Suche nach Titel, AutorIn, RezensentIn, Verlag, ISBN/EAN, Schlagwort
socialnet Logo

Innovationsverbund PflegeWissen (Hrsg.): Demenz – der Herausforderung professionell begegnen

Rezensiert von Dr. phil. Dipl.-Psychol. Sven Lind, 30.07.2012

Cover  Innovationsverbund PflegeWissen (Hrsg.): Demenz – der Herausforderung professionell begegnen ISBN 978-3-89993-288-1

Innovationsverbund PflegeWissen (Hrsg.): Demenz – der Herausforderung professionell begegnen. Ein multimediales Lernprogramm in 2 Teilen. Schlütersche Fachmedien GmbH (Hannover) 2011. ISBN 978-3-89993-288-1. 61,50 EUR.
Systemvoraussetzungen: MS-Windows 98 / ME / 2000 / NT4 / XP.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.

Kaufen beim socialnet Buchversand
Kaufen beim Verlag

Thema

Die Pflege und Betreuung Demenzkranker im mittelschweren Stadium ist in Deutschland gegenwärtig noch ein äußerst heikles Thema, denn es wird in Fachkreisen sehr kontrovers diskutiert. Während in den Heimen und im ambulanten Pflegebereich überwiegend bis auf wenige Ausnahmen spontan und intuitiv gehandelt und reagiert wird, werden auf der Ebene der Leitungen und auch der Ausbildungsstätten Modelle und Konzepte favorisiert, die weder das ganze Spektrum an Verhaltensweisen und Reaktionen erklären können, noch ausreichend praxistauglich sind. Manche Konzepte (u. a. Tom Kitwood - der so genannte „personenzentrierte Ansatz“) sind ihrem Wesen nach geradezu unmenschlich, wenn z. B. bewusst auf das Leiden Demenzkranker bei Realitätsverlusten nicht angemessen eingegangen werden darf, um nicht das „ethische Prinzip der Wahrhaftigkeit“ zu verletzen (das „Lügen-Verdikt“).

Das vorliegende multimediale Lernprogramm thematisiert den Umgang mit Demenzkranken mit dem Anspruch, fachliches Hintergrundwissen zum Verstehen der demenzspezifischen Verhaltensweisen zu vermitteln.

Autor

Klaus Schwarz (Diplom-Pflegepädagoge / FH) wird als Verantwortlicher für die Inhalte und didaktische Konzeption angeführt. Die fachliche Beratung lag in den Händen von Jutta Becker (Ärztin und Fortbildnerin in Frankfurt am Main) und Bernd Meyer M. A., Diplom-Pflege- und Gesundheitswissenschaftler, Ottweiler.

Aufbau und Inhalt

Das Lernprogramm ist in zwei Teile untergliedert. Der erste Teil soll fachliches Hintergrundwissen für den Umgang mit Demenzkranken vermitteln, der zweite Teil erläutert anhand von konkreten Praxisbeispielen angemessene Interaktionsweisen als Orientierungsrahmen. Einige Programmabschnitte sind mit Übungsaufgaben zur Selbstüberprüfung versehen. Zu Beginn der Ausführungen werden die konkreten Lernziele in Stichworten für den jeweiligen Teil angegeben.

Der erste Teil beginnt mit einer fiktiven Fallgeschichte einer demenzkranken Heimbewohnerin. Daran schließt sich der Abschnitt „Situation verstehen“ an, in dem u. a. Orientierungs- und Gedächtnisstörungen, das emotionale Empfinden und die Definition der Demenz erläutert werden. Der Abschnitt „Über das eigene Pflegeverständnis nachdenken“ erörtert die ethischen Dimensionen der Pflege und den Aspekt der Pflegebeziehung. Es folgen Ausführungen über die biografische Orientierung in der Pflege, die sowohl zeitgeschichtliche als auch vor allem die konkreten Lebenserfahrungen der Betroffenen beinhaltet. Medizinisches Wissen wird anhand des Krankheitsbildes Demenz, der Diagnostik und der Symptomatik und Therapie vermittelt. Den Abschluss bilden Erklärungen zu den verschiedenen Aspekten der Sicherheit einschließlich der juristischen Dimensionen. Konkret wird dies mittels der Medikamentenversorgung, der Gefahren im Alltag und der verschiedenen Formen der freiheitsentziehenden und freiheitseinschränkenden Maßnahmen dargestellt.

Zu Beginn des zweiten Teils werden so genannte „herausfordernde Verhaltensweisen“ beschrieben und erläutert. Hierbei handelt es sich um demenzspezifische Verhaltens- und Reaktionsweisen, die durch neuropathologische Abbauprozesse und Umweltreize einschließlich der Pflege und Betreuung hervorgerufen werden. Dargestellt werden die demenzspezifischen Verhaltenssymptome Wandern, Agitation, Passivität und Apathie und so genanntes „regressives Verhalten“. Es folgen konkrete Beispiele von misslungener und gelungener Kommunikation mit Demenzkranken mit entsprechender Erläuterung. Hierauf aufbauend werden Grundzüge der verbalen und nonverbalen Kommunikation beschrieben. Der anschließende Abschnitt „Den Alltag begleiten“ beinhaltet die Punkte Tagesstrukturierung, die Entwicklung von Betreuungsangeboten, die Förderung von Bewegung und so genannte „tiergestützte Besuchsdienste“. Im Abschnitt „Pflegeprozess und Pflegedokumentation beachten“ werden die gängigen Vorgehensweisen der Pflegeanamnese, Pflegeplanung, Pflegedokumentation und Evaluation beschrieben. Es folgt der Abschnitt „Situationen mit Angehörigen gestalten“, der die Belastungen der Angehörigen vor und auch während des Heimaufenthaltes erläutert und die Problembereiche zwischen den Pflegenden und den Angehörigen im Heimalltag u. a. anhand einer misslungenen Kommunikation beispielhaft beschreibt. In der abschließenden kurzen Zusammenfassung werden die wesentlichen Kategorien und Interaktionsformen dargestellt.

Diskussion

Die Bewertung des Lernprogramms fällt zweischneidig aus. Positiv zu nennen sind die didaktisch klare und allgemeinverständliche Darstellungsweise. Es werden die bedeutsamen Punkte mit Szenen bildlich und verbal mitsamt eingefügten Textelementen angemessen präsentiert. Ein eingefügtes Glossar erläutert Fachbegriffe und theoretische Aspekte.

Unzureichend für ein Lernprogramm, das sich vorwiegend an Pflegende und Betreuende richtet, sind aus der Sicht des Rezensenten die Inhalte. Exemplarisch wird dieser Mangel an folgenden Punkten festgemacht:

  • Es fehlt das bedeutsame Element des neuropathologischen Abbauprozesses als Erklärungszusammenhang für die gestörte Person-Umwelt-Passung im mittelschweren Stadium. So können z. B. mit dem Ansatz der Retrogenese einschließlich der Braak-Stadien viele Verhaltens- und Reaktionsweisen erklärt werden und darüber hinaus auch komplementär wirksame Umgangsformen begründet werden.
  • Es fehlen Ausführungen über die häufig auftretenden Realitätsverluste und Realitätsverzerrungen in ihrer Genese und in ihrem Umgang. Diese Krankheitssymptome bilden ein wesentliches Kernelement der Demenzpflege. So wird z. B. nie erklärt, warum die Beispielbewohnerin „Frau Hofer“ ständig nach Bornheim in ihre alte Heimat möchte.
  • Es fehlen die vielen wirksamen Beruhigungs- und Ablenkungsstrategien des „Mitmachens und Mitgehens“, die tagtäglich in den Heimen praktiziert werden. Auch die Verwendung von Puppen, Kuscheltieren, Scheingegenständen wie Geld und Hausschlüssel werden nicht als bedeutsame Faktoren in der Lebensweltgestaltung vorgestellt.

Fazit

Das vorliegende Lernprogramm kann aufgrund des Fehlens wichtiger Pflege- und Betreuungsstrategien nicht zur Anwendung empfohlen werden. Der Anspruch, u .a. fachliches Hintergrundwissen und praxisnahe Empfehlung zu vermitteln, konnte nicht eingelöst werden. Ein Lernprogramm hat alle wichtigen Elemente zu beinhalten, andernfalls lässt sich kein komplexes Leistungsspektrum an Pflege, Betreuung und Milieugestaltung für die Demenzkranken entfalten.

Rezension von
Dr. phil. Dipl.-Psychol. Sven Lind
Gerontologische Beratung Haan
Website
Mailformular

Es gibt 227 Rezensionen von Sven Lind.

Besprochenes Werk kaufen
Sie fördern den Rezensionsdienst, wenn Sie diesen Titel – in Deutschland versandkostenfrei – über den socialnet Buchversand bestellen.


Zitiervorschlag
Sven Lind. Rezension vom 30.07.2012 zu: Innovationsverbund PflegeWissen (Hrsg.): Demenz – der Herausforderung professionell begegnen. Ein multimediales Lernprogramm in 2 Teilen. Schlütersche Fachmedien GmbH (Hannover) 2011. ISBN 978-3-89993-288-1. Systemvoraussetzungen: MS-Windows 98 / ME / 2000 / NT4 / XP. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/12066.php, Datum des Zugriffs 07.11.2024.


Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt. Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns. Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.


socialnet Rezensionen durch Spenden unterstützen
Sie finden diese und andere Rezensionen für Ihre Arbeit hilfreich? Dann helfen Sie uns bitte mit einer Spende, die socialnet Rezensionen weiter auszubauen: Spenden Sie steuerlich absetzbar an unseren Partner Förderverein Fachinformation Sozialwesen e.V. mit dem Stichwort Rezensionen!

Zur Rezensionsübersicht