Harald Pühl: Konflikt - Klärung in Teams und Organisationen
Rezensiert von Dr. Michaela Schumacher, 26.06.2012
Harald Pühl: Konflikt - Klärung in Teams und Organisationen.
Ulrich Leutner Verlag
(Berlin) 2010.
204 Seiten.
ISBN 978-3-934391-49-9.
24,00 EUR.
Reihe: OrganisationBeratungMediation.
Autor und sein Hintergrund
Dr. Harald Pühl ist Sozialpädagoge und Supervisor. Gemeinsam mit KollegInnen gründete er das Institut TRIANGEL in Berlin. Durch vielfältige Veröffentlichungen in Zeitschriften, Büchern und eigene Bücher nahm er entscheidenden und kompetenten Einfluss auf die Entwicklung der Supervision und anderer Beratungsformate in Deutschland.
Zielgruppen
Führungskräfte, Personalverantwortliche, SupervisorInnen, MediatorInnen, OrganisationsentwicklerInnen, JuristInnen, ProjektmanagerInnen, die sich informieren wollen oder an einer weiteren Schlüsselqualifikation interessiert sind.
Aufbau
Das Buch hat ein Vorwort, eine Einleitung, 9 Kapitel, Anmerkungen und ein Literaturverzeichnis.
Kapitel 1 Zum Konflikt-Verständnis
Der Autor setzt sich – unter Rückbezug zur einschlägigen Fachliteratur – mit der Definition, dem „Sinn“, der Funktion und Wirkkraft von Konflikten auseinander. Konflikte sind für die menschliche Entwicklung und Differenzierung unerlässlich. Notwendige Konflikte rekrutieren sich nach Heintel (2005) aus vier Widersprüchen, den 4 existentiellen Gegensätzen – zwischen Toten und Lebendigen, zwischen Individuen und Gruppen, zwischen Alten und Jungen, zwischen Männern und Frauen. Sie haben ihren Ursprünge.
- im Widerspruchswesen des Menschen,
- in den „Unterschieden sozialer Konstellationen und Gebilde“
- in „systembedingten Widersprüchen“ – z.B. Bereichsegoismen, Dreiecks-, Rollen-,Team-, Gruppenkonflikten
- in „historischen Ungleichzeitigkeiten“.
Aufgezeigt und erläutert werden Entwicklungs- und Verschiebungskonflikte in Organisationen.
Mediation ist ein weiterer Prozessberatungsansatz neben OE und Supervision. Diese drei eigenständigen Verfahren können miteinander kombiniert werden und sich wechselseitig befruchten. Mediation konzentriert sich auf die Bearbeitung von Konflikten, um geblockte, gestörte, entgleiste Kommunikation wieder zu normalisieren, die Arbeitsfähigkeit wieder herzustellen, damit die Betroffenen/Beteiligten ihre Interessen wieder selbstständig aushandeln und klären können.
Konflikte
- legen Unterschiede offen, die klärungsbedürftig sind
- sind integraler Bestandteil jeder individuellen, kollektiven und organisationalen Entwicklung
- entstehen, wenn unterschiedliche Interessen/Bedürfnisse etc. weder in den Dialog zu bringen sind noch verhandelbar sind.
Kapitel 2: Spezifika der Organisationsmediation
Pühl stellt die Organisationsmediation vor und zeichnet nach, dass diese meistens als Krisenintervention – entweder eigenständig und/oder im Kontext anderer Beratungsprozesse – zur Anwendung kommt, wenn Kommunikationslöcher vorliegen. Kurz und prägnant skizziert er die 9 Charakteristika und die 7 Phasen der Organisationsmediation und erläutert abschließend die Grundprinzipien von Mediation. Fallvignetten fördern und unterstützen das Verstehen.
Kapitel 3: Supervision und Mediation
Die wesentlichen Unterschiede zwischen diesen beiden Prozessberatungsverfahren sind: Mediation arbeitet ausschließlich deeskalierend und nicht jede Supervision ist eine Konfliktberatung.
Der kurze historische Rückblick auf Vorläufer der Mediation hebt deutlich die 5 Prinzipien des Harvard Konzeptes hervor, das Mediation professionalisiert. Die beschleunigten Veränderungsdynamik in Unternehmen – Restrukturierungen, Fusionen, Outsourcing etc. – verursachen vielschichtige und vielfältige Konflikte auf und zwischen allen Ebenen – im Management, unter Mitarbeitenden und zwischen Beiden. Mitarbeitende sind verunsichert, verängstigt und in Folge demotiviert und/oder im Widerstand. Organisationsmediation kann hier oftmals „schnell, effizient und preiswert“ Abhilfe schaffen.
In der Supervision – in ihren Anfängen in den USA eher eine qualifizierte Praxisanleitung – erfolgte in den 80iger Jahren ein Paradigmenwechsel als die individuelle und interaktionelle Dimension um die institutionell-systemisch, den Teambezug und die Machtfrage ausgeweitet wurden.
Kapitel 4: Beratung als Verbindendes?
Nach einer Einführung in die etymologischen Bedeutungswelt von Rat und Beraten erläutert Pühl die feldunabhängigen Beratungskompetenzen; die duale Verortung von Beratung – zum einen im Beratungs- und Interaktionswissen und zum anderen im handlungsfeldspezifischen Wissen -; die Scheidung zwischen Gutachten durch Fachexperten und Prozessberatungen, zu denen Mediation und Supervision gehören. Beratung beschäftigt sich meistens sowohl mit den „ausgeblendeten“ Sinnfragen, Tabus, Ritualen, ungeschriebenen Gesetzen, Normen und Werten als auch mit den Folgen struktureller Veränderungen auf die in den Systemen handelnden Menschen – ihre Bedürfnisse, Erwartungen und Ängste -. Sie „containt“ das Nichtverdauliche, Nichtverstehbare kurzum das Störende und die Widersprüche. Da jede Organisation, jedes System, einmalig ist, gilt es die Beratungsinterventionen organisations- bzw. systemspezifisch auszuwählen. Organisations- bzw. systemübergreifend und standardisierbar sind möglicherweise Interventions- und Funktionsdimensionen, jedoch nicht die konkreten Interventionen selbst, d.h. der Erfolg von Beratung ist nur begrenzt vorhersagbar.
Kapitel 5: Gemeinsamkeiten: Mediative und supervisorische Kompetenzen
Basale Kompetenzdimensionen sind nach Pühl
- Subjektkompetenz – Haltung, Ethik, geklärtes und reflektiertes Wissen um die eigene Entwicklung, die eigene Person
- Beratungskompetenz – Feldkenntnisse, Beraterpersönlichkeit kompatible Methoden, Verfahren und Tools
Bedeutsam und prägend für die Subjektkompetenz sind die biographisch gemachten und durchgearbeiteten Erfahrungen mit der Balancierung zwischen den Bedürfnissen/Wünschen nach Autonomie und sozialer Zugehörigkeit zu Gruppen, da diese konstitutiv sind sowohl für positive und konstruktive Kommunikations-/Interaktionsformen als auch für die favorisierten Abwehrmechanismen und Widerstandsformen. In der Beratung geht es um das ernsthafte Bemühen, die Ratsuchenden in ihrer Persönlichkeit, ihrer Haltung und ihrem Verhalten zu verstehen und sie bei der Bewältigung ihrer Anliegen so zu unterstützen, dass sie diese für sich befriedigend bearbeiten. Um nicht die eigenen Verstehensmuster aufzuzwingen, bedarf es der Bereitschaft, sich durch die Erfahrungen der Ratsuchenden irritieren, erschüttern zu lassen und diese „Phänomene“ im geschützten Raum bewertungsfrei zu reflektieren und heraus zu destillieren, was sie uns über die zu beratende Organisation mitteilen. Tools/Methoden und die ihnen zugrunde liegenden Theorien können dabei helfen, das Beobachtete/Reflektierte/Geschlussfolgerte in einer Landkarte zu verorten und verstehbar zu machen.
- Auftragsklärung und Sondierung –
Beratung über Beratung
Bevor eine externe Beratungsbeauftragung erfolgt, ist oft innersystemisch mit den eigenen Bordmitteln alles versucht worden, das Problem/den Konflikt zu lösen, jedoch nicht mit dem gewünschten Erfolg. Diese Erfolglosigkeit ist vielfach mit Kränkungen verbunden. Somit hat das beauftragende System den Wunsch und das Interesse, dass zumindest seine bisherige Arbeit gewürdigt und an sie angeknüpft wird. Dafür bietet es dem Externen sowohl die internen differenzierten Konflikt- bzw. Problemdiagnosen als auch die zugehörigen Erklärungen an. Eine gefährliche Situation für den Externen; denn das selbstformulierte Problem – dem Systemtypus und -Interesse entsprechend formuliert – muss nicht zwangsläufig das eigentliche Problem sein. Unverzichtbar ist deshalb eine eigene Sondierungs-/Klärungsphase, um das Beratungsziel eindeutig zu klären, die zu Beteiligenden zu identifizieren und ein kompatibles Beratungssetting und .procedere abzustimmen und zu vereinbaren. - Vom Erstkontakt bis zur
Auswertungssitzung
Die 5 Schritte des Ablaufschemas einer Supervision – Erstkontakt, Infogespräch als Beratung über Beratung, Sondierung, Auftragsvereinbarung, Auswertung – werden vorgestellt. - Dreieckskontrakt
In Organisationen hat der Berater es immer mit zwei (oder gar mehr) Auftraggebern zu tun. Deshalb ist der „Dreiecks“- bzw. „Mehreck“-Kontrakt unverzichtbar und Standard. Damit synchron werden bei den Beteiligten – in je unterschiedlichem Ausmaß und Intensität – die biographischen Dreieckserfahrungen und -beziehungen (re)-aktiviert und damit die „triadische Grundangst“ davor ausgeschlossen und/oder missbraucht zu werden. Dennoch und gerade deshalb muss der Beratende den Winkel ausbalancieren, um sowohl sich als auch die anderen Beteiligten davon zu befreien, ihnen erfahrbar und nachvollziehbar machen, dass eigenständige Kontakte nicht zwangsläufig gleichzusetzen mit Verrat am Dritten oder Verbrüderung gegen diesen. Abschließend skizziert Pühl kurz die organisationalen Triangulierungen: Team-Berater-Führung; die magischen Dreiecke der BWL – ökonomische Prinzip, Humanitätsprinzip, Umweltsicherungsprinzip –, des Projektmanagements – Kosten-Zeit-Ziele – und das Veränderungsdreieck – Raum-Zeit-Ressourcen. - Es folgen Überlegungen zum Perspektivwechsel.
Kapitel 6: Konfliktmoderation
Vorgestellt werden die 6 Schritte (Meilensteine) der Konfliktmoderation nach Redlich (1996) - Nebel falscher Vorstellungen (1); Wüste der Fassaden (2); Sumpf der Ziellosigkeit (3); Dickicht der Argumente – Konflikterhellung - (4); Gebirge der Sturheit – Suche nach Lösungsoptionen (5); Ebene der Folgenlosigkeit – Evaluation der Veränderung (6). „Konfliktmoderationen sind ohne eigene vorherige ausreichende Sondierung eine Krisenintervention ohne Netz und ohne doppelten Boden“ (133). Drei Fallvignetten erleuchten die Zusammenhänge anschaulich und überzeugend.
Kapitel 7: Konfliktbearbeitung in Supervision
Vier Fallbeispiele aus der Literatur von KollegInnen werden skizziert, die Konfliktbearbeitung analysiert und schlussgefolgert, dass in zwei Fällen, in denen massive Kränkungen erfolgten, eine Mediation den Konflikt hätte tiefenwirksamer aufklären, analysieren können und die Lösung vermutlich nachhaltiger geworden wäre.
Kapitel 8: Supervision und Mediation im Doppelpack
Zur Illustration nutzt Pühl vier Fallbeispiele – drei eigene, Mediation innerhalb einer Leitungs-, einer Teamsupervision, und nach einer Teamsupervision – und ein – vom Kollegen – als Coaching bezeichneter Beratungsprozess, der aus der Sicht des Autors jedoch mediative Elemente/Phasen enthalte als auch eine Organisationsentwicklung sei.
Abschließend berichtet er von der erfolgreichen Implementierung eines internen Konfliktmanagements/Konfliktberatung bei einer kommunalen Behörde, einem Bezirksamt in Berlin.
Fazit
Das Buch ist verständlich geschrieben. Es liefert eine Orientierung für Führungskräfte und PersonalentwicklerInnen. Die Vielfalt der Fallbeispiele illustriert nicht nur das theoretisch Beschriebene, sondern bietet – gerade auch jüngeren FachkollegInnen – einen tiefen Einblick, worauf alles zu achten ist und wie bedeutsam und unverzichtbar eine funktionierende Kommunikation ist.
Rezension von
Dr. Michaela Schumacher
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Zitiervorschlag
Michaela Schumacher. Rezension vom 26.06.2012 zu:
Harald Pühl: Konflikt - Klärung in Teams und Organisationen. Ulrich Leutner Verlag
(Berlin) 2010.
ISBN 978-3-934391-49-9.
Reihe: OrganisationBeratungMediation.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/12109.php, Datum des Zugriffs 14.09.2024.
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