Suche nach Titel, Autor:in, Rezensent:in, Verlag, ISBN/EAN, Schlagwort
socialnet Logo

Georg Auernheimer: Einführung in die interkulturelle Pädagogik

Rezensiert von Prof. Dr. Veronika Fischer, 04.05.2004

Cover Georg Auernheimer: Einführung in die interkulturelle Pädagogik ISBN 978-3-534-16924-5

Georg Auernheimer: Einführung in die interkulturelle Pädagogik. wbg Wissenschaftliche Buchgesellschaft (Darmstadt) 2003. 3. Auflage. 179 Seiten. ISBN 978-3-534-16924-5. 19,90 EUR.
Für Mitglieder der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft EUR 12,90.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.

Siehe auch Replik oder Kommentar am Ende der Rezension

Kaufen beim socialnet Buchversand

Interkulturelle Pädagogik - ein eigenständiges pädagogisches Fachgebiet

Im Unterschied zu den vorangegangenen beiden Auflagen hat Georg Auernheimer dieses Buch nicht mehr "Einführung in die interkulturelle Erziehung", sondern "Einführung in die Interkulturelle Pädagogik" genannt. Damit will er unterstreichen, dass sich - anders als noch 1990 und 1995 - in der Zwischenzeit der Themenbereich zu einem eigenständigen Fachgebiet entwickelt hat. Das Buch ist, was Aufbau, Gliederung und inhaltliche Gestaltung angeht, umstrukturiert und neu konzipiert worden. Ganze Teile aus dem Vorgängerbuch sind herausgelassen, einiges übernommen und zusätzliche Kapitel eingearbeitet worden. Beim Vergleich der verschiedenen Auflagen wird deutlich, mit welcher Dynamik sich die wissenschaftliche Diskussion und Forschung zu dem Thema weiterentwickelt haben und welch breites Spektrum an Disziplinen außerhalb der Pädagogik auf das Thema Bezug nimmt. Letzteres gab denn auch - laut Autor - den Anstoß, auf einige Kapitel, die noch in der Auflage von 1995 aufgeführt waren, zu verzichten, da es in den Nachbardisziplinen Migrationssoziologie oder Sozialpsychologie inzwischen eigene Einführungen gibt. Mit der Neukonzeption verbindet der Autor die Hoffnung, dass "der Band einige Jahre an Aktualität bewahrt" und dass er über den akademischen Bereich hinaus "Impulse für die Praxis gibt" (Vorwort).

Aufbau und Inhalte

Das Buch ist in sieben Kapitel gegliedert, wovon die ersten beiden Kapitel teils historischen, teils systematischen Charakter haben, die mittleren drei Kapitel theoretische Grundlagen erörtern und die beiden letzten Kapitel verstärkt Praxisbezüge aufweisen.

Im Einzelnen werden folgende Themenkreise behandelt:

Zunächst geht Georg Auernheimer auf die Entstehungsgeschichte der interkulturellen Pädagogik ein, die er als ein junges Fachgebiet beschreibt, das sich in Deutschland in den letzten 20 Jahren etabliert habe. Interkulturelle Erziehung und Bildung seien im Wesentlichen eine Reaktion auf drei gesellschaftliche Entwicklungen: a) die innergesellschaftliche, migrationsbedingte Multikulturalität, b) der Prozess der europäischen Vereinigung und c) die globalen Tendenzen zur Herausbildung der Weltgesellschaft. In diesem Zusammenhang weist der Autor darauf hin, dass es multikulturell zusammengesetzte Gesellschaften immer schon gegeben habe, aber dass sie einen anderen Charakter gehabt hätten. Im Exkurs zur Migrationsgeschichte wird deutlich, durch welche unterschiedlichen Migrationsmotive, -ziele und -bedingungen sich moderne "Migrationssysteme" gegenüber vormodernen Migrationsbewegungen auszeichnen. Nachdem die gesellschaftlichen Anlässe für die Interkulturelle Pädagogik herausgestellt worden sind, werden die Leitmotive formuliert, die die grundlagentheoretischen Themen und Forschungsfelder interkultureller Pädagogik begründen: "das Eintreten für die Gleichheit aller ungeachtet der Herkunft, die Haltung des Respekts für Andersheit, die Befähigung zum interkulturellen Verstehen, die Befähigung zum interkulturellen Dialog."(21) Sie stellen sozusagen den normativen Rahmen für eine Diskussion dar, die sich mit unterschiedlichen Phänomenen und Themen auseinanderzusetzen hat: Das Gleichheitspostulat führe zwingend zur Auseinandersetzung mit dem Rassismus, das Prinzip der Anerkennung verlange eine kritische Reflexion des Differenzbegriffs und eine Beschäftigung mit den damit zusammenhängenden Diskursen und Fragen interkulturellen Verstehens leiten über zur Kommunikationswissenschaft. Der interkulturelle Dialog gibt Anlass, sich mit der Universalität und kulturellen Kontextualität von Menschenbildern, Werten und Normen auseinanderzusetzen. Das erste Kapitel wird mit einem internationalen Vergleich abgeschlossen, indem die Entwicklung interkultureller Erziehung in den USA mit dem Entwicklungsstand von einigen europäischen Ländern (Deutschland, Frankreich, Niederlande, Schweden, Österreich und Schweiz) verglichen wird.

Das zweite Kapitel ist der "Interkulturellen Pädagogik" als Fachgebiet gewidmet. Hier skizziert der Autor zunächst die historische Entwicklung, die von der Ausländerpädagogik bis zur heutigen Diskussion über interkulturelle Kompetenz der pädagogischen Fachkräfte und die Öffnung der pädagogischen Institutionen führte. Nach bildungspolitischen Ausführungen und einem Abschnitt zu den Qualifikationserfordernissen und Qualifizierungsanstrengungen für pädagogische Fachkräfte (vor allem in der Lehreraus- und -fortbildung ) werden Forschungsförderung, Institutsgründungen, Forschungsgebiete und die Beiträge anderer wissenschaftlicher Disziplinen zur interkulturellen Erziehung dargestellt.

Zentraler Gegenstand des ersten Blocks "Theoretische Grundlagen" ist die multikulturelle Gesellschaft und damit zusammenhängend die Auseinandersetzung mit den Begriffen Kultur, Bildung, (kulturelle) Identität und Akkulturation. Der zweite Theorieblock geht auf die Themen "Vorurteile und Ethnozentrismus, Rassismustheorien" ein und der dritte auf "Verstehensgrenzen, Fremdheit und interkulturelle Kommunikation mit Exkursen zur Sprechakttheorie und Konversationsanalyse".

Die beiden letzten Kapitel knüpfen an Passagen aus den ersten beiden Auflagen des Buchs an. Hier geht es um Konzepte interkultureller Bildung und Erziehung, wobei sich der Autor schwerpunktmäßig auf das Praxisfeld Schule und nur exemplarisch oder am Rande auf die Elementarerziehung und die außerschulische Jugendarbeit bezieht. Deutlicher als in der Vergangenheit haben sich- so Georg Auernheimer - bestimmte Grundpositionen herausgeschält, die sich auf einen weitgehenden Konsens der beteiligten Fachwissenschaftler stützen können. So sei heute ein antiessentialistisches Kulturverständnis weit verbreitet, weiterhin habe sich die Einsicht durchgesetzt, dass die interkulturelle Pädagogik strukturellen Ungleichheiten, vor allem der gesellschaftlichen Benachteiligung von Migranten, mehr Beachtung schenken muss. Weiterhin lehne man übereinstimmend die Festlegung der Interaktionspartner auf ethnische Zugehörigkeiten ab und viertens neige man der \"Dialektik von Selbst- und Fremdverstehen\" zu, was eine selbstreflexive Haltung der Akteure impliziere.

Zuletzt geht der Autor in einem abschließenden Kapitel in sehr geraffter Form auf verschiedene methodische Zugänge interkultureller Pädagogik ein, wie sie u.a. in verschiedenen Trainingsprogrammen angewandt werden. Hier widmet er sich insbesondere der Medienarbeit, der Theaterarbeit und Austauschprogrammen. Das Buch schließt mit einer Darstellung von institutionellen Rahmenbedingungen, die gegeben sein müssen, wenn den Erfordernissen interkultureller Pädagogik entsprochen werden soll. Dazu gehören u.a. ein interkulturelles Leitbild, Kooperation und Vernetzung, mehrsprachiges Personal, Abbau von Zugangsbarrieren, Öffnung der Institution, Partizipation von Migranten, Fortbildung, Supervision und Controlling. Diese Kriterien werden am Beispiel der Schule nochmals konkretisiert.

Der Autor

Georg Auernheimer ist Professor für Interkulturelle Sozialisations- und Migrationsforschung an der Universität Köln und Mitglied der Geschäftsführung der "Forschungsstelle für interkulturelle Studien" (FiSt). Er gilt als ausgewiesener und international anerkannter Experte auf dem Gebiet der interkulturellen Pädagogik und forschte bereits während seiner Zeit als Professor an der Universität Marburg auf diesem Gebiet. Ab 1979 initiierte er verschiedene Projekte mit Kindern von Arbeitsmigranten und integrierte diese Arbeit in die universitäre Ausbildung.

Zielgruppen

Das Buch eignet sich sowohl für die Lehre als auch für Praktiker und Praktikerinnen in verschiedenen Bereichen interkultureller Erziehung und Bildung.

Fazit: Eine kompakte Einführung und ein informatives Nachschlagewerk

Das Werk ist eine sehr kompakte und dicht geschriebene Einführung in das Fachgebiet. Es verdeutlicht die Fülle von Aspekten, die das Thema aufwirft und die Vielfalt der Disziplinen, die sich inzwischen dazu zu Wort gemeldet haben wie beispielsweise die Migrationssoziologie, Sozialpsychologie, Ethnologie, Geschichtswissenschaft und Politologie, um nur einige zu erwähnen. Der Autor verdeutlicht damit zugleich, dass ein angemessener Zugang vor allem interdisziplinär erschlossen werden kann.

Derjenige, der sich nicht schon mit Fragen interkultureller Erziehung und Bildung beschäftigt hat, mag sich bei der ersten Lektüre angesichts der Vielzahl der theoretischen Ansätze überfordert fühlen. Ihm sei in diesem Zusammenhang geraten, die Ausführungen eher als eine Art Übersichtswissen zu sehen und die am Schluss der Kapitel vermerkten Literaturhinweise zur Vertiefung des Themas zu nutzen. Hilfreich sind in diesem Kontext auch die am Rand vermerkten Stichwörter, die wichtige Themen der jeweiligen Textpassage angeben. Auch die informativen Zusammenfassungen wichtiger Inhalte im laufenden Text in grau unterlegten Kästen erleichtern die Lektüre.

Studierende der Sozialpädagogik und PraktikerInnen aus den Bereichen außerschulischer Bildungsarbeit werden insbesondere im 6. und 7. Kapitel ausführlichere Darstellungen zu ihren Praxisfeldern vermissen. Wie der Autor selbst bemerkt, liegt das Schwergewicht seiner Ausführungen auf dem schulischen Bereich, unter anderem auch deshalb, weil es hierzu wesentlich mehr Forschungen und wissenschaftliche Veröffentlichungen gibt. Trotz dieser Einschränkung wage ich die Prognose, dass die "Einführung in die Interkulturelle Pädagogik" - ähnlich wie das Vorgängerbuch - die Qualität hat, zu einer Standardeinführung für das Fach zu werden.

Rezension von
Prof. Dr. Veronika Fischer
Dr. Veronika Fischer, Professorin (i. R.) der Erziehungswissenschaft, langjährige Berufstätigkeit in der Erwachsenenbildung, Lehr- und Forschungstätigkeit an der Hochschule Düsseldorf mit den Schwerpunkten Erwachsenen- und Familienbildung, Migrationspädagogik, Diversity und interkulturelle Öffnung
Website
Mailformular

Es gibt 5 Rezensionen von Veronika Fischer.

Zitiervorschlag anzeigen Besprochenes Werk kaufen

Kommentare

Anmerkung der Redaktion: Die Rezension basiert auf der 3. Auflage aus dem Jahr 2003.


Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt. Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns. Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.


socialnet Rezensionen durch Spenden unterstützen
Sie finden diese und andere Rezensionen für Ihre Arbeit hilfreich? Dann helfen Sie uns bitte mit einer Spende, die socialnet Rezensionen weiter auszubauen: Spenden Sie steuerlich absetzbar an unseren Partner Förderverein Fachinformation Sozialwesen e.V. mit dem Stichwort Rezensionen!

Zur Rezensionsübersicht

Sponsoren

Wir danken unseren Sponsoren. Sie ermöglichen dieses umfassende Angebot.

Über die socialnet Rezensionen
Hinweise für Rezensent:innen | Verlage | Autor:innen | Leser:innen sowie zur Verlinkung

Bitte lesen Sie die Hinweise, bevor Sie Kontakt zur Redaktion aufnehmen.
rezensionen@socialnet.de

ISSN 2190-9245