Lore Anderlik: Montessori - Ein Weg zur Inklusion
Rezensiert von Dr. Dipl.-Psych. Lothar Unzner, 05.01.2012

Lore Anderlik: Montessori - Ein Weg zur Inklusion. Überlegungen aus der Praxis - für die Praxis. Verlag modernes lernen Borgmann GmbH & Co. KG. (Dortmund) 2011. 176 Seiten. ISBN 978-3-8080-0671-9. 16,80 EUR. CH: 27,20 sFr.
Seit Erstellung der Rezension ist eine neuere Auflage mit der ISBN 978-3-8080-0751-8 erschienen, auf die sich unsere Bestellmöglichkeiten beziehen.
Autorin
Lore Anderlik ist Montessori-Erzieherin und Montessori-Heilpädagogin. Sie arbeitete in den 1970er Jahren im Kinderzentrum München am Aufbau der Montessori-Therapie mit. Dort war sie von 1982 bis 1993 Leiterin der Abteilung Montessori-Therapie, von 1991 bis 2008 Leiterin der Montessori-Therapie-Fortbildung.
Thema
Inklusion war 2011 ein wichtiges Thema. In der Montessori-Pädagogik hat die gemeinsame Betreuung, Erziehung und Bildung von behinderten und nicht behinderten Kindern eine lange Tradition.
Die Autorin will erläutern, warum Inklusion für die Entwicklung der Gesellschaft wichtig ist und Strategien und Fördermöglichkeiten aufzeigen, um dieses Ziel zu erreichen.
Aufbau und Inhalt
Das Buch beginnt mit einem ausführlichen Vorwort von Sabine Stengel-Rutkowski.
Im theoretischen Teil erläutert Lore Anderlik, was Inklusion bedeutet, seine Auswirkungen auf das Schulsystem, stellt Inklusion und Integration gegenüber und formuliert Anforderungen an Einrichtungen, Pädagogen und das erweiterte soziale Umfeld. In Fallbeispielen schildert sie verschiedene Lebensläufe und regt mit Fragen zum Nachdenken an. Anschließend geht sie in einem langen Abschnitt auf die Sicht Maria Montessoris ein.
Anderlik sieht das Verständnis für Geld als unbedingt notwendig für eine maximale Selbständigkeit; das eigene Geld zu verwalten ist Teil der Lebensqualität. Deshalb haben die Übungen des umfangreichen zweiten Teils das Hauptziel, das Verständnis für Geld zu fördern. Diese mit Übungen des praktischen Lebens, diese Aufgaben und Spiele fördern aber auch alle anderen Ziele einer Montessori-Therapie (z.B. Sinnesschulung, Verbesserung von Ausdauer und Frustrationstoleranz). Es werden jeweils Material, Darbietung, Herstellung, Spielregeln, Durchführung, direkte und indirekte Ziele, Weiterführung, etc. aufgeführt.
Diskussion
Das Buch bietet im praktischen Teil auf fast 90 Seiten viele gut umsetzbare Ideen, Aufgaben und Spiele.
Die Fallbeispiele regen mit ihren gezielten Fragen an, sich am konkreten Einzelfall über Vor- und oder Nachteile, eigene Einstellungen etc. klar zu werden bzw. sich zu hinterfragen.
Die Autorin versucht klar zu machen, dass Inklusion alle bereichert. Die Politik ist gefordert, die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Montessori-Pädagogik und Montessori-Therapie können ihren Beitrag dazu leisten.
An einigen Stellen wird die Grenze zwischen sinnvollem Enthusiasmus und Übereuphorie überschritten, so etwa bei den Ausführungen von Stengel-Rutkowski. Im Vorwort definiert sie geistige Behinderung als vermeidbaren Prozess, der primär auf einer Fehlinterpretation von Verhalten beruhe und auf eine motorische Retardierung rückführbar sei. Natürlich muss jedes Kind individuell bestmöglich gefördert werden (eine sekundäre geistige Behinderung bei Syndromen ist zu verhindern) und brauchen Eltern Hoffnung, unrealistische Hoffnungen und Schuldgefühle, eventuell doch nicht alles für das Kind getan zu haben, gilt es jedoch zu vermeiden.
Es ist nicht nur bei Inklusion so (wie es bei der Gegenüberstellung von Integration und Inklusion suggeriert wird), dass Eltern in Zusammenarbeit mit Pädagogen und anderen Fachkräften selbst über sinnvolle zusätzliche Förderung entscheiden. Sorgeberechtigte Eltern tun dies grundsätzlich. Wenn sich die Eltern in jedem Einzelfall auch noch um die Finanzierung kümmern müssen, sehe ich die große Gefahr, dass das Ausmaß der Hilfe von der Kompetenz der Eltern abhängt und insgesamt sehr mittelschichtslastig wird. Zum Glück besteht (noch) eine Anspruch auf eine Vielzahl von Fördermaßnahmen über Krankenkassenleistungen und Eingliederungshilfe.
Fazit
Ein Buch mit viel Optimismus und Enthusiasmus, das im Praxisteil viele gute Anregungen gibt.
Rezension von
Dr. Dipl.-Psych. Lothar Unzner
ehem. Leiter der Interdisziplinären Frühförderstellen in Dorfen, Erding und Markt Schwaben im Einrichtungsverbund Steinhöring
Mailformular
Es gibt 198 Rezensionen von Lothar Unzner.