Henning Fischer: Erinnerung an und für Deutschland
Rezensiert von Prof. Dr. Dr. Jochen Fuchs, 11.08.2011
Henning Fischer: Erinnerung an und für Deutschland. Dresden und der 13. Februar 1945 im Gedächtnis der Berliner Republik. Verlag Westfälisches Dampfboot (Münster) 2011. 184 Seiten. ISBN 978-3-89691-873-4. 24,90 EUR.
Thema
Henning Fischer geht in seinem Buch „‚Erinnerung‘ an und für Deutschland. Dresden und der 13. Februar 1945 im Gedächtnis der Berliner Republik“ u.a. der Frage nach, wie die Bombardierung Dresdens im Februar 1945 in der Folgezeit rezipiert worden ist und welche Rolle dieses historische Ereignis bei der Konstruktion einer „deutschen »Opfergeschichte«“ insbesondere seit dem Beginn des letzten Jahrzehnts gespielt hat. Das Buch ist im Frühjahr des Jahres 2011 bei dem renommierten Münsteraner Verlag Westfälisches Dampfboot erschienen, der mit der Wahl seines Namens einer der Aufklärung verpflichteten Zeitschrift des Vormärz als Verlagsname sein Ziel, in gesellschaftliche und politische Konflikte eingreifen zu wollen, demonstriert.
Autor und Entstehungshintergrund
Fischer, der im Rahmen des Studiums der Geschichte, der Politikwissenschaften und der Geschichte Südostasiens sich den Schwerpunkten Nationalsozialismus, Kolonialismus, politische Ökonomie und kritische Theorie der Geschichte widmete, hat die ‚Basisversion‘ dieser Arbeit 2010 beim Institut für Geschichtswissenschaft der Humboldt-Universität als Magisterarbeit eingereicht - und sich damit seine erste universitäre ‚Weihe‘ verdient, allerdings nicht „wegen ihr, sondern gegen sie“ (S. 13), was, wie der Autor auf Nachfrage mitteilte, seine Kritik an dem System Universität zum Ausdruck bringen soll, da er seit Studienbeginn den „gesamten Wissenschaftsbetrieb“ u.a. als „kritikfeindlich, bürokratisiert, verschult, im schlechten Sinne kanonisiert“ erlebt hat. Henning Fischer ist in antifaschistischen Zusammenhängen (auch publizierend) aktiv. So hat er sich bspw. 2008 beim „Aktiven Museum - Faschismus und Widerstand in Berlin“ mit den ‚Gedenktafelpolitiken‘ der Berliner Bezirke beschäftigt (vgl. seinen Aufsatz „Wenn das Erinnern etwas vergisst“ im Mitgliederrundbrief Nr. 60 v. Jan. 2009, S. 10 ff.). Ferner untersuchte er in einem im „Der Rechte Rand“ (Heft Nr. 129 v. März/April 2011) veröffentlichten Artikel die Geschichte der „Gauhauptstadt Dresden“ und das dortige „»Judenlager«“. Den Anstoß für die Themenwahl seines Buchprojekts gab nicht zuletzt das eigene Erleben der seit Beginn der ‚Nuller-Jahre‘ erfolgten verstärkten Propagierung einer deutschen ‚Leidens- und Opfergeschichte‘ insbesondere während des II. Weltkrieges und der Nachkriegszeit. Sein Vorhaben erregte dabei das Interesse der Rosa-Luxemburg-Stiftung, welche ihn insofern auch unterstützte.
Aufbau und Inhalt
Der Autor wählt in der Einleitung seines Werks mit „Was hier in Dresden erreicht wurde, sollte Deutschland insgesamt Mut machen“ ein Zitat von Horst Köhler (Ex-Bundespräsident) aus dessen Rede anlässlich der (Neu-)Weihe der Frauenkirche im Oktober 2005 als Aufhänger für die Darlegung seines Plans, die bei dem Thema „Deutschland im Bombenkrieg“ (Jörg Friedrich 2002) am Beispiel von Dresden miteinander verwobenen historischen und gesellschaftlichen Ebenen darzustellen und zu untersuchen, inwieweit die von der Gegenwart aus vorgenommene Deutung der Geschichte Teil des Entwurfs der Zukunft ist. Als theoretisches Rüstzeug dienen ihm dabei primär Arbeiten von Walter Benjamin und Maurice Halbwachs, deren Konzepte und Ansätze in dem mit „Theorie und Motivation“ betitelten Kapitel in einer den Spannungsbogen nicht immer haltenden, einer akademischen Abschlussarbeit gleichwohl geziemenden Umfänglichkeit dargestellt werden (S. 14 - 57). Bezug genommen wird ferner noch auf die von Assmann/Assmann vertretene Differenzierung des kulturellen Gedächtnisses in einen kulturellen und einen kommunikativen Teil (wobei letzterer - in etwa 80 Jahre abdeckend - hauptsächlich einem prägenden Einfluss der ‚Oral History‘ ausgesetzt ist, während die davor liegende Zeit im eher nicht-individuellen Langzeitgedächtnis ressortiert), die Analyse der Herausbildung von mythischen Erzählungen durch Roland Barthes sowie die Ausführungen von Benedict Anderson zur ‚Nationenbildung‘ qua Imagination und Manipulation.
Das Bestreben von Fischer ist dabei, einen theoretischen Bezugsrahmen für seine Untersuchung darüber zu bilden, „wie die Erinnerung an den 13. Februar beeinflusst wurde durch das Identitätsangebot des Dresden Mythos: Die Möglichkeit einer positiven deutschen Identität begründet durch die geschichtliche Rolle als unschuldige Opfer des auf allen Seiten barbarisch geführten Zweiten Weltkriegs.“ (S. 51 f.)
Im 3. Kapitel widmet der Autor sich zunächst der Aufgabe, den Dresden-Mythos in seinem Kern als eine Mischung von Legenden und erfolgreicher, wirkungsmächtiger faschistischer Propagandatätigkeit darzustellen, indem er das Bild des durch ‚luftterroristische Mächte und deren sinnlose Angriffe, die nicht ihresgleichen hatten, vernichteten Elbflorenz, das so einzigartig wie unschuldig war, auf den Prüfstand stellt. Der ‚Unschuld‘ beraubt war danach Dresden nicht nur dadurch, dass es sich seit dem 19. Jahrhundert als antisemitische Hochburg gehalten hatte (vgl. dazu S. 60 ff. und auch während der Weimarer Republik zu den faschistischen Zentren zu zählen war, sondern auch dadurch, dass sich in seinen ‚Mauern‘ das Judenlager Hellerberg befunden hatte (S. 67 ff.). Der Argumentation mit der ‚militärischen Sinnlosigkeit des Bombardements‘ wird entgegengehalten, dass Dresden eine der größten Garnisonen und etliche Verwaltungseinrichtungen beherbergte, zudem Zentrum eines nicht unwichtigen Rüstungsproduktionsgebietes war und einen Eisenbahnverkehrsknotenpunkt darstellte (S. 64 ff.). Gegen das Bild von der ‚Singularität des Angriffes‘ - gemessen an den Zahl der Toten - führt er an, dass die vielfach ins Feld geführten (total überhöhten) Zahlen sich auf einen Artikel v. 04.03.1945 zurückführen lassen, der Teil einer faschistischen Propagandakampagne war, und nicht nur bei US-amerikanischen Luftangriffen auf Japan, sondern auch bei dem großen Angriff auf Hamburg weitaus mehr Menschen getötet worden waren als am 13.02.45 in Dresden (S. 72 ff.).
Anschließend wendet sich Fischer den „Rezeptionen nach 1945“ zu und unterstellt dabei denjenigen, die den ‚Fall Dresden‘ als Beispiel für die Notwendigkeit des Kampfes gegen den imperialistischen Krieg anführen, den Versuch, ‚ihren‘ Staat mangels anderer Alternativen über die „gemeinsame Identität seiner Mitglieder als Deutsche und Opfer“ (S. 84) konsolidieren zu wollen. Er stellt dabei dar, wie in den verschiedenen Phasen der Entwicklung der DDR der ‚Fall Dresden‘ mal eine rein lokalpolitische, mal eine gesamtstaatliche Angelegenheit war, und welche Methoden angewandt wurden, den ‚Fall‘ zusammen mit einer nicht immer deckungsgleichen Analyse im Gedächtnis der Bürger wach zu halten (S. 83 ff.).
Dem wird als Pendant die Entwicklung in der BRD gegenübergestellt, wo man sich bereits früh in den 1950er Jahren bemühte, den wenn überhaupt nur abstrakt thematisierten faschistischen Verbrechen die konkreten ‚eigenen‘ Leiden entgegenzuhalten und zieht dabei eine interessante Parallel zu dem Prozess der ‚Entschärfung‘ des (im Original auf Niederländisch geschriebenen) Tagebuchs der Anne Frank durch deren Übersetzer ins Deutsche (S. 91). Dieser Prozess, in dem letztendlich alle zu Opfern stilisiert wurden, gipfelt dann - nach Bitburg und der Rede des Bundespräsidenten R. v. Weizsäcker anlässlich des Tages der Befreiung - gewissermaßen als ‚Spätgeburt‘ der Kohlschen ‚Geschichtswende‘ in dem Anbringen der Widmung „Den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft“) in der Berliner Neuen Wache.
Das 4. Kapitel stellt den Kern des Werks dar. Hier zeigt Fischer am konkreten Beispiel des ‚Falls Dresden‘ auf, dass „die politische Verfasstheit der erinnernden Gesellschaft (…) zentral ist für das Verständnis der Erinnerungsnarrative und ihre Wandlungen“ (S. 97). Einleitend zitiert er Bill Nivens Feststellung „German victimhood was to become the glue of united Germany‘s new national identity“ (S. 98) um anschließend die ‚Highlights‘ der sich daran anschließenden ‚Gedenkdebatten‘ (Goldhagen-, Wehrmachts- und Walser-Kontroverse) Revue passieren zu lassen.
Nach dem Buch „Der Brand - Deutschland im Bombenkrieg 1940 - 1945“ von Jörg Friedrich, welchem nicht zuletzt ob seiner Tendenz, „Begriffe zur Darstellung des Holocaust auf die Situation der Deutschen angesichts des alliierten Luftkriegs anzuwenden“ (S. 109) - und damit der neofaschistischen Wortschöpfung „Bombocaust“ den Weg bereitete - und seiner emotionalisierenden Sprache von Fischer die Einstufung als historiografische Studie abgesprochen wird (S. 107) wurde ein ganzes Füllhorn mit ‚Dresden-im-Bombenhagel-Literatur‘ über der BRD geleert und der Dresden-Mythos nicht nur verbreitet, sondern auch zunehmend für sakrosankt erklärt. Hierzu passt, dass sich Stefan Raab nicht zuletzt aufgrund des Drucks der sächsischen Regierungsspitze 2005 für seinen Scherz entschuldigen musste, dass die Schönheit des sächsischen Landes dafür verantwortlich gewesen sei, dass im Februar 1945 „1000 Engländer zu Besuch“ nach Dresden gekommen waren (vgl. S. 110).
Akribisch führt Fischer vor, wie weit dieser Mythos inzwischen Verbreitung - bis hinein in die einschlägigen Schulbücher - gefunden hat und wie er nicht nur in den Reihen der Neofaschisten und den diesen nahestehenden Kreise „Auschwitz“ überlagert oder zumindest ‚gleichberechtigt‘ an dessen Seite rückt.
Im zweiten Teil des 4. Kapitel untersucht Henning Fischer den ‚Fall Dresden‘ in Dresden oder anders gesagt, wie sich die Transformation der ‚großen Linien‘ des Gedenkens in der Art und Weise des Gedenkens in der Stadt selber widerspiegelt. Dies wird zum einen an den jährlichen Gedenkveranstaltungen auf dem Heidefriedhof (S. 126 ff.)und dem Hype um die Wiedererrichtung der Frauenkirche (S. 134 ff.) durchexerziert. Nicht zu kurz kommt in der Darstellung ferner der letztlich auf der Straße ausgetragene ‚Kampf um die (bzw. anlässlich der) Erinnerung‘ zwischen den Neofaschisten nebst deren bürgerlichen Sympathisanten und Handlangern einerseits und deren Gegnern, deren Spektrum sich von Antifa-Gruppen bis hinein ins bürgerschaftlich engagierte Lager erstreckt, andererseits (S. 145 ff.) - und zwar nicht ausschließlich nur (wenn auch hauptsächlich) in Dresden, sondern auch in anderen Städten, in denen die Neofaschisten vergleichbare ‚Trauermärsche‘ als Propagandamittel einsetzen. Abschließend (S. 158 ff.) widmet sich Fischer dem 2006 erstmals ausgestrahlten Melodram „Dresden“ und arbeitet an diesem Beispiel heraus, wie - analog zu den von ihm bereits zuvor präsentierten Beispielen - in diesem ‚Werk‘ (immerhin vor den Augen von knapp einem Drittel der bundesdeutschen Zuschauer) „die Deutschen von der Sünde des Nationalsozialismus gereinigt [werden]“ und zwar durch „das kathartische Schicksal des »Feuersturms«“ (S. 162) von Dresden.
Fazit
Henning Fischer ist - sieht man von dem etwas breit geratenen theoretischen ‚Aufgalopp‘ - eine spannend zu lesende Studie gelungen, mit welcher er sich hoffentlich erfolgreich als ‚Sand im Getriebe‘ des bereits seit etlichen Jahren laufenden Umetikettierungsprozesses etablieren kann. Dies erscheint angesichts des Umstands, dass dieser Umetikettierungsprozess bereits Ende des vergangenen Jahrhunderts es politisch ermöglicht hatte, dass eine der Befreiung vom Faschismus hohnsprechenden ‚Befreiung der handelnden politischen Akteure - wie etwa des zum Außenminister der BRD avancierten Frankfurter Putzkolonnenmitglieds und Namensvetters des Autors - vom Joche der Vergangenheit‘ stattfinden hatte können, die das Motto ‚Deutschland befreit Auschwitz im Kosovo‘ (vgl. S. 104) als handlungsleitendendes Motiv für einen Angriffskrieg durchsetzen konnte, nötiger den je, insbesondere wenn man bedenkt, dass damit die Büchse der Pandora geöffnet worden ist und inzwischen die „krauts“ wieder wie einst fast weltweit im Einsatz sind.
Rezension von
Prof. Dr. Dr. Jochen Fuchs
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Zitiervorschlag
Jochen Fuchs. Rezension vom 11.08.2011 zu:
Henning Fischer: Erinnerung an und für Deutschland. Dresden und der 13. Februar 1945 im Gedächtnis der Berliner Republik. Verlag Westfälisches Dampfboot
(Münster) 2011.
ISBN 978-3-89691-873-4.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/11559.php, Datum des Zugriffs 10.11.2024.
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