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Winfred Kaminski, Martin Lorber (Hrsg.): Clash of Realities 2010

Rezensiert von Dr. Stefan Anderssohn, 12.10.2011

Cover Winfred Kaminski, Martin Lorber (Hrsg.): Clash of Realities 2010 ISBN 978-3-86736-243-6

Winfred Kaminski, Martin Lorber (Hrsg.): Clash of Realities 2010. Computerspiele: Medien und mehr. kopaed verlagsgmbh (München) 2010. 280 Seiten. ISBN 978-3-86736-243-6. 16,80 EUR.

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Thema

Bei vielen Menschen – und das nicht nur bei Kindern und Jugendlichen - gehören „digitale Welten“ in Form von Computerspielen mittlerweile zur Alltagswirklichkeit. Obwohl so genannte „Ego-Shooter“ vor dem Hintergrund von Gewalttaten in den Mittelpunkt der medialen Aufmerksamkeit geraten sind, bietet die digitale Spielelandschaft durchaus mehr: Online-Rollenspiele, Sportgames und Strategiespiele, um nur einen kleinen Ausschnitt zu nennen. Die Autorinnen und Autoren des vorliegenden Tagungsbandes versuchen ein breites Spektrum von Computerspielen in den Blick zu bekommen und im Hinblick auf Risiken und kreative Chancen zu beleuchten. Zum Beispiel unter der Perspektive der sozialen Interaktion, der Identitätsfindung oder der gesellschaftlichen Partizipation – und nicht zuletzt unter der Fragestellung, ob und inwieweit Computerspiele Gewaltbereitschaft fördern.

Herausgeber

Winfred Kaminski, Jahrgang 1948, ist seit 1990 Professor für Sprach- und Literaturpädagogik, ab Sommer 2004 Professor für Kulturpädagogik an der Fachhochschule Köln sowie geschäftsführender Direktor des Instituts für Medienforschung und Medienpädagogik. Schwerpunkt seiner neueren Veröffentlichungen ist die Konstruktion sozialer Wirklichkeit in digitalen Spielewelten.

Martin Lorber, geboren 1967, ist zurzeit als Public Relation Director bei einem großen Computer- und Videospielhersteller verantwortlich für die strategische Unternehmenskommunikation, die politische Kommunikation, den Bereich Corporate Social Responsibility sowie den Jugendschutz. Neben seiner Tätigkeit in der Wirtschaft hatte der gelernte Journalist Lehraufträge inne und ist Beirats- und Ausschussmitglied mit dem Schwerpunkt Medien und Telekommunikation. Martin Lorber ist zudem Träger des Multimedia Award, des Econ Award und des Deutschen PR Preises.

Entstehungshintergrund

Der vorliegende Band versammelt die Beiträge der dritten internationalen Tagung „Clash of Realities“ (http://www.clashofrealities.de), die im April 2010 in Köln stattgefunden hat. Unter der Leitung von Winfred Kaminski und Martin Lorber bot die dreitägige Konferenz ein interdisziplinäres Forum für internationale Forscherinnen und Forscher aus den Bereichen Medienwissenschaft, Spieleforschung, Medienpädagogik, Psychologie, Sozialwissenschaft, Filmwissenschaft, Design und Informatik.

Aufbau und Inhalt

Die Beiträge des vorliegenden Tagungsbandes verteilen sich auf fünf thematische Schwerpunkte. Der erste Schwerpunkt trägt den Titel: „Jugend, Kultur und neue Medien“.

Mit seinem englischsprachigen Beitrag „Short Circuits“ erläutert William Osgerby unter dem Paradigma des „Cultural Circuit“ und am Beispiel des „modding“, wie neue Kommunikationstechniken das Verhältnis von Marketing und (Spiele-) Konsumenten verändert haben, bzw. vermutlich noch verändern werden.

Eine medientheoretische Analyse des komplementären Verhältnisses von Computerspielen und Kinofilmen unternimmt Gundolf Freyermuth in seinem Beitrag: „Spiel // Film“: Dabei geht der Autor von einer zunehmenden Fusionierung beider Genres aus.

Michael Nagenborg vermutet, „dass Video- und Computerspiele durchaus ein geeignetes Medium sind, um zu einer kritischen Reflexion von Überwachungstechnologien im Kontext „Sicherheit“ anzuregen“ (Seite 51) und wirbt mit dem Beitrag: „Sicherheit im Kontext von Video- und Computerspielen“ für eine veränderte Rolle von Überwachungstechnologien in diesen Spielen.

Den Auftakt zum zweiten Themenschwerpunkt, „Ego-Shooter und die Frage nach der Gewalt“, bildet die Metastudie von Dietrich Dörner: „„'Killerspiele' und Gewalt“. Hier setzt sich der Autor auf statistischer und inhaltlicher Grundlage kritisch mit der Erforschung des Zusammenhanges von Gewaltbereitschaft und dem Konsum gewalthaltiger Videospiele auseinander. Dörner plädiert für eine vorbehaltlosere Erforschung des Gegenstandes jenseits kurzschlüssiger Denkschablonen, die sich allein auf signifikante Korrelationen berufen.

Julia Kneer befasst sich in ihrem Beitrag „Unreal Tournament“ mit der Frage, ob Videospielerfahrung Auswirkungen auf die aggressive Wahrnehmung von so genannten „First Person Shooters“ besitzt und stellt Ergebnisse ihrer Untersuchung dar, in der die diesbezüglichen Konzepte von Nicht-Spielern und Langzeit-Spielern ermittelt werden.

Der dritte Themen-Block, „Spielen in Online-Welten“, wird durch den Beitrag von Martin Geisler eröffnet: „Medien sozial!?“. Geisler befasst sich mit der sozialen Struktur von Clans und Gilden, d.h. den Gruppen in vernetzten Onlinespielen, wozu er einen umfassenden Merkmalskatalog liefert.

Utopische und dystopische Diskurse über Computerspiele – das Beispiel World of Warcraft“, der Aufsatz von Sven Jöckel, Florian Hohmann und Anne Reichenbach, beleuchtet anhand einer Medienanalyse den gesellschaftlichen Diskurs über Computerspiele am prominenten Beispiel „World of Warcraft“. Über dieses Spiel sei zwischen 2004 und 2009 hauptsächlich unter den Perspektiven, „Sucht“, „Ökonomie“ und „soziale Interaktion“ in der Presse berichtet worden. Die Autoren skizzieren Themen für die weitere Forschung, insbesondere auch für die Interaktion zwischen Wissenschaftlern und der Presse.

Wiederum als Exempel herhalten muss letztgenanntes Computerspiel in dem Beitrag von Axel Kuhn: „Der virtuelle Spielraum digitaler Spielwelten am Beispiel World of Warcraft“, worin der Autor „die Struktur des Sozialraums von World of Warcraft“ aufzeigen möchte (Seite 129). Kuhn diagnostiziert, dass soziale Gemeinschaften die Bindung an das virtuelle Spiel intensivieren und beschreibt die Wechselwirkung zwischen virtueller und körperlicher sozialer Realität.

Forschungsergebnisse zur Nutzung von Onlinespielen wollen Thorsten Quandt, Johannes Breuer und Ruth Festl mit ihrem Beitrag geben: „Spielen und Leben in virtuellen Welten“. Mit ihrem umfassenden Überblick, in welchen aktuelle Studien eingearbeitet werden, systematisiert die Autorengruppe den Forschungsgegenstand, wobei der Schwerpunkt auf exzessiver Nutzung und Sucht liegt. In einem Ausblick werden zukünftige Forschungsthemen und -methoden skizziert.

Im Auftrag der Gesellschaft?“ fragt Jeffrey Wimmer, der Onlinerollenspiele unter dem Gesichtspunkt der sozialen Interaktion als moderne Kommunikationsräume – kurz gesagt als potentielle Räume gesellschaftlicher Teilhabe – betrachtet. Vor dem Hintergrund, dass konventionelle Medien Kinder und Jugendliche immer schlechter erreichten, plädiert der Autor dafür – die zunächst zwar verführerische aber noch stark hypothetische – Möglichkeit auszuloten, „inwieweit digitale Spielwelten vielleicht geeignete Kanäle wären, um demokratische Werte zu vermitteln“ (Seite 182).

Fakt oder Fiktion: Computerspielsucht“ stellt den vierten Themenblock dar, der in sich drei Beiträge fasst: „Online Gaming addiction: Fact or Fiction?“ fragt sich Mark Griffiths und bringt eine (englischsprachige) Übersicht über den Forschungsstand zu dieser Thematik. Angesichts der Feststellung, dass exzessiver Spielekonsum zu gravierenden gesundheitlichen Problemen führen könne, moderates Spielen jedoch kaum Auswirkungen zeige, stellt Griffiths fest, dass zu diesem Forschungsfeld sowie zur Effektivität der Behandlung von Computerspielsucht noch wenig empirisch belastbare Forschungsergebnisse vorlägen.

Es ist Deine Zeit: Nutze die Vielfalt!“, ist der Standpunkt von Daniel Poli, wenn er medienpädagogische Strategien angesichts exzessiver Onlinenutzung skizziert. Poli favorisiert dabei Jugendliche mit anerkannter Vorbildfunktion, die in sozialen Netzwerken tätig sind und dort eine „Pädagogik der Irritation“ betreiben, welche Diskussionsprozesse auslösen und zu einer Reflexion des eigenen Spielverhaltens führen solle.

Klaus Wölfling, Kai Müller und Eva Duven befassen ich in ihrem Beitrag „Exzessives Computerspielverhalten“ mit dessen Ursachen, seiner Diagnostik sowie dem Zusammenhang mit dem Auftreten psychischer Störungen und der Behandlung des suchtartigen Internet- bzw. Spielekonsums. Ähnlich wie Griffiths (s.o.) kommen die Autoren nach der Darstellung der empirischen Befunde zu dem Schluss, dass die Befundlage zwar noch unklar sei, insgesamt aber die „Internet- und Computerspielsucht noch eine Versorgungslücke im Gesundheitssystem“ aufwerfe (Seite 231).

Computerspielkompetenz“ ist der fünfte und letzte Themenblock: Eine „Lesefähigkeit“, also medienspezifische Grundbildung im Hinblick auf Computerspiele, fordert Danny Kringiel entsprechend in seinem Beitrag: „Spielen lernen“. Darin legt der Autor ein vierdimensionales Medienkompetenzmodell vor.

In ihrem englischsprachigen Artikel „'Mickey Mouse Studies'?“ bricht Angela Yates eine Lanze für das Studium der Medienwissenschaft in Großbritannien. Dieses sieht die Autorin in der britischen Öffentlichkeit zu Unrecht mit dem „Micky-Maus„-Attribut belegt und damit als ein als weltfremdes bzw. nicht gezielt berufshinführendes Fach abgestempelt. Zwar kämen nicht alle Absolventen später in einem Medienberuf unter – was sich allerdings im zahlenmäßigen Vergleich auch von anderen Geisteswissenschaftlern nicht behaupten ließe –, doch erbringe das Fach einen wichtigen Beitrag zur universitären Geisteslandschaft.

Der englischsprachige Beitrag von Marco Pellitteri, „Professional associations, research, fandom, and the mass media“, beschäftigt sich mit der komplexen öffentlichen Wahrnehmung von Computerspielen in Italien und stellt die vier „Hauptakteure“ vor, die diese Meinungsbildung rahmen („framing“): professionelle (Hersteller-)Verbände, Forschung, Fanpublikationen und technische Veröffentlichungen sowie die Massenmedien. Damit skizziert Pellitteri ein Bild der öffentlichen Wahrnehmung von Videospielen, die er als widersprüchlich und diffus erlebt.

Diskussion

Zunächst einmal lässt sich sagen, dass der Tagungsband das leistet, was ja mit der zugrunde liegenden Konferenz laut „Mission Statement“ beabsichtigt war, nämlich „Wissenschaft, Praxis und die interessierte Öffentlichkeit zusammenzubringen, um sich gemeinsam ein angemessenes Bild von Computerspielen zu machen, sich mit oftmals noch bestehenden Vorbehalten auseinanderzusetzen und diese durch fundiertes Wissen zu ersetzen.“1 Dazu wird der Gegenstand auf unterschiedlichen Ebenen, von dem direkten Phänomen – etwa den Spieleclans bei „World of Warcraft„-, bis hin zur Metaebene – der gesellschaftlichen Wahrnehmung – teils sehr exemplarisch anhand einzelner Länder dargestellt.

Unter den Beiträgen befinden sich recht „spezielle“, etwa über die Situation der Medienwissenschaft in Großbritannien oder die Idee, Computerspiele zum Reflexionsanlass über Sicherheitstechnologie zu machen. Insgesamt erhalten diese vielfältigen Beiträge durch die Einordnung in thematische Blöcke eine übergeordnete Strukturierung, die eine Orientierung erleichtert und dem gesamten Band zugute kommt. Ob man schließlich die öffentliche Wahrnehmung von Computerspielen in Italien unter dem Schwerpunkt: „Computerspielkompetenz“ abhandeln sollte, lasse ich dahingestellt.

Erfreulicherweise zeigen die unterschiedlichen – teils auch sehr spezifischen – Aufsätze einerseits eine um Kreativität bemühte Sichtweise auf das Thema: Sei es durch Einbringung neuer Ideen, interdisziplinäre Übertragung fachfremder Konzepte oder durch die Skizzierung öffentlicher Wahrnehmungsprozesse. Andere Beiträge rekurrieren dagegen noch stärker auf die empirisch gesicherten Grundlagen und Studien. Hier zeigt sich der Verdienst der Veröffentlichung vor allem darin, stereotype Gemeinplätze zu hinterfragen und den aktuellen Wissenstand aufzuzeigen. Dies mag in der Fachwelt nicht ohne Widerspruch bleiben, doch ist das Thema Computerspiele wichtig genug, dass darüber auch eine lebendige Diskussion geführt werden sollte.

Fazit

Der vorliegende Band beweist, dass die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Computerspielen weit mehr hergibt als die bloße Frage: „Macht Computerspielen gewaltbereit und süchtig?“. Dem Umstand, dass vielfältige virtuelle Spielräume längst zur Alltagswirklichkeit in unserer Gesellschaft gehören, tragen die differenzierten und facettenreichen Beiträge in einer aktuellen und kreativen Weise Rechnung.

1 Mission Statement der Konferenz „Clash of Realities“, Online im Internet. URL: http://www.clashofrealities.de/einblick/mission-statement/ [Abrufdatum: 10.9.2011]

Rezension von
Dr. Stefan Anderssohn
Sonderschullehrer an einer Internatsschule für Körperbehinderte. In der Aus- und Fortbildung tätig.
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Es gibt 47 Rezensionen von Stefan Anderssohn.

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Zitiervorschlag
Stefan Anderssohn. Rezension vom 12.10.2011 zu: Winfred Kaminski, Martin Lorber (Hrsg.): Clash of Realities 2010. Computerspiele: Medien und mehr. kopaed verlagsgmbh (München) 2010. ISBN 978-3-86736-243-6. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/11131.php, Datum des Zugriffs 16.09.2024.


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