Christian Felber: Die Gemeinwohl-Ökonomie
Rezensiert von Prof. Dr. Ruth Simsa, 13.07.2011
Christian Felber: Die Gemeinwohl-Ökonomie. Das Wirtschaftsmodell der Zukunft. Deuticke (Wien) 2010. 158 Seiten. ISBN 978-3-552-06137-8. D: 15,90 EUR, A: 16,40 EUR, CH: 26,90 sFr.
Autor
Der Autor ist Mitbegründer von Attac, Tänzer, Universitätslektor und internationaler Referent.
Hintergrund
Die kapitalistische Marktwirtschaft hat massive Probleme geschaffen, die abgesehen von der Finanzkrise auch Klima, Verteilung, Arbeitslosigkeit, Hunger, Sinn und Demokratie betreffen. Diesem krisenanfälligen Wirtschaftsmodell wird hier eine Alternative gegenüber gestellt.
Hintergrund ist der Grundwiderspruch von Kooperation und Konkurrenz, statt der Orientierung an Konkurrenz und individuellen Egoismen wird eine stärkere Betonung von Kooperation und Gemeinwohlinteresse vorgeschlagen.
Aufbau und Inhalt
Ausgangspunkt sind Werte, wie Vertrauen und Würde sowie die These, dass der freie Markt aufgrund der ungleichen Tauschbedingungen nicht wirklich frei ist. Die Aussage von Hayek „Wettbewerb ist die effizienteste Methode, die wir kennen“, ist demnach von Ökonomen nicht wissenschaftlich belegt. Untersuchungen aus anderen Disziplinen wie Spieltheorie, Neurobiologie oder Sozialpsychologie zeigen dagegen, dass Kooperation ein effektiverer Motivationsfaktor ist. „Wollten redliche ÖkonomInnen die Marktwirtschaft tatsächlich auf der effizientesten Methode aufbauen, die wir kennen, dann müssten sie sie auf struktureller Kooperation aufbauen - zumindest, wenn sie den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Forschung zur Kenntnis nehmen würden.“ 19 Die Ideologie des unbedingten Wettbewerbs dient demnach v.a. zur ideologischen Absicherung und Konservierung bestehender Herrschaftsstrukturen.
Als wesentliche Krisen des Kapitalismus werden genannt:
- Konzentration und Missbrauch von Macht
- Ausschalten von Wettbewerb und Kartellbildung: Sobald Branchenunternehmen dazu in der Lage sind, kooperieren sie („Bei der gegenwärtigen Bankenrettung zeigt sich, dass es gar nicht um Wettbewerb und Marktwirtschaft geht, sondern um die (staatliche) Absicherung von Gewinnen.“ S. 20)
- Standortkonkurrenz: Lohn-, Sozial-, Steuer- u. Umweltdumping
- Ineffiziente Preisbildung als Ausdruck von Machtverhältnissen
- Soziale Polarisierung und Angst; Nichtbefriedigung von Grundbedürfnissen und Hunger;
- Umweltzerstörung; Sinnverlust; Werteverfall
- Ausschaltung der Demokratie: „Globale Unternehmen, Banken und Investmentfonds werden so mächtig, dass sie über Lobbying, Medienbesitz, Public Private Partnerships und Parteienfinanzierung Parlamente und Regierungen erfolgreich dazu bringen, ihren Partikularinteressen und nicht dem Gemeinwohl zu dienen.“ 23
Aufbauend auf die Auflistung der Krisen des Kapitalismus wird das Modell der Gemeinwohlökonomie vorgeschlagen. Grundlage ist eine Umpolung des Anreizsystems, von der Förderung von Gewinnstreben und Konkurrenz hin zu einer Förderung von Gemeinwohlstreben und Kooperation. Unternehmerischer Erfolg wird demnach definiert als Beitrag zum Gemeinwohl.
Orientierung
am Gemeinwohl. Dieses soll durch einen Wirtschaftskonvent
definiert werden. Fellber argumentiert, dass dies grundsätzlich
gut möglich sein müsste, da die Ergebnisse großer
stakeholder-Befragungen von Wirtschaftsunternehmen weltweit in
ähnliche Richtung gingen, stakeholder erwarten Transparenz,
soziale Verantwortung, ökologische Nachhaltigkeit, demokratische
Mitbestimmung und Solidarität von Unternehmen.
Das
Ergebnis der Konventberatung sollte durch eine Volksabstimmung
entschieden werden. In weiterer Folge könnten Indikatoren zur
Messung des Gemeinwohls definiert werden. Derartige Meßsysteme
gibt es bereits, sie sind jedoch sämtlich unverbindlich und
nicht kontrolliert. Ergebnis dieses Entscheidungsprozesses wäre
eine Gemeinwohlbilanz. Diese übersetzt die zentralen
gesellschaftlichen Wertvorstellungen in messbare Kriterien. Beispiele
für Kriterien dazu werden im Buch aufgelistet. Bessere Werte in
der Gemeinwohlbilanz sollten belohnt werden, z.B. durch niedrigere
MwSt.-Sätze oder Zolltarife, güstigere Kredite oder Vorrang
bei öffentlichen Aufträgen.
Verwendung von Gewinnen. Auch die Verwendung von Gewinnen soll anders als bislang geregelt werden. Zulässig wären demnach Investitionen, Rückstellungen für Verluste, Aufstockung des Eigenkapitals auf 100%, Ausschüttung an MitarbeiterInnen oder Leihgabe an andere Unternehmen. Nicht erlaubt wären demnach die Ausschüttung an EigentümerInnen, die nicht im Unternehmen arbeiten, Firmenankäufe, Finanzinvestmens oder Parteispenden.
Freijahr. Eine begleitende Maßnahmen wäre ein Freijahr alle 10 Jahre, welches (rein quantitativ) u.a. die EU-Arbeitslosigkeit sofort beseitigen könnte.
Demokratische
Bank, Ein weiteres wichtiges Element des vorgeschlagenen Modells
ist die Demokratische Bank. Es wird argumentiert, dass Finanzmärkte
ein Widerspruch in sich sind, da Marktgesetze aus verschiedenen
Gründen hier nicht gelten. So werden etwa Sparvermögen vom
Staat garantiert, auch Refinazierung wird durch die staatliche
Zentralbank geleistet, bei Insolvenzen haften nicht Aktionäre,
sondern ebenfalls die öffentliche Hand.
Demgegenüber
sollten Geld und Kredit zu einem öffentlichen Gut und die
Finanmärkte geschlossen werden. Folgende Maßnahmen werden
vorgeschlagen: Vermögen wird bei der demokratischen Bank oder
ähnlichen Instituten deopniert, sie leben von Arbeitseinkommen,
nicht von Kapitaleinkommen. Die Rechtsform der Aktiengesellschaft
gibt es nicht mehr, statt Aktieneinkommen erhalten Unternehmen direkt
und zinsfrei Kredit. Investmentprodukte und Devisenmärkte gibt
es nicht mehr, Rohstoffpreise werden demokratisch festgelegt. Die
Rolle der Bank ist auf die Vermittlung zwischen Sparern und
Kreditnehmern beschränkt.
Privateigentum. In Bezug auf Eigentum wird argumentiert: „Die Absolutstellung des Eigentumsrechts ist heute zru größten Gefahr für die Demokratie geworden.“ 61 Einige Personen oder Unternehmen sind so reich geworden, dass sie die Medien und politische Entscheidungen dominieren können. Das vorgeschlagene Modell will daher folgende negative Rückkopplungen installieren, die den Eigentumszuwachs mit wachsendem Eigentum absenken:
- Relative Begrenzung der Einkommensungleichheit auf das 20-fache;
- Begrenzung des Rechts auf Aneignung von Privatvermögen mit 10 Mio Euro pro Person;
- Begrenzung der Größe von Unternehmen im Privatbesitz: Ab 250 Beschäftigten sollten diese demnach 25% der Stimmrechte erhalten, ab 500 Beschäftigten 50%, ab 5000 gehen die Unternehmen zur Gänze in das Eigentum der Belegschaft über.
- Begrenzung des Erbrechts sowie von Schenkungen pro Person auf insgesamt 500.000.- ; Verteilung des Rests zu gleichen Teilen an die übrigen Nachkommen der nächsten Generation als demokratische Mitgift.
- Begrenzung der Vererbung von Familienunternehmen mit 10 Mio Euro pro Person.
- Weiterentwicklung der Demokratie
Begleitende Maßnahmen im Bereich der Erziehung und Bildung werden vorgeschlagen, mit Schwerpunkten auf Demokratie, Kommunikationskompetenz, Sinn und Werten.
Ein weiterer Abschnitt des Buches behandelt Maßnahmen zur Weiterentwicklung der Demokratie. Hier werden insbesondere Maßnahmen zur stärkeren direkten Demokratie vorgeschlagen und damit eine stärkere Trennzung zwischen Souverän und Regierung, also verfassungsgebender und verfasster Gewalt. Zentraler Bestandteil davon ist die Idee demokratischer Konvente. Dies sind Versammlungen, die aus einer repräsentativen Anzahl von Bevölkerungsmitgliedern zusammen gesetzt sind und in intensivem Austausch mit der Bevölkerung zentrale politische Entscheidungen treffen sollen. Solche Konvente könnten für die Adaptierung der EU-Verfassung, für Wirtschaft, Bildung, Daseinsvorsorge u.a. Themenstellungen eingesetzt werden.
Beispiele. Im Anschluss an die Beschreibung des Modells werden Beispiele für Initiativen und Unternehmen genannt, in denen Gemeinwohl-Ökonomie bereits gelebt wird, wie etwa die baskische Genossenschaft Mondragon, Migros, verschiedene demokratische Banken etc.
Diskussion
Das vorgeschlagene Modell ist – wie auch der Autor selbst schreibt – nicht bis ins letzte Detail abgeschlossen und fertig formuliert. Hier soll und muss weiter diskutiert werden. Viele Aspekte sind problematisch, dies trifft jedoch in weitaus höherem Maß auf unser gegenwärtiges Wirtschaftssystem zu.
Von der inhaltlichen Rationalität her ist ein Modell der Gemeinwohlökonomie sicher realistischer und rationaler als das vorherrschende Wirtschaftsmodell. Der Marktmechanismus bleibt weiterhin Grundlage, allerdings mit wesentlich vernünftigeren Regulierungen als bislang.
Die Umsetzbarket des Modells ist dennoch höchst fraglich: Es steht nicht im Widerspruch zu ökonomischer und gesellschaftlicher Rationalität, wohl aber zu herrschenden Machtverhältnissen und Interessen.
Fazit
Das Buch bricht mit Denkverboten und Tabus, die die neoliberale Ideologie begleiten. Es bietet Alternativen an, die jedenfalls diskussionswürdig sind. Es ist schlüssig und überzeugend geschrieben und absolut empfehlenswert.
Rezension von
Prof. Dr. Ruth Simsa
Wirtschaftsuniversität Wien
Institut für Soziologie, NOP Institut
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Es gibt 76 Rezensionen von Ruth Simsa.
Zitiervorschlag
Ruth Simsa. Rezension vom 13.07.2011 zu:
Christian Felber: Die Gemeinwohl-Ökonomie. Das Wirtschaftsmodell der Zukunft. Deuticke
(Wien) 2010.
ISBN 978-3-552-06137-8.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/11669.php, Datum des Zugriffs 20.09.2024.
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