Carola Fleck, Stephan Leimgruber: Interreligiöses Lernen in der Kita
Rezensiert von Prof. Dr. Norbert Collmar, 30.12.2011
Carola Fleck, Stephan Leimgruber: Interreligiöses Lernen in der Kita.
SCHUBI Lernmedien
(Braunschweig) 2011.
121 Seiten.
ISBN 978-3-427-50528-0.
19,90 EUR.
Ursprünglich veröffentlicht im Bildungsverlag EINS.
Autorin und Autor
Dr. Carola Fleck ist Dozentin für Religionspädagogik im Bistum Trier und Prof. Dr. Stephan Leimgruber Ordinarius für Religionspädagogik an der Katholisch-theologischen Fakultät der Universität München.
Aufbau
Der Band startet mit einer Darstellung der religiösen und multikulturellen Pluralität als gesellschaftlicher Rahmenbedingung der pädagogischen Arbeit in der Kita. In Kapitel 2 werden Grundfragen interreligiöser Erziehung und darauf beziehbare Theoriekonzepte vorgestellt. Darauf erfolgt in Kapitel 3 eine Einführung in die Weltreligionen. In Kapitel 4 werden die Kinder als Subjekte interreligiösen Lernens, dann in Kapitel 5 die Erzieherinnen als „Bildungsbegleiter/-innen“ in den Mittelpunkt gestellt. Kapitel 6 geht auf die Festkultur in der Kita und auf Festkreise der Weltreligionen ein. In Kapitel 7 wird die interreligiöse Elternarbeit unter der Überschrift „Mitverantwortung der Eltern“ thematisiert. Eine Literaturliste beschließt den Band.
Vorweg sei hervorgehoben, dass der im A4-Format publizierte Band seinem Anspruch, „Grundwissen und Arbeitshilfen für Erzieher/-innen“ zu bieten, sehr gut gerecht wird. Daher treten die wissenschaftliche Ausrichtung und der wissenschaftliche Apparat in den Hintergrund. Dies wird aber durch die Literaturübersicht am Ende ausgeglichen.
1. Die neuen Rahmenbedingungen für interreligiöses Lernen
„In Zentraleuropa wird etwa ein
Fünftel der Kinder in Familien geboren, deren Eltern und/oder
Großeltern in anderen Ländern aufgewachsen sind“ (6) [1]
Sie bringen verschiedene Religionen und Kulturen in die
Kindertageseinrichtungen mit. Das Buch sieht sich als ein Element der
religionspädagogischen Antwort auf diese großen Veränderungen in
den Kindertagesstätten. C. Fleck und S. Leimgruber
legen eine Begründung und didaktische Gestaltung von interreligiöser
Erziehung in Kitas vor. Sie möchten helfen, Kompetenzen bei
Fachkräften auszubilden, um eine anspruchsvolle interreligiöse
Erziehung zu ermöglichen. Da fast jede Kultur religiöse Aspekte hat
und jede Religion sich in Kultur äußert, sind interkulturelles und
interreligiöses Lernen eng verwoben (vgl. 14).
Positiv
hervorzuheben ist, dass von den Kindern aus gedacht und argumentiert
wird. So wird ernst gemacht mit der Einsicht, dass Kinder Subjekte
ihrer Bildung sind. Interreligiöses Lernen wird dabei bezogen auf
das vielfältige Erleben der Kinder. „Die Kinder verfolgen, wie
alle Kinder, in erster Linie Kinderinteressen, und diese zeichnen
sich wenig durch ethnische oder nationale Merkmale aus.“ (10) Wenn
gleich Kinder auch spüren, ob ihre Herkunftskulturen und -religionen
wertgeschätzt werden, so steht für sie im Vordergrund, Freunde zu
finden, Spielmöglichkeiten zu haben und Feste zu feiern.
Die
Zieldiskussion zum interreligiösen Lernen wird in knapper, eher
thetischer Weise geführt. Ausgegangen wird dabei von einer
Wertschätzung von Kultur und Religion, die mit einem Diktum von
Mutter Theresa formuliert wird: „Jeder Hindu soll ein besserer
Hindu werden, jeder Muslim ein besserer Muslim und jeder Christ ein
besserer Christ.“ (12) Das Globalziel interkultureller und
interreligiöser Erziehung in der Kita ist Integration in die
Kindergartengruppe, die inhaltlich entfaltet wird als
Gleichberechtigung, Chancengleichheit, Konfliktfähigkeit und der
Fähigkeit mit Andersheit und Fremdheit umzugehen. Diesen positiven
Zielen werden verfehlte Ziele interreligiöser Erziehung
gegenübergestellt: Missionierung, Einheitsreligion,
Bekenntnismischung, Förderung von Patchworkreligion.
2 Wie geht interreligiöses Lernen im Kindergarten?
Lernen im Kindergarten wird verstanden
als „Aufmerksamwerden, Wahrnehmen und Entdecken“ (14),
interreligiöses Lernen als einen „dynamischen Lernprozess zwischen
Kindern mindestens zweier unterschiedlicher Religionen. Dieses Lernen
ist zunächst das Zur-Kenntnis-Nehmen der religiösen Andersheit.
Differenzen und Besonderheiten fallen auf, über die noch nicht
reflektiert wird.“ (16) Lernen geht also aus vom vorsprachlichen
Wahrnehmen. Erzieher/-innen können diese Wahrnehmung ansprechen und
ins Bewusstsein heben sowie in größere Kontexte stellen.
Interreligiöses Lernen geschieht in Begegnung, Fest, Gespräch oder
nebenher – beim Spielen, beim Betrachten von Bildern, CDs,
Fernsehen oder bei der Begehung von Sakralräumen. Es gibt Anlässe
im Alltag für interreligiöses Lernen und auch geplante
Lernarrangements. Zur Planung der Lernarrangements wird das von K.E.
Nipkow und F. Schweitzer zunächst für den
Religionsunterricht entwickelte religionsdidaktische Konzept der
Elementarisierung integriert. Elementarisierung fragt nach den
elementaren Zugängen der Kinder zum und nach ihren elementaren
Erfahrungen mit dem Thema. Es sucht die elementare Struktur des
Themas im Sinne der sachgemäßen Vereinfachung, sowie die elementare
Wahrheiten als dessen existentiell bedeutsame Seiten. Sodann werden
die elementaren Wege der Aneignung reflektiert. Elementarisierung als
einflussreiche und im RU bewährtes Modell kann seinen Weg in die
frühkindliche Bildung finden.
Die Bildungspläne verschiedener
Bundesländer werden sodann auf ihre interreligiösen Implikationen
hin analysiert. Natürlich kann in diesem didaktischen Kapitel der
Kompetenzbegriff nicht fehlen. So werden die Beiträge des
interreligiösen Lernens zu den übergreifenden Kompetenzen (z.B.
ästhetische, kommunikative Kompetenz usw.) dargestellt.
3. Einführung in fünf Weltreligionen
Die jeweils knappe Einführung in die
Weltreligionen ist von notwendiger religionswissenschaftlicher
Neutralität geprägt. Sie dient der inhaltlichen Kompetenz der
Erzieherinnen in interreligiösen Lernprozessen und möchte daher
keine umfassende Darstellung in die Weltreligionen bieten. Dabei wird
jeweils auf den Entstehungskontext, die Geschichte und Gegenwart der
einzelnen Religion eingegangen. Das Judentum (29-32) wird in knapper
Weise dargestellt. Im Christentum (32-35) werden die großen
Konfessionen und ihre gemeinsamen Grundlagen berücksichtigt. Der
Hinduismus (35-42) wird als in sich sehr plurale Religion deutlich,
die sich u.a. durch ein zyklisches Weltbild von den monotheistischen
Religionen Judentum, Christentum und Islam unterscheidet. Die
Darstellung des Buddhismus nimmt wenig Raum ein (42-44). Der
Einführung in den Islam (44-48) wird wiederum etwas mehr Raum
gegeben und dabei auch auf die aktuell in der BRD diskutierten
Fragen, wie die Verbindung von Religion und Politik, der
Rollenverteilung von Mädchen und Jungen im Islam usw.,
eingegangen.
Für die Auswahl der Inhalte, die in der
Kindertageseinrichtung vorzunehmen ist, werden drei didaktische
Prinzipien formuliert:
- Erfahrungsbezug,
- das Prinzip vom Nahen zum Ferneren und vom Vertrauten zum Neuen sowie
- der Vergleich einzelner Elemente der fremden und eigenen Religion.
In summa „wird ein vergleichendes interreligiöses Lernen vertreten, nicht zuletzt deshalb, weil dadurch die eigene personale und religiöse Identität gestärkt werden kann. Erzieher/-innen und Kinder dürfen zu ihrer Religion stehen und sie auch bekennen.“ (49).
4. Kinder als Akteure interreligiösen Lernens
Unterschieden werden zunächst die
„direkte und indirekte Alltagsgestaltung“ (52) für das
interreligiöse Lernen. Zu der direkten Gestaltung gehören religiöse
Geschichten, Lieder und Gebete. Die indirekte Alltagsgestaltung wird
über den dimensionalen Ansatz von Chr. Scheilke und F.
Schweitzer erschlossen. Der dimensionale Ansatz bezieht sich auf
die interreligiöse Gestaltung von Raum, Zeit, Beziehungen, Körper,
Erzählen, Kunst, Gemeinwesen und Spiel.
Für das Miteinander im
Kindergarten sind Rituale hilfreich. Sie strukturieren die Zeit,
ordnen Situationen, entlasten das Handeln, klären Beziehungen.
Religiöse Rituale gehen darüber hinaus. Sie bieten „einen
Erfahrungsraum, in dem Religiöses emotional verdichtet
nachvollzogen, erlebt und eingeübt werden kann“ (55). Dies kann
ein Ausgangspunkt für weitere Entdeckungen sein. Am Beispiel von
„Stille – Meditation – Gebet“ (56f) wird dies vertieft und
auf den sensiblen und verantwortlichen Umgang in der multireligiösen
Situation hingewiesen. „>Im Beisein der anderen betenIn
dieses Kapitel ist der religionskundliche Faden des Buches stark
eingewoben, indem als zentrale religiösen Personen Mose, Jesus,
Buddha, Mohammad und als zentrale heilige Schriften Bibel, Koran,
Bhagavadgita, Ramayana und buddhistische Texte nur in fachlicher
Perspektive vorgestellt werden. Demgegenüber werden die Sakralräume
in fachlicher und didaktischer Hinsicht erschlossen, indem die
sogenannte Sakralraumpädagogik aufgenommen wird. Als Abschluss des
Kapitels wird die biblische Jona Erzählung als religiöses Projekt
im Kindergarten präsentiert und analysiert.
5. Aufgaben der Erzieher/innen
Erzieher/-innen sind herausgefordert in
der multikulturellen und religiös pluralen Gesellschaft ihre
fachlichen (hier religionspädagogischen), ästhetischen und
kulturellen Kompetenzen zu erweitern. „Als Bildungsbegleiter/-innen
schaffen sie die Voraussetzungen für eine anregende Lernumgebung und
setzen gezielte Impulse, erarbeiten zugleich in ko-konstruktiver
Weise mit den Kindern Themen und nehmen Teil am entdeckenden und
forschenden Lernen“ (78). Erzieher/-innen sollen Unterschiede
wahrnehmen und „unterscheiden lernen“. D.h. die eigene
Wahrnehmung für Kulturen und Religionen schulen, Sachverhalte
einordnen und eine eigene Position ausbilden. Unterscheiden lernen
kann Vorurteile abbauen, wenn sie helfen die eigene Biographie zu
reflektieren und eigene Einstellungen zu überprüfen (79).
Interreligiöses Lernen (als Unterscheiden lernen) sollte mit
sozialem Lernen (und d.h. mit gemeinsamem Tun) verschränkt werden.
Religion ist nicht nur Inhalt sondern mehr noch Lebenshilfe. Sie
will „Trost spenden, Sinn geben, Unterstützung bieten,
herausfordern – die psychologischen Lernaspekte jedes religiösen
Vollzugs zeigen sich am deutlichsten in existentiell betreffenden
Situationen“ (81) Religion dient dazu, letzte Fragen zu bearbeiten
und offenzuhalten. Erzieher/-innen sollten diese Fragen offen halten
und nicht zu vorschnellen Lösungen greifen sowie „Respekt
gegenüber Fremden einüben“ (82) Aber zugleich auch Unterschiede
und Konfliktsituationen wahrnehmen. Hier werden von den Autoren
Kleiderfrage wie Kopftuch, Schwimmbadbesuch, Speisevorschriften,
verschiedene allgemeine Erziehungsziele, Geschlechtserziehung,
Verhältnis Mann-Frau in den verschiedenen Religionen genannt.
6. Auf dem Weg zu einer Festkultur im Kindergarten
„Kinder und Erwachsene spüren, wie
sich gerade bei Spiel und Feier das Leben verdichtet und die
Gemeinschaft wächst“ (88). In multikulturellen und interreligiös
geprägten Kitas bedarf es besonderer Sensibilität für religiöse
Feste. Denn „explizit religiöse Feiern sind nicht jedermanns
Sache, insbesondere, wenn es an eigener Erfahrung fehlt. Für
religiöse Feiern im Kindergarten spricht allerdings das Recht der
Kinder auf religiöse Bildung und die Pflicht der Erzieher/-innen,
die Herkunftskultur der Kinder einzubeziehen“ (88). Zugleich gilt:
Erzieher/-innen dürfen nicht zu religiösen Feiern gezwungen werden.
Zwischen diesen Polen nehmen Fleck / Leimgruber eine klare
Position ein. Kitas sollen die Festfreude der Kinder aufnehmen und
zur religiösen Orientierung und Sinnfindung beitragen. „Gewünscht
ist kein >PatchworkAuch in diesem Kapitel finden sich
religionswissenschaftliche Grundlagen für das Verstehen der
Religionen. Für die jüdischen Feste wird eine Einführung in den
Sabbat sowie das Pessach-, Chanukka und Purimfest gegeben; für das
Christentum stehen der Weihnachts- und Osterfestkreis im Mittelpunkt,
für die islamischen Feiertage stehen das Opferfest und das
Fastenbrechen. Hinduistische und buddhistischen Feste werden kurz
skizziert.
Für die Praxis interessant ist die Unterscheidung
dreier Modell für das Feiern religiöser Feste in Kitas: 1. Beim
Modell der Gastfreundschaft übernimmt eine Religion die Gestaltung
der Feier und die Angehörigen der anderen Religionen sind als Gäste
eingeladen. 2. Das Modell der multireligiösen Feier verbindet Texte,
Gebete und Symbole verschiedener Religionen. Aber es werden keine
gemeinsamen Gebete gesprochen und Symbolhandlungen durchgeführt,
sondern diese jeweils in Gegenwart der anderen. 3. In der
interreligiösen Feier vollziehen Kinder verschiedener Religionen
eine religiös gemischte Feier. Aus Sicht der Autoren wird die
interreligiöse Feier „den einzelnen Religionen nicht gerecht.
Darüber hinaus fördert sie weniger das Bewusstsein der
Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion, sondern eher eine
gewisse >Einheitsreligion
Das abschließende 7. Kapitel Mitverantwortung der Eltern macht Vorschläge für die Elternarbeit zum interreligiösen Lernen. Neben Gespräch und Dialog mit den Eltern werden auch Elterntreffen und das Experiment einer türkischen Vätergruppe vorgestellt.
Eine umfängliche Literaturliste beschließt das Buch.
Diskussion und Fazit
Der Untertitel des Bandes – Grundwissen und Arbeitshilfen für Erzieher/-innen – beschreibt präzise Ziel und Inhalt. Das Buch „Interreligiöses Lernen in der Kita“ beinhaltet das notwendige Grundwissen zu den Weltreligionen und die Grundfragen des interreligiösen Lernens. Dazu werden Vorschläge und Modelle für die praktische Arbeit gegeben.
Der Band beinhaltet 1. eine große Breite religionswissenschaftlicher und theologischer Informationen zu ausgewählten und für die Arbeit im Kindergarten wichtigen Bereichen der fünf Weltreligionen Judentum, Christentum, Islam, Hinduismus und Buddhismus sowie 2. Antworten auf die pädagogischen Herausforderungen und Fragen nach Sinn und Ziel, nach Wegen und Inhalten, nach Orten und Gestaltungsaufgaben sowie nach den Personen (pädagogische Fachkräfte und Kinder) beim interreligiösen Lernen. Dabei werden interkulturelles und interreligiöses Lernen aufeinander bezogen. Dazu ist das Buch sehr gut ausgestattet und anschaulich aufgebaut. Es ist reich bebildert und mit Diagrammen und Tabellen versehen und sehr gut lesbar. Zugleich sind sich die Autoren des einführenden Charakters des Bandes bewusst und haben die einzelnen Kapitel mit „Tipps zum Weiterlesen“ versehen, was zu einem vertieften Studium der Religionen und der interreligiösen Didaktik hilft.
[1] Ziffern in Klammer beziehen sich auf die Seitenzahl des rezensierten Bandes.
Rezension von
Prof. Dr. Norbert Collmar
Rektor und Professor für Theorie und Praxis der Religionspädagogik, Theologie an der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg
Es gibt 1 Rezension von Norbert Collmar.
Zitiervorschlag
Norbert Collmar. Rezension vom 30.12.2011 zu:
Carola Fleck, Stephan Leimgruber: Interreligiöses Lernen in der Kita. SCHUBI Lernmedien
(Braunschweig) 2011.
ISBN 978-3-427-50528-0.
Ursprünglich veröffentlicht im Bildungsverlag EINS.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/11632.php, Datum des Zugriffs 13.12.2024.
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