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Klaus Onnasch, Ursula Gast: Trauern mit Leib und Seele

Rezensiert von HS-Prof. Dr. Doris Lindner, 14.10.2011

Cover Klaus Onnasch, Ursula Gast: Trauern mit Leib und Seele ISBN 978-3-608-86029-0

Klaus Onnasch, Ursula Gast: Trauern mit Leib und Seele. Orientierung bei schmerzlichen Verlusten. Klett-Cotta Verlag (Stuttgart) 2011. 180 Seiten. ISBN 978-3-608-86029-0.

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Thema

Trauer und Trauern ziehen sich durch alle Gesellschaftsschichten und treffen ausnahmslos jeden, der mit Tod und Sterben in Berührung kommt. Fast scheint es, als wäre die Trauer, nach ihrem tabuisierten Rückzug aus der Öffentlichkeit, wieder salonfähig geworden. Die Auseinandersetzung mit der Trauer wird mehr denn je dem Individuum selbst umgelegt, dabei hat jeder Trauernde konsequenterweise individuelle Deutungen für seinen Verlust. Erst in der Kommunikation in Trauerarbeit und Trauergruppen kommen diese zum Ausdruck, widersprechen aber trotzdem einer gängigen Verallgemeinerung. Der Prozess des Trauerns ist von mehreren Faktoren abhängig, so bestimmen neben familiären und biographischen Lebensereignissen auch die religiöse Orientierung und die kulturelle Einbettung die Fähigkeit zu Trauern. Was aber allen Trauernden anheim ist, sind körperliche Vorgänge während des Trauerprozesses. Der Zugang zur Neurobiologie ist vergleichsweise neu und versucht auf Basis neurobiologischer Forschung wichtige Erkenntnisse über das Wesen der Trauer und ihrer Prozesshaftigkeit zu liefern. Diesen Zugang zur Trauer möchte dieses Buch dem Leser näher bringen und hebt damit ganz implizit den ganzheitlichen Aspekt von Trauer(n), der Körper und Psyche gleichermaßen betrifft, hervor.

Autor und Autorin

Klaus Onnasch, Dr., Pastor im Ruhestand, arbeitet und lebt aktuell in Kronshagen. Aus- und fortgebildet in Klinischer Seelsorge ist er unterrichtet in Methoden des Bibliodramas und Psychodramas. Seit 1977 begleitet er Trauergruppen, ist Mitglied u.a. des Kieler Arbeitskreises Trauerbegleitung, der seit 2005 besteht.

Ursula Gast, PD Dr. med., ist Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Sie war von 2004 bis 2009 Chefärztin der Klinik für psychotherapeutische und psychosomatische Medizin des Evangelischen Krankenhauses Bielefeld und ist aktuell in eigener Praxis in Dammholm tätig.

Entstehungshintergrund

Dieses Buch versucht die Erkenntnisse aus den Theorien der Wissenschaft der Neurobiologie auf Trauerprozesse zu übertragen und diese verständlich und praxisnah darzustellen. Dabei greifen die beiden Autoren auf Erfahrungen ihrer dreißigjährigen Beschäftigung in der Trauerbegleitung sowie auf persönliche Erlebnisse mit Trauer, Verlust und Abschiednehmen zurück. Die beiden Autoren haben bereits gemeinsam ein Buch zum Thema „Trauma und Trauer“ verfasst, auf das sie sich in ihrem aktuellen Ratgeber zwar beziehen, aber auch ihre Unterschiedlichkeit betonen. So liefert ihr Erstlingswerk (erschienen 2009) wichtige Erkenntnisse neurobiologischer Forschung aus der Sicht der Wissenschaft; im Unterschied hierzu wird in „Trauern mit Leib und Seele“ die Situation der Trauernden in den Mittelpunkt gerückt. Ziel dieser Orientierungshilfe ist es, einen Einblick über Vorgänge und Phänomene zu gewähren, die während des Trauerprozesses an Leib (und Seele) im Verborgenen vor sich gehen.

Aufbau und Inhalt

Das Buch umfasst neben einen Vorwort, indem die Autoren dem Leser ihre persönlichen Beweggründe zur Auseinandersetzung mit Fragen um Abschied und Trauer vermitteln, über zwölf thematische Kapitel. Im Anhang befindet sich ein Register mit hilfreichen „Internet-Adressen und Telefonnummern für Trauernde in Deutschland“ sowie „Lokale und regionale Netzwerke zur Trauerbergleitung“ (ebenfalls auf Deutschland bezogen). Ein zweiseitiges Literaturverzeichnis ergänzt den Buchband.

Das erste Kapitel bietet dem Leser zunächst einen „einführenden“ Überblick über den Schmerz des Verlustes, wie er auf unserem Körper wirkt, dass der Körper sich gewissermaßen vor diesem Schmerz zu schützen versucht und dass der Prozess der Trauer und die damit einhergehenden Veränderungen Zeit brauchen. Da jeder Verlust von unterschiedlichem Charakter ist, ist auch die Trauer bei jedem Menschen einzigartig. Gemeinsam ist ihnen jedoch allen, aus dieser Zeit der Trauer neue Wege zu beschreiten, an dessen Ende ein neuer Lebensabschnitt wartet.

Das zweite Kapitel soll alsdann ein „Basiswissen“ über biologische Vorgänge schaffen, die während des Trauerprozesses vor sich gehen und damit Trauernden und deren Begleiter eine wertvolle Hilfe zur Orientierung bieten. Es befasst sich eingehender mit der Materie, in dem es Funktion und Definition von Trauer in Leib und Seele darstellt und eine erste Antwort auf die Frage, „Was bedeutet Seele?“ zu geben versucht, in dem die seelischen Vorgänge zugleich als leibliche Vorgänge gezeichnet werden und dem Gehirn als Schnittstelle zwischen Erfahrung und Genetik eine gesonderte Rolle in der Trauer zukommt. Vonseiten der Gehirnforschung erfahren wir, dass wir dazu in der Lage sind zu fühlen, was andere fühlen. Das neurobiologische Format dieser Steuerung sind die Spiegelneuronen.

Nach dem Blick auf die neurobiologischen Prozesse, die gezeigt haben, wie weit reichend Bahnungen und Vernetzungen sind, die sich im Zuge eines gemeinsamen Lebens gebildet haben, behandelt Kapitel drei die unterschiedlichen „Reaktionen auf den Verlust“ als ein Durchtrennen vertrauter Spiegelungen. Solche Reaktionen können sich als Schutz- oder Stressreaktionen äußern, die Veränderungen können aber auch den gesamten Körper betreffen oder bild- und symbolhaft die Verlusterfahrung in Erinnerung rufen. Zum Verlustschmerz der Trauer kommt nicht selten das Gefühl der Schuld wie auch die Art und Weise unseres alltäglichen Mitteilens beeinträchtigt sein kann.

Im vierten Kapitel wird nun der Versuch unternommen, „Prozesse in der Trauer“ zunächst modellhaft anhand gängiger Theorien vorzustellen. Es wird die Problematik von „Vermeidung und Auseinandersetzung“ ebenso aufgegriffen wie das Wechselspiel zwischen „Anspannung und Entspannung“ bzw. „Verwirrung und Orientierung“. Auch die Wichtigkeit der Begleitung Trauernder und das Führen eines Dialoges zum Verstorbenen finden ihren Ausdruck im „Spielraum“.

Die folgenden Kapitel fünf („Lebensstufen in der Trauer“) und sechs („Zeiten in der Trauer“) durchlaufen, wie die Überschriften bereits vermuten lassen, Trauer in unterschiedlichen Lebensabschnitten und unterschiedlichen Zeiten von Orientierung, Wahrnehmung und Bewusstwerdung, während Kapitel sieben hierfür die Wichtigkeit von „Ritualen in der Trauer“ unterstreicht.

Kapitel acht, „Spirituelle Quellen in der Trauer“, hebt die Symbolik und Bedeutung religiöser Vorstellungen und Erfahrungen für den Trauernden als Türöffner in „Dimensionen der Wirklichkeit“ hervor, die in Zeiten von Orientierung wertvolle Hilfe leisten können. Die Trauer in den Weltreligionen wird ebenso umrissen wie der Dialog zwischen Menschen verschiedener Religionen in Form interreligiöser Treffen und der Austausch der Kulturen am Beispiel von Afrika und Deutschland.

Daran anschließend geben die Autoren einen Überblick über die „Begleitung in der Trauer“ in unterschiedlichen Beziehungen und Strukturen, familiär, kollegial oder verstanden als professionelle Begleitung in Einzel- oder Gruppensettings und stellen Situationen vor, in denen Trauer einen problematischen Verlauf nimmt und die heilsame Wirkung in den Hintergrund rückt. Dementsprechend notwendig werden verschiedene Therapieansätze („Therapie bei erschwerter Trauer“).

Kapitel elf („Heilender Umgang mit Trauer“) hebt die eingangs gestellte Leitfrage, was in meiner Trauer guttut, auf eine durch Reflexion und Erkenntnisse vertiefte Ebene und versucht dem Leser zu ermutigen, den eigenen neuen Weg durch Gefühlschaos und Gedanken zu finden und zu gehen. Das abschließende Kapitel „Trauer in der Gesellschaft“ weicht von der individuellen Ebene wieder ab und rückt die Trauerkultur in unserer gegenwärtigen Gesellschaft in den Mittelpunkt, insbesondere werden solidarisches Sozialverhalten und wie Trauer zu gesellschaftlichen Wandel beitragen kann, hervorgehoben.

Diskussion

Wer trauern möchte und entsprechende Ratgeber sucht, kann sich ob der schier unaufhaltsam wachsenden Zahl an Fachbüchern schon einmal schwer tun, die passende Wahl zu treffen. Genauso schwer kann man sich dem Trauern selbst entziehen, wird doch die Wichtigkeit zu trauern, als Ausdruck des Schmerzes und Verlustes als oberstes Prinzip der Genesung von einem Ausnahmezustand gehandhabt. Plötzlich wird nun von ‚meiner Trauer‘ gesprochen und dass ‚Trauerarbeit‘ unbedingt sein muss, mit dem Ziel einer schlussendlichen Rückkehr zum Leben. So auch vielversprechend der vorliegende Ratgeber, „aus eigener Kraft“ Trauer und Trauergefühle zu bewältigen. Das Buch versucht dem Leser eine Menge an Informationen in komprimierter und recht einfacher Weise zu überbringen und ist so gut geeignet für einen Überblick, ohne jedoch allzu vertiefende Einblicke zu gewähren. Nicht in erster Linie geht es um den Tod und die Trauer betroffener Angehöriger, die beiden Autoren richten ihre Aufmerksamkeit vielmehr auf die Entdeckung der eigenen, neuen Lebenskraft, die durch Trauerprozesse freigesetzt wird. Wohlgemerkt, es geht darum neue Wege in der Trauer zu finden und einen solchen neuen Weg sehen die Autoren in der neurobiologischen Forschung. Eröffnet wird ein neuer Kosmos, der zu verstehen geben soll, was in der Trauer sowohl im Körper als auch in Seele vor sich gehen soll. Im Rahmen dieser Überlegungen bieten die Autoren zunächst die theoretischen Grundlagen neuester Erkenntnisse der Hirnforschung und der Neurobiologie. Für eine Neuerung in der Trauerforschung sind die Kenntnisse aber dann doch zu wenig tiefgreifend und geben hier lediglich einen, wenngleich auch verständlichen, ersten Einblick. Zur besseren Orientierung, versteht sich. Mit diesem Basiswissen ausgestattet lesen sich die folgenden Kapitel anders – oder doch nicht? Der Begeisterungsfunke, der in der Begegnung von Neurobiologie und Praktischer Theologie in ihrem Erstlingswerk zu spüren ist, ist auch auf diesen Ratgeber übergesprungen, wenngleich in deutlich abgemilderter Form. Würden die neurobiologischen Äußerungen am Anfang des Buches einfach weggelassen, hätte man einen Ratgeber vor sich, der auf einfache und einfühlsame Weise mit vielen Praxisanregungen versucht, dem Leser das Wesen der Trauer, spürbar an Leib und Seele, näherzubringen, den Trauernden selbst dabei in den Mittelpunkt rückend. Die neurobiologischen Erkenntnisse des Trauerns bergen eine neue Sichtweise, die manchen Leser helfen mag, im Umgang mit Schmerz und Trauer für sich neue Wege zu finden. Zumindest aber ist der Versuch, über den Vorgang körperlicher Prozesse Trauern verständlich zu machen und körperliche Reaktionen als ‚normal‘ zu werten, honorierend anzuerkennen.

Fazit

Ein Ratgeber, der abschnittsweise die sachliche Distanziertheit wissenschaftlicher Neuerungen verströmt und mit seinen vielen Praxisanregungen einen Ansatz bietet, die existentielle Dimension des Themas in Wahrnehmung und Verlust der individuellen Ebene teilweise zu entheben. Praxisnah gehalten kann das Buch nicht verleugnen, dass es eine Orientierungshilfe ist; wer sich damit zufrieden gibt, einen Überblick darüber zu bekommen, wie Trauer erlebt wird und darüber hinaus Interesse an biologischen Vorgängen zeigt, der liegt mit diesem Buch nicht falsch.

Rezension von
HS-Prof. Dr. Doris Lindner
Institut Qualitätsmanagement und Hochschulentwicklung
Private Kirchliche Pädagogische Hochschule Wien/Krems
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Es gibt 34 Rezensionen von Doris Lindner.

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Zitiervorschlag
Doris Lindner. Rezension vom 14.10.2011 zu: Klaus Onnasch, Ursula Gast: Trauern mit Leib und Seele. Orientierung bei schmerzlichen Verlusten. Klett-Cotta Verlag (Stuttgart) 2011. ISBN 978-3-608-86029-0. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/11731.php, Datum des Zugriffs 23.09.2023.


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