Martin Brüggemeier, Klaus Lenk (Hrsg.): Bürokratieabbau im Verwaltungsvollzug
Rezensiert von Prof. Dr. Elmar Hinz, 15.10.2012

Martin Brüggemeier, Klaus Lenk (Hrsg.): Bürokratieabbau im Verwaltungsvollzug. Better Regulation zwischen Go-Government und No-Government.
edition sigma in der Nomos Verlagsgesellschaft
(Berlin) 2011.
259 Seiten.
ISBN 978-3-89404-842-6.
19,90 EUR.
Reihe: E-Government und die Erneuerung des öffentlichen Sektors - 12.
Thema
Bürokratieabbau hat immer Konjunktur: häufig wird darunter allerdings mit Verweis auf vermeintliche gesamtwirtschaftliche Kosten das Beseitigen, nicht das Überarbeiten von Regeln und Prozessen verstanden. Die Herausgeber Brüggemeier / Lenk widmen sich mit ihrem Sammelband also einem durchaus politischen Thema. Als betriebswirtschaftlich geprägte Verwaltungswissenschaftler versuchen sie allerdings, das Bestehende unter Berücksichtigung seiner Besonderheiten zu optimieren und nach erfolgreichen Mustern neu zu denken. In den von Brüggemeier / Lenk zusammengetragenen Beiträgen wird dabei speziell erörtert, welche Impulse Electronic Government diesem Programm geben kann. Ein besonderer Reiz dieser Herangehensweise ist also, dass eine programmatische Forderung mit den sehr praktischen Herausforderungen elektronischer Abbildung und beiläufiger Veränderung von Verwaltung verknüpft wird. Die angestrebten Optimierungen sind also weniger als Normenkontrolle zu verstehen, sondern ergebniswirksame Anregungen für einen lebensnahen, besseren Verwaltungsvollzug.
Herausgeber
Dr. Martin Brüggemeier ist Professor für Betriebswirtschaftslehre und Public Management an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin.
Dr. Klaus Lenk ist emeritierter Professor für Verwaltungswissenschaft der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg, der Rechtswissenschaften studiert und zu letzt maßgeblich die Verwaltungsinformatik geprägt hat.
Entstehungshintergrund
Der Sammelband ist Teil einer Reihe zum Thema E-Government und Erneuerung im öffentlichen Sektor, die E-Government als Ermöglicher der Modernisierung versteht. Ähnlich wie die in der edition sigma erscheinende sog. gelbe Reihe zur Modernisierung des öffentlichen Sektors, befassen sie sich prägnant und kompakt mit E-Government als Reformfacette.
Aufbau
Die Herausgeber haben den Sammelband in vier Abschnitte eingeteilt.
Nach vier Beiträgen mit konzeptuellen Grundlagen folgen im zweiten Teil Ansätze, wie durch Bündelung Bürokratie weniger spürbar wird. Im dritten Teil wird mit drei Beiträgen erörtert, in wie fern proaktives Verwaltungshandeln zum Bürokratieabbau beiträgt. Abschließend wird die einzelbetriebliche Betrachtung verlassen: Drei Texte entwickeln Impulse, wie verwaltungspolitisch Better Regulation erreicht werden kann.
Insgesamt umfasst dieser Sammelband 14 Beiträge von ausgewiesenen Experten, die Bürokratieabbau im Verwaltungsvollzug konzeptuell und mit Berichten aus der Praxis beleuchten. Einige zentrale Beiträge sollen im Folgenden ausführlicher besprochen werden:
Inhalt
Im ersten Abschnitt entwirft Brüggemeier zunächst aus einem politikfeldunabhängigen, phasenbezogenen Referenzmodell eine „heuristische Taxonomie der Spürbarkeit“. Sie kennzeichnet unterschiedliche Formen der Zugangsbündelung und wird zum Ausgangspunkt proaktiver Optimierung. Die genannten Zugänge reichen dabei von der Notwendigkeit des persönlichen Erscheinens in einer zuständigen Fachbehörde („Go-Government“) bis hin zu einer auf Intervention verzichtenden Verwaltung („No-Government“).
Anschließend beschreibt Lenk, wie wesentliche Gestaltungspotenziale von E-Government – Prozessorganisation und Vernetzung – im Rahmen der Better Regulation relevant werden. Dass und wie diese Konzepte aufeinander bezogen werden können, zeigen insb. Beispiele aus den Niederladen. Zugespitzt wird dieser Vorschlag dann auf den Verwaltungsvollzug.
Wie aus der Sicht der Bürger in Anlehnung an das Standardkostenmodell mit qualitativen und quantitativen Methoden Möglichkeiten zur Optimierung von Verfahren identifiziert werden können, beschreiben Parzer / Porak.
Im zweiten Teil steht die Reflexion von Ansätzen im Vordergrund, wie Bürokratie durch Bündelung weniger spürbar wird: als Beispiele wurden das kommunale Bürgeramt, Online-Portale für Unternehmen, vorgeschaltete Verwaltungsagenturen und Telefonservices ausgewählt.
Am dem von Klages präsentierten typischen Fall des Bürgeramts wird besonders deutlich, wie für den Bürger – in der Terminologie des E-Governments – bürokratische Strukturen durch eine zentrale Benutzeroberfläche bedienbar werden: mit diesem Perspektivenwechsel verschwindet Bürokratie im Backoffice.
Brunzel schlägt hingegen vor, dass elektronische Verwaltungsagenturen als private Instanz für Bürger und Unternehmen in die Verwaltung vermitteln könnten. Diese Intermediäre sorgen für Entlastung bei Anliegen wie der Kfz-Zulassung. Dabei werden private Angebote und Dienstleistungen mit öffentlichen Leistungen zusammen angeboten.
Ebenfalls bei der Wahrnehmung der Nutzer setzten Telefonservices an. Schuppan zeigt in einer Bestandsaufnahme zur Einheitlichen Behördenrufnummer in EU-Staaten, wie diese Kommunikationsleistung der Verwaltung zu einer als angenehm empfundenen Ansprechbarkeit beiträgt und die Belastung der Bürger durch Kontakte mit der Verwaltung minimiert.
Der dritte Teil befasst sich mit proaktivem Verwaltungshandeln. In einer aufsuchenden Stadt, die eine aufsuchende Verwaltung beinhaltet, werden von Grabow verschiedene Orte, Zugangswege und Servicetypen als (Leit)Bild moderner Daseinsvorsorge empfohlen. Dass dienststellenübergreifende Informations- und Datenaustauscharchitekturen nicht nur verwaltungsintern helfen, Aufwand zu minieren, sondern für die Interaktionspartner in der Wirtschaft kaum spürbar werden können, zeigen die Beispiele von Schilling et al und Brüggemeier / Schulz.
Im letzten Abschnitt geben die Herausgeber mit den gewählten Beiträgen einen Ausblick auf ganzheitliche Ansätze für ein besseres Verwaltungshandeln, das bei der Gestaltung besserer Regeln beginnt und ihre Spürbarkeit im Vollzug im Auge behält. So soll bei begleitenden Aufsichts- und Überwachungstätigkeiten das angenommene Verhalten der Betroffenen bereits bedacht werden: Schröter et al formulieren dazu Erwartungen an geteilte Verantwortung, Verwaltungsorganisation und Kommunikation, so dass risikoadjustierte Prüfungen und staatlich regulierte Selbstregulierung durchgeführt werden können. Um bei der Gesetzesfolgenabschätzung auch einen Vollzug jenseits bewährter Wege zu bedenken, rät Lenk zu einem Verfahren, mit dem der Vollzug in einem Mehrebenensystem und bei den dazugehörigen Aktivitäten bewertet werden kann.
Diskussion
Das Buch sensibilisiert für die beim Verwaltungsbetrieb erzeugte Bürokratie. In diesem Kontext macht es durch seine praxisnahen und konzeptuellen Beiträge das Schlagwort Better Regulation verwendbar. Über wenige bloß deskriptive Passagen hinweg wird dabei einerseits deutlich, wie E-Government zum Bürokratieabbau beitragen kann. Anderseits – und das ist eine besondere Leistung dieser Zusammenstellung – wird in den reflektierenden Teilen immer wieder hervorgehoben, welchen Beitrag E-Government als Muster oder Referenzmodell zur Reform des öffentlichen Sektors leisten kann. Tatsächlich wird E-Government aus seinen technischen Zusammenhängen befreit und die Erfahrung vieler IT-Projekte für die betriebliche Prozessoptimierung erschlossen, selbst wenn bei einigen Fällen Hinweise zur Skalierbarkeit fehlen.
Um den eigenen Anforderungen gerecht zu werden, wären aber mehr Worte wünschenswert gewesen, wie genau die unterstellte Transformation der Verwaltung durch E-Government zur Organisationsgestaltung wird. Um diese zu Recht identifizierte Lücke zwischen Programm und technisch geprägter Prozessgestaltung zu schließen, sollten die organisationstheoretischen Bezüge gestärkt werden. Die angestoßene Diskussion sollte unbedingt auf dieser Abstraktionsebene fortgesetzt werden: nur so kann eine wesentliche Stärke des E-Government – nämlich die scharfe Analyse von Prozessabläufen – mit betrieblichem und verwaltungspolitischem Wissen verbunden und eine der Situation angemessenen Bürokratie gestaltet werden. Jeder Prozess hat sich dabei an dem intendierten Zweck dieser Erstellungsform zu behaupten.
Noch nicht thematisiert sind Impulse, die E-Government durch das Web 2.0 erhält. Zu erwarten wäre, dass sich insb. die Usability online und – der Argumentation der Herausgeber folgend – auch offline verbessert. Wie weit zielgruppengerechte Usability schließlich zu Transparenz und Partizipation verschwimmt, ist eine noch ungeklärte Anfrage an Bürokratie.
Der Sammelband liefert also durchweg gute Ideen, an die Praktiker und möglicherweise auch Wissenschaftlicher bei der Entwicklung von Handlungsanleitungen anknüpfen können. Gleichzeitig werden die Grenzen der klassischen Forderung nach Bürokratieabbau deutlich: E-Government trägt dazu bei, den Fokus auf eine nutzerfreundliche Schnittstelle zwischen Bürger und Verwaltung zu richten. Das kann, muss aber nicht eine Verkleinerung der Verwaltung bedeuten.
Fazit
Um den bestehenden Verwaltungsbetrieb zu optimieren, werden in dem vorliegenden Sammelband viele Ideen zusammengetragen. Sich mit der Spürbarkeit von Bürokratie und nicht nur schwer messbaren Bürokratiekosten zu befassen, hilft konsequent nach Zielen und Wirkungen des Verwaltungshandelns zu fragen. Teilweise gelingt es den Autoren, die durch E-Government verbreiteten, erfolgreichen Muster auch für andere Zusammenhänge verwertbar zu machen. Diese Verbindung von E-Government und Verwaltungsvollzug sollte jenseits politischer Vorgaben zum Bürokratieabbau mit Beiträgen wie diesem weiter voran getrieben werden.
Rezension von
Prof. Dr. Elmar Hinz
Dipl.-Kfm.
Professor für Verwaltungswissenschaften an der FH Nordhausen
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Es gibt 10 Rezensionen von Elmar Hinz.
Zitiervorschlag
Elmar Hinz. Rezension vom 15.10.2012 zu:
Martin Brüggemeier, Klaus Lenk (Hrsg.): Bürokratieabbau im Verwaltungsvollzug. Better Regulation zwischen Go-Government und No-Government. edition sigma in der Nomos Verlagsgesellschaft
(Berlin) 2011.
ISBN 978-3-89404-842-6.
Reihe: E-Government und die Erneuerung des öffentlichen Sektors - 12.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/12097.php, Datum des Zugriffs 24.09.2023.
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