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Hermann Astleitner: Theorieentwicklung für SozialwissenschaftlerInnen

Rezensiert von Prof. Dr. Christian Beck, 29.09.2011

Cover Hermann Astleitner: Theorieentwicklung für SozialwissenschaftlerInnen ISBN 978-3-8252-3461-4

Hermann Astleitner: Theorieentwicklung für SozialwissenschaftlerInnen. UTB (Stuttgart) 2011. 227 Seiten. ISBN 978-3-8252-3461-4. D: 19,90 EUR, A: 20,50 EUR, CH: 30,50 sFr.

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Thema

„Eine Art ‚Werkzeugkasten‘“ nennt der Autor sein Buch, und es soll nicht weniger als zu neuen Theorien über die soziale Welt anregen und dabei helfen, zu einschlägigen Entwürfen von Theorien zu gelangen (S. 11). Einem Werkzeugkasten entsprechend soll das, was das Buch bietet, sich unterschiedlich nutzen und kombinieren lassen, wobei das Ziel ist, „möglichst gut wissenschaftlich fundierte Annahmen“ zu treffen (S. 14). Der Autor legt Wert auf eine leicht verständliche Darstellung und auf die Illustration durch praktische Beispiele sowie Schaubilder und Tabellen.

Autor

Dr. Astleitner lehrt als außerordentlicher Professor Erziehungswissenschaft an der Universität Salzburg.

Entstehungshintergrund

„Hauptziel des Buches ist es, Studierende zu einem früh beginnenden, kreativ-innovativen und kritischen Umgang mit wissenschaftlichen Theorien zu führen.“ (S. 16) Damit setzt Astleitner den Schwerpunkt auf die Anwendung. Der vorliegende Text solle sich als Studienbuch eignen, aber auch für das Selbststudium in den sozialwissenschaftlichen Fächern, sei es an der Universität oder an der Fachhochschule.

Aufbau

Der Haupttext gliedert sich in sieben Kapitel von sehr unterschiedlicher Länge: zwischen 2 und 99 S. Weitaus am umfangreichsten ist Kap. 5: „Verfahren und Kriterien der Theorieentwicklung“, das fast die Hälfte des Haupttextes umfasst. Dieses Kapitel sei das „Kernstück“ des Buches (S. 16) – während alle anderen Kapitel dieses Kernstück vorbereiteten oder ergänzten. Mit einer 13-seitigen Sammlung von „Anwendungsaufgaben“ (Kap. 7) endet der Haupttext.

Inhalt

Vorauszuschicken ist, dass Astleitner ausdrücklich auf den Kritischen Rationalismus und dessen Wissenschaftstheorie blickt. Der Schwerpunkt liegt mithin auf der quantitativ-empirischen Forschung. Zwar wird als Ansatz aus der qualitativen Sozialforschung die Methodologie der Grounded Theory recht ausführlich dargestellt (S. 159-169) – als ein häufig zitierter Forschungsstil zur Theorieentwicklung; doch dürfe „nicht verschwiegen werden, dass Vertreter der empirischen Sozialwissenschaft an der Leistungsfähigkeit der Grounded Theory bzw. an den Methoden der qualitativen Sozialforschung zweifeln bzw. bessere Alternativen sehen“ (S. 168).

Es bietet sich an, in dieser Rezension gleich zum Kernstück des Buches (Kap. 5) zu kommen: zu den Verfahren und Kriterien der Theorieentwicklung. Astleitner behandelt eine Vielzahl an Verfahren, ohne Vollständigkeit zu beanspruchen, und er weist darauf hin, dass sich auch die dargestellten Verfahren nicht immer klar voneinander abgrenzen lassen. Dadurch entstünden Redundanzen, die nicht vermieden werden könnten und die letzten Endes „auch einen didaktischen bzw. lernförderlichen Effekt“ haben sollen (S. 141). Das Kapitel gliedert sich in sieben Abschnitte, die ich hier skizzieren will, um einen Eindruck von Astleitners Darstellungsweise zu vermitteln:

  1. Zunächst geht es grundsätzlich um Arten des wissenschaftlichen Schließens und Argumentierens: um Deduktion, Induktion und Abduktion.
  2. Es wird sodann anhand des Themas „Jugendliche in Parallelwelten“ (S. 117) versucht eine Vorform von Theorie zu entwickeln, die einen Ansatzpunkt für weitere Abschnitte des Kapitels bildet.
  3. Dabei handelt Astleitner zunächst von der Bildung von Bedeutungen, etwa durch die Definition oder Explikation von Variablen – ein Schritt, der in unterschiedlichen Phasen des Forschungsprozesses wiederkehrt.
  4. Astleitner zeigt, wie „die Arbeit an Theorien auch eine Arbeit mit Sprache ist“ (S. 141); deshalb macht er sprachanalytische Methoden zum Thema – um beispielsweise Typen von Beziehungen zwischen Variablen zu bestimmen.
  5. Unter der Überschrift „Systemisch-orientierte Methoden“ wird die Entwicklung einer Systemtheorie beispielhaft vorgeführt: Gegenstand ist das „Phänomen der Korruption innerhalb von Institutionen“ (S. 170 f.).
  6. Es schließen mathematische Modellbildungen an, um das, was an „sprachlichen Formulierungen“ gewonnen wurde, „genauer festlegen zu können“, speziell bei komplexen Theorien (S. 175).
  7. Unter der Bezeichnung „sonstige Methoden“ umreißt Astleitner beispielsweise „Methoden zur Entwicklung technologischer Theorien“ (S. 188) oder wie sich Veränderungen in Theorien berücksichtigen lassen.

Die hinführenden Kapitel beginnen mit einer kurzen Einleitung (Kap. 1; 4 S.), in der Astleitner zwei Leitmotive nennt: Er will „Theorien als gesellschaftliches Innovationspotential“ verstanden wissen, und er fasst die Entwicklung von Theorien als einen „Lernprozess“ auf (S. 13 f.). Dazu klärt das zweite Kapitel, was empirisch-sozialwissenschaftliche Theorien überhaupt sind, und das dritte Kapitel geht darauf ein, welche Funktionen den Theorien im Gang der Forschung zukommen.

Das vierte Kapitel stellt sodann „Typen von Theorien“ und einige Mischformen daraus vor (S. 69; Überschrift). Darunter finden sich zum Beispiel die dann in Kap. 5 näher angesprochenen Systemtheorien oder auch technologische Theorien. Differenzierungskriterium ist der „Aufbau bzw. die Struktur von Theorien“ (S. 78). Unter diesem Gesichtspunkt präsentiert Astleitner als weitere Theorietypen u.a.: „Theorien mit Person- und Umweltmerkmalen“ (S. 69), „Prozesstheorien“ (S. 82) oder auch Metatheorien, die etwa „durch eine Erhöhung des Abstraktionsgrades“ entstanden seien (S. 92).

Das ergänzende sechste Kapitel, das direkt auf das Kernstück des Buches folgt, ist mit „Diskussion und Kritik“ überschrieben (S. 201), umfasst allerdings genau genommen nur eineinhalb Seiten. Hier verteidigt Astleitner unter anderem den Fokus auf Theorieentwicklung (und nicht Theorieprüfung); aber er weist auch darauf hin, dass das im Buch Dargestellte zu ergänzen ist: um eine „Einführung in wissenschaftliches Arbeiten, Grundlagen der Logik sowie Untersuchungsplanung und Hypothesenprüfung“ (S. 202).

Diskussion

Wie es einem Werkzeugkasten entspricht, brauchen Neulinge jemand, der sie in die Arbeit damit einführt. Das macht auch Astleitner deutlich, wenn er im siebten Kapitel, „Anwendungsaufgaben“, davon spricht, dass Lehrende, die diesen Teil des Buches verwenden, „Lernhilfen“ für ihre jeweilige Zielgruppe einrichten sollten (S. 203). Lernende ihrerseits sollten als Voraussetzung „das gesamte Buch mindestens einmal durchgearbeitet“ haben, bevor sie mit den Aufgaben beginnen, so Astleitner (ebd.).

Die Ordnung eines Werkzeugkastens ist meist variabel und für Neulinge nicht immer leicht zu durchschauen. Das trifft auch für die im Buch vorgelegte Gliederung zu. Bis zur vierten Ebene der Gliederung gibt das Inhaltsverzeichnis Auskunft, daneben und darunter finden sich aber im laufenden Text zahlreiche Überschriften ohne Nummerierung. Das gibt den LeserInnen zwar aktuelle Orientierung an der jeweiligen Textstelle, erschwert aber einen Gesamtüberblick – das 2-seitige Sachregister hilft hier nur bedingt.

Zu wünschen wäre, dass schon der Buchtitel die fast ausschließlich quantitativ-empirische Orientierung zu erkennen gibt. Das Buch trägt zwar dazu bei, eine Lücke in der Fachliteratur zu schließen: indem es den Prozess der Theorieentwicklung betont – gegenüber dem der Prüfung. In der methodologischen Diskussion wird das Anliegen der Theorieentwicklung bzw. -bildung aber auch häufig mit qualitativ-empirischer Forschung assoziiert; insofern mag man sich vom Titel des Buches auch anderes versprechen!

Die Stärke des Buches ist seine gut verständliche Sprache und seine eingängige Darstellung, ebenso dass es keine bestimmten Vorkenntnisse voraussetzt, sodass LeserInnen mit recht unterschiedlichem Vorwissen mit dem Buch arbeiten können. Bei der Vielzahl der dargestellten Aspekte, muss das Einzelne jedoch eher grob bleiben.

Fazit

Das Buch eignet sich vor allem für den begleiteten Einsatz im Seminar. Beim ausschließlichen Selbststudium könnten Studierende leicht den Überblick verlieren. Nur mit entsprechender Unterstützung dürfte es möglich sein, kreativ eigene Theorien von einigem Anspruch zu entwickeln.

Rezension von
Prof. Dr. Christian Beck
Pädagogische Forschung und Lehre
Website

Es gibt 53 Rezensionen von Christian Beck.

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Zitiervorschlag
Christian Beck. Rezension vom 29.09.2011 zu: Hermann Astleitner: Theorieentwicklung für SozialwissenschaftlerInnen. UTB (Stuttgart) 2011. ISBN 978-3-8252-3461-4. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/11959.php, Datum des Zugriffs 26.01.2025.


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