Ilse Hartmann-Tews, Ulrike Tischer et al.: Bewegtes Alter(n)
Rezensiert von Lorena Rautenberg, 02.07.2012
Ilse Hartmann-Tews, Ulrike Tischer, Claudia Combrink: Bewegtes Alter(n). Eine Frage des Geschlechts. Verlag Barbara Budrich GmbH (Opladen, Berlin, Toronto) 2011. 170 Seiten. ISBN 978-3-86649-419-0. 24,90 EUR.
Thema
Das Buch befasst sich mit Sport und Bewegung im Alter zwischen 55 und 75 Jahren.
Es werden drei Studien vorgestellt, die untersuchen, inwiefern Alter, Geschlecht und soziale Schichtzugehörigkeit Einfluss haben darauf, in welchem Maß Menschen Sport treiben und welche sportlichen Aktivitäten sie bevorzugen.
Das Buch verbindet den akteurtheoretischen Ansatz mit sozialkonstruktivisitschen Forschungsergebnissen der Geschlechterforschung.
Aufbau
Das Buch gliedert sich in sieben Kapitel.
Während die drei ersten Kapitel Forschungshintergrund, Bezugsrahmen und das Forschungsdesign beschreiben, befassen sich Kapitel vier bis sechs mit den Themen Sport und Geschlecht, Sport für Ältere und den sozialstrukturellen Dimensionen von Sport und Alter(n). Kapitel sieben fasst die Ergebnisse der Studien zusammen.
Der zunehmende Wandel der Altersbilder in der Gesellschaft hin zum aktiven und produktiven Alter führt auch zu der Frage, welche Rolle Sport und Aktivität für ältere Menschen spielen. In einer qualitativ basierten Interviewstudie werden 55- bis 75-jährige befragt, durch Experteninterviews und Dokumentanalyse werden Organisationen in ihrem Umgang mit sportaktiven Älteren erfasst und in einer repräsentativen Erhebung wird der soziale Zusammenhang zwischen Sport – Alter – Geschlecht betrachtet.
Inhalt
1 Forschungshintergrund: Alter(n), Geschlecht und Sport
1.1 Demographische Entwicklung. Unter Bezugnahme auf verschiedene Studien wird belegt, dass es einen Zusammenhang zwischen Lebenserwartung, Geschlecht und Schichtzugehörigkeit gibt. Frauen leben in allen westlichen Ländern länger als Männer, Menschen aus den niedrigeren Einkommensgruppen haben eine geringere Lebenserwartung. Dabei gilt allgemein, dass die Lebenserwartung in den letzten 100 Jahren beständig steigt und sich noch immer nach oben korrigiert. Gleichzeitig kommt es zu einer Verschiebung der Relation der Altersgruppen, da immer mehr Menschen immer älter werden, gleichzeitig aber immer weniger Kinder geboren werden. Das Alter als Renten- und Pensionsphase wird heute als der Normalfall betrachtet.
1.2 Alter(n)sforschung aus sozialwissenschaftlicher Perspektive. Während bis in die 1990er Jahre die Gruppe der Alten als relativ homogene Gruppe gesehen wurde, gibt es mittlerweile einen sehr differenzierten Blick auf die Bevölkerungsgruppe der Älteren. So gelten die ca. 60- bis 74-jährigen als die jungen Alten, die 75- bis 84-jährigen als die alten Alten und über 85-jährige als die Hochbetagten. Die Unterschiedlichkeit der Lebensläufe setzt sich jedoch auch in der Lebenssituation im Alter fort. Männer haben sich beispielsweise durch ihre meist kontinuierlichere Erwerbsbiographie für das Alter oft materielle Vorteile erworben, dagegen sind sie im Alter häufiger von Krankheiten betroffen. Ein bisher weitgehend unbeachteter Bereich ist die Verknüpfung von Körper, Alter und Identitätsfragen. Körperliche Anzeichen des Älterwerdens werden immer noch als Makel empfunden und sollen möglichst lange hinausgezögert werden. Jugendlichkeit und Fitness spielen in der gesellschaftlichen Erwartung eine große Rolle. Fitness und Wellness gehören mittlerweile zum Alltag; Sport zu treiben ist dabei auch ein Symbol für eine gesunde Lebensweise.
1.3. Sportengagement in der Lebensspanne. Trotz der Heterogenität der methodischen Vorgehensweisen lassen sich einige zentrale Punkte herauslesen. Tendenziell bleiben Menschen immer länger regelmäßig sportlich aktiv. In der Gruppe der 75-jährigen hat sich in den letzten Jahren den Anteil der regelmäßig sportlich aktiven Menschen mehr als verdreifacht. Allgemein sind Männer sportlich aktiver als Frauen, ziehen sich im Alter jedoch auch mehr von den sportlichen Betätigungen zurück. Frauen sind dabei seltener in Vereinen aktiv als Männer.
2 Analytischer Bezugsrahmen
2.1 Das akteurtheoretische Model. Das individuelle Handeln als abhängige Variable soll bei den im Buch beschriebenen Studien berücksichtigt werden, um die Fragen zu beantworten: Wie und warum wählen Handlende genau diese Handlungsalternative aus allen verfügbaren aus? Was sind die Handlungsmotive? Dazu werden die Akteurmodelle der normorientierten und der nutzenorientierten Handlenden herangezogen und die Identitätsbehauptung berücksichtigt.
2.2 Konstruktivistische Ansätze: doing gender – doing age. Das Konzept doing gender beschäftigt sich in erster Linie mit dem Entstehen, der Veränderung oder Angleichung von Geschlechterdifferenzen. Das Konzept doing age stellt eine Übertragung dieser sozialkonstruktivistischen Perspektive auf das Alter(n) als Ausdruck sozialer Handlungen dar.
2.3 Gesellschaftstheoretische Ansätze: Beobachtung und Inklusion. Betrachtet man die Forschung der vergangenen Jahrzehnte, so erkennt man, dass Alter(n) zunächst meist negativ belegt war. Alter bedeutet auch Hilfsbedürftigkeit und Ausgrenzung. Neuere Perspektiven nehmen eine gesellschaftstheoretische Position ein und fragen nach der Art, wie verschiedene Systeme Alter konstruieren.
2.4 Zusammenfassung und Forschungsfragen. Es besteht die Annahme, dass sowohl Geschlecht wie auch Alter den Handlungsrahmen für Einzelne aber auch für Gruppen von Menschen bestimmen. Daher ist anzunehmen, dass sportliche Aktivität auch durch soziale Strukturen geprägt ist. In den Studien geht es daher darum herauszufinden, auf welche Weise sich geschlechts-, alters- und schichtbezogene soziale Strukturen auch im Handeln widerspiegeln und in welcher Gewichtung diese Faktoren das Handeln bestimmen.
3 Forschungsdesign
3.1 Qualitative Interviewstudie. Es wurden in qualitativen Interviews 15 Personen im Alter von 55 bis 75 Jahren befragt, um soziale Deutungsmuster älterer Personen in Bezug auf Alter und Altwerden sowie zu Sport im Alter zu erfassen.
3.2 Institutionsanalyse. Auf Basis von Dokumentenanalyse und Experteninterviews wurden Sportanbieter befragt, um die Deutungsmuster von Institutionen zu Alter, Sport und Geschlecht herauszufinden.
3.3 Bevölkerungsbefragung. Es wurde ein Bild über das Sportengagement von Menschen zwischen 55 und 75 Jahren auf der Basis einer repräsentativen Umfrage erhoben.
4 Alter(n) und Sport in geschlechtsbezogener Rahmung – die individuelle Perspektive
4.1 Das Alter(n) und Sport im Alter. Ein Ergebnis der Interviewstudie war hier, dass ältere Menschen mehr Zeit und mehr Geld für sportliche Aktivitäten besitzen als jüngere. Für Frauen stellt Sport im Alter auch eine Antwort auf die von außen an sie herangetragenen Schönheits- und Schlankheitsnormen dar. Männer dagegen stellen den Leistungsaspekt in den Vordergrund. Generell wird Sport auch unter dem Aspekt der Gesundheit und dem Erhalt der körperlichen Verfassung gesehen. Da Spot zu treiben überwiegend positiv besetzt ist, ergibt sich das Gefühl der Verpflichtung sich selbst gegenüber, aber auch in Bezug auf die Gesellschaft, sportlich aktiv zu sein.
4.2 Sport und Geschlecht. Hier ergibt sich ein heterogenes Bild in den Interviews. Etwa die Hälfte sieht das Geschlecht für die sportliche Aktivität als irrelevant an. Die andere Hälfte dagegen geht von einem diesbezüglichen Zusammenhang aus.
5 Sport für Ältere – die Perspektive der Sportanbieter
Sportvereine, Fitnessstudios und Volkshochschulen decken drei Bereiche der Sportanbieter ab: Die Sportvereine, die als Ziel haben Sport zu gestalten und möglichst vielen zugänglich zu machen, die Fitnessstudios, die wirtschaftlich ausgerichtet auf Gewinnorientierung hinarbeiten und die Volkshochschulen als Vertreter des Bildungssystems.
5.1 Sport und Alter(n) – Deutungsmuster und Angebote. Allen Institutionen gemeinsam ist, dass sie die Älteren als Zielgruppe definieren. Der Stellenwert von Sport und Bewegung im Alter hat sich nach Wahrnehmung der Institutionen in den letzten Jahrzehnten deutlich erhöht, so dass alle Institutionen ein Sportangebot für Ältere vorhalten. Wichtig sei dabei, dass die Angebote zeitlich günstig, wohnortnah, in kleineren Räumen und in kleineren Gruppen angeboten würden und eine gute Beratung über passende Angebote zur Verfügung stünde.
5.2 Geschlechteraspekte von Sport und Alter(n). Bei den Institutionen herrschen ganz klar bestimmte Vorstellungen bzw. Stereotype über männertypische (z.B. Spielsportarten) bzw. frauentypische Sportarten (z.B. Gymnastik) vor. So sind geschlechtshomogene Sportangebote die Ausnahme.
5.3 Konkurrenz oder Komplementarität in der Organisation von Sport für Ältere? Zwar haben alle Organisationen Ältere als Zielgruppe benannt, jedoch mit unterschiedlichen Prioritäten und Angebotsgestaltungen. Die Fitnessstudios zielen klar auf die Steigerung der körperlichen Fitness; die Volkshochschule dagegen stellt den Bildungs- und Inklusionsauftrag in den Mittelpunkt und die Sportvereine vertreten neben der klassischen Leistungsorientierung auch eine Reihe von sozialen Funktionen.
6 Sozialstrukturelle Dimensionen von Sport und Alter(n)
6.1 Das Alter im Alter. Es zeigt sich, dass das gefühlte Alter oft deutlich unter dem biologischen Alter liegt. Unterscheidet man zwischen körperlichem und geistigem Alter, so fühlen sich Menschen geistig noch jünger als biologisch.
6.2 Bewegung und Sport im Alter. Zwei Drittel der Befragten gaben an, in den letzten 12 Monaten sportlich aktiv gewesen zu sein. Dabei gab es keinen signifikanten Unterschied zwischen Männern und Frauen. Dagegen wurde deutlich, dass die Schichtzugehörigkeit Einfluss auf das Sportverhalten im Alter hat.
6.3 Deutungsstrukturen in Bezug auf Sport. Die Bedeutungen Lebensfreude, Gesundheit, Spaß, Wohlbefinden und Fitness werden am häufigsten mit sportlichen Aktivitäten verbunden. Es werden auch einige eher weibliche Sportarten sowie einiger eher männliche Sportarten benannt, wobei es ein breites Feld geschlechtsneutraler Sportarten gibt. Einige Interviewte gaben an, dass sie keinen Sport treiben würden, wobei als Hauptursache gesundheitliche Gründe bzw. Bequemlichkeit angeführt wurden.
7 Resümee
Das siebte Kapitel fasst die Ergebnisse der Studien nochmals zusammen.
Diskussion und Fazit
Das Buch ist als Dokumentation der drei Studien zu sehen und hat daher in erster Linie zum Ziel, die Ergebnisse der Studien zu veröffentlichen. Es ist klar strukturiert. Ursprung der Forschungsidee, Aufbau der Studien, Durchführung und Ergebnisse sind gut nachvollziehbar. Da es bislang wenige Forschungen zum Thema Zusammenhang Alter – Sport – Geschlecht gibt, schließt das Buch hier auch eine Lücke und regt zu weiteren Diskussionen an.
Rezension von
Lorena Rautenberg
Amtsleitung Amt für städtische Kindertageseinrichtungen
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Zitiervorschlag
Lorena Rautenberg. Rezension vom 02.07.2012 zu:
Ilse Hartmann-Tews, Ulrike Tischer, Claudia Combrink: Bewegtes Alter(n). Eine Frage des Geschlechts. Verlag Barbara Budrich GmbH
(Opladen, Berlin, Toronto) 2011.
ISBN 978-3-86649-419-0.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/11763.php, Datum des Zugriffs 06.10.2024.
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