Ursula Fasselt, Helmut Schellhorn (Hrsg.): Handbuch Sozialrechtsberatung - HSRB
Rezensiert von Prof. Dr. Judith Dick, 17.10.2011
Ursula Fasselt, Helmut Schellhorn (Hrsg.): Handbuch Sozialrechtsberatung - HSRB. Nomos Verlagsgesellschaft (Baden-Baden) 2011. 3. Auflage. 864 Seiten. ISBN 978-3-8329-5476-5. 98,00 EUR.
Thema
Das Sozialrecht der Bundesrepublik Deutschland ist komplex. Daher ist es zu begrüßen, dass das HSRB einen knappen systematischen Überblick über die verschiedenen Leistungsbereiche des Sozialrechts liefert. Die nun 3. Auflage hatte hier die am 29.3.2011 verkündeten Reformen zum SGB II und SGB XII zu berücksichtigen. Für seine Verwendbarkeit im Verhältnis zu anderen Sozialrechtsbüchern spricht, dass es der Komplexität des Sozialrechts durch den 2. Teil der Darstellung aus der für die Praxis der Sozialrechtsberatung entscheidenden Perspektive der Lebens- und Problemlagen gerecht wird. Den Lebenslagenansatz mit dem rechtlichen Ansatz zu kombinieren ist meines Erachtens auch ein Weg dem Recht in der Sozialarbeitswissenschaft eine Eigenständigkeit gegenüber der Rechtswissenschaft zu verschaffen, die sowohl der reduktionistischen, den Fall zurichtenden Logik der Rechtswissenschaft als auch dem im Gegensatz dazu ganzheitlichen Blick der Sozialen Arbeit gerecht wird.
Herausgeberin und Herausgeber, Autorinnen und Autoren
Bei den 11 Autoren und Autorinnen handelt es sich überwiegend um Professoren an Hochschulen, die Sozialarbeitende und SozialpädagogInnen ausbilden.
Prof. Dr. Albrecht Brühl von der Hochschule Darmstadt und Regierungsdirektor a. D. Dietrich Schoch verabschieden sich aus Altersgründen mit dieser nun 3. Auflage.
Neu hinzugekommen sind Dr. Clarita Schwengers vom Deutschen Caritasverband Freiburg, die nun das SGB II-Kapitel übernommen hat und Prof. Dr. Frank Ehmann von der Fachhochschule Frankfurt/Main, der das Sozialhilfekapitel überarbeitet hat. Damit haben die beiden Neuzugänge in der Autorenschaft gleich die Kapitel mit großem Änderungsbedarf im Erscheinungsjahr 2011 bearbeitet.
Weiterhin gehören zu den AutorInnen: Prof. Dr. Fasselt, ebenfalls von der FH Frankfurt/Main, die auch Herausgeberin ist, Prof. Dr. Frings, Hochschule Niederrhein, Prof. Dr. Kessler, Hochschule RheinMain, Prof. Dr. Nothacker, FH Potsdam, Prof. Dr. Sauer Hochschule RheinMain, Prof. Dr. Schellhorn FH Frankfurt/Main, der ebenfalls Herausgeber ist und schließlich noch Prof. Dr. Winkler, Katholische FH Freiburg.
Aufbau
Wie bisher auch ist das Werk in drei große Teile untergegliedert.
Der erste Teil beinhaltet 15 an Rechtsgebieten ausgerichteten Kapitel zu folgenden Bereichen:
- die fünf gesetzlichen Sozialversicherungen,
- Grundsicherung für Arbeitsuchende, Sozialhilfe und Recht der behinderten Menschen
- Ausbildungsrecht, Kindererziehungsförderung, Wohngeld,
- Kinder- und Jugendhilfe samt Adoptionsvermittlung,
- die Soziale Entschädigung,
- sonstige Sozialleistungen und Europäisches Sozialrecht.
In Teil 2 wird ausgehend von den „Lebenslagen und Problemlagen“ der gesamte Sozialrechtsbereich aufgearbeitet. Die Themen umfassen:
- Ausbildung, Arbeitslosigkeit
- Kinder/Jugendliche, Lebenspartnerschaften, Alleinerziehende Schwangere
- Behinderung, Alter, Krankheit, Pflegebedürftigkeit
- Drogen/Sucht, Strafentlassene/Wohnungslose
- Migrantinnen und Migranten
Teil 3 schließlich befasst sich unter der Überschrift „Spezielle Beratungsfragen“ mit der Haftung von Beratenden, dem Datenschutz und der Erlaubnis zur Rechtsberatung. Zudem bietet das HSRB ein Gesamtliteraturverzeichnis sowie ein Stichwortverzeichnis.
Dazu gibt es ein Plakat mit einer Übersicht über die Sozialleistungen. Ferner ist eine unterjährige Aktualisierung über eine Online Version angekündigt worden, um mit den gesetzgeberischen Reformen des Sozialrechts mit zu halten.
Inhalt
Leider lag dem Rezensionsexemplar nicht das Plakat „Sozialleistungen im Überblick“ bei, so dass dieses nicht beurteilt werden kann.
Zunächst ist zu bemerken, dass das HSRB aus der Perspektive der Beratung schreibt. Es bietet eine Orientierung vertieft im ersten Teil über die verschiedenen Bereiche des Sozialrechts. Dabei nennt es auch viele § und ermöglicht so auch den Blick in den Gesetzestext. Es werden im 1. Teil kurz die Rechtswege angesprochen und die Beratungs- und Prozesskostenhilfe abgehandelt. Im 3. Teil wird auf Haftungsfragen und Sozialgeheimnis eingegangen.
Im lebenslagenorientierten 2. Teil geht das HSRB die verschiedenen möglicher Weise einschlägigen Sozialleistungen durch und öffnet den Blick für die sonstigen Rechtsgebiete, die in der Sozialberatung relevant sind, z. B. den arbeitsrechtlichen Schutz bei Arbeitsplatzverlust. Auch zum Familienrecht oder zur rechtliche Betreuung bietet das HSRB einen an den Lebenslagen orientierten Einstieg. Dazu kommt das Aufenthalts- und Staatsangehörigkeitsrecht, das bei der Lebenslage von MigrantInnen relevant wird. Die in der Beratungspraxis essentiellen Aspekte des Verfahrens- und Rechtsschutzrecht werden hier angesprochen: Fristen, Zuständigkeit und Rechtsweg.
Diskussion
Ein Überblickswerk zur Sozialrechtsberatung (und dessen Rezensentin) kämpft naturgemäß mit der Fülle der Lebenslagen und des Rechtsstoffs. Entscheidend im Sinne eines Orientierungswerkes für die Beratungspraxis ist es den Zugriff auf die unterschiedlichen Rechte zu eröffnen. Dieses Ziel verwirklicht das HSRB auf eine hervorragende Weise, die noch in ein tragbares Format passt, immerhin 864 Seiten und 1270g laut Küchenwaage.
In der Rechtsberatungspraxis werden häufig Fragen zum Sozialverwaltungsverfahren z. B. zum Ermessensspielraum der Behörde aus dem allgemeinen Verwaltungsrecht oder zur Glaubhaftmachung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren relevant. Hier haben die HerausgeberInnen sich entschieden dieses Querschnittsthema wegzulassen. Das hilft die Übersicht zu wahren und ist über zusätzliche Literatur zu genau diesen Themen gut auszugleichen.
Die SGB II und SGB XII-Reform wurde gut aufgearbeitet. So werden im Kapitel Grundsicherung für Arbeitsuchende von Prof. Dr. Schoch und Dr. Schwengers die neuen Regelbedarfe übersichtlich dargestellt ohne diese mit genaueren Ausführungen zu den Ermittlungsgrundlagen über das RBEG zu überfrachten. Für die Beratungspraxis kann das RBEG beim Vorgehen gegen die Regelbedarfshöhe an sich oder für die Härtefallargumentationen relevant werden. Dies geht aber deutlich über die allgemeine Beratungspraxis hinaus. Die Schwerpunktsetzung ist somit gelungen.
In diesem Kapitel werden auch die neu eingeführten „Leistungen für Auszubildende“ aus § 27 SGB II systematisch aufgegriffen. Im Teil 2 wird in der Lebenslage Ausbildung von Prof. Dr. Winkler auf diese Systematik nicht Bezug genommen und nur quasi nebenbei § 27 SGB II genannt. So bleibt den an der Lebenslage ansetzenden LeserInnen ggf. verborgen, dass die Leistungen für Auszubildenden gerade nicht mehr ALG II genannt werden laut § 7 Abs. 5 SGB II neue Fassung und somit z.B. der in allerdings eher seltenen Fällen relevante bisher systemwidrig mögliche gesetzliche Krankenversicherungsschutz über den Bezug von ALG II für Auszubildende entfällt. Auch wird nicht klar, dass die Härtefallregelung inzwischen in § 27 Abs. 4 SGB II gewandert ist. Zudem fehlt m. E. der Blick über den sozialrechtlichen Tellerrand auf die in er Beratungspraxis wichtiger werdenden Möglichkeiten der Teils auch öffentlich geförderten Stipendien und Kredite.
Aus Sicht der Schuldnerberatung möchte ich trotz der Gefahr, dass das HSRB dadurch noch schwerer wird, vorschlagen ein Kapitel zur Lebenslage Überschuldung aufzunehmen. Das Thema wird zwar in der Lebenslage Drogen/Sucht kurz mit einem Verweis auf den Überschuldungsbegriff und die Möglichkeit der Restschuldbefreiung über ein Insolvenzverfahren aufgegriffen. Auch werden Mietschuldenübernahmen behandelt. Im Kapitel 4 Lebenspartnerschaften Erwachsene, Alleinerziehende und Schwangere werden „Wirschaftliche Schwierigkeiten und Überschuldung“ in Bezug auf Problemlagen in der Ehe etwas ausführlicher beschrieben. Es fehlen aber z.B. die für die Praxis so entscheidenden Pfändungsgrenzen, das neue Pfändungssschutzkonto und die nun bis zu 30 %-ige Aufrechnung nach § 43 SGB II. SchuldnerInnen sind eine Gruppe, die teilweise auch arbeitslos sind oder auch krank sind oder werden, wie aktuelle Studien zur Wirkung von Schulden auf die Gesundheit eindrucksvoll belegt haben. Die rechtlichen Beratungshorizonte für SchuldnerInnen sind speziell, ähnlich wie bei den MigrantInnen, weshalb diesem Querschnittsthema ein eigenes Kapitel gebührt.
Prof. Dr. Frings stellt ausführlich, dicht und konzise von der Lebenslage ausgehend die sehr kleinteilige Rechtsmaterie des Aufenthaltsrechtes und der Sozialleistungsrechte für MigrantInnen dar. Dabei greift sie auch die aktuelle Debatte um die Verletzung der Menschenwürde durch die bis zu ca. 40 % unter dem Regelbedarf nach dem SGB II und SGB XII liegenden Asylbewerberleistungen auf.
Fazit
Die Aufteilung in einen die Rechtsgebiete im Wesentlichen §-Weise durchgehenden Teil und einen an den Lebenslagen orientierten Teil bringt die Herausforderung mit sich die Teile aufeinander abzustimmen, was dem HSRB gelingt. Die LeserInnen können so meist an zwei Stellen etwas zu den jeweiligen Beratungsfragen finden und das Changieren zwischen Recht und Lebenslage das die Beratungspraxis ausmacht mit einem nun aktualisierten Handbuch gut nachvollziehen. Damit ist das HSRB absolut geeignet für die Praxis der Sozialberatung und Sozialrechtsberatung und bietet etwas, was allen klassischen an Rechtsgebieten ansetzenden Werken fehlt.
Allerdings wird das allgemeine Recht zum Verwaltungsverfahren (SGB I und X) und zum Rechtsschutz nicht als Rechtsgebiet abgehandelt.
Rezension von
Prof. Dr. Judith Dick
Evangelische Hochschule Berlin, Professur für Sozialrecht
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Es gibt 10 Rezensionen von Judith Dick.
Zitiervorschlag
Judith Dick. Rezension vom 17.10.2011 zu:
Ursula Fasselt, Helmut Schellhorn (Hrsg.): Handbuch Sozialrechtsberatung - HSRB. Nomos Verlagsgesellschaft
(Baden-Baden) 2011. 3. Auflage.
ISBN 978-3-8329-5476-5.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/11592.php, Datum des Zugriffs 23.01.2025.
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