Sabine Lingenauber (Hrsg.): Handlexikon der Reggio-Pädagogik
Rezensiert von Dr. Monika Pfaller-Rott, 27.09.2011

Sabine Lingenauber (Hrsg.): Handlexikon der Reggio-Pädagogik. Projekt Verlag (Bochum) 2011. 4., erweiterte Auflage. 162 Seiten. ISBN 978-3-89733-231-7. 16,50 EUR.
Seit Erstellung der Rezension ist eine neuere Auflage mit der ISBN 978-3-89733-392-5 erschienen, auf die sich unsere Bestellmöglichkeiten beziehen.
Thema
Das Handlexikon zeichnet sich aus durch fundierte, prägnante und praxisorientierte Artikel zur Reggio-Pädagogik - einem Ansatz, dessen Relevanz und Diskussion in den letzten Jahren weltweit zugenommen hat. Das 20 Jahre nach der ersten deutschen Publikation erscheinende Reggio-Werk ermöglicht als Nachschlagewerk die übersichtliche Darstellung zentraler Themenbereiche von A wie „Atelier“ bis S wie „Studienreisen nach Reggio Emilia“, die in vielfältigen pädagogischen Ausbildungen sowie Studiengängen thematisiert werden. In ihren 23 Artikeln zeigen der Fachwelt bekannte Autorinnen und Autoren zu den relevanten Stichworten einen schnellen Einblick in den pädagogischen Ansatz unter Berücksichtigung aktueller und historischer Aspekte des jeweiligen Themas.
Herausgeberin, Autorinnen und Autoren
Die Herausgeberin des Werkes, Frau Prof. Dr. Sabine Lingenauber, ist Erzieherin, Dipl.-Heilpädagogin, Dipl.-Pädagogin und langjährige Fachberaterin für Kindertageseinrichtungen. Zudem leitet sie den Studiengang „Frühkindliche inklusive Bildung“ an der Hochschule Fulda.
Die zahlreichen namhaften Autoren aus Praxis und Forschung berücksichtigten nicht nur theoretische Dimensionen, sondern beziehen auch praktische Beispiele in ihren Darstellungen mit ein. Zu nennen seien Professoren der Erziehungswissenschaft, Pädagogik, Sozialwesen Tassilo Knauf, Sabine Lingenauber, Ursula Stenger; Horst Küppers und Theodor Thesing (Fachschule für Sozialpädagogik/Institut für Soziale Berufe), Manuela Vogel (Fachberatung Kindertagesstätte), Dagmar Arzenbacher und Catherine Springer (Fortbildung für Erzieher/Lernwerkstatt), Harald Otto Schmid (AlarmTheater) und Melanie Kubandt (Forschungsstelle Elementarpädagogik nifbe).
Entstehungshintergrund
Die im Handlexikon verfassten Beiträge zu Basisinformationen über die Reggio-Pädagogik wurden sowohl für die pädagogische Praxis als auch für unterschiedliche Studiengänge an Fachhochschulen, Akademien und Universitäten publiziert. Anlässlich einer Lehrveranstaltung zum Thema „Montessori- und Reggio-Pädagogik“ entstand die Idee eines Nachschlagewerkes für Studierende.
Aufbau und Inhalt
Das informative Nachschlagewerk beschreibt wesentliche Elemente der Reggio-Pädagogik (z.B. von der Geschichte undkonzeptionellen Entwicklung der Reggio-Pädagogik, über das Bild vom Kind, die Bedeutung von Projekten, Inklusive Pädagogik, den Raum als „3. Erzieher“) und ergänzt diese durch informative Texte. So zeigt beispielsweise der Artikel “Dialog Reggio e.V.“ ? Verein zur Förderung der Reggio-Pädagogik in Deutschland - neben historischen Aspekten sowohl die Motive als auch wesentliche Aktivitäten dieses Vereins auf. Den Abschluss des Handlexikons bilden Informationen zu Studienreisen nach Reggio Emilia. Zum besseren Verständnis der Reggio-Pädagogik wirft Harald O. Schmid, ein Initiator dieser Begegnungen, einen Blick auf die italienische Region und ihre Geschichte und beschreibt daraufhin die konzeptionelle Gestaltung sowie organisatorische Hinweise zu dieser Studienreise. Ebenso liefert das Lexikon historische und konzeptionelle Informationen zur Ausstellung „Hundert Sprachen hat das Kind“.
Neben diesen ausgewählten informativen Texten rund um Reggio geben folgende ausgewählte fachliche Aspekte strukturierten Einblick in die Reggio-Pädagogik: Große Relevanz und eines der Unterscheidungsmerkmale zu anderen elementarpädagogischen Ansätzen zeigt das Kapitel Dokumentation auf, verstanden als Widerspiegelung und zugleich Konstruktion. Ausgehend von den Theorien Strukturalismus und Konstruktivismus werden Dokumentationen - ähnlich einem Spiegel - als Ergebnis eines Dialoges und nicht als Resultat objektiver naturwissenschaftlicher Sachstandserhebungen gesehen. Es folgt eine Beschreibung der pädagogischen Funktionen für Kinder, Erzieher, Eltern und die Öffentlichkeit. Anschaulich werden die Wand-, Dia-, Video- und Heftdokumentation als klassische geltende Dokumentationsformen in den reggioanischen Institutionen nicht nur dargestellt, sondern auch auf deren Problematik hingewiesen.
Reggio-Pädagogik nutzt die Kompetenzen ihrer drei Hauptdarsteller: Kind, Erzieher und Eltern in „einem als gemeinschaftliche Aufgabe verstandenen Erziehungsprozess„(S. 48). Daraus resultierend bezieht sich jeweils ein Kapitel auf kompetente Eltern sowie kompetente Erzieher. Ersteres fokussiert die Kompetenzen der Eltern; dieses kindspezifische Fachwissen wird von reggioanischen Erziehern wertschätzend aufgegriffen und konstruktiv in den pädagogischen Alltag mit einbezogen. Bedeutend sind neben der Lebensgeschichte des Kindes dessen kulturelle Beziehungen. Insbesondere in der inklusiven Pädagogik werden Eltern als Fachleute in Bezug auf die Schädigung und die Interventionen in Bezug auf die Beeinträchtigung der Kinder angesehen. Letzteres sieht Erzieher in Abgrenzung zu Führer der kindlichen Entwicklung als Forscher und Wegbegleiter, die in „Selbst-Lern-Prozessen bestärken“ (S. 49).
Ausgehend vom forschenden Wesen Kind, das sich „in hundert Sprachen ausdrückt, um sich mit der Welt auszutauschen“ (S. 89) und somit als agierend und interagierend zu betrachten ist, erhält die Bedeutung des Materials einen hohen Stellenwert. Parallelen und Unterschiede zur Montessori-Pädagogik prägen die Materialdiskussion, bevor auf verschiedene Materialgruppen hingewiesen wird.
Das umfangreichste Kapitel nimmt die Qualitätsentwicklung ein. Im Anschluss an den historischen Abriss der Qualitätsdiskussion der letzten Jahrzehnte (von der Diskussion über Normenstandardisierung nach DIN EN ISO über Total Quality Management und die Optimierung von Kosten-Nutzen-Relationen zur Struktur-, Prozess- und Orientierungsqualität, der Kindergarten-Einschätzskala uvm.) erfolgt ein Wissenstransfer zur Entwicklung dieses Themas in Italien. Hingewiesen wird u.a. auf das entwickelte reggioanische Netzwerk der Qualitätssicherung Quick (Qualität in Kindertageseinrichtungen in Verbindung mit der Universität Duisburg-Essen) und das neue QM-Konzept „Kinderbildung“.
Die Übersetzung zentraler Textstellen aus der italienischen Primärliteratur ermöglicht in Kombination mit der Auflistung der im Anschluss an die einzelnen Beiträge verwendeten und weiterführenden nationalen und internationalen Literatur eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Thematik.
Diskussion
Das Handlexikon zeichnet sich durch eine verständliche Darstellung des umfassenden Wissens aus ? unter Berücksichtigung eines ausgewogenen Theorie-Praxis-Transfers. Insbesondere die Vielzahl von Verweisen auf andere Stichworte vernetzen die jeweiligen Grundbegriffe auf eine gewinnbringende Art und Weise zu einem unersetzlichen Nachschlagewerk. Geschrieben wurde das Handlexikon der Reggio-Pädagogik für einen Personenkreis, der sich neu in dieses Thema einarbeitet, also Studierende, Erzieher und Personen, die sich für die Reggio-Pädagogik interessieren - die fachliche Darstellung des pädagogischen Handlungskonzeptes erfolgt dem Niveau dieser Zielgruppe entsprechend. Ferner ist dieses Werk bestückt mit hilfreichen praktischen Informationen, angefangen von nützlichen Praktikumsadressen, Informationen zur zweisprachigen Zeitung Rechild (Reggio Children Newsletter) bis hin zu zahlreichen Adressen (z.B. Materialzentrum Remida) und Öffnungszeiten des Centro Documentazione. Als kritische Randnotiz sei hingewiesen auf z.T. historische Literatur im Kapitel „Lebenslauf Loris Malaguzzi“ und bei der Angabe der Anzahl der Institutionen in Reggio, was aber durch die wenigen Publikationen in diesem Bereich zu entschuldigen ist.
Fazit
Das hier dargestellte Handbuch ist sehr aufschlussreich, setzt kein Basiswissen voraus und bietet einen kompetenten Überblick zur Reggio-Pädagogik. Der Leser kann in sämtlichen Kapiteln mit einer sachlich fundierten Aufarbeitung rechnen. Resümierend kann festgestellt werden, dass die vorliegende Publikation sowohl für Lehrende als auch für Studierende hilfreiches theoretisches und praktisches Wissen über die Reggio-Pädagogik vermittelt.
Rezension von
Dr. Monika Pfaller-Rott
Akad. ORin, Dipl. Sozialpäd., Dipl., Pädagogik, Dipl. Management, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
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Es gibt 8 Rezensionen von Monika Pfaller-Rott.
Zitiervorschlag
Monika Pfaller-Rott. Rezension vom 27.09.2011 zu:
Sabine Lingenauber (Hrsg.): Handlexikon der Reggio-Pädagogik. Projekt Verlag
(Bochum) 2011. 4., erweiterte Auflage.
ISBN 978-3-89733-231-7.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/11384.php, Datum des Zugriffs 09.12.2023.
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