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Thomas Lühr: Prekarisierung und ›Rechtspopulismus‹

Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 21.04.2011

Cover Thomas Lühr: Prekarisierung und ›Rechtspopulismus‹ ISBN 978-3-89438-449-4

Thomas Lühr: Prekarisierung und ›Rechtspopulismus‹. Lohnarbeit und Klassensubjektivität in der Krise. PapyRossa Verlag (Köln) 2011. 136 Seiten. ISBN 978-3-89438-449-4. D: 14,00 EUR, A: 14,50 EUR, CH: 23,90 sFr.
Reihe: PapyRossa-Hochschulschriften - 86.

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Prekarisierung begünstigt nationalistisch-ausgrenzende Orientierungen

Die sozialstaatlichen Entwicklungen, wie sie sich in Deutschland, in Europa und weltweit als Folge der lokalen und weltweiten Auswirkungen der Globalisierung vollziehen, haben das Wort geprägt: Die Reichen werden reicher und die Armen werden ärmer ( vgl. dazu: Michael Sommer / Hans J. Schabedoth, Hrsg., Europa sozial gestalten!.Marburg 2008, 240 Seiten, in: socialnet Rezensionen, www.socialnet.de/rezensionen/6035.php) und der Kapitalismuskritik Auftrieb gegeben ( siehe dazu auch: Elmar Altvater, Der große Krach oder die Jahrhundertkrise von Wirtschaft und Finanzen, von Politik und Natur, Münster 2010, in: www.socialnet.de/rezensionen/10533.php; John Holloway, Kapitalismus aufbrechen, Münster 2010, www.socialnet.de/rezensionen/10534.php; Joseph Vogl, Das Gespenst des Kapitals, Zürich 2010, www.socialnet.de/rezensionen/10929.php). Die Prekarisierung der Lohnarbeit, die sich in vielfältigen Formen der Einkommensreduzierung, der Unsicherheit des Arbeitsplatzes und der weitgehenden Aufhebung eines unbefristeten Arbeitsvertrages existentiell auf die Beschäftigten auswirkt und mittlerweile nicht nur das traditionelle „Arbeiterbewusstsein“ in Frage stellt, sondern längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist (Herfried Münkler, Mitte und Maß, Berlin 2010, www.socialnet.de/rezensionen/10350.php), lässt auch in den Sozialwissenschaften die Frage danach stellen, welche subjektive, politische und gesellschaftliche Auswirkungen sich daraus für die Lohnabhängigen ergeben.

Entstehungshintergrund und Autor

Eine Fragestellung ist für eine demokratische und friedliche Weiterentwicklung in der Gesellschaft eminent: „Was bedeutet die Prekarisierung der Lohnarbeit für die Lohnabhängigen?“. Der Politikwissenschaftler Thomas Lühr will mit seiner polit-ökonomischen Betrachtung der Situation danach Ausschau halten, wie, warum und welche Auswirkungen die Prekarisierung der Lohnarbeit für die abhängig Beschäftigten haben. Seine These: Es sind nationalistisch-ausgrenzende Orientierungen und damit der Versuch der Lohnabhängigen, ihre Handlungsfähigkeit zu sichern.

Aufbau und Inhalt

Neben der Einleitung gliedert der Autor seine Arbeit in sechs Kapitel. Zuerst zeigt er die polit-ökonomischen Grundlagen auf, die sich aus der Situation der „Prekarisierung der Lohnarbeit“ ergeben, verdeutlicht in zahlreichen Beispielen die „Wiederkehr des Proletariats“ und weist auf die kapitalistische Herrschaftsform hin, die Prekarisierung schafft. Die besorgniserregende Annahme, dass „sich bei ca. 20 Prozent der Lohnabhängigen in der BRD nationalistisch-ausgrenzende Orientierungen feststellen lassen“, wird mit Forschungsergebnissen belegt und mit der „Repräsentationslückenthese“, der „Identitätsstabilisierungsthese“ und der „Verstärkerthese“ kritisch beleuchtet. Mit dem subjektwissenschaftlichen Ansatz wird insbesondere die „Beschäftigungsunsicherheit“ vom Standpunkt des Subjekts aus betrachtet. Dabei zeigt sich die „lohnarbeitstypische Klassensubjektivität“, die bewirkt, dass die Lebenslage der abhängig Beschäftigten zur Klassenlage wird. Die Entwicklung hin zur Prekarisierung der Arbeit ist nicht verständlich, betrachtet man nicht „die lohnarbeitstypische Klassensubjektivität seit der Nachkriegszeit“. Prosperität, mit den Wirkungen von Solidarität und Leistungsorientierung und Deprivation, mit der Ausrichtung auf kapitalistische Instanzen und Mächte, verdeutlichen den Wandel, der Prekarisierung schafft und sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts mit den lokalen und globalen Wirtschafts- und Finanzkrisen verstärkt.

Die dabei eintretende Auflösung des Solidaritätsgedankens der abhängig Beschäftigten durch eine starke Individualisierung und Resignation führt nicht nur zu einer Hierarchisierung in den Beschäftigungsverhältnissen, sondern auch zu einer weiteren Ausdifferenzierung in „Unten“ und „Ganz Unten“. Die dabei entstehenden Verschlechterungen der Möglichkeiten zur Aufrechterhaltung der Verwertungsbedingungen der Arbeitskraft, die sich klassisch durch die Zugehörigkeit und Identifizierung zur „Klasse“ und zur gewerkschaftlichen Vertretung aufhalten ließen, werden in den Zeiten von wirtschaftlichen Krisen, von (personellen) Einsparungsstrategien und Betriebsverlegungen zu Konkurrenzsituationen um den Arbeitsplatz und damit zur Bedrohung der personalen Handlungsfähigkeit.

Weil die traditionelle Klassen- und Interessenvertretung, etwa die Gewerkschaften, eher zu „Mitspielern“ als zu „Gegenspielern“ im Kapitalisierungsprozess geworden sind, hat sich eine „(Selbst-)Entmächtigung der Klasse der Lohnabhängigen“ vollzogen und rechtspopulistischen (weil „einfachen“ und „eingängigen“) Argumentationen Tür und Tor geöffnet. „Der Beitrag der Gewerkschaften besteht vor allem in ihrer ureigensten Aufgabe, die Lohnabhängigen dazu zu befähigen, ihre eigenen Arbeits- und Lebensinteressen aktiv zu verteidigen“.

Fazit

Die deutlichen und zunehmenden rechtspopulistischen Orientierungen (nicht nur) der abhängig Beschäftigten sind Ausdruck der ökonomischen, konsumtiven und gesellschaftlichen Verhältnisse. Die vom Autor prognostizierte “Wiederkehr des Proletariats“ ist ein Hinweis darauf, dass die ersehnte Versöhnung von Kapital und Arbeit in weite Ferne gerückt ist, viel weiter übrigens, als die Sozialromantiker dies wahrhaben wollen. Es wäre die Aufgabe (auch) der Gewerkschaften als eben die Interessenvertretung der Lohnabhängigen, diese „als ein ’Subjekt der Veränderung’ zu begreifen – und nicht bloß als ein passives ’Objekt’ einer Stellvertreterpolitik“.

Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Es gibt 1689 Rezensionen von Jos Schnurer.

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ISSN 2190-9245