Thomas Schuler: Bertelsmannrepublik Deutschland
Rezensiert von Arnold Schmieder, 22.07.2011
Thomas Schuler: Bertelsmannrepublik Deutschland. Eine Stiftung macht Politik. Campus Verlag (Frankfurt) 2010. 304 Seiten. ISBN 978-3-593-39097-0. D: 24,90 EUR, A: 25,60 EUR, CH: 42,90 sFr.
Thema
„Wie demokratisch muss eine Stiftung sein“, lautet die Eingangsfrage des Klappentextes, „die Einfluss auf die Demokratie nimmt?“ Die Bertelsmann Stiftung, hierzulande eine der prominentesten, müsste da besonders in der Pflicht stehen, zumal da, wo sie dem Vermächtnis von Reinhard Mohn folgt, nämlich Transparenz zu schaffen, was laut Mohn „'in der Gesellschaft und in der internationalen Zusammenarbeit Verlässlichkeit und Vertrauen'“ fördert (S. 17); Transparenz sei auch darum unabdingbar, um Leistung messen und vergleichbar machen zu können. Mohn wollte für den Zweck der Erhebung von entscheidungsrelevanten Vergleichsdaten alles messen, und zwar bis in recht spektakuläre Bereiche, etwa die Leistungen von Politikern oder die Überzeugungskraft religiöser Vorstellungen. Damit folgte er wohl einem auch zu seiner Zeit nicht mehr ganz taufrischen Wissenschaftsverständnis und ließ dabei, so der Verfasser, nur eines außer Acht: „die Effizienz seiner Stiftung und ihren Nutzen für die Allgemeinheit.“ (S. 14) Diesem Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit in der Stiftung selbst und ihrer Politik geht Thomas Schuler in sachlich-investigativer, bester wissenschaftsjournalistischen Manier nach.
Aufbau und Inhalt
Zunächst werden die Vorgeschichte, Grundprinzipien, Gründung und Aufbau der Stiftung dargestellt, wobei bereits im Unterkapitel über das Modell der Gewinn- und Mitarbeiterbeteiligung, dessen logische Fortsetzung die Stiftung ist, deutlich wird, wie die Bertelsmann AG bzw. die Familie Mohn sich nicht nur die Entscheidungsmacht, sondern auch Besitz und Pfründe sichern. Alle Steuern zahlenden Deutschen werden zu Mitarbeitern und Teilhabern der Stiftung, „indem sie die Projekte der Stiftung durch Steuererlass mitfinanzieren“, wobei nach Bekundung von Bertelsmann selbst der „'weitaus größte Teil der Gewinne im Unternehmen'“ verbleibe. So habe Mohn mit dem Wort von Schuler die „Bertelsmannrepublik Deutschland“ gegründet, dem Modell nach ein weder sozialistisch noch demokratisch ambitioniertes Unterfangen, sondern ein kapitalistisches mit dem erklärten Stiftungs-Ziel: „eine durch Wettbewerb und Vergleich geprägte Gesellschaft“ - in der jedoch automatisch diejenigen die Gewinner seien, „die an der Macht sind“. Mohns Modell habe einen Verlierer: „die Allgemeinheit. Denn ohne das Modell müsste Bertelsmann Steuern abführen, die er aber auf diese Weise im Unternehmen behält. Der Staat geht leer aus.“ (S.29)
Dies ist Tenor und tragende Argumentationsfigur der Arbeit von Schuler, auf die er seine insgesamt dreizehn Kapitel fokussiert, die allesamt mit einer Fülle von Fakten und Quellenbelegen unterfüttert sind.
So zeigt der Autor, wie sich die Stiftung Staatsoberhäuptern und Spitzenpolitikern andiente, um sich ihrer zu bedienen, in die Medienreform mit Blick auf Privatisierung eingreifen und praktisch wirksam werden konnte, eine Rezeptur für Zielorientierungen innerhalb der Arbeitsmarktreform entwickelte und die Hartz-Kommission beeinflusste, nicht zuletzt mehr als ein Wörtchen im Zuge der Hochschulreform mitredete, und zwar auch über Rankings, mit denen Mohns Idee auch hier in Politik durchzusetzen versucht wird, hier im Hinblick auf „eine wettbewerbliche - man kann auch sagen unternehmerisch geführte - Universität“. (S. 171); ein Versuch der Operationalisierung von Forschung und Lehre, der selbst seitens des Statistischen Bundesamtes für untauglich gehalten wurde. Nicht zu kurz, und dies u.a. macht die Seriosität des Buches von Schuler deutlich, kommt die Abwehr, kommen die Beschwichtigungen und Abwiegelungen der Stiftung gegen kritische Einlassungen und Hinterfragungen, die sich dem Grundmuster nach wiederholen und nicht nur von außen, sondern auch aus den eigenen Reihen kommen.
Schuler referiert ausführlich, wägt Argumente kritisch ab, desavouiert dabei nie durch spöttischen oder hämischen Unterton. Immer wieder wird die Vernetzung von Stiftung, Beratern und Politik zum Thema, woraus erhellt, wie die Stiftung unter Wahrung nicht nur ihrer scheint's ideellen Vorgaben, sondern ihrer handfesten Interessen ihren Zielen folgt, letztendlich denen der Familie Mohn und ganz im Sinne dessen, was Mohn - aus seiner Sicht verständlicherweise - als vorrangiges Ziel formuliert hatte: „die Sicherung der Unternehmenskontinuität.“ (S. 19) Was Wunder - der Verfasser behält wohl Recht mit dem, was er gleich im Prolog kritisch vorwegnimmt: „Gemeinnutz im Verständnis von Reinhard Mohn ist erstaunlicherweise oft gerade das, was seinem Unternehmen nutzt. Das ist das eine Problem. Das andere ist, dass die Stiftung sich ungeniert der Politik annähern kann.“ (S. 11)
Im Abschlusskapitel und im Epilog bündelt der Autor seine Kritiken und zieht den Schluss, „der Einfluss der Familie Mohn und der Bertelsmann AG“ müsse zurückgenommen werden, weil erst dann die Stiftung „das Vertrauen, das sie verloren hat, zurückgewinnen“ könne. (S. 285) Auch stellt er die Frage danach, die der Leser schon im Klappentext findet, nämlich wie demokratisch eine Stiftung sein muss, „die Einfluss auf die Demokratie nimmt?“ (S. 284) Immerhin kann er konstatieren, dass es, wie es im Haupt- und Unterkapitel heißt, „im Innern der Stiftung rumort“ und der „Druck von innen und außen steigt“. Auch zeigt er an US-amerikanischen Beispielen, dass es durchaus möglich ist, Stiftungen tatsächlich demokratisch zu verfassen und zu kontrollieren. - Davon hat man gehört oder gelesen, aber kaum in so ausführlicher und akribisch recherchierter Form wie in Thomas Schulers „Bertelsmannrepublik Deutschland“.
Ein knappes, aber durchaus hinreichendes Glossar und ein sehr ausführliches Register runden das Buch sinnvoll ab.
Fazit
Der Autor ist freier Journalist und Buchautor. In vormaliger Medienkritik war neben Intimisierung zumal Personalisierung gesellschaftlicher Sachverhalte und Probleme ein Vorwurf, der gegenüber den Print- und audio-visuellen Medien erhoben wurde. Wenn Schuler die Familie Mohn und deren Interessen als Stein demokratischen Anstoßes ins Blickfeld rückt, personalisiert auch er. Natürlich hat der Verfasser nicht Unrecht, doch eröffnet sein Buch selbst auch einen anderen Analysehorizont, zumal da, wo er sich auf den Bertelsmann-KritikerJens Wernicke bezieht, welcher der Stiftung vorhält, sie würde „mehr und mehr selbst zum 'Staatsapparat'“ und kenne „'nur ein einziges Rezept als Lösung aller gesellschaftlichen Probleme, und seien sie noch so komplex: die Gesellschaft soll wie ein Unternehmen geführt, der Staat mehr und mehr abgebaut werden.'“ (S. 265) Mehr jedoch ist Thomas Schuler für sein engagiertes Buch zu danken als ihm vorzuhalten, dass er am Schluss seines Buches das Problem mit dieser Stiftung nicht gesellschaftstheoretisch verortet.
Wie demokratisch kann eine Demokratie sein, in der die Politiker von Lobbyisten und eben auch von bezahlten und gewiss nicht unabhängigen Stiftungs-Experten beraten werden? Solche Beratung oder nur Information über Partialinteressen, so kann man von manchen akademischen Politologen hören, sei angesichts der hohen Komplexität fast aller gesellschaftlich relevanten Bereiche notwendig, sachlich begründet, letztendlich seien Politiker in ihren Entscheidungen doch frei. Schiebt man den Gedanken an Parteiraison und innerparteiliches Macht- und Abhängigkeitsgefälle, den Verdacht gegenüber Vorteilsnahme, Seilschaften und Nepotismus beiseite, ist dieses Argument auf der Ebene dessen plausibel, was faktisch ist. Der Sachzwang, inzwischen zur heiligen Kuh avanciert, gehört dadurch geschlachtet, dass man den Diskurs um demokratische Gestaltung aller gesellschaftlichen Bereiche vorantreibt, sich ganz im Sinne der Mütter und Väter des Grundgesetzes dieser Republik einmischt. Dafür ist der sehr zu empfehlende Beitrag von Thomas Schuler nicht nur ein Beispiel, sondern ein Lehrstück.
Rezension von
Arnold Schmieder
Mailformular
Es gibt 131 Rezensionen von Arnold Schmieder.
Zitiervorschlag
Arnold Schmieder. Rezension vom 22.07.2011 zu:
Thomas Schuler: Bertelsmannrepublik Deutschland. Eine Stiftung macht Politik. Campus Verlag
(Frankfurt) 2010.
ISBN 978-3-593-39097-0.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/11267.php, Datum des Zugriffs 16.09.2024.
Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt.
Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns.
Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen
für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.