Richard Swedberg (Hrsg.): Grundlagen der Wirtschaftssoziologie
Rezensiert von Prof. Dr. Ruth Simsa, 29.09.2011

Richard Swedberg (Hrsg.): Grundlagen der Wirtschaftssoziologie.
VS Verlag für Sozialwissenschaften
(Wiesbaden) 2009.
387 Seiten.
ISBN 978-3-531-15870-9.
24,90 EUR.
Reihe: Wirtschaft + Gesellschaft.
Autor und Herausgeberin
Richard Swedberg
ist Professor für Soziologie an der Universität von Cornell (USA)
und einer der führenden Wirtschaftssoziologen der Gegenwart.
Die
Herausgeberin Andrea Maurer
ist Professorin für Organisationssoziologie an der Universität der
Bundeswehr in München.
Zielsetzung
Das Buch ist angelegt als allgemeine Einführung in die Wirtschaftssoziologie, die generell darauf abzielt, ökonomische Phänomene im gesellschaftlichen Zusammenhang zu verstehen, also als Anwendung der Soziologie auf die Erklärung ökonomischer Sachverhalte. Dabei stellt der Autor unter Bezugnahme auf soziologische Klassiker die spezifische Frage, wie soziale Interaktion und wirtschaftliche u.a. Interessen verbunden werden können. Der Autor nennt somit zwei Hauptziele, nämlich mit der Betonung von Interessen die Einführung einer neuen Perspektive in die Wirtschaftssoziologie und die Darstellung ihrer zentralen Konzepte, Ideen und Befunde.
Aufbau und Inhalt
Nach einem Vorwort von Andrea Maurer widmen sich die ersten zwei Kapitel einem Überblick über die Hauptwerke der klassischen bzw. neueren Ansätzen der Wirtschaftssoziologie. Diese beiden Kapiteln dienen v.a. der Argumentation, dass es eine starke Tradition in der Wirtschaftssoziologie gibt und, dass die Konzentration auf soziale Beziehungen bei Vernachlässigung von Interessen eine Einschränkung ihres Erklärungsgehalts darstellt. Sie zeigen auch, dass die Wirtschaftssoziologie wenig integriert ist, unterschiedliche Perspektiven bestehen relativ unverbunden (83).
Kapitel drei, „die Organisation der Wirtschaft“ zeigt, wie die Wirtschaft im Ganzen organisiert ist, von Industriedistrikten, sozialen Netzwerken bis zu globalen Strukturen und es bietet ein Modell zur Konzeptualisierung des Kapitalismus aus soziologischer Perspektive.
In Kapitel vier werden daraufhin die Charakteristika von Unternehmen, und ihre Schlüsselrolle im modernen Kapitalismus analysiert, deren Beziehungen untereinander, zum politischen System und zur Gesellschaft dargestellt und ähnlich wie auch die Organisation der Wirtschaft begriffen: „Alles soziale Leben, einschließlich der Wirtschaft, kann mit den Begriffen Interessen, Beziehungen und Nicht-Beziehungen konzeptualisiert werden.“ (103) Der Autor fordert zu Recht, die Wirtschaftssoziologie müsse mit der vorherrschenden Tendenz der Organisationssoziologie brechen, das Unternehmen mit allen anderen Organisationen gleichzusetzen (130). Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass die Systemtheorie mit ihrer Analyse der Auswirkungen teilsystemischer Zugehörigkeiten von Unternehmen, welche einiges in dieser Richtung geleistet hat, nicht berücksichtigt wird.
In Kapitel fünf werden ökonomische und soziologische Ansätze des Marktes erörtert. Es zeigt, dass die Soziologie im Gegensatz zu einigen bereichernden Ansätzen v.a. in der klassischen Ökonomie, das Thema bislang eher vernachlässigt hat. Hier wird eine stärkere soziologische Analyse von Märkten als Institutionen gefordert.
Kapitel sechs befasst sich dementsprechend mit Märkten in der Geschichte und legt eine historische Markttypologie vor. Mithilfe des Interessenkonzeptes soll hier bestehendes historisches Material besser genutzt werden. Zum Beispiel wird gezeigt, wie der Stellenwert von Märkten in der Geschichte variiert hat, welche Markttypen wofür vorherrschend waren oder wie auch Geld und seine Entwicklung als Teil der Entstehung von Märkten zu sehen sind. Auch die entscheidende Rolle von Kommunikationstechnologien in der Ausprägung gegenwärtiger Märkte wird verdeutlicht.
Kapitel sieben, Politik und Wirtschaft, argumentiert die Notwendigkeit einer politischen Wirtschaftssoziologie, welche die verschiedenen - interessengeleiteten - Versuche der Steuerung von Wirtschaft kritisch beleuchtet. v.a. wird hier die Rolle des Staates dargelegt, zum Einen in Bezug auf die finanzsoziologische Frage, wie der Staat seine Mittel erwirtschaftet und ausgibt, zum anderen in Bezug auf staatliche Versuche der Steuerung des Wirtschaftslebens.
Kapitel acht, Recht und Wirtschaft, zeigt, dass die Rolle rechtlicher Rahmenbedingungen von der Soziologie vernachlässigt wurde. In der Folge entwirft der Autor Themenvorschläge für eine Wirtschaftssoziologie des Rechts.
Die nächsten beiden Kapitel widmen sich der Frage der Kultur. In Kapitel neun wird der Zusammenhang von Kultur und wirtschaftlicher Entwicklung, in Kapitel zehn, jener von Kultur, Vertrauen und Konsum analysiert. Hier wird v.a. auf Bourdieu mit seinem Konzept des kulturellen Kapitals und seiner Entwicklung einer Soziologie des Geschmacks in Zusammenhang mit „Die feinen Unterschiede“ Bezug genommen (276)
Das Kapitel elf, „Soziales Geschlecht und Wirtschaft“ kritisiert die Vernachlässigung von Genderaspekten in der aktuellen Wirtschaftssoziologie, vorhandenes empirisches Material wird dementsprechend zu wenig in der Theorieentwicklung berücksichtigt. Als thematische Schwerpunkte werden hier neben der Thematik von Frauen am Arbeitsmarkt v.a. die um eine Familieninteresse zentrierte Ökonomie des Haushaltes sowie die Rolle von Gefühlen in der Ökonomie vorgeschlagen. Der Autor erklärt, wie des dominierenden Konzepts des homo oeconomicus aber auch prominenter soziologischer Zugänge Gefühle weitgehend ignoriert wurden, bzw. die Vorstellung herrschte, Emotionen sollten zugunsten von rationalem wirtschaftlichem Handeln unterdrückt werden. Er plädiert dafür, der Rolle von Emotionen als integraler Teil des Wirtschaftslebens auch in der Theorie einen Platz zu geben (296).
Das zwölfte Kapitel „Das Dilemma der Katze und andere Fragen an die Wirtschaftssoziologie“ beschäftigt sich mit Fragestellungen, die in der Wirtschaftssoziologie gegenwärtig vernachlässigt werden, etwa die Frage von Reflexivität, von Ungleichheit, von Interessen oder der politischen Rolle der Disziplin. Eine zentrale Frage liegt hier darin, ob die Wirtschaftssoziologie außerhalb der Wissenschaft als politische Wissenschaft genutzt werden kann und soll (300) - in diesem Zusammenhang besteht das Dilemma der Katze, die einen auf einem Tisch liegenden Ball erreichen möchte, in der Frage, ob sie mögliche Strategien zuerst theoretisch umfassend ausarbeiten soll, oder lieber die Theorie vergessen und den Ball sofort holen soll.
Diskussion
Das Buch ist sehr persönlich und für ein soziologisches Lehrbuch aus ungewöhnlich verständlich geschrieben.
Inhaltlich bietet es einen fundierten Überblick über die Disziplin, mit der Betonung auf Interessen geht es aber darüber hinaus und kann dadurch Perspektiven für die Beobachtung und Reflexion des wirtschaftlichen Geschehens anregen, die ansonsten derzeit eher in den Hintergrund zu treten scheinen. Die gut gewählten und gut integrierten Beispiele aus unterschiedlichen empirischen Untersuchungen und theoretischen Arbeiten ergänzen und verdeutlichen die Argumentation sehr anregend, insbesondere dort, wo neuere Ergebnisse mit jenen der Klassiker in Verbindung gebracht werden.
Fazit
Ein empfehlenswertes Lehrbuch, sowohl für StudienanfängerInnen als auch für Lehrende und WissenschafterInnen.
Rezension von
Prof. Dr. Ruth Simsa
Wirtschaftsuniversität Wien
Institut für Soziologie, NOP Institut
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