Jesper Juul: Aus Stiefeltern werden Bonus-Eltern
Rezensiert von Prof. Dr. Stefan Godehardt-Bestmann, 04.07.2011
Jesper Juul: Aus Stiefeltern werden Bonus-Eltern. Chancen und Herausforderungen für Patchwork-Familien. Kösel-Verlag (München) 2011. 128 Seiten. ISBN 978-3-466-30909-2. D: 15,99 EUR, A: 16,50 EUR, CH: 27,50 sFr.
Thema
Trennungen von Eltern und damit von Erstfamilien erscheinen als ein gesellschaftliches Phänomen, das mittlerweile keine Ausnahme mehr darstellt. Verschiedene Folgefamilien, die sich in der Zusammensetzung von Beziehungen, der jeweiligen Funktionen und auch Konstellationen vielfach unterscheiden, sind heutzutage Alltagspraxis. Das vorliegende Buch geht diese Thematik nicht mit einem konservativen Blick eines hochgehaltenen Mythos von der Ursprungsfamilie als die zu bewahrende, eigentliche Familie an. Ganz im Gegenteil werden bewusst die stark negativ konnotierten Begriffe der ‚Stiefmutter‘ bzw. des ‚Stiefvaters‘ ressourcenorientiert transformiert in ‚Bonusmutter‘ und ‚Bonusvater‘. ?Es bedeutet nicht, dass diese Rolle in der Familie stets idyllisch ist, deutet aber zumindest eine konstruktive Richtung an? (S.9).
Autor
Der Autor Jesper Juul, Jahrgang 1948, ist laut Verlagsbeschreibung einer „der innovativsten Familientherapeuten Europas“ (S.125), der als ursprünglich ausgebildeter Lehrer in die Heimerziehung und Sozialarbeit gegangen ist, um sich später der Familientherapie zu widmen und ein eigenes Institut aufzubauen. Seit 2004 betreibt er in einer Art internationalem Franchisesystem die als ‚familylab‘ bezeichneten Familienwerkstätten. Er hat zu Erziehungs- und Familienthemen eine Vielzahl an Büchern veröffentlicht.
Aufbau und Inhalt
Das recht überschaubare und luftig gestaltete Buch gliedert sich in verschiedene Themenbereiche einer sogenannten Patchwork-Familie und spricht dabei sehr direkt die Erwachsenen in dieser Konstellation an, maßgeblich die sogenannten ‚Bonuseltern‘. Es handelt sich folglich nicht um ein wissenschaftliches Fachbuch, eher um einen orientierenden Ratgeber im Umgang mit sogenannten „Fallgruben“ (S.11), die sich in diesen Familienmodellen und dabei insbesondere den ‚Bonuseltern‘ stellen.
So startet das Buch mit Hinweisen zum Timing in der Gestaltung der Kontaktaufnahme mit den ‚Bonuskindern‘. Es folgen Ausführungen, was einen ‚guten‘ Kontakt auszeichnet. Hierbei werden ganz konkrete Formulierungen als „Anregungen für Gesprächseinstiege“ (S.28) angeführt.
Der anschließende Abschnitt befasst sich mit dem Aufbau einer gelingenden Beziehung zwischen den Kindern und Erwachsenen in dieser Familienkonstellation. Im Weiteren wird der „Status als ‚Nummer zwei‘ in der Rangfolge des Partners“ (S.47) thematisiert und die damit verbundenen Herausforderungen an die Erwachsenenbeziehung.
Konsequenterweise schließt sich daran eine Ausführung zu den möglichen Beziehungsproblemen an, die sich durch diese Familienkonstellation ergeben können. Nachvollziehbar, dass ein Familientherapeut dabei quasi proaktiv sehr deutlich auf seinen Berufsstand als frühzeitige Hilfe verweist. Die Rolle als ‚Bonusvater‘ bzw. ‚-mutter‘ als Chance zu nutzen für das Familienmodell und gerade auch die Beziehung zwischen dem Kind/ den Kindern und ihren leiblichen Eltern, wird im Folgenden fokussiert. Hierbei werden wiederum beispielhafte Dialoge in konfliktiven Ausgangslagen ausgeführt.
Im Weiteren wird das durchaus sehr komplexe Beziehungssystem je nach Konstellation der Folgefamilie thematisiert. Auch hierbei verweist der Autor auf einen sehr konkreten Vorschlag eines sogenannt regelmäßigen, zweimal monatlich stattfindenden Familientreffens, um so die Transparenz und Kommunikation über das aktuelle Befinden der jeweiligen Familienmitglieder herzustellen. Es werden dazu sehr kompakt „ein paar erprobte Prinzipien“ (S.68) skizziert, wie solche Familientreffen zu gestalten sind.
Der Umgang mit den Ex-Partner/innen wird ebenfalls in einem Abschnitt behandelt, um anschließend die durchaus verantwortungsvolle Rolle der ‚Bonuseltern‘ gegenüber den Kinder und damit der Familie anzureißen.
Das Buch endet mit sechs kurzen Seiten zum Umgang des Abschieds, wenn auch das Folgefamilienmodell gescheitert ist. Zudem werden weiterführende Bücher zur Thematik mit den jeweiligen Titeln in einer kurzen Übersicht aufgelistet.
Diskussion
Das durchaus sehr geschmeidig lesbare und in den thematischen Abschnitten sowie im Ganzen kurz gehaltene Buch zeichnet sich dadurch aus, dass es die Folgefamilie bzw. sogenannte Patchwork-Familie als ein ganz ‚normales‘ Familienmodell unter anderen betrachtet. Dabei werden die Chancen benannt und zugleich die möglichen Herausforderungen, die sich durch verschiedene Konstellationen ergeben. Wie stets bleibt es bei einer Buchform durch den fehlenden Dialog riskant, nicht rezepthaft Ratschläge an die Lesenden im Umgang mit solchen Herausforderungen zu formulieren und sich damit eben vom konkreten Alltag der individuellen Familienausgangslagen zu entfernen. Ob diese Form eine hilfreiche Handlungsorientierung für Familien und insbesondere ‚Bonuseltern‘ darstellt, mag durch die Lesenden selbst beurteilt werden.
Ein besonderen Wert des Buches zeigt sich für den thematischen Diskurs durch die Einführung eben dieses Begriffes der ?Bonuseltern?, der deutlich die Chancen in den neuen Partnerschaften eben auch für die Kinder und damit die gesamte Folgefamilie haben kann. Die Folgefamilie ist kein Ersatzmodell und kein Problemindikator per se. Probleme in Familien gibt es in jeder Konstellation, die neu hinzukommenden Erwachsenen in Patchwork-Familien können in der Tat gleichsam einen deutlichen Bonus darstellen sowie die Kinder folgerichtig zu einem bereichernden Bonus für die Erwachsenen werden können.
Fazit
Es handelt sich um ein kurzweilig zu lesendes und ermutigendes Buch für Erwachsene in Folgefamilien, das anregende Andeutungen für mögliche Erweiterungen der eigenen Handlungsoptionen im Sinne eines Ratgebers ermöglicht. Es eröffnet Einblicke und Themenbereiche und macht neugierig auf mehr, kann dies aber aufgrund der Kürze und sicher auch des Formates als Buch nicht vertiefend angehen. Insbesondere bei konkreten Problemausgangslagen liest es sich eher wie die niedrigschwellige Einladung zur familientherapeutischen Praxis.
Rezension von
Prof. Dr. Stefan Godehardt-Bestmann
Professor für Soziale Arbeit im Fernstudium an der IU Internationale Hochschule und Studiengangleiter sowie seit 2000 in freier Praxis als Sozialarbeitsforscher, Praxisberater und Trainer tätig.
Schwerpunkte: Sozialraumorientierte Soziale Arbeit, Inklusion, Partizipation, Gesundheitsförderung von Kindern und Jugendlichen, Lösungsfokussierter Beratungsansatz, Inklusion, Partizipation, Organisationsentwicklung, Personalentwicklungsmaßnahmen in Organisationen Sozialer Arbeit, Gestaltung von Qualitätsmanagementprozessen, partizipative Praxisforschungen und Evaluationen.
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Zitiervorschlag
Stefan Godehardt-Bestmann. Rezension vom 04.07.2011 zu:
Jesper Juul: Aus Stiefeltern werden Bonus-Eltern. Chancen und Herausforderungen für Patchwork-Familien. Kösel-Verlag
(München) 2011.
ISBN 978-3-466-30909-2.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/11137.php, Datum des Zugriffs 09.10.2024.
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