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Norbert Blüm: Ehrliche Arbeit

Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 21.03.2011

Cover Norbert Blüm: Ehrliche Arbeit ISBN 978-3-579-06746-9

Norbert Blüm: Ehrliche Arbeit. Ein Angriff auf den Finanzkapitalismus und seine Raffgier. Gütersloher Verlagshaus Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH (Gütersloh) 2011. 240 Seiten. ISBN 978-3-579-06746-9. D: 19,99 EUR, A: 20,60 EUR, CH: 33,90 sFr.

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„Aber er hat ja gar nichts an!“,

dieser überraschte Ausruf eines unbedarften und unschuldigen Kindes in dem Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ kann als Menetekel für den unbedarften und unkritischen Umgang mit den Auswirkungen des Kapitalismus verstanden werden. Nicht zuletzt die sich durch die lokalen und globalen Wirtschafts- und Finanzkrisen verursachten, übermächtigen Fehlentwicklungen und die Folgen für menschliches Dasein haben in der kritisch-öffentlichen Meinung die Forderungen nach einer Veränderung unseres auf dem „throughput growth“, dem „Durchfluss-Wachstums-Denken“ mit der irrigen Annahme geführt, dass ein Immer-Schneller-Immer-Mehr-Immer-Höher-Immer-Weiter den Menschen auf der Erde gerechte Lebensbedingungen ermöglicht (vgl. dazu die Weltberichte an den Club of Rome, den Brundtland-Bericht „Unsere gemeinsame Zukunft“ und die weiteren zahlreichen Warnrufe, den ökonomischen Perspektivenwechsel zu vollziehen). Es sind insbesondere die von Gier, Egoismus und scheinbar unerschütterlicher Einäugigkeit getriebenen Motive der Finanzjongleure, Wirtschaftsexperten und neoliberalen Wortführer, dass es ohne Kapitalismus in der Welt gar nicht gehe und – nehme man nur einige Auswüchse davon weg – es weiterhin so laufen könne und müsse ( vgl. dazu: Sebastian Dullien, Hansjörg Herr, Christian Kellermann, Der gute Kapitalismus. … und was sich dafür nach der Krise ändern müsste, Bielefeld 2009, in: www.socialnet.de/rezensionen/8846.php).

Die Prognosen, dass der Kapitalismus, wie wir ihn kennen, am Ende sei ( Elmar Altvater, Das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen. Eine radikale Kapitalismuskritik, Münster 2005, www.socialnet.de/rezensionen/3249.php), dass der Kapitalismus aufgebrochen werden muss, um ihn abschaffen zu können ( John Holloway, Kapitalismus aufbrechen, Münster 2010, www.socialnet.de/rezensionen/10534.php), dass das „Gespenst des Kapitals“ sichtbar gemacht werden müsse, um es besiegen zu können (Joseph Vogl, Das Gespenst des Kapitals, Zürich 2010, www.socialnet.de/rezensionen/10929.php ) und dass wir einer ökonomischen Alphabetisierung bedürfen ( Elmar Altvater, Der große Krach oder die Jahrhundertkrise von Wirtschaft und Finanzen, von Politik und Natur, Münster 2010, www.socialnet.de/rezensionen/10533.php), liegen längst auf den öffentlichen Tisch, bis hin zu der Feststellung: „Wir haben es weit gebracht mit der Ungleichheit“ ( Bernhard H. F. Taureck, Gleichheit für Fortgeschrittene. Jenseits von „Gier“ und „Neid“, München 2010, www.socialnet.de/rezensionen/10159.php) – und dass wir uns nicht weiterhin der Tyrannei der (falschen) Werte aussetzen dürften (Eberhard Straub, Zur Tyrannei der Werte, Stuttgart 2010, www.socialnet.de/rezensionen/10807.php). Es ist der (vergessliche und scheinbar vernachlässigbare) Umgang mit den Krisen in der „Weltrisikogesellschaft“ (Ulrich Beck, Weltrisikogesellschaft. Auf der Suche nach der verlorenen Sicherheit, Frankfurt/M 2007, www.socialnet.de/rezensionen/4820.php), der die Furcht der Menschen vor der unsicheren Gegenwart und Zukunft bestimmt ( Frank Ettrich / Wolf Wagner, Hrsg., Krise und ihre Bewältigung. In Wirtschaft, Finanzen, Gesellschaft, Medizin, Klima, Geschichte, Moral, Bildung und Politik, Münster 2010, www.socialnet.de/rezensionen/9990.php). Und es ist die Angst der Menschen, dass die scheinbare Machtlosigkeit und Unfähigkeit der Politik und die Mächtigkeit der Haben-Mentalität (Erich Fromm) der Menschen in der kapitalisierten Welt das Ende der Menschheit einläutet.

Entstehungshintergrund und Autor

In dieser Situation der scheinbaren Ausweglosigkeit und Ohnmacht meldet sich einer zu Wort, der sich selbst in seiner Vita als „Werkzeugmacher“ outet: Norbert Blüm, von 1982 bis 1998 Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, CDU-, IG Metall-Mitglied, Kolpingbruder und Engagierter bei amnesty international. Er rebelliert gegen die selbst von den abhängig Beschäftigten widerstandslos akzeptierte Auffassung „Geld regiert die Welt“ und greift den Finanzkapitalismus frontal an, in (beinahe) schönster marxistischer Manier. Wir müssen es tatsächlich weit gebracht haben mit der Ungleichheit und der materialistischen Raffgier, wenn sogar der (konservative) Politiker Norbert Blüm zur Peitsche greift! Dabei ist ihm erst einmal Anerkennung zu zollen für seine Real-Analyse, mit der er zwar der Marxschen Auffassung von der Macht der produktiven Kräfte widerspricht – „“Nicht die produktiven Kräfte sprechen die Produktionsverhältnisse, sondern die ständig unbefriedigten konsumtiven Gelöste sprengen die Gesellschaftsverhältnisse“ ( vgl. dazu auch: Thomas Lühr, Prekarisierung und >Rechtspopulismus<. Lohnarbeit und Klassensubjektivität in der Krise, Köln 2011, www.socialnet.de/rezensionen/11297.php).

Aufbau und Inhalt

Neben Biographischem, in dem er seinen Weg vom Opelianer zum Politiker beschreibt, gliedert Norbert Blüm sein Buch in drei Kapitel.

Den ersten Teil überschreibt er mit „Geld regiert die Welt“, indem er den globalen Finanzkapitalismus als pure Hochstapelei entlarvt, den Hochmut der Bankiers und Finanzjongleure brandmarkt und auf die „Obszönität der Finanzwelt“ verweist. Die Erfindung des Geldes als ursprüngliches Tauschmittel hat sich längst zum janusköpfigen, unbeherrschbaren Monster und zum Selbstzweck entwickelt. Und die ersten zaghaften, eher lokal und regional verorteten Aktivitäten zur Rückführung des ursprünglichen „Geld“-Sinns, geben Mut, sich gegen die Finanzgier zu stellen und für eine sozial verträgliche Lebensführung. Denn die Frage – „Was ist der Nutzen des Nutzens?“ – steht an, angesichts der inhumanen, lokalen und globalen Entwicklung, dass die Reichen immer reicher und die Habenichtse immer ärmer werden. Es gilt einen Perspektiven- und Tatenwechsel zu vollziehen vom homo oeconomicus hin zum homo humanis ( vgl. dazu auch: Jörn Rüsen / Henner Laass, Hrsg., Interkultureller Humanismus. Menschlichkeit in der Vielfalt der Kulturen, https://www.socialnet.de/rezensionen/8537.php).

Das zweite Kapitel überschreibt Blüm wie den Buchtitel: Ehrliche Arbeit. Von der griechisch-römischen Arbeitsauffassung als eines Freien nicht würdig, über die biblische Interpretation, dass es darum gehe, im Schweiße seines Angesichts sein Brot zu verdienen, bis hin zur so genannten Arbeitsethik des Kapitalismus, die den Klassengegensatz der Besitzenden zu den Besitzlosen, den Arbeitgebern zu den Arbeitnehmern etablierte, der Automatisierung und Technisierung der Arbeit, den Versuchen, die Arbeit zu sozialisieren und damit menschenwürdiger zu gestalten, und nicht zuletzt den Wahnsinnsprojekten des neuen Turmbaus zu Babel in Dubai und dem Ersetzen der menschlichen Arbeitskraft durch roboterisierte Technologien und schließlich der Prophetie vom „Ende der Arbeitsgesellschaft“, die allerdings eher in der menschenverachtenden und asozialen Praxis der „Freisetzung von Arbeitsplätzen“ endet – was bleibt? Und: Was wollen wir? (Ingo Schulze). Arbeiten um zu leben, oder leben, um zu arbeiten? Was ist noch das ursprüngliche Eigene, das der Mensch durch Arbeit schafft und sich damit (auch) verwirklichen kann? Der Ritt durch die Geschichte der Arbeits- und Arbeiterbewegung zeigt die vielfältigen Facetten der menschlichen Versuche, sich von der Arbeit zu befreien; und er endet (vorerst) bei der postmodernen Dienstleistungsgesellschaft, die schon lange nicht die (ersehnte?) Freiheit bringt, sondern vielmehr eine neue Ohnmacht verdeutlicht: „Der neue Arbeitnehmer ist ein Mann mit allen Möglichkeiten, aber ohne Eigenschaften, der deshalb einem Phantom ähnelt“. Und der Unternehmer wird zum gleichen Geschöpf ohne Eigenschaften, weil für ihn „Geld ( ) wichtiger als Arbeit (wird)“, weil Spekulieren mehr bringt als investieren. Diese fatalistische und gleichzeitig depressive Entwicklung jedoch wird, davon ist der Autor überzeugt, eine neue Sinnbedeutung von Arbeit, gewissermaßen eine „Entpuppung“ hervorbringen: „Es wird keine wirtschaftliche Revolution, sondern eine kulturelle Rebellion sein“. Die Arbeit als „Bewährungsprobe der Freiheit“?

Im dritten Kapitel formuliert Norbert Blüm etwas, was die Kapitalisten sicherlich nicht gerne hören: „Der Kapitalismus hat seine beste Zeit hinter sich“. Es ist das „Bündnis von Arbeit und Eigentum“, das er als sozialpolitisches Credo formuliert, mit der Forderung nach Miteigentum der Arbeitnehmer, dem Ernstmachen für den Bau eines Sozialstaates, mit Bürgergeld und subsidiärer Solidarität durch eine starke Selbstverwaltung der Arbeits- und Produktionsprozesse.

Fazit

Utopien müssen sein, um der Ausweglosigkeit der „strukturierten Verantwortungslosigkeit“ und dem „Wettbewerbslärm“ des Kapitalismus (Joseph Vogl) zu entgehen. In den Einsprengseln seines Buches bringt Norbert Blüm immer wieder Biographisches aus seinem Leben und dem der Altvordern. Auch wenn sich darin deutliche Erinnerungslücken auftun und Nostalgisches zum Vorschein kommt, bleibt ein Optimismus, dass am Horizont der scheinbar zementierten Bunker des Kapitalismus „die ersten Vorzeichen einer neuen Ernsthaftigkeit der Arbeit“ auftauchen; zwar noch nicht klar erkennbar, aber doch mit realistischen Ahnungen und Hoffnungen, dass der Perspektivenwechsel gelingt. Für manche Futuristen wird dieser Angriff des Norbert Blüm auf den Finanzkapitalismus und seine Raffgier allzu zaghaft und unverbindlich und damit wirkungslos erscheinen; doch der Versuch ist es wert; und er kann bei denjenigen, die sich nicht trauen, den Wandel zu denken, zum Nachdenken beitragen. Das wäre schon viel!

Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Es gibt 1688 Rezensionen von Jos Schnurer.

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ISSN 2190-9245