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Geir Afdal: Researching Religious Education as Social Practice

Rezensiert von Peter Schreiner, 01.11.2011

Cover Geir Afdal: Researching Religious Education as Social Practice ISBN 978-3-8309-2474-6

Geir Afdal: Researching Religious Education as Social Practice. Waxmann Verlag (Münster/New York/München/Berlin) 2011. 160 Seiten. ISBN 978-3-8309-2474-6. 24,90 EUR.
Reihe: Religious Diversity and Education in Europe - 20.

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Thema

In dem Band werden Religionsunterricht (RU) und Religionspädagogik, im englischen Sprachraum mit dem Begriff religious education (RE) bezeichnet, als partizipativ ausgerichtete Forschungsdisziplin begründet. Es geht um die Praxis des Lehrens und Lernens im RU und wie darüber geforscht werden kann.

Autor

Prof. Dr. Geir Sigmund Afdal ist Hochschullehrer für Religionspädagogik an der Norwegischen Universität für Theologie MF Norwegian School of Theology. Seine Forschungsschwerpunkte sind Fragen nach Werten, Pädagogik und Gesellschaft ebenso wie die Beziehung von Theorie und Praxis in Erziehungswissenschaft und Religionspädagogik.

Entstehungshintergrund

Die Frage nach Religionsunterricht als sozialer Praxis und einer möglichen Praxisforschung beschäftigt Afdal seit geraumer Zeit. Im internationalen Austausch und in kontextuellen Studien untersucht er damit zusammenhängende Fragen. Sein Band ist ein Beitrag dafür, wie Religionsunterricht und Religionspädagogik als Praxis erforscht werden können und welche Kriterien dafür gelten sollen. Dazu stellt Afdal eine Beziehung her zwischen der Praxis der Erforschung des Religionsunterrichtes und der Praxis dieses Unterrichtes selbst. Er reagiert damit auch auf eine zunehmende Vernetzung vergleichender religionspädagogischer Forschung in Europa.

Aufbau …

Der Band besteht aus zwei Teilen, die in insgesamt neun Kapitel gegliedert sind.

In Teil I wird mit der Wissenschaftstheorie Charles Taylors und dem Ansatz von Yrjö Engeström, der Sozialwissenschaft als Aktivitäten-System (activity system) konzipiert, ein theoretischer Rahmen im Blick auf die Erforschung sozialer Praxis vorgestellt, der Grundlagen bietet für die Erforschung der Praxis von Religious Education.

Teil II beinhaltet Analysen zu Bereichen und Aspekten, die zu berücksichtigen sind, wenn auf der dargelegten theoretischen Grundlage Religionsunterricht als soziales Praxisfeld erforscht werden soll. Die Darstellung mündet in ein Plädoyer für einen partizipativen Forschungsansatz in religious education mit einem dialektischen Verständnis von Theorie und Praxis.

… und Inhalte

Wie unterscheiden sich pädagogische Theorien von anderen sozialwissenschaftlichen Theorien? Sind Theorien im Bereich pädagogischer Forschung eher „praktisch“ oder eher „normativ“ angelegt, wenn es darum geht, eine Verbesserung der Praxis zu erreichen? Dieser Frage geht Afdal am Beispiel des Religionsunterrichtes bzw. der religiösen Bildung nach. Der englische Begriff „religious education“ wird sowohl als Bezeichnung für ein Schulfach (dann oft mit großen Lettern) als auch für die wissenschaftliche Disziplin Religionspädagogik verwendet. Der Autor plädiert für ein hermeneutisch empirisches Verständnis von Forschung in „religious education“ und für eine dialektische Beziehung zwischen Religionsunterrichtsforschung und der Praxis des Religionsunterrichtes.

Afdal arbeitet mit einem breiten Verständnis von Theorie „as a more or less systematic and coherent account of a phenonema or a system of phenomena“ (S. 10) und von Praxis als „more or less any stable configuration of shared activity, whose shape is defined by a certain pattern of dos and don‘ts“ (ebd.). Er bezieht den wissenschaftstheoretischen Ansatz des kanadischen Sozialphilosophen Charles Taylor mit ein, um eine eigene Konzeption zur Frage von Forschung im Religionsunterricht zu entwickeln. Wesentliche Elemente sind dabei der dialogische Charakter des menschlichen Daseins, das Konzept der Selbst- und Fremdinterpretation sowie die Auffassung der Situations- und Kontextbezogenheit menschlicher Existenz. Jegliches Wissen gilt als abhängig von seinem Produzenten und von verschiedenen möglichen Interpretationen. Mit dieser theoretischen Perspektive wird allen Beteiligten im Religionsunterricht ein aktiver, sinnproduzierender Status zugesprochen, der auch das Verständnis von Forschung prägt. Komplementär zu Taylor verwendet Afdal ein von dem finnischen Wissenschaftler Engeström entwickelten Ansatz, Sozialwissenschaft als Aktivitäten-System zu begreifen.

Aus diesen beiden Ansätzen kristallisiert der Autor heraus, dass Forschung zu sozialer Praxis stets das Selbstverständnis und die eigene Interpretation dieser Praxis zu berücksichtigen habe. Ebenso ist ein breites Verständnis von Sprache anzulegen, das nicht abgrenzend zwischen Alltagssprache und analytischer Sprache unterscheidet. Was bedeutet diese für die Erforschung von religious education? „It means that there has to be a close, but complex hermeneutical relationship between research in religious education and the practice of religious education“. (S. 71)

Afdal geht es nicht um einen Forschungsansatz, der funktional Bildungspolitik und Praxis von Religious Education verändern will. Vielmehr beschäftigt er sich mit dem Verhältnis von Theoriebildung und Forschung im Blick auf Religious Education selbst, wobei Forschung stets auf Theorie und Praxis bezogen ist. Forschung und Praxis werden zunächst als eigenständige Domäne angesehen, die miteinander in Beziehung stehen. Hilfreich ist Afdals Unterscheidung von präskriptiven, deskriptiven, normativen und expressiv, interpretativ angelegten Typen von Theorien. Letztere entstehen durch Dialog und Aushandlung zwischen Praxis und Forschung und sind nach Afdal für die Erforschung von Religious Education besonders relevant. Seine Position beruht auf einem dialektischen Verständnis von Theorie und Praxis, das eine partizipative Forschungsperspektive im Blick auf Religious Education begründet. In diesem Modell wird der Praktiker zum Forscher und der Dialog zwischen Forscher/innen und Praktiker/innen als Ko-Forscher/innen zu einem zentralen Element.

Insgesamt bietet der Band Grundlagen zu einer selbst-kritischen Perspektive derjenigen, die den Religionsunterricht in partizipativer Weise erforschen wollen.

Diskussion

Anspruchsvoll ist das Unternehmen, einen wissenschaftstheoretischen Rahmen dafür plausibel zu machen, Religionsunterricht und Religionspädagogik (religious education) als partizipativ ausgerichtete Forschungsdiziplin zu begründen. Afdal stellt sich dieser Aufgabe in theoretisch anspruchsvoller, argumentativ dichter Weise. Allein die zusammenfassende Darstellung von Charles Taylors komplexer Wissenschaftstheorie und die Begründung ihres Nutzens für das eigene Unterfangen, lohnt die Lektüre des Buches. Die präzise Argumentation und die Verwendung metasprachlich organisierender Textteile helfen der Leserin, die Struktur der Studie nachvollziehen zu können. Mit seinem Ansatz etabliert Afdal Religionspädagogik als Praxistheorie und Theoriepraxis zugleich im Rahmen eines weitergehenden erziehungswissenschaftlichen Diskurses.

Fazit

Wer sich über neuere Ansätze praxisbezogener Forschung im Blick auf Religionsunterricht und Religionspädagogik im internationalen Diskus orientieren will, hat mit Afdals Werk einen profunden Beitrag mit reichhaltigen Bezügen und exzellenten Darstellungen der wissenschaftstheoretischen Grundlagen zur Hand, der überzeugende Grundlagen für eine partizipative Forschungsperspektive in diesem Feld bereitstellt.

Rezension von
Peter Schreiner
Wiss. Mitarbeiter Comenius-Institut. Evangelische Arbeitsstätte für Erziehungswissenschaft e.V., Münster. Arbeitsbereich: Bildung in der Schule. Aufgaben: Aufgabenbereich Evangelische Bildungsverantwortung in Europa
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Es gibt 3 Rezensionen von Peter Schreiner.

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Zitiervorschlag
Peter Schreiner. Rezension vom 01.11.2011 zu: Geir Afdal: Researching Religious Education as Social Practice. Waxmann Verlag (Münster/New York/München/Berlin) 2011. ISBN 978-3-8309-2474-6. Reihe: Religious Diversity and Education in Europe - 20. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/11191.php, Datum des Zugriffs 10.12.2023.


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