Daniil B. Ėl´konin: Die Psychologie des Spiels
Rezensiert von Lorena Rautenberg, 27.06.2011
Daniil B. Ėl´konin: Die Psychologie des Spiels.
Lehmanns Media GmbH
(Berlin) 2010.
472 Seiten.
ISBN 978-3-86541-389-5.
38,00 EUR.
Reihe: International cultural-historical human sciences - Band 34. Hrsg. von Birger Siebert und Georg Rückriem.
Autor
Ėl´konin arbeitete an der Pädagogischen Hochschule in Leningrad als Assistent von Lev Wygotski. Er verstand seine Arbeit als Weiterführung von Lev Vygotskijs psychologischem und pädagogischem Denken.
Thema
Ėl´konins Theorie des Spiels steht in einem Gegensatz zu der heute weit verbreiteten bildungspolitischen Sichtweise des Spiels, welche Spiel eher als Zeitvertreib oder als didaktische Methode betrachtet. Ėl´konin entwickelt von der Phänomenologie ausgehend die Systematik des Spiels, indem er genetisch- experimentelle Forschungsmethoden anwendet und somit eine neue Herangehensweise und Sichtweise auf die Phänomenologie Spiel begründet. Ėl´konins Werk wird daher als eines der „herausragendsten Dokumente zur Theorie des Spiels“ (S. VII) betrachtet.
Ėl´konins Schrift befasst sich mit der Fragestellung, welche psychische, soziale und kulturelle Entwicklung das Kind im Spiel durchläuft; diese wird zugleich als Persönlichkeitsentwicklung betrachtet. Kinder des gleichen Alters können Ėl´konin zufolge ein unterschiedliches Entwicklungsniveau erreicht haben.
Das Spiel wird dabei als Entwicklungsprozess und Tätigkeit des Kindes verstanden, es ist aber vorwiegend der Spiegel der sozialen Entwicklung des Kindes. Spiel steht im Zentrum dieses Prozesses und unterliegt damit auch sozialen und historischen Veränderungen – erkennbar z.B. am wechselnden Spielzeugangebot. Dennoch lassen sich systemübergreifende Aspekte herausarbeiten: Kinder in bestimmten Entwicklungsphasen zeigen gleiches Verhalten, unabhängig von dem direkten Umfeld.
Das Buch ist die Neuauflage des 1980 erschienen gleichnamigen Buches. Es handelt sich um einen unveränderten Nachdruck, der jedoch mit einem neuen Editorial der Herausgeber Dr. Birger Siebert und Dr. Georg Rückriem und einem Vorwort von Boris Ėl´konin versehen wurde.
Aufbau
Vor dem eigentlichen Hauptteil beschreibt Ėl´konin die Geschichte der Untersuchungen.
Der Hauptteil selbst gliedert sich wie folgt:
- Teil eins stellt den Untersuchungsgegenstand, die entfaltete Form der Spieltätigkeit des Kindes im Verständnis Ėl´konins vor.
- Der zweite Teil befasst sich mit der Entstehungsgeschichte des Rollenspiels.
- In Teil drei werden Theorien des Kinderspiels vorgestellt.
- Der vierte Teil beschreibt die Entstehung des Spiels in der Ontogenese.
- Teil fünf zeigt die Entwicklung des Spiels im Vorschulalter auf.
- Im sechsten Kapitel wird auf den Zusammenhang zwischen Spiel und psychischer Entwicklung eingegangen.
- Teil sieben ergänzt die vorangegangenen Kapitel als Anhang mit Teilen aus den Vorlesungsskripten Wygotskis und seiner Sichtweise des Spiels und der Bedeutung für die psychische Entwicklung des Kindes.
1. Untersuchungsgegenstand – entfaltete Form der Spieltätigkeit des Kindes.
1.1 Das Wort „Spiel“. Das Spiel und die Urformen der Kunst. Im ersten Teil befasst sich das Kapitel mit dem Wort Spiel und dem Zusammenhang mit den Urformen der Kunst. In diesem Zusammenhang werden die unterschiedlichen Spielbegriffe Friedrich Schillers, Herbert Spencers, Wilhelm Wundts aber auch die Spielbegriffe von Karl Marx und Georgi W. Plechanow dargestellt. Ėl´konin selbst folgt einer präzisierten Version der Definition von Wsewolodski-Gerngross, in der er Spiel als Nachgestaltung einer Lebenserscheinung außerhalb der realen Situation sieht, wobei die Aufgaben der Tätigkeit und die Normen der zwischenmenschlichen Beziehungen im Vordergrund stehen. (S. 31) Daher betrachtet Ėl´konin das entfaltete Rollenspiel als das wesentliche Element für kindliche Entwicklung.
1.2 Zur Grundeinheit der entfalteten
Form des Spielens und zum sozialen Wesen des Rollenspiels. Im
zweiten Teil werden die beiden Analyseprinzipien vorgestellt: zum
einen werden einzelne Einheiten analysiert, zum anderen wird von der
entwickelten Form des Spiels rückgeschlossen auf seine
Entstehungsgeschichte. Vier Strukturbestandteile sind Teil des
Spiels: die Rollen, die Spielhandlung, die spielerische Verwendung
von Gegensätzen und die realen Beziehungen zwischen den Kindern.
Das zentrale Moment im Spiel ist die Rolle des Kindes und die damit
verbundenen Handlungen, was die Grundeinheit des Spiels bildet. Eine
wesentliche Frage lautet: Was aus der Umwelt des Kindes beeinflusst
sein Rollenspiel?
Biologische Theorien erklären
nicht hinreichend den sozialen Inhalt des Spiels; es kommen immer der
gegenständliche Bereich und die zwischenmenschlichen Beziehungen
im Tätigkeitsprozess als Spielgegenstand hinein. Ėl´konin
stellt daher die These auf, dass Spiel eine grundlegend soziale
Erscheinung ist, da Spiel den Lebensbedingungen des Kindes in der
Gesellschaft entspricht. Das Spielsujet ist der Bereich der
Wirklichkeit, die im Spiel abgebildet wird, Inhalt des Rollenspiels
aber ist die Tätigkeit der Erwachsenen und deren Beziehungen
zueinander.
2. Zur Entstehungsgeschichte des Rollenspiels.
2.1 Aus der Geschichte des Spielzeugs. Der erste Teil des Kapitels befasst sich mit der Geschichte der Entwicklung des Spielzeugs. Dabei wird festgestellt, dass es zwar auch heute noch Spielzeug gibt, das es in ursprünglichen Kulturen auch gegeben hat, dass es sich jedoch heute in der Anwendung und Funktion, die es erfüllt von der ursprünglichen Idee unterscheidet. Daher muss Spielzeug als Gesamtheit seiner Geschichte der Funktion mit der Geschichte der Stellung des Kindes in der Gesellschaft und seiner Entwicklungsformen gesehen werden.
2.2 Zur Entstehungsgeschichte der
entfalteten Form der Spieltätigkeit. Der zweite Teil befasst
sich mit der entfalteten Form der Spieltätigkeit und verfolgt
zwei Fragen: zum einen die Frage, ob es das Rollenspiel schon immer
gegeben hat oder ob es eine Zeit in der Entwicklung der Gesellschaft
gegeben hat, in der das Rollenspiel noch nicht existierte. Die zweite
Frage entwickelt sich aus der Feststellung, dass es in ursprünglichen
Kulturen noch kein Rollenspiel gegeben hat: Welche Veränderung
des gesellschaftlichen Lebens könnte mit der Entstehung des
Rollenspiels zusammenhängen?
Ėl´konin
entwickelt unter Rückgriff auf Arbeiten und Untersuchungen
zahlreicher anderer Wissenschaftler einen historischen Abriss der
kulturgesellschaftlichen Entwicklung. Während es in archaischen
Kulturen keine Trennung der Lebenswelt von Kind und Erwachsenem
gegeben hat und die Kinder aufgrund der Einfachheit der zum Überleben
notwendigen Handlungen von Anfang an allen Bereichen teilnehmen
konnten, entstand mit dem Komplizierterwerden des Arbeitsprozesses
und der Entwicklung komplizierterer Werkzeuge eine Trennung: Kinder
mussten den Umgang mit den Werkzeugen der Erwachsenen erst erlernen
und üben, konnten dies besser mit verkleinerten Gegenständen.
Dennoch nahmen sie unter ähnlichen Bedingungen am Leben der
Erwachsenen teil. Die Selbständigkeit der Kinder war darin
sichtbar, dass sie parallel zu den Erwachsenen leben konnten und sich
selbständig den Umgang mit den Werkzeugen aneignen konnten. Auf
dieser Stufe gab es Rollenspiele nur sehr eingeschränkt in den
Bereichen, die den Kindern nicht direkt zugänglich waren
(Heirat, Kinder zur Welt bringen).
Erst in dem Moment, in
dem die Verkleinerung des Werkzeugs die ursprüngliche Funktion
außer Kraft setzt, entsteht das Rollenspiel durch eine
Veränderung der Erziehung und der Entwicklung des Kindes zum
Gesellschaftsmitglied insgesamt: Als die Arbeitswerkzeuge zu
kompliziert und umfangreich wurden, um jedes einzelne zu beherrschen,
waren allgemeine Fähigkeiten notwendig, die ein Kind dazu
befähigten, sich die Beherrschung jedes Werkzeuges anzueignen.
Es entstanden Spielgeräte, die diese allgemeinen Fähigkeiten
schulen konnten. Zugleich ermöglichte die Arbeitsteilung die
Wahl der zukünftigen Tätigkeit. Symbolisches Spielzeug
ermöglichte nun die Abbildung von Lebenssituationen, die den
Kindern real (noch) verschlossen waren.
Das Rollenspiel
entstand nun aus der veränderten Stellung der Kinder im System
der sozialen Beziehungen und kann Ėl´konin folgend
daher als ursprünglich sozial angesehen werden.
3. Theorien des Spiels
3.1 Allgemeine Theorien des Spiels. K. Groos und F. J. J. Buytendijk. In Auseinandersetzung mit den Theorien von Groos und Buytendijk entsteht die Abgrenzung zwischen dem Spiel der Tiere und dem Spiel beim Kind. Die Ursachen und Mechanismen von Spiel beim Kind betrachtet Ėl´konin als wesentlich anders als beim Tier. Er geht davon aus, dass Kinderspiel eine psychische Funktion erfüllt.
3.2 Theorien und Forschungsprobleme des Kinderspiels. In intensiver Beschäftigung mit den Theorien verschiedener Wissenschaftler, u.a. Sully, Freud, Piaget oder Lewin, kommt Ėl´konin zu dem Schluss, dass alle Theorien, die Spiel als Ausdruck ererbter Instinkte sehen, den Fehler begehen, Tier und Kind gleichzusetzen. Auch die Vertreter naturalistischer Theorien liefern Ėl´konin zufolge keine befriedigende Erklärung, da sie Spiels als Anpassung des Kindes an seine Umwelt sehen, das Kind dabei aber losgelöst von der Gesellschaft und zwischenmenschlichen Beziehungen betrachten. Ėl´konin betrachtet „Spiel als Lebensform und besondere Tätigkeit des Kindes, mit der es sich in der Welt der menschlichen Handlungen und Beziehungen, in den Aufgaben und Motiven der menschlichen Tätigkeit orientiert. (S. 204)
3.3 Probleme der Psychologie des Spiels in der sowjetischen psychologischen Wissenschaft. Im dritten Teil des Kapitels setzt sich Ėl´konin mit den Lösungsansätzen in der sowjetischen Wissenschaft auseinander und bezieht sich dabei hauptsächlich auf die Theorien Blonskis und Wygotskis, sowie auf die Kritik Rubinsteins an Wygotski. Ėl´konin sieht das Hauptmotiv des Spiels darin, dass das Kind bestrebt sei, zu handeln wie der Erwachsene, wobei sich im Besonderen die Beziehung des Kindes zu seiner (sozialen) Umwelt äußere. Er schließt sich weitestgehend der Theorie Wygotskis an und entwickelt diese in den folgenden Kapiteln weiter.
4. Die Entstehung des Spiels in der Ontogenese
4.1 Die Entwicklung der Bewegungen, der Handlungen und des Umgangs mit den Erwachsenen im ersten Lebensjahr. Die Entwicklung des Kindes im ersten Lebensjahr betrachtend, werden die ersten manipulativen Handlungen mit Gegenständen nicht als Spiel im Sinne Ėl´konins verstanden, sondern als elementare Übungen besonders zur sensomotorischen Koordination. Diese ist die Grundlage für differenzierendere Tätigkeiten. Am Ende des ersten Lebensjahres stellt Ėl´konin fest, dass sich der Umgang von Kind und Erwachsener verändert. Elementar ist nun nicht mehr die direkte emotionale Beziehung, sondern vielmehr die Beziehung Kind – Umgang mit einem Gegenstand – Erwachsener, wobei die emotionale Beziehung in der Rückkopplung der Reaktion des Erwachsenen auf die Handlungen des Kindes mit einem Gegenstand stattfindet. Nur auf Grund dieser Veränderung wird es im Kleinkindalter möglich, den Erwachsen als Träger eines Musters gegenständlicher Handlungen zu erkennen.
4.2 Die Besonderheiten des Umgangs zwischen Kind und Erwachsenem im Entwicklungsverlauf der gegenständlichen Handlungen und die Entstehung von Voraussetzungen für Rollenspiel. Gegenständliche Spiele tragen dazu bei, dass das Kind sich die Bedeutung der Gegenstände erschließt und in die gesellschaftliche Funktion und Anwendung einordnen lernt. Am Ende des Kleinkindalters können reale Gegenstände durch Stellvertreter ersetzt werden, Handlungsketten spiegeln reale Verbindungen und können verallgemeinert werden. Zugleich werden kindliche Handlungen mit denen der Erwachsenen verglichen und der Wunsch entsteht zu handeln wie der Erwachsene. Im Spiel erreicht das Kind so eine fortschreitende Selbständigkeit und Unabhängigkeit von den Handlungsangeboten durch einen Erwachsenen, allerdings ist es immer noch auf die Anleitung, d.h. das Vorbild eines Erwachsenen als Träger eines Musters angewiesen. Daraus zieht Ėl´konin den Schluss, dass Spiel nur unter Mithilfe eines Erwachsenen entstehen kann.
5. Die Entwicklung des Spiels im Vorschulalter
5.1 Gesamtcharakteristik der Spielentwicklung. Die Problematik in den bis dahin vorhandenen Untersuchungen zur Spielentwicklung sieht Ėl´konin darin, dass sie nicht hinreichend den Übergang von einem Spielniveau zum nächsten beschreiben, sondern nur darin bestanden, „beobachtete Tatsachen zu registrieren“ (S. 257). Ėl´konin fordert daher die experimentelle Erforschung des Spiels, wobei aktiv Einfluss genommen werden soll auf die Übergänge von einem Niveau zum nächsten.
5.2 Die Rolle und die eingebildete Situation – ihre Bedeutung in der Motivation des Spielens. Obwohl rein beobachtend betrachtet zu Beginn der Entwicklung des Rollenspiels noch immer der Eindruck entstehen kann, es handle sich um reines Manipulieren mit Gegenständen, schließt sich Ėl´konin den Schlussfolgerungen Slawinas an. Sie beschreibt drei Momente: Die Handlungen von Kindern und die Bedeutung der Handlungsgegenstände verändern sich durch die Rolle, die das Kind übernimmt. Gleichzeitig wird die Rolle durch die Sujetspielsachen sozusagen von außen in die Handlungen des Kindes gebracht. Schließlich ist die Rolle, die das Kind auswählt die Triebfeder für die Spielhandlungen und die Spielsituation.
5.3 Die experimentelle Ausbildung der Voraussetzungen für das Rollenspiel. Aus Untersuchungen der experimentellen Entwicklung des Rollenspiels beim normalen Kleinkind, bei geistig zurückgebliebenen Vorschulkindern und bei blinden taubstummen Kindern ergeben sich nach Ėl´konin allgemeine Gesetzmäßigkeiten der Spielentwicklung. Sie basieren darauf, dass der Erwachse als Muster und Träger von gesellschaftlichen Rollen erkannt wird und die Anleitung des Spiels übernimmt.
5.4 Die Entwicklung der Rolle im Spiel. In drei Untersuchungsserien sollte herausgefunden werden, ob es einen organischen Zusammenhang zwischen der Rolle und den Verhaltensregeln gibt. Ėl´konin beschreibt aus diesen Untersuchungen heraus drei Entwicklungsniveaus und vier Stadien der Unterordnung unter die Regeln des Rollenspiels, wobei es sich nach seinen Ergebnissen dabei nicht um Altersstufen handelt. Gleichaltrige Kinder können auf völlig verschiedenen Stufen der Spielentwicklung stehen, auch kann ein einzelnes Kind, abhängig von seiner Rolle, verschiedene Entwicklungsniveaus gleichzeitig besitzen. Insgesamt wurde Ėl´konins Ausgangsthese bestätigt, dass Kinder im Verlauf der Spielentwicklung die Regel als Kern der Rolle erkennen und danach handeln.
5.5 Gegenstand – Handlung – Wort (zum Symbolismusproblem im Rollenspiel). Kinder müssen die Entwicklung vom Erkennen des Gegenstandes über das gegenständliche Handeln bis hin zur Symbolisierung des Gegenstandes durchlaufen. Im Verlauf der Entwicklung des Rollenspiels werden die Handlungen immer weiter verallgemeinert und immer weiter verkürzt. Aus den Ergebnissen einer Untersuchung von Newerowitsch ergibt sich ein doppelter Symbolismus, der dies ermöglicht: Das Kind erkennt die allgemeine Bedeutung einer Handlung und kann die Handlung unabhängig von einem fixierten Gegenstand ausführen. Zusätzlich lernt das Kind, dass es die Rolle eines Erwachsenen übernehmen kann und die zwischenmenschlichen Beziehungen nachvollziehen kann, ohne selbst Teil der Lebenswelt des Erwachsenen zu sein.
5.6 Wie sich die Beziehung des Kindes zu den Spielregeln entwickelt. Damit Rollenspiel funktionieren kann, müssen die Kinder die Regeln kennen, die für die zwischenmenschlichen Beziehungen gelten. In vier weiteren Versuchsreihen wurde untersucht, wie sich Kinder die Regeln aneignen. Dabei wurde die Abhängigkeit der Regel von der Rolle deutlich (die Rolle kann nur dann ausgeführt werden, wenn die Regel eingehalten wird), die Abhängigkeit der Regel von der Kooperation mit einem Spielpartner wurde sichtbar und die Verinnerlichung der Regel über die äußere Spielsituation konnte gezeigt werden. Schließlich konnte auch bewiesen werden, dass Spielsujet und Regeln elementar verbunden sind. Aus diesen Ergebnissen zieht Ėl´konin den Schluss, dass im Vorschulalter noch keine Trennung zwischen Rollenspiel und Regelspiel existiert und er sieht nur eine einzige Entwicklungslinie des Spiels.
6. Spiel und psychische Entwicklung
6.1 Das Spiel und die Entwicklung der Motive und Bedürfnisse. Ist das erste Motiv und Bedürfnis eines Kindes, mit einem Gegenstand zu manipulieren zunächst das Herausfinden der spezifischen Eigenschaften, so verändert sich dieses Motiv im Verlauf der Entwicklung des Kindes. Es möchte den Gegenstand so einsetzen, wie er im gesellschaftlichen Leben verwendet wird. Über dieses Motiv gelangt das Kind zum Wunsch, die zwischenmenschlichen Beziehungen nachzuleben, die im Umgang mit diesem Gegenstand Ausdruck finden. Das Kind kann so durch das Spiel emotional am Leben der Erwachsenen teilnehmen und die gesellschaftlichen Funktionen und Bedeutungen der menschlichen Tätigkeiten erkennen. Ėl´konin sieht hierin die entscheidende Bedeutung des Rollenspiels in der kindlichen Entwicklung.
6.2 Das Spiel und die Überwindung des „intellektuellen Egozentrismus“. Auf intellektueller Ebene leistet das Spiel eine geistige und emotionale Dezentrierung des Kindes. Es muss seine Beziehung zur Umwelt verändern und lernen, seinen Standpunkt mit den Standpunkten anderer Kinder zu verbinden.
6.3 Das Spiel und die Entwicklung geistiger Handlungen. Ėl´konin schließt aus den Untersuchungen Buners, dass Kinder im Spiel auch Problemlösungsstrategien entwickeln, die durch den experimentellen Umgang mit Material entstehen.
6.4 Das Spiel und die Entwicklung des willkürlichen Verhaltens. Im Rollenspiel findet eine doppelte Reflexion statt. Die Handlungen werden einem bestimmten Muster folgend ausgeführt, zugleich führt der Vergleich mit dem Muster zu einer Kontrolle, ob die Handlungen den Regeln /Rollen entsprechen. Zunächst ist dieser Mechanismus noch schwach ausgeprägt und muss von außen unterstützt werden. Dennoch bezeichnet Ėl´konin das Spiel als „Schule des willkürlichen Verhaltens“ (S. 428) und sieht in ihm den Beginn der moralischen Handlungen. Ėl´konin verweist darauf, dass das Spiel die wesentlichste Voraussetzung für den Übergang zu einer neuen Entwicklungsperiode ist, in der alle elementaren Bereiche des menschlichen Lebens, wie z.B. Selbständigkeit, Umgang miteinander oder einer positiven Einstellung zur Arbeit, verfeinert werden können.
7. Anhang
7.1. Aus den Vorlesungsskripten Wygotskis zur Psychologie des Vorschulalters
7.2. Wygotski: Das Spiel und seine Bedeutung in der psychischen Entwicklung des Kindes
Diskussion und Fazit
Das Buch ist als wissenschaftliche Grundlagenliteratur einzuordnen. Leider bietet es als solche mit 465 reinen Textseiten, die außer durch Überschriften und Absätze nicht gegliedert sind, dem Auge wenige Möglichkeiten, sich zu orientieren oder bestimmte Textstellen an Hand von Bildern, Schaubildern oder Tabellen zu finden oder zu merken.
Inhaltlich jedoch ist es äußerst wertvoll und liefert einen wesentlichen Beitrag, wenn es um die Betrachtung des Phänomens Spiel geht. Ėl´konins Theorie stellt eine neue Art, die Theorie des Spiels zu denken dar und gibt diesem Ausdruck kindlicher Aktivität einen Stellenwert, der ihm gerade in leistungsorientierten Industrienationen immer mehr verloren geht. Das Buch ist damit als Lektüre für alle im pädagogischen Bereich professionell wissenschaftlich Ausgebildeten unbedingt zu empfehlen, unabhängig davon, ob sie in der Praxis oder der Forschung tätig sind.
Da es außerdem wirklich gut verständlich und ansprechend geschrieben ist, fällt die Lektüre des Buches trotz der wenig ansprechenden Darstellung relativ leicht.
Rezension von
Lorena Rautenberg
Amtsleitung Amt für städtische Kindertageseinrichtungen
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Es gibt 33 Rezensionen von Lorena Rautenberg.
Zitiervorschlag
Lorena Rautenberg. Rezension vom 27.06.2011 zu:
Daniil B. Ėl´konin: Die Psychologie des Spiels. Lehmanns Media GmbH
(Berlin) 2010.
ISBN 978-3-86541-389-5.
Reihe: International cultural-historical human sciences - Band 34. Hrsg. von Birger Siebert und Georg Rückriem.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/11149.php, Datum des Zugriffs 07.10.2024.
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