Alexa Köhler-Offierski, Richard Edtbauer (Hrsg.): Gestaltung und Rationalisierung
Rezensiert von Andrea Ziegler, 05.07.2011
Alexa Köhler-Offierski, Richard Edtbauer (Hrsg.): Gestaltung und Rationalisierung.
FEL Verlag Forschung Entwicklung Lehre
(Freiburg) 2010.
214 Seiten.
ISBN 978-3-932650-40-6.
Reihe: Evangelische Hochschulperspektiven - Band 6. In Zusammenarbeit mit Hans-Joachim Puch und Wilhelm Schwendemann.
Thema
Aus verschiedenen Perspektiven wird in elf Aufsätzen das Problem der knapper werdenden Ressourcen in der Sozialen Arbeit und die daraus folgende Rationalisierung beleuchtet. Es werden die Politikverflechtung der Sozialen Arbeit, die inneren Strukturen von Sozialunternehmen, das Personalmanagement in Sozialen Einrichtungen, der so genannte „Dritte Weg“, das Bildungshandeln in evangelischen Bezügen (evangelische Schulen), die Vernetzungsarbeit in Schulen, die Organisationen und das Qualitätsmanagement in Altersheimen thematisiert. Die Artikel sind kritisch, sehen aber auch die in den einzelnen Bestrebungen existierenden Chancen und zu nutzenden Ressourcen.
Autorinnen und Autoren
Bei den Autor/innen des Buches handelt es sich durchweg um Professor/innen und wissenschaftliche Mitarbeiter/innen der vier evangelischen Hochschulen in Darmstadt, Freiburg, Ludwigsburg und Nürnberg (in Nürnberg: Fachhochschule). Die Autor/innen schreiben Artikel zu ihrem jeweiligen Fachgebiet, was eine hohe Aktualität und Qualität der Beiträge mit sich bringt.
Der Band ist dem verstorbenen Dr. rer. Pol. Konrad Maier gewidmet, der in diesem Band seinen letzten Beitrag veröffentlichte und sich um die Hochschulperspektiven in früheren Jahren verdient gemacht hat.
Entstehungshintergrund
In einer Welt, die von Flexibilisierung, Beschleunigung und Leistung geprägt ist, und die im Jahr 2008 von einer Wirtschaftskrise heimgesucht wurde, deren Folgen noch nicht komplett absehbar sind, spielt die Rationalisierung eine immer größer werdende Rolle. Dabei ist sie in Verruf gekommen; eine Bedeutungsverschiebung ist zu beobachten. Ging es im 19. Jahrhundert noch um vernunftmäßiges Handeln, geht es heute vor allem um die Straffung von Produktionsfaktoren, um Prozesse zweckmäßiger zu gestalten. Aus diesen Beobachtungen heraus haben sich die Redaktionsmitglieder für das Thema „Rationalisierung“ entschieden. Ihnen lag und liegt mit dem Titel „Rationalisierung und Gestaltung“ daran, „in einer labilen gesellschaftlichen Situation Analysen und Interventionen vorzulegen, die Gestaltungsmöglichkeiten und (vergebenen) Chancen darstellen und damit auch die verstandesmäßige Durchdringung einer beunruhigenden und unübersichtlichen Situation fördert.“ (S. 6)
Aufbau
Das Buch ist in drei große Bereiche gegliedert: 1. Strukturen, 2. Arbeitsorganisation und Mitarbeiter/innen und 3. Gestaltung und Rationalisierung in verschiedenen Arbeitsfeldern. Die folgende Wiedergabe des Inhaltsverzeichnisses gibt eine gute Übersicht über die verschiedenen Themen:
I. Strukturen
- Soziale Arbeit im System der Politikverflechtung; Wer bestimmt die finanziellen Rahmenbedingungen für Soziale Arbeit? (Konrad Maier)
- Grundsätzliche Überlegungen zur verhängnisvollen Rolle staatlicher Wettbewerbsvorgaben (Gisela Kubon-Gilke)
- Community Organizing: ein Modell für Diakonie und Soziale Arbeit? (Dirk Össelmann)
- Konturen einer sozialen Verantwortung von Sozialunternehmen (Klaus Schellberg)
II. Arbeitsorganisation und Mitarbeiter/innen
- Der „Dritte Weg“ – eine arbeitsrechtliche Sackgasse? Zur Gestaltung kirchlich-diakonischer Arbeitsbedingungen (Roland Ensinger)
- Gesundheitsbewusstes Personalmanagement als strategische Aufgabe im Gesundheitswesen des beginnenden 21. Jahrhunderts (Brigitte Bürkle)
- Rollenwechsel und seine Konsequenzen: von Fürsorgeempfängerinnen, Klientinnen und Kundinnen (Alexa Köhler-Offierski)
-
III.Gestaltung und Rationalisierung
in verschiedenen Arbeitsfeldern
- Ressourcenorientiertes Bildungshandeln in evangelischen Bezügen – Ein Diskurs um Bildungsverständnis, Bildungsgerechtigkeit und verantwortliches Bildungshandeln an evangelischen Schulen (Jürgen Rausch, Wilhelm Schwendemann)
- Vernetzung von Schulen zwischen Kooperation und Autonomie (Gisela Rudoletzky, Christoph Schneider-Harpprecht)
- Netzwerkorganisation in der Hochschule (Christine Güse)
- Zum Verhältnis von finanziellem Druck und professionellen Inhalten: Ungenutzte Gestaltungschancen bei der Qualitätsentwicklung in der stationären Altenpflege (Ulrike Höhmann)
Im Anschluss an die Aufsätze findet sich eine ausführliche Liste aller Publikationen der vier evangelischen Hochschulen in den Jahren 2009/10.
Inhalt
Im Folgenden wird eine knappe Zusammenfassung der einzelnen Aufsätze gegeben. Sie ermöglicht einen oberflächlichen Einblick in die Thematik, ist allerdings keine vollständige Wiedergabe aller Gedanken und Themen.
Im ersten Kapitel (S. 19 – 39) setzt sich Konrad Maier mit der Sozialen Arbeit im System der Politikverflechtung auseinander. Er fragt: „Wer bestimmt die finanziellen Rahmenbedingungen für Soziale Arbeit?“ und findet des Weiteren Antworten auf die Frage nach den Auswirkungen der Finanzierungsformen auf die Soziale Arbeit. Der Aufsatz beginnt mit der Entwicklung und der Blüte der Sozialen Arbeit im „sozialpädagogischen Jahrhundert“ (das 20. Jahrhundert). Der Autor berichtet über die Entstehung des Wohlfahrtsstaates und dessen Krise in den 90er Jahren aus der die Wandlung des Wohlfahrtsstaates zum Welfare-Staat hervorgeht.
Soziale Arbeit ist seit ihrer Entwicklung mit den verschiedensten (politischen) Systemen verflochten (Sozialpolitik, Bildungssystem, Rechtspflege, Arbeitsförderung, um nur einige zu nennen). Aus dieser Verflechtung, die sich auf verschiedenen Ebenen vollzieht, gehen Vor- und Nachteile hervor. Ein Nachteil, so Maier, ist zum einen die fehlende Chance auf eine zentrale Steuerung der Sozialen Arbeit, zum anderen die Resistenz gegen Veränderungen. Auf diese Resistenz geht jedoch auch die stetig steigende Gesamtstellenzahl in der Sozialen Arbeit zurück – aus Perspektive der Sozialen Arbeit ein eindeutiger Vorteil. In Zeiten wirtschaftlichen Wachstums werden Stellen geschaffen, die in Rezessionszeiten jedoch nicht gestrichen werden – zu viele Träger sind an der Finanzierung beteiligt. Aus diesem positiven Effekt entstehen aber auch Probleme: Stellen werden umgewandelt oder herabgestuft, Projekte auf Zeit finanziert und Sozialarbeiter/innen verbringen einen großen Teil ihrer Arbeitszeit mit der Sicherung der Finanzierung ihrer Stelle.
Konrad Maier stellt fest, dass die Berufstätigen im Bereich der Sozialen Arbeit von Beginn an, bis heute, gerne über ihre Stellung jammern und sich klein machen, anstatt Einfluss zu nehmen. Er beendet seinen Aufsatz mit der Forderung, mutig und gemeinsam die Entwicklung einer selbstbewussten Profession voranzutreiben.
Gisela Kubon-Gilke betitelt ihren Aufsatz (S. 41-48): „Gerechte und effiziente Gestaltung des Gesundheits- und Sozialsystems – Grundsätzliche Überlegungen zur verhängnisvollen Rolle staatlicher Wettbewerbsvorgaben“. Aus volkswirtschaftlicher Sicht sind auch im Gesundheits- und Sozialsystem das Allokationsproblem und das Verteilungsproblem zu lösen. Hierzu stehen drei Koordinationsmodi zur Verfügung: Wettbewerb, zentrale Verwaltung und Tradition. Kubon-Gilke erläutert in knapper Form Vorteile und Schwierigkeiten aller drei Systeme. Sie kommt zu dem Schluss, dass keines der Systeme in Reinform zu einer gerechten Lösung des Verteilungsproblems führt. Sie plädiert für eine Mischung aus Wettbewerb und zentraler Verwaltung, d.h. staatliche Mittel plus wettbewerbliche Steuerungselemente.
Dirk Össelmann wendet sich in seinem Aufsatz (S. 49-60) dem ursprünglich aus den USA stammenden Community Management (CO) zu. Er geht zunächst auf die Wurzeln des CO ein, die sich in der Erkenntnis von Unrecht und der Ohnmachtsituation verzweifelter Menschen in einem Stadtteil finden. CO zielt darauf, eine gemeinschaftliche Vision sozialer Gerechtigkeit zu entwickeln, und die Bürger/innen zu befähigen, sich dieser Vision zu nähern. Össelmann beschreibt seine Erfahrungen mit ähnlichen Modellen aus Lateinamerika, bringt die Erfahrungen und das CO schließlich zusammen und überträgt es auf deutsche Verhältnisse. Er grenzt die Not und das Elend in Deutschland von der Not und dem Elend in lateinamerikanischen Slums ab, erkennt jedoch, dass nur die äußeren Bedingungen anders sind. Auch in Deutschland leben Menschen in einer Kultur der Abhängigkeit und Ohnmacht. Frustration, Resignation und das Gefühl der Entmündigung finden sich bei vielen Menschen, die in sozialer Benachteiligung leben. CO in Deutschland baut auf…
- …Grenzüberschreitende Beziehungen: in Stadtteilen sollen nachbarschaftliche Beziehungen und Gemeinschaft entstehen – über kulturelle, religiöse Grenzen und verschiedene Vorstellungen hinweg.
- … eine Überwindung der gefühlten Ohnmacht durch die Implementierung kommunikativer Machtstrukturen. Menschen sollen sich ihrer Macht und ihren Möglichkeiten bewusst werden.
- … eine Überwindung der Betreuungsmentalität durch eine Beteiligungsstruktur.
- … offene, bürgernahe Plattformen.
Ziel ist die Verbesserung der Lebensqualität. Das Eigeninteresse der Menschen dient dabei als Schlüssel zu deren Aktivierung.
Der Ansatz des CO kann durch Impulse der Sozialen Arbeit und der Diakonie vertieft und erweitert werden. Viele existierende Initiativen im Rahmen des CO gingen von kirchlichen Trägern aus, die die tragende Gemeinschaft als ein zutiefst religiöses Geschehen betrachten (ein Leib, viele Glieder). CO birgt viele Chancen. Es regt dazu an, in einer Gemeinschaft an einer Vision zu arbeiten, etwas zu verändern und den Menschen ihre Würde und Selbstvertrauen zurück zu geben. Wo mit CO gearbeitet wird, muss je ein eigenes, schlüssiges Konzept in Zusammenarbeit mit den Menschen vor Ort entwickelt werden.
Klaus Schellberg geht in seinem Beitrag (S. 61-69) auf die Frage ein, „ob Ökonomie aus ihrer eigenen Logik heraus eine Dimension der sozialen Verantwortung entwickeln kann.“ (S. 61) Schellberg grenzt seinen Aufsatz auf die Zielgruppe der freien Träger ein und weist mit Recht darauf hin, dass dieses Thema in den wenigen Seiten nur sehr begrenzt behandelt werden kann und weiterer Ausführungen bedarf.
Schellberg legt drei ökonomische Analysekriterien zu Grunde: Wirtschaftlichkeit, Verfügungsrechte der Akteure und Kontroll- und Informationsmöglichkeiten der Partner und Klient/innen. Aus Sicht der Wirtschaftlichkeit ist die zentrale Funktion eines Sozialunternehmens „mit möglichst geringen Ressourcen (der Sozialleistungsträger, der Spender, der Träger) eine möglichst große Wertschöpftung in Form von sozialen Leistungen zu erzeugen.“ (S. 62) Im Rahmen der Verfügungsrechte muss darauf geachtet werden, dass Abhängigkeiten möglichst gering, Wahlmöglichkeiten möglichst vielfältig ausfallen. Aufgrund von Informationsassymetrien in verschiedene Richtungen kommt es im Bereich der Kontroll- und Informationsmöglichkeiten immer wieder zu Graubereichen, die möglichst klein gehalten werden müssen.
Im Geflecht von Trägern, Mitarbeiter/innen, Partnern und Adressaten muss die soziale Verantwortung – definiert als eine Berücksichtigung der Interessen der jeweiligen Anspruchsgruppen und eine Entscheidung zu deren Gunsten, innerhalb existierender Spielräume – immer mitgedacht werden. Mit Blick auf Klienten und Sozialleistungsträger entwickelt Schellberg zehn Grundsätze zur sozialen Verantwortung eines Sozialunternehmens. Er kommt zu dem Ergebnis, dass „die ökonomische Logik keineswegs einen Widerspruch zur Erbringung personenzentrierter, qualitativ guter sozialer Leistungen darstellt. Es ist vielmehr eine Frage der Nutzung vorhandener Spielräume.“ (S. 68).
Roland Ensinger diskutiert in seinem Beitrag (S. 73-89) den „Dritten Weg“ als Grundlage kirchlich-diakonischer Arbeitsbedingungen. Der „Dritte Weg“, dessen historische Entwicklung Ensinger zunächst darlegt, legt den Gedanken der „christlichen Dienstgemeinschaft“ zugrunde. Regelungen, die den Inhalt, den Abschluss und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen betreffen werden nicht durch Tarifverträge festgelegt, sondern durch eine paritätisch besetzte „Arbeitsrechtliche Kommission“ mit verbindlicher Schlichtung. Arbeitskampfmaßnahmen wie Aussperrung und Streik sind damit in diakonischen und kirchlichen Einrichtungen nicht möglich.
Ensinger betrachtet das Modell des „Dritten Weges“ in seinem Beitrag sehr kritisch. Er fragt und bezweifelt, dass dieses Modell unter den veränderten ökonomischen Bedingungen noch einen angemessenen Interessensausgleich zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ermöglicht. Die fehlende materielle Parität verhindere ein Verhandeln auf Augenhöhe. Als einen Beweis für diese Schieflage führt Ensinger die Durchsetzung einer Öffnungsklausel des Arbeitsrechtsregelungsgesetzes in Württemberg an, die die Anwendung geringerer Vergütungstabellen ermöglicht – trotz massiver Proteste der Angestellten. Neben der fehlenden Verhandlungsparität fehlt es damit im Konfliktfall an Möglichkeiten des Arbeitskampfes. Es existiert eine Macht-Schieflage, die dem Grundsatz der Gleichverteilung der Macht (zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern) widerspricht.
Zum Schluss sei darauf hingewiesen, dass Ensinger seine Ausführungen auf die landeskirchlichen Verhältnisse in Württemberg beschränkt. Durch Verweise auf die Zustände in anderen Landeskirchen, ist dieser Artikel jedoch für alle Leser lesenswert und auf eigene/andere Verhältnisse gut übertragbar.
Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung setzt sich Brigitte Bürkle (S. 91-99) mit gesundheitsbewusstem Personalmanagement auseinander. Sie zeigt auf, wie sich ein professionelles Gesundheitsmanagement durch alle Handlungsfelder des Personalmanagements ziehen kann. Dabei behandelt sie in ihrem Aufsatz die folgenden Themen: Personalbedarfsanalyse, Personalbestandsanalyse, Personalveränderungen, Personaleinsatzplanung, Personalführung, Personalkostenmanagement und Personalverwaltung. Sie macht deutlich, dass bei einem guten Gesundheitsmanagement die Zahl der krankheitsbedingten (insbesondere der psychisch krankheitsbedingten) Fehltage des Personals zurückgeht und somit eine win-win-Situation entsteht: die Menschen sind zufriedener, sind weder unter- noch überfordert und arbeiten gerne in dem Betrieb, im Gegenzug sinken die durch Fehltage entstehenden Kosten des Betriebes.
Alexa Köhler-Offierski beginnt ihren Beitrag (S. 102-109) mit einem Beispiel aus der Praxis. Sie schildert, wie die gut gemeinte Aufklärung eines Arztes gegenüber einer über ihre Diagnose geschockten Patientin, das Ziel vollkommen verfehlt. Der Einstiegsimpuls dient als Einstieg in eine Auseinandersetzung mit dem Rollenverständnis. Aus Perspektive der sozialen Rollentheorie legt Köhler-Offierski den Wandel des Rollenverständnisses von einer hierarchisch geordneten Gesellschaft hin zu einer demokratischen Gesellschaft dar. Dieser Wandel wird bereits in den Begrifflichkeiten deutlich: wo früher von Fürsorgeempfänger/innen gesprochen wurde, wird heute von Hilfesuchenden, Dienstleistungsempfänger/innen, Kund/innen, Auftraggeber/innen usw. gesprochen. Am Beispiel von Arzt und Patient/in macht sie deutlich, dass der/die Patient/in aus der Rolle der/des Abhängigen zur Rolle eines/r Auftrags- und Vertragspartners wechselte. Ebenso ist im Sozialstaat der Arme kein almosenempfangender Untertan mehr, sondern Bürger mit Rechtsanspruch auf Hilfe. Aus diesen Konstellationen ergeben sich Konflikte – insbesondere, wenn soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession verstanden wird – aufgrund von Gesetzen, Verordnungen und Organisations- und Finanzierungsanforderungen auf der einen Seite und der neuen professionsethischen Sicht, die die Autonomie der Betroffenen betont, auf der anderen Seite.
Köhler-Offierski kommt zu der Schlussfolgerung: „In Zeiten stark hierarchischer Orientierung wurde die Abhängigkeit der KlientInnen betont und deren Eigensinn übersehen, heute wird in der Tendenz die Autonomie betont und dabei die Abhängigkeit verdeckt.“ (S. 108) Diese, zum Teil unausgewogene, Balance muss in der Gesellschaft diskutiert werden.
Jürgen Rausch und Wilhelm Schwendemann liefern mit ihrem Aufsatz (S. 113-133) einen „Diskurs um Bildungsverständnis, Bildungsgerechtigkeit und verantwortliches Bildungshandeln an evangelischen Schulen“ (S. 113). In ihrer Auseinandersetzung mit dem christlichen Menschenbild, dem die Würde, die Einzigartigkeit und die Freiheit des Menschen zugrunde liegen, kommen die Autoren zu dem Schluss, dass zum christlichen Verständnis des Menschen seine Bildungsfähigkeit gehört. Bildung ist in diesem Zusammenhang als Teil des menschlichen Entwicklungsprozesses zu verstehen. Die Vielfalt, die unterschiedlich begabte Individuen mitbringen, muss das Bildungsgeschehen prägen. Die Autoren fordern eine Pädagogik der Vielfalt, die zum Ziel hat, „dass sich jeder gemäß seiner Einzigartigkeit entfalten und entwickeln kann und dass in der Unterschiedlichkeit der Menschen Ressourcen und nicht Probleme zu sehen [sind. Dies] bedingt ein kreatives Potenzial zur Bewältigung der großen Menschheitsfragen.“ (S. 124) Aus diesen Überlegungen heraus sprechen sich Rausch und Schwendemann gegen eine Leistungsgruppenbildung sowohl in Form des dreigliedrigen Schulsystems, als auch in Form einer Sonderbehandlung von „Hochbegabten“, aus. Der Diskussion um die Begriffsdefinition „hochbegabt“ widmen die Autoren ein eigenes, kritisches Kapitel. Am Ende des Beitrages werden Möglichkeiten aufgezeigt, wie eine Pädagogik der Vielfalt konkret umgesetzt werden kann. Dabei spielt das Thema Schulentwicklung eine Rolle. Die Autoren fragen, inwieweit Schule eine lernende, begabte Organisation sein kann. Sie kommen zu dem Schluss, dass eine Pädagogik der Vielfalt nicht vor dem/der Lehrer/innen Halt macht, sondern, dass auch das Kollegium als eine Vielzahl begabter Menschen wahrgenommen und die darin steckenden Ressourcen geweckt werden müssen.
Der sich anschließende Beitrag (S. 135-140) von Gisela Rudoletzky und Christoph Schneider-Harpprecht dreht sich ebenfalls um das Thema Schule, aber mit anderem Schwerpunkt. Die beiden Autoren setzen sich mit der Organisationsentwicklung der Schulstiftung der Evangelischen Landeskirche in Baden auseinander. Der Beitrag ist eine Art Werkstattbericht über den aktuellen Stand des laufenden Organisationsentwicklungsprojektes der Schulstiftung. „Zweck der [2002 gegründeten] Stiftung ist die Förderung des evangelischen Schul- und Internatswesens im Bereich der evangelischen Landeskirche in Baden. Die Schulen der Stiftung ergänzen das öffentliche Schulwesen und bereichern es durch besonders profilierte Inhalte und Formen der Erziehung und des Unterrichts“ (§ 2 der Satzung, nach S. 135). Um diesem Grundsatz gerecht zu werden, und als Reaktion auf gesellschaftliche Entwicklungen, entstand das genannte Projekt. Die Autoren beschreiben das St. Galler Management Modell, ein Managementkonzept, das speziell für Non-Profit-Organisationen entwickelt wurde und neben der marktwirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit auch lebensweltliche, sinnstiftende Zukunftsperspektiven eines Unternehmens in den Blick nimmt. Das Konzept wird von den Autoren auf die Arbeit der Schulstiftung übertragen. Der erste Schritt, die Entwicklung eines Leitbildes, wurde bereits gegangen. Damit dieses Leitbild in der Praxis umgesetzt wird, muss sich eine leitbildorientierte Organisationsentwicklung anschließen, die sich über Jahre ziehen kann, langfristig aber die Zukunft eines Unternehmens sichert. Aktuell wird der Corporate Governance Kodex diskutiert, aus dem Regeln für eine gute, verantwortungsvolle und sinngebende Unternehmensführung entwickelt werden. Die sich daraus ergebenden Aufgaben der Schulstiftung werden klar herausgearbeitet. Des Weiteren beschäftigt sich die Schulstiftung in diesem Rahmen mit der Schaffung transparenter Organisationsstrukturen. Es wird deutlich: Ein sinnvolles, funktionierendes Netzwerk aus evangelischen Schulen unter dem Dach der Schulstiftung ist nur sinnvoll, und bringt nur dann Synergieeffekte, wenn Aufgaben, Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten klar verteilt und transparent sind. Des Weiteren bedarf es eines professionellen Prozessmanagements und einer engen Zusammenarbeit mit den beteiligten Schulen, um Konflikten vorzubeugen und die Schulen als lernende Systeme für das Projekt zu begeistern.
Im folgenden Beitrag (S. 151-160) setzt sich Christine Güse mit den Chancen der Netzwerkorganisation in Hochschulen auseinander. Ziel ihres Aufsatzes ist das Aufzeigen von Möglichkeiten, wie eine Netzwerkorganisation an Hochschulen umgesetzt werden kann. Güse legt ihren Überlegungen und Forderungen die Theorien von Doppler & Lauterburg (2008) zugrunde. Demnach sind flache Hierarchien, hohe Selbständigkeit einzelner Organisationseinheiten und eine hohe Vielfalt lokal unterschiedlicher Organisationsformen charakteristisch für ein Netzwerk. Einzelne Prozesse müssen so vernetzt werden, dass für den Kunden die größtmögliche Wertschöpfung möglich ist. Alle Bereiche des Netzwerkes arbeiten somit an einer gemeinsamen Vision beziehungsweise einem gemeinsamen Ziel. Unabhängig davon, ob die Studierenden, das Wissenschaftsministerium, ein privater Träger oder Andere als Kunde der Hochschule betrachtet werden, kann die Kern-Leistung einer Hochschule in drei bzw. vier Bereiche unterteilt werden:
- Bildung (bestehend aus Lehre (inkl. Vorbereitung) und Prüfung)
- Betreuung und Begleitung der Studierenden
- Weiterentwicklung der Bildung durch neue Studiengänge
- Forschung (vgl. S. 154)
Güse zeigt auf, wie die einzelnen Bereiche in sich und untereinander in einem Netzwerk verbunden werden, und damit für den Kunden optimale Leistung erbringen können. Sie macht deutlich, dass sich in dieser kundenorientierten Netzwerkorganisation große Synergieeffekte entwickeln können, dass dies jedoch ein hohes Maß an Kommunikation und einen Verzicht auf Hierarchien voraussetzt. In diesem Zusammenhang kritisiert sie die Leistungszulagen der W-Besoldung, die in der Regel für Individualleistungen gezahlt werden. Dies ist im Rahmen der Netzwerkorganisation jedoch kontraproduktiv.
Zusammenfassend stellt Güse fest, dass sich die „Hochschulen durch Zentralisierungstendenzen von der Netzwerkorganisation entfernen. Sie übernehmen Gestaltungsmodelle von Wirtschaftsunternehmen der letzten Jahrzehnte, während die Wirtschaftswissenschaften kleine, flexible Organisationsstrukturen empfehlen, die für Dienstleistungen mit Kundenkontakt [entwickelt wurden]“ (S. 159), um schneller auf Wandel reagieren zu können. Sie empfiehlt allen Hochschulen, sich daran zu orientieren.
Im letzten Kapitel (S. 161-177) widmet sich Ulrike Höhmann den Problemen, die in der stationären Altenpflege durch Forderungen von Außen entstehen. Ihre Erkenntnisse basieren auf den Ergebnissen einer qualitativen Studie, die in zwei Altenheimen durchgeführt wurden. Sie deckt eindeutige Versorgungsmängel auf, die trotz Qualitätsmanagement (QM) gravierend sind – und zum Teil durch die hohen formalen Anforderungen des Qualitätsmanagements sogar verschärft werden. Da das Qualitätsmanagement nicht in das Konzept der Heime integriert wurde, identifizieren sich die Pfleger/innen und Leiter/innen nicht mit dieser Form des Arbeitens. QM erscheint als ein „lästiges Ausfüllen von Listen“ das Zeit kostet, die für die Bewohner der Heime fehlt. Die Mitarbeiter/innen werden zerrieben zwischen dem (finanziellen) Druck von außen, wirtschaftlich zu arbeiten und dem inneren Wunsch, im Heim einen „humanen Lebensort“ zu gestalten. Aus der empfundenen Hilflosigkeit heraus kommt es zum Unterlaufen von inhaltlichen Kontrollen zugunsten formaler Korrektheit und zu einer starken Demotivation der Mitarbeiter/innen.
Aufgrund des großen Fachkräftemangels, der vielen Hilfskräfte und Teilzeitarbeitsverträgen, fehlt dem Berufssektor eine starke Stimme, die auf die Probleme aufmerksam macht und Gegenentwürfe zu den momentanen Konzepten entwirft. Höhmann schließt ihren Aufsatz mit der dringenden Forderung, die Hochschulen mögen auf diese Schieflage reagieren und ihre Absolventen für die Situation in der Altenpflege sensibilisieren, um langfristig etwas ändern zu können.
Diskussion
Mit dem Thema „Rationalisierung“ wurde für die Hochschulperspektiven ein hoch brisantes, aktuelles Thema gewählt, das sich auf alle Bereiche der Sozialen Arbeit auswirkt, und von der Basis leider häufig als unveränderlich und als „notwendiges Übel“ wahrgenommen wird. Es wird deutlich in welcher Form und mit welchen Folgen die Rationalisierung die Soziale Arbeit und die Schulen trifft. Dabei wird ein breites Feld der Sozialen Arbeit in den Blick genommen: von der allgemeinen und allgegenwärtigen Politikverflechtung bis zu den ganz konkreten Auswirkungen an der Basis. Neben den sehr klaren Problemanzeigen, sehen die Autor/innen durchweg auch Möglichkeiten und Chancen, die in der Rationalisierung zu finden sind – darin liegt eine klare Stärke der Hochschulperspektiven. Es bleibt nicht beim Klagen über die aktuelle Situation, sondern es wird versucht, das Beste daraus zu machen und die Qualität der Arbeit trotz sinkender Ressourcen zu steigern. Es wird deutlich: eine Qualitätssteigerung ist möglich! Allerdings bedarf es des klarer Strukturen und einer professionellen Konzeptentwicklung.
Die einzelnen Autor/innen, bei denen es sich durchweg um Hochschulprofessor/innen und wissenschaftliche Mitarbeiter/innen handelt, schreiben Aufsätze aus ihrem speziellen Arbeits- und Forschungsfeld, was eine große Aktualität und ein hohes Niveau mit sich bringt. Trotzdem sind die Texte auch für Laien und Interessierte gut verständlich geschrieben. Durch die unterschiedlichen Handlungsfelder, in denen die Autor/innen forschen und arbeiten, ergibt sich eine breite Perspektive. Der Einblick in verschiedene Bereiche wird möglich, was eine deutliche Erweiterung des eigenen Blickwinkels mit sich bringt. Die Artikel regen dazu an, nachzudenken, neue/andere Bereiche in das eigene Arbeiten einzubeziehen, eigene Konzepte und eingefahrene Strukturen zu überdenken und Neues anzufangen. Des Weiteren wecken die Beiträge das Interesse daran, sich mit einzelnen Themen vertiefend zu beschäftigen, denn natürlich ist es in Form einer Sammlung von Aufsätzen unmöglich, die einzelnen Themen in ihrer Gänze zu entfalten. Es gelingt den Autor/innen jedoch, die Aufsätze so zu gestalten, dass sie die Problematiken, Chancen und Forderungen auf den Punkt bringen und deutlich machen, wo es Veränderungen bedarf.
Fazit
Insgesamt ein sehr lesenswertes Buch, das unter dem Blickwinkel der Rationalisierung verschiedenste Arbeits- und Handlungsbereiche der Sozialen Arbeit beleuchtet und somit einen Einblick ermöglicht. Durch seine Vielfalt regt es dazu an, sich vertiefend mit Themen zu beschäftigen, das eigene Handeln zu überdenken und Neues in den Blick zu nehmen. Es ermutigt dazu, auch in scheinbar schwierigen Situationen, den Mut nicht zu verlieren, sondern mit vorhandenen Ressourcen bestmöglich zu wirtschaften und sich in der Politik für die Soziale Arbeit stark zu machen.
Rezension von
Andrea Ziegler
M.A.
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Zitiervorschlag
Andrea Ziegler. Rezension vom 05.07.2011 zu:
Alexa Köhler-Offierski, Richard Edtbauer (Hrsg.): Gestaltung und Rationalisierung. FEL Verlag Forschung Entwicklung Lehre
(Freiburg) 2010.
ISBN 978-3-932650-40-6.
Reihe: Evangelische Hochschulperspektiven - Band 6. In Zusammenarbeit mit Hans-Joachim Puch und Wilhelm Schwendemann.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/11061.php, Datum des Zugriffs 18.01.2025.
Urheberrecht
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