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Hemut Remschmidt, Christian Bachmann (Hrsg.): Therapie psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen

Rezensiert von Thomas Buchholz, 16.11.2011

Cover Hemut Remschmidt, Christian Bachmann (Hrsg.): Therapie psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen ISBN 978-3-13-154291-5

Hemut Remschmidt, Christian Bachmann (Hrsg.): Therapie psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen. Ein integratives Lehrbuch für die Praxis. Georg Thieme Verlag (Stuttgart) 2010. 528 Seiten. ISBN 978-3-13-154291-5. 69,95 EUR. CH: 116,00 sFr.

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Thema

Das Lehrbuch „Therapie psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen“ stellt die häufig auftretenden psychischen Störungen im Kindes- und Jugendalter vor und kombiniert (integriert) die gängigen Behandlungsmöglichkeiten zu einem Gesamtkonzept für die psychotherapeutische und medizinische Intervention. Ohne genauer auf den Begriff und seine Abgrenzungen eingehen zu wollen, wird unter einer psychischen Störung das Abweichen des psychischen Erlebens und Verhaltens einer Person von einer definierten Norm verstanden, die die Bereiche der Kognitionen, Emotionen und des Handelns betreffen können. Die Autorinnen und Autoren des vorliegenden Buches gehen davon aus, dass zunehmend mehr Kinder und Jugendliche von psychischen Störungen betroffen sind. Demnach leide jeder fünfte Heranwachsende an einer mehr oder weniger schweren Störung, wobei mindestens ein Drittel als dringend behandlungsbedürftig eingestuft werde.

Herausgeber

An dem Lehrbuch haben unter der Leitung des Herausgebertrios mehr als 50 Autorinnen und Autoren mitgewirkt. Die Mehrheit von ihnen sind praktizierende Ärzte, Psychiater und Psychotherapeuten.

Zu den Herausgebern: Prof. Dr. med. Dr. phil. Helmut Remschmidt ist ehemaliger Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie der Philipps-Universität Marburg und mit zahlreichen wissenschaftlichen Preisen ausgezeichnet. Prof. Dr. phil. Dipl.-Psych. Fritz Mattejat ist leitender Psychologe der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie sowie Ausbildungsleiter des Instituts für Verhaltenstherapie und Verhaltensmedizin der Philipps-Universität Marburg. Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Andreas Warnke ist Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie der Universität Würzburg und Leiter der Tagesklinik des Diakonischen Werkes Würzburg.

Entstehungshintergrund

Bei der vorliegenden Ausgabe handelt es sich um eine Sonderausgabe von 2010, bei der im Vergleich zur ersten Auflagen von 2008 nichts geändert wurde.

Das Lehrbuch ist die Weiterentwicklung des Marburger Psychotherapie-Lehrbuches. Die Autorinnen und Autoren verfolgen mit der neuen Konzeption des Marburger Psychotherapie-Lehrbuches das Ziel, eindimensionale Behandlungsmethoden zu überwinden und stattdessen die in der Praxis gängigen Behandlungsansätze (Psychotherapie, Pharmakotherapie und weitere) in ein Lehrbuch zu integrieren. Der Mehrkomponentenansatz des Lehrbuches soll es ermöglichen, den Besonderheiten der verschiedenen Störungsbilder gerecht zu werden und Interventionsansätze auf biologischer, psychologischer und sozialer Ebene zur Behandlung von Störungen zu finden. Damit sei das vorliegende Lehrbuch das einzige im nationalen und internationalen Bereich, welches alle Behandlungsansätze zu integrieren versucht.

Darüber hinaus versuchen die Autorinnen und Autoren die traditionelle Orientierung an Therapieschulen zu überwinden, in dem sie für jedes Störungsbild die in der Praxis bewährten Methoden der Psychotherapie darstellen. Sie beschreiben damit eine entwicklungsoffene Psychotherapie, „die sich von historisch begründeten Einengungen befreit, um Patienten die bestmögliche Hilfe zukommen zu lassen“ (S. IX). Es werden dabei nur jene Methoden berücksichtigt, deren Wirkung empirisch gut abgesichert werden konnte.

Aufbau

Das Lehrbuch besteht aus zwei großen Teilen. Im ersten Teil werden die Grundlagen und Grundfragen für die Behandlung psychischer Störungen im Kindes- und Jugendalter vorgestellt. Insofern bietet dieser Teil eine knappe Einführung in das therapeutische Arbeiten mit Kindern und Jugendlichen insbesondere für angehende Therapeutinnen und Therapeuten.

Im zweiten Teil des Lehrbuches präsentiert das Autorenteam die wichtigsten und klinisch relevanten Störungsbilder im Kindes- und Jugendalter. Dabei sind alle Kapitel einheitlich aufgebaut: Jedes Kapitel beginnt mit (1.) einem oder mehreren Fallbeispielen zum jeweiligen Störungsbild. Anschließend werden in knappen Ausführungen (2.) die wichtigsten Grundlagen und Fakten über die jeweilige Störung präsentiert. Aufbauend darauf werden (3.) diagnostische und (4.) therapeutischen Vorgehensweisen dargestellt. Diese Punkte stellen die umfangreichsten Teile eines jeden Kapitels dar. Abschließend werden zusammenfassend (5.) die häufigsten Fragen von Ärzten und Therapeuten zum Störungsbild gestellt und beantwortet.

Inhalt

Im ersten Teil des Lehrbuches stellen die Autorinnen und Autoren grundlegende Fragen für therapeutisches Arbeiten vor. Im ersten Kapitel werden von Martin Schmidt gängige Klassifikationssysteme für Störungen des Kindes- und Jugendalters erklärt. Daneben wendet er sich besonderen Problemen und Fragestellungen zu. Das Autorenpaar Fritz Mattejat und Sylvia Eimecke geht anschließend auf die Grundbausteine für eine therapiebezogene Diagnostik ein. Einen großen Teil dieses Kapitels widmen sie der testpsychologischen Diagnostik sowie der Verhaltensdiagnostik. In Kapitel 3 widmen sich Andreas Warnke und Christoph Wewetzer den Möglichkeiten einer medikamentösen Therapie. Fritz Mattejat geht im nächsten Kapitel auf die individuelle Psychotherapie ein. Nach einer Übersicht über die psychotherapeutischen Theorieschulen beschreibt der Autor die Besonderheiten, Möglichkeiten und wichtigsten Methoden einer integrativen und entwicklungsorientierten Kinder- und Jugendlichentherapie. Therapie mit Kinder und Jugendlichen sollte immer auch das soziale Umfeld des Patienten einbeziehen. Deshalb stellen Fritz Mattejat in Kapitel 5 Grundlagen und Möglichkeiten familienbezogener Interventionen und Jörg M. Fegert umfeldbezogene Maßnahmen zur Intervention bei Kindern und Jugendlichen sowie ergänzende Maßnahmen (Kapitel 6 und 7) vor. Neben Diagnose und eigentlicher Therapie bedarf es im Gesamtzusammenhang des Hilfeprozesses einer ausführlichen Fallkonzeptualisierung, Indikationsstellung und Therapieplanung (Kapitel 8). Darunter ist zu verstehen, dass der Therapeut nach einer ausführlichen Problemanalyse Arbeitshypothesen zur Ursache und Aufrechterhaltung einer psychischen Störung entwickelt und diese mit der Zieldefinition sowie Therapieplanung verbindet. Abschließend geht in Kapitel 9 der Autor Fritz Mattejat auf die Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement im therapeutischen Prozess ein.

Der zweite Teil des Buches „Spezieller Teil – Störungs- und situationsbezogene Intervention“ umfasst die häufigsten Störungen im Kindes- und Jugendalter und beschreibt neben den Grundlagen das diagnostische und therapeutische Vorgehen:

  • Regulationsstörungen im Säuglingsalter
  • Tiefgreifende Entwicklungsstörungen: Autismus-Spektrum-Störungen
  • Entwicklungsstörungen
    • Sprachentwicklungsstörung
    • Legasthenie
    • Rechenstörung
    • Umschriebene motorische Entwicklungsstörungen
  • Organische Psychosyndrome
  • Intelligenzminderung
  • Ausscheidungsstörungen
  • Aufmerksamkeits-/Hyperaktivitätsstörungen
  • Tic-Störungen und Tourette-Syndrom
  • Störungen des Redeflusses: Stottern und Poltern
  • Angststörungen und Phobien
  • Dissoziative Störungen
  • Somatoforme Störungen
  • Zwangsstörungen
  • Essstörungen
  • Adipositas und Gewichtsentwicklung
  • Persönlichkeitsstörungen und Borderline-Störung
  • Störungen des Sozialverhaltens
  • Depressive Störungen
  • Schizophrene Störungen
  • Drogenabhängigkeit
  • Posttraumatische Belastungsstörung
  • Chronische körperliche Erkrankungen
  • Therapie psychischer Störungen bei körperlicher Misshandlung
  • Sexueller Missbrauch
  • Störungen der Sexualentwicklung und des Sexualverhaltens
  • Aggressive Störungen
  • Intervention bei Scheidung und Trennung
  • Therapiefragen in Migrantenfamilien
  • Besondere psychotherapeutische Erfordernisse bei Kindern bzw. Jugendlichen mit Sinnesbehinderungen (Hör- und Sehschädigung)

Diskussion und Fazit

Es ist kaum möglich ein Lehrbuch dieses Umfangs, an dem mehr als 50 Autorinnen und Autoren mitgewirkt haben, zu diskutieren. Das Lehrbuch kann im praktischen Alltag einen schnellen Überblick über gängige Therapieformen bei spezifischen Störungsbildern bieten. Das Lehrbuch ersetzt nicht, die Beschäftigung mit Therapiemanualen für spezifische Störungsbilder. Es verschafft dem Leser jedoch eine schnelle Orientierung über mehr oder weniger gut erprobte Manuale und Behandlungskonzepte und ist insofern vor allem für Therapeutinnen und Therapeuten in Ausbildung zu empfehlen. Verweise auf aktuelle Internetseiten und weiterführende Literatur erleichtern die vertiefende Auseinandersetzung mit einzelnen Störungsbildern.

Hervorgehoben werden muss, dass die Autorinnen und Autoren in dem Lehrbuch psychotherapeutische Maßnahmen Therapieschulen übergreifend darstellen. Sie beziehen sich auf Methoden und Behandlungskonzepte aus der psychodynamischen, personenzentrierten und kognitiv-behavioralen Therapie. Das macht das Lehrbuch für Leser interessant, die den Blick über eine Therapieschule hinaus erweitern möchten und gängige, empirisch erprobte Behandlungsmethoden in ein Gesamtkonzept für die Behandlung integrieren wollen. Damit wendet sich das Lehrbuch ein Stück gegen die traditionelle Aufteilung von Behandlungskonzepten in die verschiedenen Therapieschulen. Genau diese Differenzierung nach Therapieschulen spielt aber insbesondere bei der Ausbildung zum Kinder- und Jugendpsychotherapeut und auch bei der kassenärztlichen Zulassung nach wie vor eine entscheidende Rolle. Wer für die Ausbildung die Spezialisierung in einer bestimmten Therapieschule sucht, sollte zusätzlich auf entsprechende Lehrbücher zurückgreifen.

Rezension von
Thomas Buchholz
M.A.
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Es gibt 19 Rezensionen von Thomas Buchholz.

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ISSN 2190-9245