Heinz Reinders, Hartmut Ditton u.a. (Hrsg.): Empirische Bildungsforschung
Rezensiert von Dipl. Päd. Anke Wischmann, 03.05.2011

Heinz Reinders, Hartmut Ditton, Cornelia Gräsel, Burkhard Gniewosz (Hrsg.): Empirische Bildungsforschung. Strukturen und Methoden. VS Verlag für Sozialwissenschaften (Wiesbaden) 2011. 194 Seiten. ISBN 978-3-531-16844-9. 19,95 EUR.
Seit Erstellung der Rezension ist eine neuere Auflage mit der ISBN 978-3-531-19991-7 erschienen, auf die sich unsere Bestellmöglichkeiten beziehen.
Thema
In dem Lehrbuch „Empirische Bildungsforschung. Strukturen und Methoden“ wird ein Überblick über den Bereich der empirischen Bildungsforschung, insbesondere im Hinblick auf formale Bildung gegeben. Es handelt sich um den ersten von zwei Bänden, in dem die etablierten Methoden und ausgewählte Bereiche der Bildungsforschung vorgestellt werden.
Herausgeber und Herausgeberin
Die Herausgeber/innen und Autoren/innen des Bandes sind Experten im Gebiet der empirischen Bildungsforschung, insbesondere quantitativer Zugänge und international vergleichender Perspektiven, sowie der Lehr-Lern-Forschung.
Entstehungshintergrund
Das Lehrbuch ist vor dem Hintergrund der wachsenden Bedeutung empirischer Bildungsforschung in Deutschland entstanden. Es soll Studierenden der Erziehungswissenschaft, der Sozialwissenschaften und der Psychologie einen Überblick über Methoden, Bereiche und aktuelle Forschungsstände geben.
Aufbau
Das Buch ist in fünf Kapitel untergliedert, die jeweils einen Themenbereich umfassen und die sich aus unterschiedlichen Einzelbeiträgen zusammensetzen.
- Im ersten Kapitel geht es um die Frage, was grundsätzlich unter empirischer Bildungsforschung zu verstehen ist.
- In Kapitel zwei wird eine historische Perspektive eingenommen und relevante Entwicklungslinien der empirischen Bildungsforschung nachgezeichnet, die zu aktuellen Themen hinleiten.
- Im dritten Kapitel werden im Anschluss an einen kurzen Überblick über Methoden unterschiedliche Erhebungs- und Auswertungsverfahren der empirischen Bildungsforschung vorgestellt und knapp erläutert.
- Ein viertes Kapitel behandelt den Bereich der Evaluation in einem Beitrag.
- Und im – den ersten Band – abschließenden fünften Kapitel geht es um das Bildungssystem in Deutschland, seine Strukturen, sowie um Bildungsökonomie und Bildungsstandards.
Inhalt
Wissen über empirische Bildungsforschung, so die Herausgeber in ihrem Vorwort, habe in den letzten Jahren einen „erheblichen Aufschwung“ (9) erfahren, sei aber gleichzeitig selten klar umrissen worden. Dieses wollen die Autoren dieses Lehrbuches leisten, um Studierenden der Erziehungs- und Sozialwissenschaften sowie der Psychologie einen Überblick über den aktuellen Stand empirischer Bildungsforschung zu ermöglichen. Dies geschieht in Form sehr knapper und übersichtlich strukturierter Beiträge einschlägiger Autoren.
Die Einführung in das Thema und die Begrifflichkeiten der empirischen Bildungsforschung erfolgt anhand aktueller Debatten mit einer starken Fokussierung auf quantitative Ansätze und nahezu unter Ausschluss begriffsreflexiver Definitionen sowie informeller Bildung. Die empirische Bildungsforschung wird als Disziplin präsentiert, die sich interdisziplinär versteht und sich erfolgreich wissenschaftlich und gesellschaftlich etabliert hat. Dabei wird insbesondere die Thematik der Bildungsungleichheit hervorgehoben, wie sie vor dem Hintergrund der bis dato aktuellen PISA-Studien diskutiert wird.
Im zweiten Kapitel wird ein der Konzeption des Buches entsprechend knapper, aber kohärenter und pointierter Rückblick auf die vergangenen fünfzig Jahre (quantitativ-) empirischer Bildungsforschung gewährt. Dabei werden zentrale Themen, wie etwa die ökonomische und politische Bedeutung von Bildung (-sbeteiligung) oder das Begabungsverständnis, und ihre historischen Veränderungen erläutert und kontextualisiert.
Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit unterschiedlichen Forschungsmethoden empirischer Bildungsforschung. Damit sind sowohl Erhebungs- als auch Analyseverfahren gemeint sowie quantitative und qualitative Zugänge. Dieses Kapitel stellt den größten Teil des Lehrbuchs und umfasst acht Beiträge unterschiedlicher Autoren und Autorinnen. Ein wiederum sehr kurz gehaltener Überblick stellt die Ziele und Ansprüche sowie die wissenschaftstheoretischen Prämissen sowohl quantitativer als auch qualitativer Verfahren vor. Im Anschluss werden die Erhebungsverfahren: Fragebogen, Testverfahren, Experiment, Interview und Beobachtung in je einem Unterkapitel vorgestellt. Hier wird ein für thematische Einsteiger hilfreicher Überblick geboten, der die Unterschiede, Stärken und Schwächen der jeweiligen Methode ansatzweise deutlich werden lässt. So verhältnismäßig differenziert die Darstellung der Erhebungsverfahren ist, so knapp und rudimentär stellt sich die Erläuterung der Auswertungsverfahren dar. Es gibt jeweils nur ein Unterkapitel zu quantitativen und qualitativen Ansätzen.
Fragen der Evaluation und Evaluationsforschung sind aktuell ein wichtiger Themenbereich, dem in diesem Buch das vierte Kapitel gewidmet wird. Die Diskussionen um Evaluation als Forschungsbereich sind kontrovers. Es ist etwa umstritten, ob es sich um einen eigenen Ansatz handelt, oder lediglich um einen Teilaspekt von Forschung generell. Neben der Erläuterung unterschiedlicher Themenbereiche, wie Bildungsmonitoring und Projektevaluation, werden auch die Kontroversen vorgestellt und anhand von Beispielen gut nachvollziehbar dargestellt.
Das fünfte und letzte Kapitel befasst sich in vier Unterkapiteln mit dem deutschen Bildungssystem und diesem Kontext relevanten Forschungsgebieten. Es wird zunächst ein Überblick über die historische Entwicklung und Etablierung der institutionalisierten Bildung in Deutschland und die aktuelle Struktur gegeben. Im Anschluss werden die Strukturen von der vorschulischen Bildung bis zur Hochschulbildung beleuchtet und dabei neuere Reformen und Veränderungsprozesse aufgezeigt. Dabei werden insbesondere Kritikpunkte am derzeitig bestehenden System angesprochen und sich darauf beziehende (bildungspolitische) Maßnahmen diskutiert (wie z. B. der Bologna-Prozess). Auf viel diskutierte bildungsökonomische Fragen geht das folgende Unterkapitel ein. Hier wird die spezifisch ökonomische Sichtweise auf Bildung vorgestellt, die vor allem Kosten-Nutzen-Abwägungen betrachtet. Zu guter Letzt wird dann im vierten Unterkapitel auf die Einführung von Bildungsstandards eingegangen. Diese werden zunächst differenziert und dann im Kontext aktueller Forschung und bildungspolitischer Diskussion diskutiert. Dabei wird noch einmal der Kompetenzbegriff erläutert und im Zusammenhang mit der Frage nach der Wirksamkeit von Standards beleuchtet.
Diskussion
Das Buch bietet einen knappen Überblick über ausgewählte Themen, Methoden und Perspektiven empirischer Bildungsforschung. Es wird dabei deutlich, dass quantitative Ansätze im Vordergrund stehen und der Fokus auf formaler Bildung liegt. Das mittlerweile sehr differenzierte Spektrum qualitativer Forschung wird im Verhältnis sehr wenig beleuchtet (z. B. der Bereich biografischer Bildungsforschung).
Zudem wäre es hilfreich, wenn sich im ersten Kapitel eine begriffliche Differenzierung von Bildung fände. Es wird lediglich darauf verwiesen, dass man sich von geisteswissenschaftlichen Perspektiven abgrenzt. Dies ist m. E. zu kurz gegriffen, da auch eine explizit empirische Bildungsforschung nicht umhin kommt, ihre Konzepte zu definieren. So wäre eine entsprechende Definition von Bildung zu Beginn wünschenswert.
Grundsätzlich bleibt zu fragen, ob es möglich ist in einem solch begrenzten Rahmen (194 Seiten) dem sehr umfangreichen Feld der empirischen Bildungsforschung gerecht zu werden, oder ob nicht eine Eingrenzung, etwa auf quantitativ-empirische Perspektiven, sinnvoll gewesen wäre. So droht die Darstellung mancherorts zu skizzenhaft zu bleiben.
Sehr gut im Hinblick auf die Eignung als Lehrbuch zeigen sich der Aufbau und die Darstellung der Artikel. Definitionen und Merksätze werden hervorgehoben und weiterführende Literatur vorgestellt.
Fazit
Um einen ersten Einblick in den Bereich der empirischen Bildungsforschung zu bekommen, ist das Buch sehr gut geeignet. Es reicht jedoch nicht als Grundlage einer umfassenden Einführung in die Thematik in der Lehre. Insbesondere im Bereich der qualitativen Methoden, aber auch der Methodologien bedarf es eines differenzierteren Einblicks.
Rezension von
Dipl. Päd. Anke Wischmann
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Fakultät 1
Institut für Pädagogik
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Es gibt 3 Rezensionen von Anke Wischmann.
Zitiervorschlag
Anke Wischmann. Rezension vom 03.05.2011 zu:
Heinz Reinders, Hartmut Ditton, Cornelia Gräsel, Burkhard Gniewosz (Hrsg.): Empirische Bildungsforschung. Strukturen und Methoden. VS Verlag für Sozialwissenschaften
(Wiesbaden) 2011.
ISBN 978-3-531-16844-9.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/11315.php, Datum des Zugriffs 29.09.2023.
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