Jan Wulf-Schnabel: Reorganisation und Subjektivierungen von sozialer Arbeit
Rezensiert von Prof. Dr. Claus Melter, 31.05.2011
Jan Wulf-Schnabel: Reorganisation und Subjektivierungen von sozialer Arbeit.
VS Verlag für Sozialwissenschaften
(Wiesbaden) 2011.
329 Seiten.
ISBN 978-3-531-17775-5.
34,95 EUR.
Reihe: Perspektiven kritischer sozialer Arbeit - Band 10.
Thema
Die großen Wohlfahrtskonzerne wie AWO, Diakonie und Caritas sind auch nach dem „sozialpädagogischen Jahrhundert“ (Rauschenbach) weiter im Sinne von Angeboten und Personen am wachsen und so gehören sie zum Teil zu den bundesweit größten Arbeitgebenden im gesamten Wirtschaftsbereich. Gleichzeitig sind im Rahmen neoliberaler Umstrukturierungen und des Abbaus des Sozialstaates einzelne Einrichtungen und Angebote und somit die in diesen Angeboten Beschäftigten mit verstärkten Leistungsanforderungen sowie Kürzungs- und Streichungsandrohungen einiger Angebote konfrontiert. Wie die Reorganisation eines großen Leistungsträgers – die AWO in Schleswig Holstein – im Sozialbereich realisiert wurde und wie dies von den Arbeitenden wahrgenommen und umgesetzt wird, zeigt die lesenswerte Studie von Jan Wulf-Schnabel. Eine Besonderheit dieser Arbeit ist, dass systematisch Genderaspekte in der Analyse von Arbeitsplatzverschiebungen und Subjektivierungsprozessen im Rahmen der Reorganisation berücksichtigt werden.
Zentrale Fragestellungen
In der Studie wird untersucht, welche Auswirkungen die Reorganisationsprozesse der Arbeiterwohlfahrt Schleswig Holstein (AWO SH) hinsichtlich der Zusammensetzung und Einkommensverhältnisse der ArbeitnehmerInnen und leitenden Angestellten sowie deren Arbeitspraxen und -verständnisse haben. Dies wird insbesondere für verschiedene Berufs- und Hierarchegruppen in Bezug auf die Geschlechterverhältnisse in den Betrieben der AWO untersucht. Ebenso werden mit einer Genderperspektive die Lebens- und Arbeitsverhältnisse (wobei neben der bezahlten Arbeit auch die Reproduktionsarbeit im familiären Care-, Ernährungsversorgungs- und Reinigungsbereich thematisiert wird) hinsichtlich der Themen befragt, wie die tendenziell marktorientierte Umstrukturierung/ Reorganisation der AWO-Betriebe sich auf die Einkommensverhältnisse, Arbeitspraxen sowie die familiären und freizeitlichen Handlungspraxen niederschlagen bzw. wie sich die Befragten diese Verhältnisse aneignen und die Verhältnisse subjektivierend auf sie wirken.
Autor
Jan Wulf-Schnabel ist Master of Arts und Diplom Sozialwirt und er hat mit der vorliegenden Arbeit zum Dr. phil. an der Leuphana Universität Lüneburg promoviert. Er ist Berater für Unternehmen, Gewerkschaften und Organisationen aus dem Non-Profit-Bereich. Aktuell ist er Gastprofessor an der katholischen Hochschule für Soziale Arbeit in Berlin mit den Schwerpunkten Subjektivierungen von Sozialer Arbeit, Geschlechterverhältnisse und Ökonomie und Management Sozialer Organisationen.
Aufbau und theoretische Hintergründe
Ein wesentlicher Teil der Studie besteht in der detaillierten Schilderung der Rechtsformen und Organisationsstruktur sowie der Selbstdarstellungen der Arbeiterwohlfahrt in Schleswig Holstein insgesamt sowie dem Kreisverband Storman als Referenzmodell insbesondere in der Zeit von 1999 bis 2007. Hierbei werden das Verhältnis von Ehrenamt und Professionellen, von Befristung zu Entfristung von Verträgen, das Verhältnis Teilzeit zu Vollzeit, die Veränderung von Tarifverträgen und Arbeitsplatzanforderungen insbesondere hinsichtlich der Geschlechterverhältnisse dargestellt. Theoretisch bedeutsam ist in diesem Kontext das Konzept unterschiedlicher Subjektivierungsarten.
Subjektivierung allgemein
Die gesamte Reorganisation wird unter der Fragestellung untersucht, welche neuen oder/ und alten Anforderungen der „gefangenen Subjektivierung“ und „wettbewerblichen Subjektivierung“ an die Arbeitenden gestellt werden und wie sie damit umgehen.
„Aufgrund eines sozialpolitischen Paradigmenwechsels bestimmen Kostensenkungen und Effizienzmaßstäbe die Arbeitsbeziehung und die Arbeit wird stärker vom Ergebnis gesteuert. In der Folge werden die Arbeitenden mit gestiegenen Anforderungen an ihre Produktivität konfrontiert und so auf sich selbst und die Wirtschaftlichkeit ihrer Leistungen verwiesen. Die Arbeitenden müssen nunmehr wettbewerbliche Subjektivierungsleistungen erbringen, die, so die zweite These, in einem grundlegenden Widerspruch zur gefangenen Subjektivierung stehen.“ (Wulf-Schnabel 2011: 17)
Unter Subjektivierung werden primär in arbeitssoziologischem Begriffsverständnis dass Wechselverhältnis von Arbeitsanforderungen in Betrieben und den sich zu diesen Forderungen ins Verhältnis setzenden, handelnden, interpretierenden Arbeitenden verstanden.
In Anlehnung an Kleemann u.a. (1999) ist Subjektivität kein „einseitiges Verhältnis von der Person zum Arbeitsgegenstand, sondern eine zweiseitige relationale Eigenschaft. Aus der Perspektive der Einzelperson sind die individuellen Sinndeutungen, Motive, Einstellungen, Empfindungen, Fähigkeiten, Leistungen usw. im Wechselverhältnis mit der Umwelt gemeint. Eigenständigkeit, situative Entscheidungen, subjektive Interpretation und Improvisation im Arbeitsprozess stehen als subjektive Fähigkeiten in einem Wechselverhältnis von Person und Arbeit. Am Arbeitsplatz werden Anforderungen an die Arbeitskraft gestellt und subjektive Handlungsspielräume strukturiert. Es geht um die Passung‘ zwischen arbeitender Person und betrieblichem Arbeitsplatz, weshalb als zentraler Begriff Subjektivierung gewählt wird (Kleemann u.a. 1999: 2 f.) Somit ist Subjektivität zwar eine situativ und individuell besondere Konstellation, sie ist aber zugleich von der Umwelt abhängig und geprägt. Dabei geht es nicht um eine konkrete Einzelperson (individuelle Sichtweise), sondern darum „(…) auf der Analyseebene der Individuen eine Perspektive zu gewinnen, die primär die (sozial geprägten) aktiven Strukturierungs- und Herstellungsleistungen in den Blick nimmt“ (Kleemann 1999 u.a.: 3)“ (Wulf-Schnabel 2011: 24)
Auffallend ist in Wulf-Schnabels Darstellung, dass die Begriffe „Subjektivierung“ und „Subjektivität“ entweder analytisch nicht getrennt und zum Teil unterschieden verwendet werden: „Subjektivierung von Arbeit meint einerseits, dass Arbeit den Individuen zunehmend Subjektivität abverlangt, d.h. von den Individuen werden mehr persönliche Auffassungen und Handlungen eingefordert. Andererseits bringen die Individuen verstärkt ihre Subjektivität in die Arbeit ein, sie subjektivieren die Arbeit. (…) Mit Subjektivierung sind zwei komplementäre Prozesse verbunden: zum einen die Möglichkeit, Subjektivität in die Arbeit einzubringen, und zum anderen der Zwang, die eigene Arbeit selbst zu verwerten (Moldasch/Voß 2003: 13f.).“ (Wulf-Schnabel 2011: 25)
Aus den genannten Zitaten und späteren Passagen der Arbeit ergibt sich in der arbeitssoziologischen Herangehensweise dieser Arbeit, dass unter Subjektivität nicht Individualität im Sinne einer Unverwechselbarkeit der Person gemeint ist, sondern ein Handlungstypus im Sinne von unterschiedlichen ArbeitskraftunternehmerInnen, die mit den Arbeitsanforderungen in einer spezifischen Weise handelnd umgehen. Demgegenüber wird Subjektivierung als das Wechselverhältnis von arbeitend handelnden, denkenden usw. Individuen und den Arbeitsanforderungen verstanden.
„Gefangene Subjektivierung“ versus „wettbewerbliche Subjektivierung“ !?
Eine zentrale These der Arbeit ist die antagonistische Gegenüberstellung von „gefangener Subjektivierung“, die als originäres Charakteristikum Sozialer Arbeit durch den Koproduktionscharakter Sozialer Arbeit und die sowohl fehlende oder schwer zu messende Produkterstellung und den Verkauf an Zweite oder Dritte angesehen wird, zu wettbewerblicher Subjektivierung, die auf Markt- und Konkurrenzverhältnisse orientiert. Hierbei wird die gefangene Subjektivierung tendenziell vor allem als Menschenrechts- und AdressatInnen-orientiert positiv konnotiert wird und die wettbewerbliche Orientierung eher mit Einsparungen, Effizienzstreben und Leistungsdruck am „Quasi-Markt“. Durch das fast allumfassende Monopol des Kostenträgers Staat, der die zum Teil regional oder in bestimmten Leistungssegmenten dominanten Leistungsträger in Konkurrenzsituationen bringt, kann nicht von einem freien Markt, der von Angebot und Nachfrage sowie der Entscheidungsfreiheit der Adressat/innen/Kund/innen bestimmt ist, gesprochen werden, ist von einem Quasi-Markt zu sprechen. „Mit der These der gefangenen Subjektivierung geht die Analyse davon aus, dass Soziale Arbeit an, für und mit Menschen untrennbar mit aktiven Persönlichkeitseinbringungen von Professionellen und AdressatInnen verbunden ist. Im Koproduktionsverhältnis dringt Persönliches in die Arbeit ein und umgekehrt dringt die Arbeit auch in die Persönlichkeit ein. Beide Koproduzent_innen tragen in Interaktion zum Produktionsergebnis bei, aber statt einer marktüblichen Tauschbeziehung liegen Einwegtransfers der fachlich-professionellen (Selbst-)Hilfe vor.“ (Wulf-Schnabel 2011; 17)
Soziale Arbeit wird somit implizit als für die AdressatInnen (selbst-)hilfreich und unterstützend angesehen. Soziale Arbeit so kann aus unterschiedlichen Zitaten geschlossen werden, ist für die Professionellen mühsam („Drecksarbeit“) und Energiezehrend und dient – so die Annahme – dem Wohl der AdressatInnen. Diese nicht hinterfragte Annahme ist angesichts des Aktivierungspradigmas Sozialer Arbeit verbunden mit der Risikozuweisung an die AdresatInnen (vgl. Kessl 2005) problematisch.
Der gefangenen Subjektivierung steht – so Wulf-Schnabel – die wettbewerbliche Subjektivierung antagonistisch gegenüber: „Aufgrund eines sozialpolitischen Paradigmenwechsels bestimmen Kostensenkungen und Effizienzmaßstäbe die Arbeitsbeziehung und die Arbeit wird stärker vom Ergebnis gesteuert. In der Folge werden die Arbeitenden mit gestiegenen Anforderungen an ihre Produktivität konfrontiert und so auf sich selbst und die Wirtschaftlichkeit ihrer Leistungen verwiesen. Die Arbeitenden müssen nunmehr wettbewerbliche Subjektivierungsleistungen erbringen, die, so die zweite These, in einem grundlegenden Widerspruch zur gefangenen Subjektivierung stehen.“ (Wulf-Schnabel 2011: 17)
Die These des Antagonismus gefangener und wettbewerblicher Subjektivierung wird im Folgenden weiter thematisiert.
Zentrale Ergebnisse
In Anlehnung an die Marx‘sche Analyse, dass das Sein das Bewusstsein bestimme, kann aufgrund der Analyse von Jan Wulf-Schnabel in erweiterter Weise davon gesprochen werden, dass die markt- und wettbewerbsorientierte Reorganisation der Wohlfahrtskonzerne sowohl die geschlechterbezogen Verteilung von Arbeitsplätzen als auch die subjektivierenden Arbeitsanforderungen und Handlungspraxen in geschlechterbezogener Weise hinsichtlich der Erwerbs- und familialen Reproduktionsarbeit in bedeutsamer Weise beeinflussen. So sind als Resultat von Reorganisationsprozessen und zunehmender Autonomie einzelner wettbewerblich am Markt bestehen wollender Betriebe unterschiedliche Arbeitskraftunternehmenstypen (vgl. Pongratz und Voß) zu beobachten, die Maximen wie Einrichtungsfortbestand, Kosteneffizienz, Leistungsorientierung und Selbstausbeutung sowie Familien- und Freizeitorientierung und qualitativ ausreichende oder hochwertige AdressatInnenversorgung in unterschiedlicher Weise umsetzen.
Wie lautet nun die Antwort auf die zentrale Frage, wie Angestellte der Arbeiterwohlfahrt Schleswig Holstein (AWO SH) mit den Reorganisationsprozessen und den sich verändernden Arbeitsanforderungen umgehen, die sowohl mehr Autonomie beinhalten als auch höheren Effizienz- und Kostendruck sowie eine Produktorientierung sozialer Dienstleistung bei zunehmend schwereren und quantitativ gehäuften Betreuungsverhältnissen?
Dominanz wettbewerblicher Subjektivierung
Die Antwort auf die obige Frage ist recht eindeutig: Die wettbewerbliche Subjektivierung dominiert die gefangene Subjektivierung. Effizienz- und Kostendenken werden weitestgehend von den Beteiligten – so zeigen die Fragebogenergebnisse und die qualitativen Interviews – internalisiert. „Heute dominieren Auslastungsquote und Refinanzierungssatz pro Fall das Geschehen.“ (Wulf-Schnabel 2011: 239) Im Weiteren heißt es: „Die Internalisierung findet durch einrichtungsferne (externe) und einrichtungsnahe (interne) wettbewerbliche Anrufungen statt.“ (Wulf-Schnabel 2011: 240)
„Subjektivierung ist also ein Prozess, der zwischen Anrufung, Übersetzung und Umsetzung in der Einrichtung vollzogen wird. Das Subjektivierende geschieht in der Person, zwischen Übersetzung und Umsetzung, weil aus der Anrufung selbst noch kein konstitutives Feld des Menschlichen wird (Butler 201: 121). (…) Einerseits bedarf es in den Einrichtungen eines gewissen Zwanges, damit sich wettbewerbliche Subjektivierungen durchsetzen und wirtschaftliche Interesse zum Zuge kommen. Doch die strukturelle Fragilität des Subjektivierungsprozesses wird durch Zwang möglichweise noch erhöht, weil Menschen sich Zwängen auch verweigern. Also darf der Zwang in Einrichtungen andererseits nicht totalitären Charakter haben. Anrufungen benötigen die bereitwillige Zuwendung und Übersetzung der Angerufenen, sie müssen ein Handeln innerhalb verschiedener Möglichkeiten zulassen oder sogar erzeugen. Mit anderen Worten: Die Angerufenen benötigen Freiheit als Subjektivierungsmöglichkeit.“ (Wulf-Schnabel 2011: 242 f.) Obwohl die meisten AWO-Betriebe keine Gewinne erwirtschaften dürfen, die aus dem Betrieb genommen werden, bleiben paradoxerweise „die Mechanismen der Kapitalakkumulation auch ohne Profitstreben gültig, geht es der AWO SH doch um Wachstum bei gesteigerter Produktivität. Ein ökonomischer Überschuss des Unternehmens soll soziale Gewinne für die Gesellschaft erzeugen, indem ein möglicher Mehrwert in die Expansion des sozialen Dienstleistungsangebotes reinvestiert wird (AWO 2005: 15):“ (Wulf-Schnabel 2011: 271) „Den Arbeiten auf der AdressatInnenebene obliegt es dann (auch), für entsprechende Auslastungen der Einrichtungen zu sorgen.“ (Wulf-Schnabel 2011: 242)
Genderverhältnisse und Subjektivierung in der Reorganisation
Die Folgen der Reorganisation verändern auch die Geschlechterverhältnisse und die Lebens- und Arbeitspraxen in einer geschlechterperspektivisch zu lesender Weise. Zeitweise waren 84 Prozent aller AWO-Beschäftigten Frauen und 16 Prozent Männer. Dies ging damit einher, dass bei der AWO in Schleswig Holstein zunehmend Teilzeitbeschäftigungsverhältnisse eingeführt wurden, was vor allem Frauen betraf (S. 41). Frauen arbeiten am häufigsten zwischen 10 und 20 oder zwischen 20 und 30 Stunden arbeiten. Männer arbeiten hingegen am meisten bis zu 10 Stunden oder zwischen 30 bis 40 Stunden. „Aufgrund ihres hohen Anteils sind Frauen von der wettbewerblichen Ausrichtung und dem dauerhaft-diskontinuierlichen Charakter der Reorganisation besonders betroffen. Dabei werden gering bewertete Tätigkeiten (weiterhin) mehrheitlich Frauen zugeschrieben, aber zugleich gelingt es anderen Frauen, sich in der expandierenden AWO SH auf höheren Ebenen zu etablieren.“ (Wulf-Schnabel 2011: 277) „Besonders Mütter stehen vor einem Vermittlungs- und Gestaltungsproblem, denn mit den verschärften Anforderungen an die wettbewerbliche Subjektivität können Mütter immer weniger mithalten. Zunehmende Arbeitsbelastungen lösen Mütter durch Flexiblisierungen der privaten Lebensführung, die jedoch nicht immer gelingen.“ (Wulf-Schnabel 2011: 278)
Auffällig ist, dass entgegen des geringen Anteils von Männern diese überproportional in Leistungspositionen vertreten sind. Anstatt des „glass ceiling“ (den benachteiligenden Aufstiegschancen von Frauen in von auch quantitativ Männern dominierten Berufen) ist in der Sozialen Arbeit von einem „glass escalator“ (einer Arbeitsplatzpositionierung in Leitungspositionen, die nicht den Männeranteil an den Gesamtbeschäftigten widerspiegelt, sondern überschreitet (S. 53). Andererseits gibt es auch prekär Beschäftigte Männer. Zudem würden Männer immer mehr als Studierende aus Sozialarbeitsberufen verschwinden (S. 57). Zudem zeigt sich, dass auch Frauen in Leitungspositionen häufig familiale Reproduktionsarbeiten übernehmen, während Männer in Leitungspositionen sich primär für ihre Karriere bzw. ihren Beruf einsetzen.
„Die in die Produktionsverhältnisse Sozialer Arbeit eingelassenen Geschlechterverhältnisse sind Teil der organisationalen Verfasstheit von Arbeit und Teil der gesellschaftlichen Ordnung. Gewerkschaft muss es besonders in den Feldern Sozialer Arbeit zukünftig viel stärker um Geschlechtergerechtigkeit gehen, beispielsweise beim Entgeltniveau von Frauen und Männern.“ (Wulf-Schnabel 2011:282)
Widerstand?
„Hierbei treten deutlich widerständige Praktiken zutage, beispielsweise wenn das Team bei zu starker AdressatInnenbelastung selbst Doppeldienste beschließt und durchführt, ohne vorab die Genehmigung des Vorgesetzten abzuwarten oder wenn gemeinsame Beschwerden zur Arbeitssituation beim Betriebsrat eingebracht werden. Auch im individuellen erwerbszusammenhang sind widerständige Praktiken erkennbar. Allerdings sind individuelle Vorgehensweisen kennzeichnend für Leitungspersonen, beispielsweise wenn Frau Bollert ihren Vorgesetzten durch eine Arbeitsplatzanalyse von einem Verwaltungsmehrbedarf überzeugt hat (…).“ (Wulf-Schnabel 2011: 216)
Der hier erwähnte gelegentliche Widerstand bezieht sich auf die Entlastung für den eigenen Arbeitsbereich (Anstellung von Verwaltungspersonal oder geringere Schichtbelastung von KollegInnen) oder höhere Entlohnung. Der Widerstand bezieht sich nicht (oder nur indirekt durch mehr Arbeitskapazität der Professionellen) auf die bessere Versorgung der AdressatInnen oder sozialpolitische Forderungen, die die AdressatInnen stellen oder sich auf diese beziehen.
Auflösung der Trennung Arbeitszeit und Freizeit
„Insgesamt ist die Flexibilisierung der Erwerbs- und Privatzusammenhänge eher als Reaktion auf die Arbeitsverdichtung zu sehen; entsprechend erhalten die Beschreibungen der Interviewten vornehmlich Durchdringungen persönlicher Lebensbereiche durch die Arbeit. Umgekehrte Bewegungen undaktive Gestaltung der Arbeits- und Lebenszusammenhänge sind eher die Ausnahme.“ (Wulf-Schnabel 2011: 218) Es zeigt sich also, dass die Arbeit subjektivierend auf den Freizeitbereich auswirkt und das gesamte Leben der Befragten bestimmen.
Geringe Entlohnung
„Aus der Entgeltsituation lässt sich insgesamt keine extrinsische Motivation zur Arbeitsaufnahme unter den skizzierten Bedingungen ableiten, sondern eher eine extrinsische Demotivation, zumal auch keine leistungsbezogenen Vergütungskomponenten identifiziert und selbst Zielvereinbarungen nur vereinzelt benannt wurden.“ (Wulf-Schnabel 2011: 231)
So vertreten die Befragten in unterschiedlicher Schärfe die Auffassung, dass sich Arbeit im Bereich Sozialer Arbeit aus finanziellen Gründen für viele Teilzeitbeschäftigten nicht lohnt (vgl. S. 234)
Schwierigkeiten des Einsatzes für ein verstärktes sozialpolitisches Mandat?
Eine teils (aber nicht durchgängig) geringe oder fehlende Organisationsidentifikation der befragten Angestellten wird mit einem „geringen oder fehlenden sozialpolitischen Organisationscharakter begründet.“ (Wulf-Schnabel 2011: 268) Insgesamt wird das schwache oder fehlend genannte sozialpolitische Engagement der AWO (möglicherweise ist das sozialpolitische Engagement auch neoliberal am Aktivierungsparadigma orientiert?) von den Befragten mehrfach kritisch angesprochen. Das der Einsatz für sozialpolitische Ziele jedoch strukturell schwierig ist, wird im Folgenden aufgezeigt: „In der Zielbetrachtung tritt ein Konflikt sozialpolitischer und unternehmerischer Leitsätze zutage. Das Betriebswirtschaftlichkeitsziel folgt aus der unternehmerischen Akteurin AWO SH von den öffentlichen Trägern. Auf der Einrichtungsebene hat es zur Folge, dass die Einrichtungsfilialen‘ rentabel sein müssen oder geschlossen werden. Zugleich erzeugt diese Logik eine Schwächung der sozialpolitischen Akteurin, weil die AWO SH nicht gleichzeitig gegen dieselben öffentlichen Träger opponieren kann und weil die betriebswirtschaftliche Vereinzelung der Einrichtungen als Filialen kein kollektives Gegengewicht organisieren kann. In diesem Zielsystemkonflikt erringt der betriebswirtschaftliche Maßstab die Oberhand, weil die Refinanzierung der jeweiligen Einrichtung anerkannte Grundlage der Arbeit wird. Es entsteht ein widersprüchlicher Anspruch an die Organisation: Einerseits beklagen die AkteurInnen die fehlende sozialpolitische Einflussnahme, andererseits wird die Wirtschaftlichkeit der Einrichtung (betriebswirtschaftliche Effizienz) als Voraussetzung für die Erbringung Sozialer Arbeit gesehen. Die Arbeitenden befinden sich inmitten widerstreitender Ziele: Die Betriebswirtschaftlichkeit steht in deutlichem Gegensatz zu den formulierten Eigenzielen der Arbeitenden (…), so dass sie zwischen die Anforderungen wirtschaftliche Verwertung der Arbeitskraft‘ und ‚Gebrauchsnutzen der Arbeitskraft für die Entwicklung der AdressatInnen geraten. Die Aussagen der Arbeitenden zeigen, dass ein aktives Eintreten innerhalb und außerhalb des Trägers für Belange der AdressatInnen (Mandatsökonomie) in den Hintergrund gerät und durch die Delegation an die sozialpolitische Akteurin nicht aufgefangen werden kann.“ (Wulf-Schnabel 2011: 260) Auffällig ist die Delegation der sozialpolitischen Verantwortung an die Vorgesetzten und RepräsentantInnen der Führungsebene und Geschäftsführung in im AWO Landesverband SH, während eigene sozialpolitische Aktivitäten und deren Möglichkeit im Rahmen oder in der Leitung der Einrichtung von den Befragten nicht angesprochen werden.
Einrichtungserhalt als zentrales Anliegen
„Eine strukturelle Normativität des Wettbewerbs offenbart sich insbesondere in den Einrichtungen. Die Einzeleinrichtung ist der maßgebliche Ort, an dem sowohl organisationsexterne als auch interne Wirtschaftlichkeitsanrufungen zusammentreffen, die von den Arbeitenden übersetzt und umgesetzt (zum Teil aber auch ausgesetzt) werden. Diese Erkenntnis kann verallgemeinert werden, da auch die Untersuchung von Eichinger (2009: 186, 209) zu dem Ergebnis kommt, dass der Einrichtungserhalt zur zentralen Aufgabe der Arbeitenden geworden ist. Betriebswirtschaftliche Zwänge werden in der Einrichtung über Unsicherheiten und Diskontinuitäten konkret vermittelt und treffen die Arbeiten inmitten ihrer Beziehungen zu den AdressatInnen. Im Spannungsfeld wettbewerblicher und gefangener Anrufungen treten gewisse Internalisierungen der Wettbewerbsbedingungen und zugleich fundierte Kritiken an den Strukturen und Machtverhältnissen auf. Auch dieser Befund ist für Organisationen Sozialer Arbeit verallgemeinerbar, denn Eichinger (2009: 186ff.) findet in ihrer trägerübergreifenden Studie vergleichbare Bewältigungsstrategien der Arbeitenden, die einersaeits dem Einrichtungserhalt Rechnung tragen müssen, aber andererseits im Konflikt zur ethisch-beruflichen Verantwortung und zur persönlichen Existenzsicherung stehen.“ (Wulf-Schnabel 2011: 267) Wulf-Schnabel spricht von einer „betriebswirtschaftlichen Effizienzordnung mit ihrer Risikozuweisung an die Einzeleinrichtungen“ (Wulf-Schnabel 2011: 269)
Auswirkungen neoliberaler Politik
Die „Absicht neoliberaler Politik ist es, auch die kleinsten Basiseinheiten der Gesellschaft als Unternehmen zu denken. „Es geht darum, aus dem Markt, dem Wettbewerb und folglich dem Unternehmen etwas zu machen, das man die informierende Kraft der Gesellschaft nennen könnte.“ (Foucault 2004b: 102) Dieses im Sinne von Gramsci (1991-2002) hegemoniale Projekt zeichnet sich nicht einfach durch erzwungene Unterwerfung aus, sondern schließt die aktive Zustimmung und Mitwirkung der Subalternen mit ein. Mit der quasi-marktförmigen Formatierung Sozialer Arbeit ist es neoliberaler Politik gelungen, Felder Sozialer Arbeit über betriebswirtschaftliche Interessen zu definieren und zu beherrschen.“ (Wulf-Schnabel 2011: 270) „Die doppelte Subjektivierung der Koproduktion Sozialer Arbeit gerät durch wettbewerbliche Subjektivierung derart unter Druck, dass dabei aktive Aneignungsprozesse der wettbewerblichen Subjektivierung und auch zugleich widerständige Praktiken zu beobachten sind, wobei nicht vergessen werden darf, dass sich Soziale Arbeit seit jeher mit ökonomischen Bedingungen auseinandersetzen musste, sich jedoch nun (hilfsweise und erstmals in der Geschichte) auf Quasi-Märkten verkaufen muss.“ (Wulf-Schnabel 2011: 274)
Somit kann davon gesprochen werden, dass die wettbewerbliche neoliberale Subjektivierung sowohl auf der Ebene der Einzeleinrichtungen als auch bei den Angestellten in dominanter Weise wirksam wird.
Ökonomisieren von Dienstleistungen
„Einerseits gelangen bestimmte unbezahlte Arbeiten der privaten Fürsorge- und Versorgungswirtschaft zunehmend in den erwerbswirtschaftlichen Bereich. Beispielhaft wird dies am staatlichen Aus- und Umbau der Erziehung und Bildung im Kindesalter deutlich. Andere, individuelle Arrangements und Übergänge zeigen sich in den Ergebnissen dieser Untersuchung: indem erwerbstätige Frauen ihre unbezahlten Hausarbeiten in bezahlte Haushaltshilfearbeiten überführen und indem bei der AWO SH Service 24 GmbH Fürsorge- und Versorgungsarbeiten ein bestimmtes Geschäftsfeld darstellen. (…) Andererseits werden bezahlte Erwerbsarbeiten wieder ausgelagert und in die unbezahlte Versorgungswirtschaft überführt. Besonders wirksam sind hier die Informationstechnologien, die eine Vielzahl von Tätigkeiten in die unbezahlte Privatsphäre zu verschieben. (…) Mit der These vom arbeitenden Kunden [sic] haben Voß und Rieder (2005) die unbezahlte Arbeit der KonsumentInnen treffend zusammen gefasst. Die Aktivierungstechnologiem Sozialer Arbeit zielen mit ähnlicher Absicht auf die AdressatInnen. Für die Jugendhilfe hat Kessl (2005) verdeutlicht, wie die Soziale Arbeit ein Teil des herrschenden Machtdispositivs ‚Aktiverende Jugendhilfe‘ ist. Das Dispositiv Aktivierung enthält eine Riskiozuweisung an AdressatInnen; die Risikobeteiligung wird damit Teil der eigenen unbezahlten Versorgungsleistung. Auch die Aktivierung des Ehrenamtes überträgt Erwerbsarbeiten in unbezahlte Versorgungsarbeiten. Hier dokumentiert die vorliegende Arbeit den erst beginnenden Prozess der Ein- und Rückbindung ehrenamtlicher Arbeitskraft an die Organisation.“ (Wulf-Schnabel 2011 298f.) „Während die klassischen Industriebranchen ständig schrumpfen, wird der Bedarf am Sozialen also tendenziell weiter wachsen. Zusätzlich geht hieraus hervor, dass Soziale Arbeit nicht auf Industriearbeit basiert, sondern etwas Eigenständiges ist.“ (Wulf-Schnabel 2011: 299)
Neben den Aktivitäten am Quasi-Markt Sozialer Arbeit wird die AWO also auch in privatwirtschaftlichen Versorgungsbereichen am teils freien Markt gewinnorientiert aktiv. Bei den anderen AWO-Betrieben werden die Gewinne wiederum in neue AWO-Firmen, die neu gegründet werden, gesteckt, um neue AdressatInnen zu versorgen und zu gewinnen und um sich gegenüber der Konkurrenz anderer Anbietender am Markt zu profilieren und um als Konzern zu wachsen. Ausdruck neoliberaler Politik des AWO-Konzerns die war mehrjährige Praxis, Neueingestellten 10 Prozent weniger als den bisher Angestellten zu zahlen. Und es bestand und besteht die ständige Drohung, dass die jetzt in der Arbeitsorganisation und Gewinnerwirtschaftung (jedoch nicht in Einstellungsfragen und Fragen des Finanzmanagements) autonomer gewordenen Einrichtungen geschlossen werden könnten. Organisatorisch wurde u.a. das mittlere Management abgeschafft oder eingeschränkt und der Gesamtkonzern glich Defizite einzelner Einrichtungen nicht mehr durch Querfianzierungen oder Finanzspritzen von „oben“ aus.
Ein Effekt dieser Reorganisation war, dass fast alle den Finanz- und Effizienzdruck internalisierten. Offene Kritik am Auftragsmonopolisten Staat und der Sozialpolitik oder die Organisierung von Widerstand und Kritikforen oder überhaupt das Denken der Möglichkeit, die finanziellen Verhältnisse in der Sozialen Arbeit ändern zu können, fand kaum stand. Es wurde das TINA-Prinzip realisiert. Das Denken, das hinsichtlich des Abbaus des Sozialstaates keine Alternative bestehe (There Is No Alternative = TINA).
Diskussion: Ausblendung migrationsgesellschaftlicher Fragen
Auf der einen Seite wird ein Postulat formuliert: „In den Ungleichheitsverhältnissen der Gesellschaft sind die Kategorien gender, class und race durch und durch Subtext, den es aufzudecken und zu bearbeiten gilt.“ (Wulf-Schnabel 2011:282)
Andererseits wird zum Beispiel das Vorhandensein der Migrationsgesellschaft, die Staatsangehörigkeit oder der Migrationshintergrund der Beschäftigten und AdressatInnen systematisch vernachlässigt (im Gegensatz zur Genderdimension und den Einkommensverhältnissen) oder in kulturalisierender Weise thematisiert: „Da viele ehemals unbezahlte Hausarbeiten immer häufiger von haushaltsexternen Frauen erbracht werden (Männer sind hier selten), die aus anderen Kulturkreisen kommen, wird dann deren versorgungs-wirtschaftliche Leistung im Heimatland von anderen weiblichen Personen aus dem Verwandschafts-, Freundes- und Nachbarschaftskreis erbracht oder Frauen aus wiederum anderen Kulturkreisen füllen diese Lücke (Rerich 2006). Mit der genannten Geschäftsfelderweiterung kann das Sozialmanagement plötzlich eine unerwartete globale Dimension bekommen; dabei wird der private Haushalt zum Arbeitsplatz. Durch die immense wirtschaftliche Globalisierung und die zunehmende Erwerbsbeteiligung von Frauen gelangen immer mehr Bereiche der Versorgungswirtschaft in der Erwerbswirtschaft.“ (Wulf-Schnabel 2011: 298)
Das Sprechen von „anderen Kulturkreisen“ konstituiert deren angebliches Vorhandensein und ist inhaltlich für die transnationale Pendelmigration aus Nachbarstaaten unangemessen.
Diskussion: Unklare Definition „Sozialer Arbeit“
Was genau unter Sozialer Arbeit verstanden wird, ist im Verlauf der Arbeit unterschiedlich oder diffus bestimmt. „Nach eigenen Angaben erbringt die AWO SH „(…) Dienstleistungen auf allen Feldern der Sozialen Arbeit“ (AWO SH 2005: 5). Nun ist sicher nicht generell der Definition zu folgen, dass Soziale Arbeit ist, was die Freie Wohlfahrtspflege erbringt, aber da die Geschäftsfelder und Organisationseinheiten der AWO SH ein breites Spektrum Sozialer Arbeit abdecken, bilden diese den Bezugsrahmen der Reorganisations- und Arbeitsanforderungsanalyse.“ (Wulf-Schnabel 2011: 86) „Der Begriff der Reorganisation zielt auf eine umfassende und tief greifende Veränderung in der Organisation.“ (Wulf-Schnabel 2011: 86)
Die Schwierigkeit der homogenisierenden und nicht differenzierten Behandlung unterschiedlicher Arbeitsfelder (Pflege von SeniorInnen, Einrichtungen für Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen, Kindergarten Sozialpädagogische Familienhilfe, Offene Jugendarbeit. Einzelfallhilfe, Essensbringens- und Reinigungsleistungen) und die Fassung aller dieser Dienstleistung als Soziale Arbeit ist mit gewissen Schwierigkeiten verbunden.
So wird in einem zentralen theoretischen Konzept die gefangene Subjektivierung primär als reproduktive Bedürfnisse der AdressatInnen befriedigende und im Koproduktionsverhältnis Sozialer Arbeit erzeugte Interaktionspraxis verstanden, die gar nicht oder schwer als Produkt gemessen oder wie eine Ware an Dritte verkauft werden kann. Das Koproduktionsverhältnis meint, dass aufgrund des Technologiedefizites Sozialer Arbeit (Luhmann) keine bestimmte Handlungspraxis der AdressatInnen nur aufgrund der Arbeit der pädagogischen Professionellen erwirkt werden kann. Obwohl es auch z.B. im Bereich der Pflege starke Tendenzen zu Produktbeschreibungen einzelner Handlungen der Professionellen im Rahmen von Qualitätssicherung und Ökonominierung gibt, ist hier das Theoriekonzept der gefangenen Subjektivierung schlüssiger bzw. auf unterschiedliche Weise wirksam als beispielsweise in der Sozialpädagogischen Familienhilfe oder bei Qualifizierungsmaßnahmen für Erwerbsarbeitssuchende, da in letzteren Maßnahmen z.B. die Vermittlung zu einem Schulabschluss oder eines Arbeitsplatzes zunehmend produktorientiert und an Meßbarkeitskriterien seitens der Handlungspraxen und objektiven Erfolge der AdressatInnen gemessen wird.
Diskussion: Fragen der Subjektivierung
Zum einen ist zu fragen, ob das von Kessl (Der Gebrauch der eigenen Kräfte: Eine Gouvermentalität Sozialer Arbeit, 2005) benannte Machtdispositiv ‚Aktivierende Jugendhilfe‘, das mit der Risikoübertragung an die AdressatInnen verbunden ist, auch auf andere Bereiche Sozialer Arbeit zu übertragen ist und welche Effekte es auf die AdressatInnen-Professionellen-Beziehung und die Versorgung/Unterstützung der AdressatInnen hat. Zum anderen ist in der Arbeit mit den AdressatInnen zu untersuchen, inwieweit die wettbewerblichen Subjektivierung mit dem Machtdispositiv der Aktivierung verwoben, in dieses eingelagert oder in Teilen mit ihm identisch ist.
Es könnte also sein, dass – um in der Terminologie von Jan Wulf-Schnabel zu sprechen – ein zentraler Inhalt der gefangenen Subjektivierung neben der Reproduktionsarbeit die wettbewerbliche Subjektivierung der AdressatInnen (Aktivierungsparadigma) im Sinne einer subjektivierenden wettbewerbsorientierten Selbsttechnologie, die durch Außendruck bestärkt wird, ist. Somit stünden sich gefangene und wettbewerbliche Subjektivierung zwar auf der Ebene der Professionellen antagonistisch gegenüber, nicht jedoch im Verhältnis zu den AdressatInnen, die ebenfalls wettbewerblich im Rahmen der gefangenen Subjektivierung aktiviert werden sollen durch Lernanforderungen im Kindergarten, den Bildungsauftrag der Jugendhilfe und in der Arbeit mit Erwerbsarbeitslosen.
Um nochmals Wulf-Schnabel selber zu zitieren: Es wir klar, dass „das Verständnis von Subjektivierung geschärft und erweitert werden muss und dass zu Subjektivierungen weitere Forschungen notwendig sind. Die hier vorgestellte Trennung in gefangene und wettbewerbliche Subjektivierung versteht sich lediglich als erster Beitrag zur Differenzierung innerhalb der Subjektivierungsdebatte.“ (Wulf-Schnabel 2011: 279)
Fazit
Wohl selten wurde der Umstrukturierungsprozess eines Wohlfahrtsunternehmens über einen so langen Zeitraum (1999-2007, also 8 Jahre) mit derartig viel Datenmaterial auf unterschiedlichen Ebenen (Anzahl, Name, Rechtsstatus und Aufgabe von Einrichtungen, Anzahl Geschlecht und Position sowie Aufgaben der Angestellten sowie quantitative Befragung und vertiefende Einzelinterviews) hinsichtlich der Geschlechterverhältnisse und des Umgangs mit Arbeitsanforderungen im Beruf und Privaten so umfassend untersucht.
Jan Wulf-Schnabel hat ein lesenswertes Buch geschrieben, dass sowohl aufgrund seiner und umfangreichen sowie systematisch aufgearbeiteten empirischen Befunde als auch wegen seiner bedeutsamen und genderbewusst bearbeiteten Fragestellung der Bedeutung der Reorganisation für die Subjektivierung der pädagogisch Professionellen für weitere Analysen Sozialer Arbeit berücksichtigt werden sollte. Es scheint sinnvoll in zukünftigen Arbeiten sowohl migrationsgesellschaftliche Fragen als auch die Theoretisierung der Subjektivierungsprozesse in den Professionellen-AdressatInnenbeziehungen einzubeziehen und die Subjektivierungsprozesse auf der Professionellen-Ebene auszudifferenzieren.
Durch die kenntnisreichen und kritischen Analysen ist die Arbeit von Jan Wulf-Schnabel insgesamt ein wichtiger Beitrag für die Analyse des Umbaus des Sozialstaates und die damit einhergehende Subjektivierungspraxen auf der Ebene der Professionellen.
Rezension von
Prof. Dr. Claus Melter
Hochschule Bielefeld, Arbeitsschwerpunkte diskriminierungs- und rassismuskritische Soziale Arbeit in der Migrationsgesellschaft, Krankenmorde in Bethel im Nationalsozialismus, Koloniale Völkermorde in Tanzania und Namibia.
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Zitiervorschlag
Claus Melter. Rezension vom 31.05.2011 zu:
Jan Wulf-Schnabel: Reorganisation und Subjektivierungen von sozialer Arbeit. VS Verlag für Sozialwissenschaften
(Wiesbaden) 2011.
ISBN 978-3-531-17775-5.
Reihe: Perspektiven kritischer sozialer Arbeit - Band 10.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/11152.php, Datum des Zugriffs 12.09.2024.
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