschen trauern auf die gleiche Weise und das Hervorheben individueller Unterschiede ist äußerst wichtig“ (60), so Worden. Mit dem Modell der Traueraufgaben wird er seinem eigenen Anspruch mehr als gerecht. Das Buch ist für Fachleute geschrieben, gleichzeitig wissenschaftlich fundiert und anschaulich. Es enthält eine Vielzahl von Bezügen auf Studien, Forschungsansätze und Forschungsergebnisse sowie zahlreiche Beispiele aus der Begleitung von Trauernden. Dadurch ist der Gedankengang des Autors gut nachvollziehbar. Worden unterscheidet klar zwischen Trauerberatung und Trauertherapie – der Titel des Buches gibt hier eine duale Perspektive vor, die sich durch die Ausführungen zieht. Beratung unterstützt demnach Menschen beim Verstehen ihrer Trauer und bei der Bewältigung der damit verbundenen Aufgaben, Trauertherapie ist bei komplizierter Trauer erforderlich. Der Trauerforscher zeichnet sich durch großen Respekt vor den Trauernden und ihrem jeweiligen Umgang mit der Situation aus. Er sieht Trauer nicht als Krankheit und verwendet deshalb auch keine Begriffe wie „Genesung“ oder „Heilung“, sondern spricht von „Anpassung“. Für ihn „ist die Trauer zu Ende, wenn alle Traueraufgaben bewältigt sind“ (81), was meist mindestens ein Jahr, vielfach auch zwei Jahre oder länger dauern wird. Das Aufgaben-Modell entmündigt oder pathologisiert nicht die Trauernden, sondern stärkt ihre Aktivität und den Handlungsspielraum.
Fazit
Die erweiterte Neuauflage empfiehlt sich für TrauerforscherInnen, BeraterInnen, TherapeutInnen, SeelsorgerInnen sowie haupt- und ehrenamtliche TrauerbegleiterInnen, auch für diejenigen, denen Wordens Modell bereits vertraut ist. Insbesondere für die Aus- und Fortbildung von TrauerbegleiterInnen ist es von herausragender Bedeutung. Ob im Ganzen gelesen oder als Nachschlagewerk verwendet bietet es wertvolle Informationen, Anregungen und Hinweise für die Trauerbegleitung. In einer akuten Trauersituation ist das wissenschaftliche Werk nicht ganz einfach zu lesen, grundsätzlich kann es jedoch auch Trauernde dabei unterstützen, ihr eigenes Verhalten und das der weiteren Angehörigen besser zu verstehen und ggf. professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Rezension von
Dr. Mechthild Herberhold
Ethik konkret, Altena (Westf.).
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