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Werner Berschneider: Wenn Macht krank macht

Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 22.03.2011

Cover Werner Berschneider: Wenn Macht krank macht ISBN 978-3-87630-203-4

Werner Berschneider: Wenn Macht krank macht. Narzissmus in der Arbeitswelt. Präsenz Kunst & Buch (Hünfelden) 2011. 176 Seiten. ISBN 978-3-87630-203-4. 16,95 EUR.

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Narzissten sind unter uns – sind wir es selbst?

Narzissmus als krankhafte Form gibt es in vielen Variationen, und die Merkmale von narzisstischem Verhalten reichen von der Freudschen Definition als eine psychische Kraft, die auf das eigene Ich gerichtet ist, anstatt auf das Objekt, über die Zuschreibung, die der Psychoanalytiker Heinz Kohut trifft, dass Narzissten sowohl ein labiles Selbstwertgefühl haben, als auch ein perverses, süchtiges und delinquentes Verhalten zeigen, bis hin zu der Kennzeichnung, die der amerikanische Psychoanalytiker Otto F. Kernberg trifft, dass Narzissmus sich in der intensiven Beschäftigung mit sich selbst, durch übertriebenem Ehrgeiz und in Allmachtsgefühlen darstelle. Die verschiedenen Stadien können dabei von einem durchaus gesundem bis zu krankhaftem Narzissmus reichen. Der aus einem griechischen, antiken Mythos hergeleitete Begriff bezieht sich auf den Jüngling Nárkissos, der sich, indem er an einer Quelle sein eigenes Bild auf der Wasseroberfläche sieht, in dieses Spiegelbild, also in sich selbst verliebte und verzweifelte, weil er es nicht habhaft werden konnte. Caravaggio hat die Situation in seinem Bild eindrucksvoll vermittelt. Im späten 19. Jahrhundert wurde der Begriff, vor allem durch Sigmund Freud, C. G. Jung und ihren Schülern, in die psychoanalytischen Forschungen und Praxis eingebracht.

Autor und Entstehungshintergrund

Der gefragte Coach und Managementtrainer Werner Berschneider schreibt keine wissenschaftliche Abhandlung über den Narzissmus. Bei seinen Veranstaltungen und Beratungen wird er immer damit konfrontiert, dass sich narzisstisches Verhalten von Menschen sowohl als alltägliche Erscheinung, ja sogar anerkennens- und liebenswerte Haltung darstellen, als auch als störende und verletzende Formen auftreten. Mit einem Blick in die historische und aktuelle gesellschaftliche Wirklichkeit stellt er fest, dass einerseits Narzissten berühmte Kunstwerke, ökonomische, technische und politische Leistungen hervorgebracht haben und erbringen, als auch zu ausbeuterischen, zerstörenden, gemeinschaftsschädigenden, größenwahnsinnigen und egoistischen Taten fähig sind. Wir genießen im Freundes- und Bekanntenkreis diese Selbstverliebtheit manchmal sogar, genau so wie sie uns als monologisierende und prahlerische Selbstdarstellung auf die Nerven geht. Narzissmus ist also um uns – und in uns? Wo ist narzisstisches Denken und Verhalten sinnvoll und nützlich, wo schadet es? Wie lässt sich Narzissmus erkennen? Und: Was kann man dagegen tun, wenn ein Mensch seine narzisstischen Eigenschaften so stark lebt, dass er sich und andere damit schadet?

Aufbau und Inhalt

Werner Berschneider gliedert das Buch in mehrere Kapitel.

Er beginnt mit der Darstellung von Formen und Beispielen für einen gesunden Narzissmus. Dabei nimmt er das biblische Gebot „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ um zu verdeutlichen, „dass nur ein Mensch, der sich selbst angemessen lieben kann, auch in der Lage ist, andere Menschen zu respektieren, wertzuschätzen und zu lieben“. Damit stellt er die „Selbstliebe“ als eine notwendige Form der Ich-Werdung und –Erkennung, insbesondere im Bildungs-, Erziehungs- und Partnerschaftsprozess dar. Er weist aber auch darauf hin, dass es, für die alltägliche und berufliche Lebensbewältigung einer Selbstfürsorge bedarf, die auf der Menschenwürde basiert, wie dies in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zuoberst formuliert wird: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen“, wie es auch im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland .heißt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Wenn der römische Philosoph Seneca vor fast 2000 Jahren formuliert: „Was das Gesetz nicht verbietet, verbietet der Anstand“, bedeutet ja, dass der Mensch nicht alles tun darf, was er meint zu können; denn „die Hauptverantwortung für den Weg zu gesundem Narzissmus liegt bei uns selbst“, und in einem verantwortungsvollen, sinnorientierten Denken und Handeln. In einer Neun-Punkte-Aufstellung weist der Autor darauf hin, dass insbesondere Führungskräfte in der Wirtschaft und Gesellschaft sich eines gesunden Narzissmus vergewissern sollten.

Im zweiten Teil werden die wichtigsten Erscheinungsformen von narzisstischen Persönlichkeitsstörungen thematisiert. Da ist der „dickhäutige, unbeirrte, grandiose Narzisst“, der seine grandiosen Erwartungshaltungen und Vorstellungen auslebt und die dabei (auch) auftretenden Minderwertigkeitsgefühle versteckt, der als Manager, Vorgesetzter oder Mitarbeiter mit „Arroganz der Macht“ die Gefühle anderer verletzt, oder mit großspurigem Auftreten andere niederwalzt oder umgeht: „Mach dich nicht so groß, so klein bist du doch gar nicht“, rät der Psychoanalytiker Hans Jürgen Wirth. Weiter der „dünnhäutige, verletzliche, fragile Narzisst“, der nach dem Motto lebt: Du darfst dich nie so zeigen, wie du wirklich bist! Er wittert hinter jeder Geste, jeder Verhaltensweise von anderen, einen Angriff, eine Minderschätzung oder eine Provokation gegen sich. Als Vorgesetzter setzt er alles daran, andere zu dominieren und vermittelt den Eindruck, „etwas Besseres zu sein“.

Wenn der Autor auch in der Einleitung schreibt, dass die meisten diagnostizierten Narzissten männlich sind, gibt es natürlich auch die „spezifisch weibliche Form des Narzissmus“, wie dies im weiteren Kapitel aufgezeigt wird. Der Autor benutzt zur Erklärung das im Mythos „Narcissus und Echo“ dargestellte Beziehungsmodell einer totalen Anpassung und Unterwerfung, der Aufgabe der eigenen Identität und die Anlehnung an einen bedeutenden Partner und erläutert die verschiedenen, überwiegend weiblichen narzisstischen Verhaltensweisen an zwei Beispielen.

Diese drei typischen narzisstischen Erscheinungsformen treten natürlich in der Wirklichkeit selten in dieser skizzierten, abgeschlossenen Weise auf; vielmehr vermischen sich die Formen und zeigen sich in den je verschiedenen Situationen unterschiedlich; etwa auch, bedenkt man die immer wieder erfahr- und erlebbare „Volksweisheit“: Man kann mit einer Aufgabe oder einem Amt wachsen, aber sich auch korrumpieren – und zum Narzissten werden! Wichtig für das Erkennen von Persönlichkeitsstörungen und ihrem Umgang damit ist die Betrachtung des sozialen Umfeldes, in denen sich Narzissten bewegen und von Co-Narzissten umgeben werden. Es sind die Profiteure, die Claqueure und die dienstbaren Geister, die um die Narzissten eine Festung bauen. Die Warnung geht an viele: „Wer ranghohe Führungspositionen mit pathologischen Narzissten besetzt, muss sich der Brisanz seiner Entscheidung bewusst sein“, denn er bringt nicht reife und stabile Persönlichkeiten in solche Positionen, sondern „im Kern kranke, gefährdete und in dieser Position gefährliche Menschen“.

„Wie entsteht pathologischer Narzissmus?“ – diese Frage lässt sich natürlich nicht erschöpfend beantworten. Es zeigen sich jedoch Verhaltensweisen und Einstellungen, die die Vermutung nahe legen, dass sich daraus narzisstische Störungen ergeben können, wie z. B.: Ungünstige Verbindungsmuster, Vernachlässigung – Verwahrlosung – Misshandlung – Missbrauch, Idealisierung – Verwöhnung, Entwicklung eines „falschen Selbst“, beschämende Ereignisse und geringe Mentalisierungsfähigkeit.

„Wir leben in einem Zeitalter des Narzissmus“; diese erst einmal gewagt anmutende Feststellung verdeutlicht der Autor gewissermaßen durch eine Art Bestandsaufnahme der gesellschaftlichen Befindlichkeiten Hier und Heute – dass der Eigennutz vor dem Gemeinnutz rangiert, dass die Ökonomisierung unseres Lebens eine „Immer-weiter-immer-schneller-immer-mehr- Einstellung fördert, dass die vielfältigen Formen der Banalisierung im Umgang mit Menschen und Sachen zur Anonymisierung des individuellen und gesellschaftlichen Lebens führen und dass die überall lauernden Suchtgefahren zur Haltlosigkeit beitragen.

Mit der Frage „Gibt es Hilfen für Narzissten?“ wird für eine Sensibilisierung und Achtsamkeit geworben, und es werden Ratschläge erteilt, wie Narzissten nach dem Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe“ geholfen werden kann, Therapiekonzepte etwa aus der Logotherapie und der spirituellen Praxis vorgestellt.

Mit der Überschrift „Leben und Überleben im Dunstkreis des Narzissten“ wendet sich der Autor an diejenigen, die im Beruf und im privaten Leben unter Narzissten zu leiden haben. Mit 12 nachdenkenswerten Anregungen formuliert er Hilfsstützen und Verhaltensvorschläge, die hilfreich sein können für eine „Sinnorientierung“ des persönlichen und gesellschaftlichen (Zusammen-)Lebens. Es ist die Suche nach einem sinnerfüllten Leben und die Ausschau nach schöpferischen, erlebnisreichen und Einstellungswerten und die Aufforderung, diese Werte nicht nur zu denken, sondern zu leben.

Im Schlussteil schließlich setzt sich Berschneider mit dem Zusammenhang von „Narzissmus und Macht“ auseinander. Dort wo Macht zur persönlichen oder institutionalisierten Gewalt wird und zur „Selbstberauschung“ des eigenen Mächtigseins führt, wächst der Narzissmus, nicht selten sogar von den Narzissten selbst nicht (mehr) wahrgenommen.

Fazit

Das Buch „Wenn Macht krank macht“ ist ein knapper Ratgeber, um sich der Probleme bewusst zu machen, die durch narzisstische Persönlichkeitsstörungen vor allem in der Berufswelt entstehen. Die Verweise auf die vielfältigen Formen von persönlichen und gemeinschaftsschädlichen narzisstischen Verhaltensweisen werden jeweils mit anschaulichen Beispielen verdeutlicht. Des Autors abschließender Appell: „Keine krankhaften Narzissten in Führungsetagen“ richtet sich nicht nur an Aufsichtsräte in großen Unternehmen, sondern auch an alle diejenigen, die in betrieblichen Zusammenhängen Führungsaufgaben, auch welcher Ebene und in welchen Betriebssystemen auch immer, vergeben. Die Achtsamkeit über menschliche Verhaltensweisen, die in individuellen und gesellschaftlichen Bereichen Schaden anrichten können, ist jedoch nicht nur eine Herausforderung für diejenigen, die in Wirtschaft und Gesellschaft über Schlüsselpositionen verfügen, sondern für uns alle. Da Narzissten weder vom Himmel fallen, noch ein „Narziss-Gen“ die jeweiligen, unterschiedlichen Persönlichkeitsstörungen bestimmt, gilt es – in der Erziehung und Bildung, wie im gesellschaftlichen Umgang – die eigenen narzisstischen Gefährdungen zu erkennen und sie bei anderen feststellen, zuordnen und möglichst klein halten zu können.

Werner Berschneider zeigt in eindrucksvoller, leicht verständlicher und umgangssprachlicher Weise auf, dass es Zeit ist, der „Zeitkrankheit Narzissmus“ Alternativen entgegen zu setzen. So ist das Buch ein Ratgeber für uns alle, und ein Fingerzeig auf die Auswirkungen, die narzisstische Persönlichkeitsstörungen auf dich und mich ausüben können!

Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Es gibt 1574 Rezensionen von Jos Schnurer.

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Zitiervorschlag
Jos Schnurer. Rezension vom 22.03.2011 zu: Werner Berschneider: Wenn Macht krank macht. Narzissmus in der Arbeitswelt. Präsenz Kunst & Buch (Hünfelden) 2011. ISBN 978-3-87630-203-4. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/11203.php, Datum des Zugriffs 20.03.2023.


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