Erika Butzmann: Elternkompetenzen stärken
Rezensiert von Prof. Dr. Marius Metzger, 11.01.2012

Erika Butzmann: Elternkompetenzen stärken. Bausteine für Elternkurse. Ernst Reinhardt Verlag (München) 2011. 190 Seiten. ISBN 978-3-497-02215-1. D: 24,90 EUR, A: 25,60 EUR, CH: 41,50 sFr.
Thema
Im Buch „Elternkompetenzen stärken. Bausteine für Elternkurse“ wird ein Elternbildungskonzept vorgestellt, welches Eltern zur Übernahme ihrer elterlichen Aufgaben in den ersten sechs Jahren der Familienphase befähigen soll. In vier Modulen lernen Eltern sich mit geschlechtsspezifischen Unterschieden in der Wahrnehmung des Familienalltages, Erziehungsschwierigkeiten mit ein- bis sechsjährigen Kindern, typischem Streitverhalten von Männer und Frauen sowie dem Einfluss der Herkunftsfamilien auf das eigene Erziehungsverhalten auseinandersetzen. Das vorgestellte Elternbildungskonzept erfüllt gemäss Autorin dabei den Anspruch einer „umfassenden Einsetzbarkeit in allen Bildungssituationen mit Familien“ (S. 7), welcher sowohl für unterschiedliche Formen von Elternbildungsangeboten als auch für spezifische Problemlagen von Zielgruppen eingelöst wird.
Autorin
Dr. Erika Butzmann arbeitet als Erziehungs- und Paarberaterin in eigener Praxis, engagiert sich in der Weiterbildung von Erziehenden und leitet Elternbildungsveranstaltungen.
Entstehungshintergrund
Das dem Buch zugrundeliegende Bildungskonzept wird seit zwanzig Jahren in verschiedenen Elternbildungsformen eingesetzt und stetig weiterentwickelt. Das Niedersächsische Institut für frühkindliche Bildung und Entwicklung (Nifbe) hat die Ausarbeitung des Konzeptes im Rahmen eines Transferprojekts gefördert.
Aufbau und Inhalte
Im ersten Kapitel „Einführung“ wird die vorgelegte Konzeption von Elternkursen gegenüber konkurrierenden Konzeptionen abgegrenzt. Die Kurskonzeption fokussiert auf Familien in den ersten sechs Jahren der Familienphase, da Elternbildung in diesen frühen Jahren am effektivsten ist. Im zweiten Kapitel „Das Bildungskonzept für Familien mit Kleinkindern in vier Modulen“ sind vier Bildungsmodule beschrieben, in welchen typische Themen und Herausforderungen der ersten Familienjahre aufgegriffen werden. Die Beschreibungen dieser Module sind jeweils so strukturiert, dass von theoretisch fundiert aufbereiteten Inhalten ausgehend, didaktisch-methodische Gestaltungsempfehlungen zur Erarbeitung der jeweiligen Inhalte abgeleitet werden. Ergänzt werden diese Empfehlungen um viele Beispiele und Tipps, in welchen sich die zwanzigjährige Erfahrung der Autorin mit dem vorliegenden Elternbildungskonzept spiegelt:
Das erste Bildungsmodul „Wahrnehmung des Familienalltags“ beschäftigt sich mit der geschlechtsspezifischen Wahrnehmung des Familienalltages durch die Eltern und den daraus resultierenden Konflikten, wie beispielsweise die parallele Bearbeitung verschiedener Aspekte der Familienarbeit seitens der Frauen versus die zielgerichtete Abarbeitung isolierter Aspekte der Familienarbeit seitens der Männer. Die Rekonstruktion der geschlechtsspezifischen Unterschiede dient dabei weniger der Zementierung von Geschlechtsstereotypen als vielmehr der kritischen Würdigung der unterschiedlichen Fähigkeiten von Müttern und Vätern.
Das zweite Bildungsmodul „Erziehungsprobleme in der frühen Familienphase“ nimmt typisches Problemverhalten wie beispielsweise Klammern, Wutanfälle, Trotzen, Lügen, Aggressionen etc. in den Blick, stellt dieses in den adäquaten entwicklungspsychologischen Zusammenhang und zeigt den Eltern Handlungsmöglichkeiten zum Umgang mit dem Problemverhalten auf. Die Erziehungsprobleme werden hierbei auf das typische Verhalten von ein- bis sechsjährigen Kindern bezogen, wobei den Eltern nicht nur negative sondern auch positive Verhaltensweisen der eigenen Kindern bewusst gemacht werden sollen.
Das dritte Bildungsmodul „Streitverhalten von Männern und Frauen“ widmet sich dem Thema Streit zwischen Eltern, wobei insbesondere dessen Auswirkungen auf die Kinder genauer betrachtet werden. Dies erscheint deswegen lohnend, da Kinder von elterlichen Konflikten stark beeinträchtigt werden können und schlimmstenfalls gar Entwicklungsstörungen drohen. Elterliches Streiten wird dabei als normatives Ereignis angesehen, welches über dessen konstruktive Bearbeitung auch Entwicklungsmöglichkeiten für die Paarbeziehung eröffnet. Speziell geschlechtstypische Unterschiede im Streitverhalten von Müttern und Vätern werden ausführlicher behandelt, wie beispielsweise die besondere Anfälligkeit für Verletzungen des Selbstwertgefühls bei Müttern, wodurch Mütter in der Folge oft nicht nur um die Sache, sondern vielmehr auch um die Anerkennung der ganzen Person streiten.
Das vierte Bildungsmodul „Einfluss der Herkunftsfamilien auf das eigene Erziehungsverhalten“ soll Eltern dabei helfen, über die kritische Auseinandersetzung mit dem selbst erfahrenen Erziehungsverhalten der eigenen Eltern die Gespenster ungünstiger Erziehungspraktiken aus den Kinderzimmern zu vertreiben. Hierzu werden typische Problembereiche wie die Vermittlung von Normen und Werten, Ausbildung des Selbstwertgefühls, Mütter- und Väterrolle sowie elterliches Konfliktverhalten in den Blick genommen und reflektiert.
Im dritten Kapitel „Das Konzept in verschiedenen Formen von Elternbildungsveranstaltungen und bei speziellen Problemlagen“ werden mit Kurzzeitelternkursen, Bildungsurlauben sowie Wochenend- und Tageskursen verschiedene Formen von Elternbildungsveranstaltungen beschrieben und mit spezifischen Problemlagen in Verbindung gebracht. Kurse und Seminare für Alleinerziehende wie auch für Hochrisikofamilien werden gesondert und vertiefend im Hinblick auf Inhalte, Methoden und Rahmenbedingungen betrachtet.
Im vierten Kapitel „Bildungsmodul für Erzieherinnen: Die kindliche Entwicklung in Theorie und Praxis“ wird aufgrund der zunehmend grösseren Bedeutung von Elternbildung in Kinderkrippen, Kinderhorten und Kindergärten aufgezeigt, wie Erzieherinnen und Erzieher den Eltern zielgruppengerechte Elternbildungsangebote machen können. Im Sinne einer möglichst gleichberechtigten Erziehungspartnerschaft soll über einen intensiven Austausch zwischen Eltern und Erziehenden eine gemeinsame Grundlage für die sozial-kognitive Entwicklung der Kinder gelegt werden.
Im fünften und letzten Kapitel „Schlussbemerkungen“ wird nochmals auf die Relevanz der Familie als wichtigste Erziehungs- und Bildungsinstanz verwiesen, welcher es Sorge zu tragen gilt und welche vielfältige Unterstützung verdient. Diese Unterstützung wird unter anderem von Elternbildungsorganisationen angeboten und zugänglich gemacht, deren Internetadressen für den deutschsprachigen Raum aufgeführt sind. Das Buch schliesst mit einem Verweis auf Möglichkeiten, wie sich das Konzept über Fortsetzungsveranstaltungen weiterführen lässt.
Diskussion
Der Fokus des Buches liegt auf den vier Bildungsmodulen, mit welchen auch ein universaler Anspruch an die Bildungsarbeit mit Eltern verknüpft ist: Die Bildungsmodule sollen in dieser, respektive in modifizierter Form, in „allen Bildungssituationen mit Familien“ (S. 7) eingesetzt werden können. Dieser Anspruch kann für die Bearbeitung von normativen Entwicklungsaufgaben von Familien durchaus eingelöst werden, wenngleich nichtnormative Entwicklungsaufgaben von Familien wie beispielsweise Migration, Armut, Sucht etc. weitgehend ausgeklammert bleiben.
Der Transfer zwischen Theorie und Praxis gelingt der Autorin hervorragend. So helfen die anschaulichen Beispiele den Eltern dabei, die theoretischen Inhalte besser zu verstehen, wie das folgende Beispiel zum Phänomen der Gefühlsansteckung zeigt: „Ein anderer Dreijähriger bittet seine Mutter, bei ihm zu bleiben, weil er sich fürchtet. Auf die Frage der Mutter, wovor er sich fürchtet, antwortet er: ,Das darf ich dir nicht sagen, sonst fürchtest du dich auch!?“ (S. 68). Die Herleitungen zum theoretischen Hintergrund sind dabei stets fundiert, wenngleich die Autorin neueren Forschungsergebnissen zu frühen Kompetenzen von Kindern zu misstrauen scheint und verschiedene Entwicklungserrungenschaften wesentlich später ansetzt. So scheint der Autorin beispielsweise der Erwerb der Theory of Mind mit ungefähr vier Jahren zu früh angesetzt, weswegen sie den Kindern deren Vorhandensein erst zwei Jahre später zugesteht: „Es ist eher realistisch, vom Beginn der Ausbildung einer Theory of Mind mit vier Jahren auszugehen. Das heißt, die ersten Ansätze sind zunächst da, es dauert aber noch weitere zwei Jahre, bis das Kind die Fähigkeit, sich in die Gedanken und in die Gefühlswelt des anderen hineinzuversetzen, einigermaßen beherrscht“ (S. 36). Möglicherweise manifestiert sich hier ein gewisser Entwicklungspessimismus respektive eine Gegenposition zu den in letzten Jahren an verschiedenen Stellen propagierten kompetenten Säuglingen, Kleinkindern und Schulkindern.
Die bei der Einführung zu den jeweiligen Modulen abgegebenen Hinweise zur didaktischen Gestaltung tragen eher den Charakter von Vorgaben und weniger von Empfehlungen. Dies führt dazu, dass nur selten Vorschläge für alternative didaktische Vorgehensweisen aufgezeigt werden. Dieser Umstand ist insbesondere deswegen als problematisch zu werten, da die auch von der Autorin mehrfach hervorgehobene Wichtigkeit der zielgruppengerechten Bildungsarbeit meines Erachtens didaktische Variation nicht nur empfehlenswert erscheinen lässt, sondern vielmehr geradezu zwingend notwendig macht. Auf der anderen Seite bieten die ganz konkreten didaktischen Vorgaben auch einen Orientierungsrahmen, welcher bewährte didaktische Möglichkeiten für die Bildungsarbeit aufzeigt. Zudem ist diese Schwierigkeit auch dahingehend zu relativieren, wonach von Elternbildnerinnen und Elternbildnern aufgrund deren Fachlichkeit auch zu erwarten ist, dass sie dazu in der Lage sind, das im Buch beschriebene Konzept der Bildungsarbeit adressaten- und handlungsorientiert zu gestalten und wo nötig flexibel zu variieren.
Fazit
Das vorgelegte Buch versucht eine „Verbindung von Theorie und Praxis“ (S. 9) herzustellen, womit es sich mit vielen ähnlichen Büchern in guter Gesellschaft befindet, die ebendiesen Theorie-Praxis-Transfer mehr oder weniger erfolgreich herzustellen vorgeben. Im Falle des vorgelegten Buches darf dieser Versuch allerdings als äusserst gelungen beurteilt werden. Die aufbereiteten theoretischen Inhalte beeindrucken durch deren Breite sowie Tiefe und lassen sich im praktischen Erziehungsalltag der Eltern anschaulich verankern. Elternbildnerinnen und Elternbildner profitieren dabei nicht nur von den sorgfältig und anschaulich aufbereiten Inhalten, sondern darüber hinaus auch von den didaktisch erprobten Hinweisen für die erfolgsversprechende Ausgestaltung der einzelnen Module. Die Offenheit der Autorin gegenüber der Mitwirkung der Eltern in den verschiedenen elternbildnerischen Settings dürfte ihr dabei geholfen haben, die eigenen „theoretischen Kenntnisse zu überprüfen und so auszudifferenzieren, dass ich mir ein besonders praxistaugliches Erziehungs- und Beziehungswissen aneignen konnte.“ (S. 180).
Rezension von
Prof. Dr. Marius Metzger
Verantwortlicher Kompetenzzentrum Erziehung, Bildung und Betreuung in Lebensphasen am Institut für Sozialpädagogik und Bildung der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit
Website
Mailformular
Es gibt 17 Rezensionen von Marius Metzger.