Shadia Husseini de Araújo: Jenseits vom »Kampf der Kulturen«
Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 26.09.2011
Shadia Husseini de Araújo: Jenseits vom »Kampf der Kulturen«. Imaginative Geographien des Eigenen und des Anderen in arabischen Printmedien.
transcript
(Bielefeld) 2011.
328 Seiten.
ISBN 978-3-8376-1646-0.
33,80 EUR.
Reihe: Postcolonial studies - Band 9.
Verräumlichungsstrategien des Terrorismus
Auf das 1997 publizierte Buch „The Clash of Civilations and the Remaking of World Order“ des US-amerikanischen Politikwissenschaftlers Samuel P. Huntington, das (einfältig und falsch) mit der Metapher „Kampf der Kulturen“ ins Deutsche übersetzt wurde, reagierten Legionen von Berufenen und sich berufen Herausgeforderten mit Zustimmung und Ablehnung. Titel und Argumentation schienen all die Ängste, Befürchtungen und in Schubladen verpackten subjektiven Einschätzungen zu bedienen, dass der Westen durch Ideologien und Mächte bedroht sei: „People were variously impressed, intrigued, outraged, frightend, and perplexed by my argument that the central and most dangerous dimension of the emerging global politics would be conflict beetween groups from differing civilizations“, so leitet Huntington in seinem Vorwort zum Buch seine Einschätzung zu seinen vorhergegangenen fragenden Arbeiten zum „Clash of Civilizations?“ ein. Auch wenn in zahlreichen Analysen und Forschungsarbeiten Huntingtons Positionen längst widerlegt wurden, dient das Schlag(!)wort vom „Kampf der Kulturen“ weiterhin als Argument, den „Kampf gegen den Terrorismus“ in Richtung auf die (vermeintliche) „Gefahr durch den Islam“ zu lenken.
Entstehungshintergrund und Autorin
Die Euro-, Germano-, Bianco-, oxzidentale und kulturistische Zentrierung auf die Welt(an)schauung wird nicht ohne Grund seit den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, seit sich die Welt immer interdependenter, entgrenzender und (hoffentlich) global-gerechter entwickelt, auch im Wissenschaftsdiskurs in Frage gestellt. Ein Paradigmenwechsel, der sich in den „Turns“ ausdrückt (Cultural-, Linguistic-, Interpretive-, Performative-, Reflexive-, Translational-, Iconic-, Spatial- und Postcolonial-Turn) ausdrückt (vgl. dazu auch: Jörg Döring / Tristan Thielmann, Hrsg., Spatial turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften, 2008, in:socialnet-Rezensionen, www.socialnet.de/rezensionen/6606.php; Moritz Csáky / Christoph Leitgeb, Hrsg., Kommunikation - Gedächtnis - Raum, 2009, in: www.socialnet.de/rezensionen/7645.php; Christian Berndt / Robert Pütz, Hrsg., Kulturelle Geographien, 2007, www.socialnet.de/rezensionen/6651.php) mit aktuellen Weltlagen, um Verquerungen und scheinbare Selbstverständlichkeiten aufzudecken, in Frage zu stellen und zu korrigieren. Interessant dabei dürfte sein, dass Perspektivenwechsel selten immanent, inklusiv, und intern, sondern meist extern intendiert werden.
Die Wandlungsprozesse, wie sie in der sich immer interdependenter und entgrenzender entwickelnden Welt verlaufen und dabei traditionell und dominant entstandene Verbindungs- und Trennungslinien in Frage stellen, neu festigen oder auflösen, werden wissenschaftlich und populär in vielfältiger Weise kommentiert (vgl. z. B. dazu: Georg Stauth, Herausforderung Ägypten. Religion und Authenzität in der globalen Moderne, Bielefeld 2010, 272 S.), sie werden konfrontativ diskutiert (Kai Hafez, Heiliger Krieg und Demokratie. Radikalität und politischer Wandel im islamisch-westlichen Vergleich, www.socialnet.de/rezensionen/8667.php) und in Forschungsprojekten dargestellt (Ines Braune: Aneignungen des Globalen. Internet-Alltag in der arabischen Welt. Eine Fallstudie in Marokko, Bielefeld 2008, www.socialnet.de/rezensionen/8133.php).
Der Orientalist und Literaturwissenschaftler Edward W. Said hat in seinem Werk „Orientalismus“ (1978) aufgezeigt, wie es dem Westen gelang, den Orient im Bewusstsein und im Machtsein des Oxzident als einen rückständigen Raum darzustellen und damit imperiale und koloniale Gelüste zu rechtfertigen. Er erklärt damit das Phänomen, wie sich Weltbilder und Weltordnungsvorstellungen nicht aus konkreter Anschauung und realitätsnaher Betrachtung entwickeln, sondern als „imaginative Geographien“ darstellen. Der britische Geograf Derek Gregory und andere nehmen diesen Faden auf und entwickeln daraus die Postcolonial Studies, Poststrukturalismen, postkoloniale Theorien, bis hin zur „Weißseinsforschung“ (vgl. dazu: Maureen Eggers / Grada Kilomba / Peggy Piesche / Susan Arndt, Hrsg., Mythen, Masken und Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland, 2005). Imaginative Geographien werden verstanden als „gesellschaftlich machtvolle diskursive Konstruktionen von Räumen des Eigenen und Anderen…, die soziale Ordnungen herstellen und politische Praktiken legitimieren, etablieren und verfestigen“.
In der Politischen Geographie werden die Aspekte der imaginativen, nicht realen und in Phantasien und manipulativen Einflüssen erzeugten Vorstellungen und Überzeugungen thematisiert und disziplinär und interdisziplinär betrachtet und erforscht. Sie stellen sich, im Wissenschaftsdiskurs, wie in der politischen Alltagsbetrachtung, als geopolitische Weltbilder, geopolitische Leitvorstellungen oder popular geopolitics dar und bedienen aktuell den gesamten Bereich der Auseinandersetzung um den „Kampf gegen den Terrorismus“. Ein Fokus liegt dabei, wie erwähnt, auf der Kontroverse „Orient - Oxzident“.
Die an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg als Akademische Rätin tätige Geografin Shadi Husseini de Aráujo, legt mit dem Band „Jenseits vom ‚Kampf der Kulturen‘. Imaginative Geographien des Eigenen und des Anderen in arabischen Printmedien“, ihre poststrukturalistische Dissertationsschrift vor Es sind die folgenden Fragen, denen sie sich in ihrer Medienanalyse zuwendet:
- Welche Rolle spielt in Diskursen arabischer Öffentlichkeiten?
- Welche alternativen imaginativen Geographien werden verhandelt und nehmen eine hegemoniale Stellung in den Diskursen ein?
- Welche Denkstrukturen und welche Strategien der Verortung von Eigenem und Anderem unterliegen den herausgearbeiteten Konstruktionen?
Die Autorin konzentriert ihre Analyse auf die transnationalen Zeitungen al-Hayat, Asharq Alawsat und al-Quds al-Arabi, die ihrer Meinung nach eine breite und differenzierte Meinungsvielfalt zulassen und als die offensten Foren für die gesellschaftspolitische Diskussion in den arabischen Medien gelten. Sie betrachtet dabei insbesondere Nachrichten, Berichte und Kommentare. Die Medienanalyse beginnt mit dem 11. September 2001 und endet mit der Betrachtung über die Reaktionen zu den Mohammed-Karikaturen im März 2006.
Aufbau und Inhalt
Die Medienanalyse wird, neben der Einleitung und der Schlussbetrachtung in drei Kapitel gegliedert: Im Teil „Imaginative Geographien“ werden ausgewählte diskurstheoretische Konzeptionen (Foucault, Laclau, Mouffe) vorgestellt und verschiedene poststrukturalistischen Positionen diskutiert, die Bedeutung, Ausdifferenzierung und Weiterentwicklung der Saidschen Konzeption der Imaginativen Geographien aufgezeigt, die dichotomen Konstruktionen von Orient und Oxzident, von islamischer Welt und vom Westen historisch und aktuell hergeleitet und der Einfluss von Medien auf den Wandel der imaginativen Geographien thematisiert und damit der Boden bereitet für die den Spagat, der sich bei der Analyse und Bewertung der ausgewählten (Print-)Medien zeigt: Unterschiedliche semantische, sprachliche Mehrdeutigkeiten und Übersetzungsprobleme in nichtarabische Sprachen.
Die methodische Umsetzung der
entwickelten theoretischen Ausprägungen durch eine Analyse von
Texten der transnationalen arabischen Tageaspreaaw der Zeitungen
Al-Hayat (1946 in Beirut gegründet), Asharq Alawsat (1978 in
Saudi-Arabien) und Al-Quds al-Arabi (1989 in London) erfolgt mit dem
Vorbehalt, dass die von den genannten Zeitungen publizierten und
verbreiteten Informationen und Meinungen überwiegend von den
arabischen Eliten konsumiert werden und dadurch als elitäre Texte
eingeordnet werden müssen; sie stellten keinesfalls die
arabischen Meinungen dar, jedoch die der öffentlichkeits- und
meinungsbildenden politisch Agierenden. Die Betrachtung der Texte und
Karikaturen lässt sich also nicht 1 : 1 in lateinische Sprache und
Schriftzeichen übertragen, ohne dass es zu Übersetzungsfehler und
Bedeutungsverlusten, geschweige denn zu Manipulationen kommt. Damit
verdeutlicht sich der hybride Charakter des Sprechens, Hörens und
Übersetzens und der Schwierigkeit (wie auch der Chance), Sprache als
Übersetztes von Übersetztem wahr zu nehmen: „Dies deutet
einmal mehr darauf hin, dass die Grenze zwischen
‚Orient‘ und ‚Okzident‘,
zwischen
Im Kapitel „Imaginative Geographien in den arabischen Printmedien…“ werden die in der Zeit von 2001 bis 2006 aufgezeichneten Titelgestaltungen, Schlagzeilen und Darstellungen der politischen Hauptereignisse danach befragt, wie signifikant sie zu den (westlichen) Metaphern vom „Kampf der Kulturen“ und dem „Kampf gegen den Terrorismus“ stehen. Dabei wird deutlich, dass die dominierenden Dichotomien nicht in erster Linie zwischen dem Westen und der arabischen und islamischen Welt verlaufen, sondern zwischen den USA als (neo-imperiale, neo-koloniale, barbarische und illegitime) Weltmacht und dem Rest der Welt. Die arabische Welt als zersplittertes, zerstrittenes, tatenloses und uneiniges Gebilde wird so zum Opfer der westlichen (US-amerikanischen / israelischen) Übermacht. Dass dabei auch die totalitären Regime der arabischen Staaten erwähnt werden, die die Krisen in der arabischen Welt befördern und sie zum Opfer des Terrorismus machen, lässt sich als konträres Bild zu den gängigen (westlichen) Zuordnungen erkennen. Es sind vor allem nationalstaatliche und pan-nationale Benennungen, die sich in eher diffusen Kennzeichnungen und Identifikationsmustern äußern, denn in macht- und kraftvollen Zuschreibungen: „Das Ei(ge)ne erscheint als das unterlegene, schwache Objekt, das sich in einer gesellschaftlichen und ausweglosen (post)kolonialer Strukturen befindet“.
Fazit
Die Medienanalyse aus den drei
ausgewählten pan-arabischen Tageszeitungen bestätigt die dem
Huntingtonschen Parametern vom „Kampf der Kulturen“ und den
im Westen daraus entwickelten Bedrohungsszenarien vom Kampf gegen den
im islamischen Raum verorteten Terrorismus nicht. Vielmehr zeigen die
Pressebelege - Zeitungstexte und Karikaturen - dass „der
Terrorismus (…) dabei genau so wie im Gros der
Medien als antagonistischer Gegner (erscheint)„; er wird jedoch
in den arabischen Medien anders verortet als in den westlichen. Die
Autorin plädiert dafür, „das Augenmerk verstärkt auf andere
Diskurse des Denkens und Sprechens zu richten“, um zu erkennen,
dass eine übermäßige und einseitige Blickrichtung des „Westens“
auf politisch-islamische und extremistische Bewegungen deren
Bedeutung überbetont und durch die immer wieder neue Benennung von
Bedrohungsszenarien, die einen Kampf zwischen und dem
Wenn die Autorin formuliert, dass das Ergebnis ihrer Medienanalyse „nicht zum Handeln an(leitet)“, vielmehr „schreibt (es) dem Ei(ge)nen Möglichkeit und Macht ab, zu handeln, und legitimiert, nichts zu tun“, muss gefragt werden, ob sich diese Einschätzung, angesichts der aktuellen Entwicklung in den arabischen Ländern, die vielleicht allzu leichtfertig und voreilig als „arabischer Frühling“ apostrophiert wird, nicht überholt hat. Aber das ist eine andere Geschichte, die nicht auf der Agenda der Autorin stehen konnte - und fordert eine andere Untersuchung.
Die Forschungsarbeit von Shadia Husseini de Araújo ist ein bedeutsames Puzzle eines Bildes, das entstehen und zusammen gesetzt werden muss in der Überzeugung, dass „die Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Familie innewohnenden Würde und ihrer gleichen und unveräußerlichen Rechte die Grundlage der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens in der Welt bildet“, wie dies in der Präambel der von den Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 proklamierten Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zum Ausdruck kommt.
Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
Mailformular
Es gibt 1667 Rezensionen von Jos Schnurer.
Zitiervorschlag
Jos Schnurer. Rezension vom 26.09.2011 zu:
Shadia Husseini de Araújo: Jenseits vom »Kampf der Kulturen«. Imaginative Geographien des Eigenen und des Anderen in arabischen Printmedien. transcript
(Bielefeld) 2011.
ISBN 978-3-8376-1646-0.
Reihe: Postcolonial studies - Band 9.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/12016.php, Datum des Zugriffs 06.10.2024.
Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt.
Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns.
Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen
für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.