Gerd E. Schäfer: Was ist frühkindliche Bildung?
Rezensiert von Dr. Martin R. Textor, 05.09.2011

Gerd E. Schäfer: Was ist frühkindliche Bildung? Kindlicher Anfängergeist in einer Kultur des Lernens. Juventa Verlag (Weinheim) 2011. 311 Seiten. ISBN 978-3-7799-2244-5. 24,95 EUR.
Thema
Das Buch enthält 28 Artikel und Vortragstexte zum Thema Bildung in der frühen Kindheit, die Gerd E. Schäfer in den letzten zehn Jahren verfasst hat. Die meisten Kapitel wurden bereits in Sammelbänden und Fachzeitschriften veröffentlicht, sind aber für das Buch bearbeitet und zum Teil gekürzt worden. Einige Kapitel werden als Originalbeiträge bezeichnet.
Autor
Dr. rer. soc. Gerd E. Schäfer, Jahrgang 1942, war Professor für Pädagogik der frühen Kindheit, Familie, Jugend an der Universität zu Köln. Er befindet sich jetzt im Ruhestand, ist aber weiterhin als Autor und Referent tätig.
Aufbau
Das Buch beginnt mit einem Vorwort. Die 28 Aufsätze werden entsprechend der folgenden Überschriften gruppiert:
- Was ist Bildung der frühen Kindheit?
- Grundbegriffe einer Bildung der frühen Kindheit
- Lernen aus Erfahrung
- Die Bildung der aisthetischen Erfahrung
- Wege zum sprachlichen Denken
- Über Kultur der Kinder
- Anfänge des Naturwissens
- Welche Professionalität braucht eine Kultur des Lernens?
Ein Literaturverzeichnis fehlt, da sich Literaturhinweise immer am Ende des jeweiligen Kapitels befinden.
Inhalt
In den 28 Aufsätzen werden unterschiedliche Themen aus dem Bereich der Pädagogik der frühen Kindheit behandelt. Zunächst expliziert Gerd E. Schäfer seinen Bildungsbegriff, wobei er ganz kurz auf verschiedene frühpädagogische Ansätze eingeht und als Aufgabe der Pädagogik der frühen Kindheit definiert, „individuelle Selbstbildungsprozesse und soziale Konstruktionsprozesse so aufeinander abzustimmen, dass sich einerseits darin selbständig handelnde und denkende Individuen entwickeln können, andererseits sich die sozialen und kulturellen Interessen einer Gesellschaft darin wiederfinden“ (S. 23).
In Überlegungen zu den Bildungsempfehlungen in Nordrhein-Westfalen werden dann ein Bild vom Kind, verschiedene Bildungsprinzipien und didaktische Grundsätze entworfen. Ferner wird anhand neurobiologischer Forschungsergebnisse auf die Beziehung zwischen (Sinnes-) Erfahrung und Lernen eingegangen. In einem weiteren Aufsatz werden Bildungsverständnis und kindliche Bildungsprozesse weiter expliziert, bis Schäfer zu dem Ergebnis kommt: „Die Aufgabe frühkindlicher Bildung ist zunächst die Entwicklung einer differenzierten und strukturierten Erfahrungswelt auf der Basis eines eigenen Welterlebens, bevor Kinder aus Instruktionen von anderen einen Nutzen ziehen können“ (S. 54).
Die folgenden Aufsätze befassen sich mit der Selbstbildung des Kindes, dem kindlichen Wahrnehmen, Denken und Lernen, dem Wissenserwerb, der Welt- und Selbsterfahrung sowie der Bedeutung des Spiels und des sozialen Miteinanders. Daraus leitet Schäfer Anforderungen an das professionelle Handeln ab. So fordert er beispielsweise eine „Pädagogik des Innehaltens“, der „aktiven, aufmerksamen Zurückhaltung“ der Fachkräfte (S. 80): „Sie hält dem Kind einen Raum vor, in den es sich mit seinen Handlungs- und Verständigungsmöglichkeiten hinein entwickeln kann“ (S. 115).
Das Lernen aus Erfahrung bzw. durch die Sinneswahrnehmung durchzieht auch die nächsten Kapitel: Immer wieder betont Schäfer, dass Kleinkinder ihre Sinne entwickeln, eigene Vorstellungen bilden und sich ein Bild von sich selbst und der Welt machen (müssen). In diesem Zusammenhang verwendet er den Begriff der aisthetischen Bildung, der auf „der sinnlichen Wahrnehmung und der Veränderung von Wirklichkeit mit Mitteln des Spielens und Gestaltens“ fokussiert (S. 155).
Aber auch auf die vorsprachliche Entwicklung, die nichtsprachliche Kommunikation und die Herausbildung der Sprache geht Schäfer ein. Ferner befasst er sich mit dem „Alltagstheater„: „Theater ist ein notwendiger Teil des kindlichen Denkens. Wenn Kinder denken, spielen sie Theater - im Kopf oder im Raum. Ich spreche also vom Theater der Kinder, nicht von einem Theater für Kinder. … Dabei vertrete ich die These, dass das Theater der Kinder sichtbar und hörbar gemachtes Denken der Kinder in einer erzählenden Form ist“ (S. 201). Weitere Aufsätze befassen sich mit der kulturellen Tätigkeit von Kleinkindern, mit der naturwissenschaftlichen Bildung und mit der „Lernwerkstatt Natur“, einer Einrichtung der Stadt Mülheim und der Universität zu Köln.
Im letzten Teil des Buches widmet sich Schäfer intensiver der Ausbildung, Rolle und Funktion von Erzieher/innen. Zunächst beschreibt er Professionalisierung als einen lebenslangen Prozess, wobei Aus-, Fort- und Weiterbildung zirkulär angelegt und institutionell verankert sein sollten. Er differenziert zwischen verschiedenen professionellen Qualitäten und formuliert Grundgedanken für eine lernende Institution. In einem weiteren Aufsatz leitet Schäfer Aufgaben der Erzieher/innen aus dem ab, was Kinder als selbständige Lerner brauchen. Dabei unterscheidet er zwischen Aufgaben auf der Beziehungs- und Handlungsebene.
Zum Schluss widmet sich Schäfer noch intensiv dem wahrnehmenden Beobachten und dem Dokumentieren: Sie sollten Erzieher/innen „als Werkzeuge zu einer systematischen Erforschung der individuellen und sozialen Ressourcen oder Potenziale [dienen], die den Kindern für Aufgabenstellungen zur Verfügung stehen. … Pädagogisch unterstützte Bildungsprozesse greifen diese Ressourcen auf, differenzieren, erweitern sie und fordern sie zu neuen Aufgabenstellungen heraus“ (S. 311).
Fazit
In dem Buch verdeutlicht Gerd E. Schäfer seinen frühpädagogischen Bildungsbegriff. Fokussiert werden insbesondere das frühkindliche Lernen, die Selbsttätigkeit und die Auseinandersetzung mit der natürlichen, sozialen und kulturellen Welt. Das Buch ist gut lesbar. Es leidet aber darunter, dass es aus 28 Aufsätzen besteht, die zumeist bereits veröffentlicht wurden. Dementsprechend ist das Buch nicht so systematisch aufgebaut wie eine reine Monographie, gibt es oftmals Überschneidungen und Wiederholungen. Das bedeutet aber auch, dass Leser/innen das Buch nicht von vorne nach hinten lesen müssen, sondern einzelne Aufsätze herausgreifen können.
Rezension von
Dr. Martin R. Textor
Institut für Pädagogik und Zukunftsforschung (IPZF)
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