Dagmar Hoffmann, Norbert Neuß u.a. (Hrsg.): Stream your life!? Kommunikation und Medienbildung im Web 2.0
Rezensiert von Dr. Stefan Anderssohn, 19.04.2011

Dagmar Hoffmann, Norbert Neuß, Günter Thiele (Hrsg.): Stream your life!? Kommunikation und Medienbildung im Web 2.0.
kopaed verlagsgmbh
(München) 2011.
230 Seiten.
ISBN 978-3-86736-344-0.
16,00 EUR.
Schriftenreihe Schriften zur Medienpädagogik
Band 44.
»Stream your life« oder: »Alles fließt 2.0«
"Alles fließt" - Dieser Ausspruch, der dem vorsokratischen Philosophen Heraklit zugeschrieben wird, erscheint in unserer digitalen Gesellschaft aktueller denn je. Die fortschreitende Durchdringung unseres Alltags durch vernetzte digitale Medien und soziale Online-Netzwerke verändert zum Beispiel die "herkömmlichen" Formen des Kommunizierens und Lernens sowie unser Verständnis von Privatsphäre. Es steht außer Frage, dass insbesondere für die heranwachsende Generation Medienkompetenz eine Schlüsselkompetenz sein wird. Fließend werden allerdings auch die Grenzen zwischen "offiziellen" Medienpädagog/innen und der Zielgruppe, die zu den neuen Medien gar nicht "hingeführt" werden will, da sie den Umgang damit bereits intensiv praktiziert. Dies bedeutet eine große Herausforderung für die Medienpädagogik, die nicht Bewahrpädagogik sein kann und die der technologischen Schnelllebigkeit der medialen Landschaft ebenso unterworfen ist wie ihre Zielgruppe. Ziel muss es vielmehr sein, eine reflexive und verantwortungsbewusste Medienkompetenz bei den Nutzer/innen zu entwickeln: Ein Anliegen, welches die Beiträge des vorliegenden Tagungsbandes aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten wollen.
Herausgeber/in und Autor/innen
Die Soziologin Dagmar Hoffmann vertritt die Professur "Medien und Kommunikation" an der Universität Münster. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen Medientheorien und Kinder-, Jugend- und Kultursoziologie.
Norbert Neuß ist Professor für Pädagogik an der Gießener Universität, im Bereich "Pädagogik der Kindheit". Seine Arbeitsschwerpunkte sind Ästhetische Bildung, Medienpädagogik, Frühe Kindheit und Elternbildung.
Günter Thiele ist Mitarbeiter der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK) und dort zuständig für den Bereich Schule, mit den Arbeitsschwerpunkten Medienpädagogik in der Schule und Kindertagesstätte sowie produktive Medienarbeit.
Die übrigen 19 Autorinnen und Autoren sind Medienpädagog/innen aus dem deutschsprachigen Raum, die an Universitäten und medienpädagogischen Institutionen beschäftigt sind.
Entstehungshintergrund
Die vorliegende Veröffentlichung vereint die Beiträge des Forums "Stream your life?! Kommunikation und Persönlichkeitsrechte in neuen Kulturräumen", das im November 2009 von der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (der die drei Herausgeber angehören und welche als Herausgeberin der Veröffentlichung firmiert) veranstaltet wurde. Medienpädagogische Schwerpunkte waren dabei die Wissensvermittlung, Partizipation und Kommunikation mit den neuen Medien.
Aufbau und Inhalt
Die 16 Beiträge des Bandes werden zu sechs thematischen Gruppen zusammengefasst: "Theoretische Bezüge und empirische Befunde", der erste Bereich, der vier Beiträge umfasst, bietet eine theoretisch gerahmte, empirische Datenbasis, die das Medienhandeln von Heranwachsenden sichtbar werden lässt. Grundlage sind quantitative und qualitative Studien, die Einblicke in die Mediennutzung geben und von einem Grundlagenbeitrag über die Inhalte und Ziele des Begriffs "Medienkompetenz" komplettiert werden.
Der zweite Block behandelt die schulischen Aspekte der Medienpädagogik: "Herausforderungen für die schulische Bildung". Ein Beitrag fordert die Thematisierung von sozialen Netzwerken – als formelle und informelle Lernorte bzw. als Lernumgebungen für selbstbestimmtes und kooperatives Arbeiten. Ein weiterer Beitrag widmet sich dem Aufwachsen in einer medialen Partizipationskultur, woraus vier Leitsätze für das schulische Lernen abgeleitet werden.
Mit fünf Beiträgen ist der Bereich "Herausforderungen für die kulturelle Bildung und aktive Medienarbeit" am stärksten vertreten: Die Beiträge setzen unterschiedliche Schwerpunkte: Während auf der einen Seite eine stärkere politische Akzentuierung der Medienpädagogik gefordert wird, ein anderer Beitrag das Missverhältnis zwischen Alltagspraxis und medienpädagogischem Angebot hinsichtlich des "Mitmach-Webs" erörtert, geht es andernorts um emotionale und kognitive Komponenten der Medienkritik und die virtuelle Identitätsarbeit bzw. die Möglichkeiten der gegenseitigen Durchdringung von Fremdem und Bekanntem im Web 2.0.
Die beiden Beiträge unter dem Motto "Spielen in virtuellen Räumen" befassen sich mit den Typen von virtuellen Spielen in Gegenwart und Zukunft sowie deren verschiedenen Anreizen für die Zielgruppen. Des Weiteren werden Onlinespiele auf Basis einer empirischen Studie aus Sicht der Jugendlichen analysiert, wobei es um soziale Interaktionen, das Spiel mit Identitäten und auch die Wahrnehmung von Abhängigkeit geht.
Mit genderspezifischen Fragestellungen befasst sich der Bereich: "Medienkulturelle Inszenierungspraktiken und Geschlechterverhältnisse". Der erste Beitrag illustriert das Repertoire der handlungsorientierten Medienpädagogik in Zeiten des Web 2.0 anhand von drei genderspezifischen Projekten. Der zweite Beitrag analysiert die mediale Identitätskonstruktion am Beispiel einer Gruppe von "C-Walkern" auf der Video-Plattform youtube.
Im letzten Teil, "Bilanz und Ausblick", bringt der abschließende Beitrag eine prospektive Zusammenfassung des Gesamtthemas im Spannungsfeld von Geistesgeschichte und Medienpädagogik, Bilderflut und Bilderstürmerei, handlungsorientierter und theoretischer Medienpädagogik - wobei fünf Bereiche medienpädagogischen Arbeitens skizziert werden.
Diskussion
Was der Band mit seinen
unterschiedlichen Beiträgen deutlich macht, ist die enorme
Bandbreite der Herausforderungen für eine aktuelle
Medienpädagogik: Angesichts einer zunehmenden Zentralisierung
und gleichzeitigen Individualisierung von Mediennutzung durch das so
genannte Web 2.0, scheint es fraglich, ob es "die"
Medienpädagogik an sich überhaupt gibt. Im Zuge eines
rasanten Technikfortschritts – das so genannte Web 2.0
benötigte weniger als ein Jahrzehnt, um sich als Kulturtechnik
und virtueller Kommunikationsraum zu etablieren - und hinsichtlich
der sich verschiebenden Wertegrenzen – man denke an das Thema
"Privatsphäre" – gilt es weder zu bewahren, noch
zu belehren. Im Vordergrund steht die Ermöglichung des
reflexiven und verantwortungsbewussten Umgangs mit den Online-Medien.
Und vor allem: Auch die Medienpädagogik muss hier dynamisch
bleiben. Diese Dynamik spiegelt sich in der Vielfalt der Themen und
Stile von "stream your life!?" wider: Die verschiedenen
Beiträge des Tagungsbandes stellen Projekte dar, beziehen sich
auf empirische qualitative und quantitative Studien, klären
Grundsatzpositionen oder skizzieren Handlungsfelder,
Herausforderungen und Konzepte.
Insgesamt hat die Lektüre bei
mir einige interessante und weiterführende Fragen angeregt:
Etwa, ob die stete Möglichkeit, sich im Internet auf Bekanntes
zurückziehen zu können, gar zu "kulturellen
Parallelwelten" führt und hinter den Möglichkeiten des
Web 2.0 zurück bleibt (im Beitrag von Dieter Wiedemann).
Oder ob nicht die Medienpädagogik eine stärkere
politischere Ausrichtung im Sinne eines Partizipationsgedankens
benötigt (siehe den Beitrag von Jürgen Ertelt).
Was die Beiträge im Einzelnen betrifft, so sind diese durchaus unterschiedlich, was ihre "Abstraktionsebene" bzw. andersherum die "Konkretheit" anbelangt: Im Themenbereich "Schule" (Themenblock 2) beispielsweise geht es eher um generelle Positionen und Fragestellungen. Diese sind zweifelsfrei interessant und wichtig, hätten meines Erachtens aber durch die Darstellung eines konkreten Projektes vertieft werden können. Andersherum bringt der Themenblock zu genderspezifischen Fragen nur Projektdarstellungen. Empirische Studien beziehen die Themen-Bereiche "Theoretische Bezüge und empirische Befunde" sowie "Spielen in virtuellen Räumen" mit ein. Die übrigen Teile skizzieren auf einer übergeordneten Ebene Handlungsfelder, Fragestellungen und Konzepte: Der Band bietet in dieser Unterschiedlichkeit ein facettenreiches Bild, welches ja durch die Workshopangebote der zugrunde liegenden Tagung angelegt ist. Viele wichtige medienpädagogische Bereiche des Web 2.0 werden dadurch abgedeckt.
Fazit
"Stream your life!?" bietet einen facettenreichen "Schnappschuss" auf die Handlungsfelder, Herausforderungen und Ansatzpunkte einer aktuellen Medienpädagogik mit dem Schwerpunkt auf dem so genannten "Web 2.0" und seinen sozialen Online-Netzwerken.
Rezension von
Dr. Stefan Anderssohn
Sonderschullehrer an einer Internatsschule für Körperbehinderte. In der Aus- und Fortbildung tätig.
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Es gibt 47 Rezensionen von Stefan Anderssohn.
Zitiervorschlag
Stefan Anderssohn. Rezension vom 19.04.2011 zu:
Dagmar Hoffmann, Norbert Neuß, Günter Thiele (Hrsg.): Stream your life!? Kommunikation und Medienbildung im Web 2.0. kopaed verlagsgmbh
(München) 2011.
ISBN 978-3-86736-344-0.
Schriftenreihe Schriften zur Medienpädagogik
Band 44.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/11134.php, Datum des Zugriffs 03.12.2023.
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